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  • 24.03.2014 08:04

  • von Roman Wittemeier

Pescarolo: "Wir wurden regelrecht abgeschlachtet..."

Le-Mans-Legende Henri Pescarolo im Interview: Der Untergang seines Teams, die Technik der neuen Autos und der Wunsch nach LMP1-Kundenautos

(Motorsport-Total.com) - Die Le-Mans-Szene ist seit 2012 um einen prägenden Namen ärmer. Henri Pescarolo musste den Rennbetrieb mit seinem Team nach einem Debakel mit dem umgebauten Aston-Martin-AMR-One in Le Mans einstellen, das Team wurde Anfang dieses Jahres endgültig aufgelöst. Sein Interesse an den Prototypen hat der Franzose natürlich dennoch nicht verloren. Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' erklärt Pescarolo, warum er kein allzu großer Fan der aktuellen Entwicklungen ist.

Titel-Bild zur News: Emmanuel Collard, Emmanuel Collard, Jean-Christophe Boullion, Julien Jousse

Henri Pescarolo und ein LMP1-Auto seines eigenen Teams: Diese Zeiten sind vorbei Zoom

Frage: "Henri, du hast dir in Genf den neuen Porsche 919 Hybrid angeschaut. Gefallen dir diese hochmodernen, neuen LMP1-Autos?"
Henri Pescarolo: "Die neuen Autos sind toll, die neuen technischen Regeln finde ich sehr interessant. Gleichzeitig habe ich Zweifel daran, dass das Publikum es genauso interessant finden wird. Ich weiß nicht, ob die Leute wirklich ein Interesse daran haben, ob ein Rennauto nun plötzlich 30 Prozent weniger Sprit verbraucht. Bei Straßenautos ist das natürlich wichtig und gut, aber bei Rennfahrzeugen? Müssen wir mal abwarten."

"Was ich ein bisschen seltsam finde ist die Tatsache, dass mir bisher niemand gesagt hat, wie viel Leistung die neuen LMP1-Autos tatsächlich haben. Ich will PS-Zahlen hören. Ich höre immer nur, wie viel Megajoule Hybridleistung vorhanden ist, aber das versteht doch kein Mensch. Es wäre aus meiner Sicht einfach wichtig, dass man sich mal deutlich ausdrückt und dass alle erfahren, welche Power diese schönen Autos haben. Man darf nicht vergessen, dass die Zuschauer begreifen müssen, was auf der Strecke eigentlich passiert."

Diesel hat alles plattgemacht

Frage: "Ist die Rückkehr von Porsche nach Le Mans für dich mit Emotionen verknüpft?"
Pescarolo: "Ich freue mich natürlich über das Comeback von Porsche. 1984 habe ich in einem Porsche in Le Mans gewonnen (gemeinsam mit Klaus Ludwig; Anm. d. Red.). Ich wünsche mir daher, dass sie jetzt wieder um solche Erfolge mitkämpfen können. Das würde mich sehr freuen."

Frage: "Dein Team gibt es endgültig nicht mehr. Was hat letztlich dazu geführt, dass du nicht mehr antreten kannst?"
Pescarolo: "Seit spätestens 2007 waren die Dieselautos dermaßen dominant, dass da niemand mehr mithalten konnte. Wenn man unter solchen Voraussetzungen als privates Team auf Sponsorensuche geht, dann wird es sehr schwierig. 2005 beispielsweise haben wir direkt gegen Audi um Podestplätze kämpfen können. Später jedoch wurden wir regelrecht abgeschlachtet. So etwas fällt natürlich auch potenziellen Partnern und Sponsoren auf."

Pokale Pescarolo Le Mans

Beeindruckend: Die umfangreiche Pokalsammlung von Pescarolo in Le Mans Zoom

"Zwei Jahre lang hatte ich einen guten Unterstützer, der dann aber 2012 wegging. Plötzlich war ich mit meinem Team in einer äußerst schwierigen Situation. Heutzutage ist es fast unmöglich, genügend Geld aufzutreiben, um wirklich konkurrenzfähig zu sein. Daher ist mein Team aufgelöst. Ich bin alles andere als sicher, ob ich noch einmal mit einer eigenen Mannschaft zurückkehre."

LMP2 keine Option für Pescarolo

Frage: "Der ACO sagt immer: LMP1 ist für Hersteller, für private Teams gibt es die LMP2-Klasse. Wäre die kleine Prototypenklasse nichts für dich?"
Pescarolo: "An der LMP2-Klasse habe ich überhaupt kein Interesse. Ich habe lange Zeit in der LMP1-Klasse mit meinen Autos gute Leistungen und tolle Kämpfe zeigen können - und nun möchte man, dass ich mit LMP2-Autos um Gesamtplatz 14 fahre? Nein. Das würde mich um zwölf Jahre zurückwerfen, ich wäre wieder dort, wo ich mal angefangen habe. Und darauf habe ich keine Lust mehr."

"Hinzu kommt, dass du für eine WEC-Saison mit einem LMP2-Auto satte 2,5 Millionen Euro brauchst. Das steht doch in keinem Verhältnis zu dem, was ich sportlich damit erreichen kann. 2,5 Millionen Euro und du bekommst kaum Preisgeld, hast keine TV-Aufmerksamkeit - gar nichts. So etwas kann sich nur jemand leisten, der privat sehr reich ist, Jacques Nicolet zum Beispiel. Wenn man es über Sponsorengelder schaffen muss, wird das niemals gehen."

Frage: "Du würdest einen Start in der LMP2 als Rückschritt empfinden - also quasi so, als würde McLaren statt Formel 1 plötzlich nur noch GP2 machen?"
Pescarolo: "Ja, so ähnlich. Seit 2005 habe ich mit meinem Team gezeigt, was ich in der LMP1 leisten kann. Was soll ich bitteschön in der LMP2? Und wenn da irgendwas nicht klappt? Gehe ich dann zum Kartsport, oder was? Nein, ich habe definitiv kein Interesse."

Frage: "Audi, Porsche und Toyota sind schon da, Nissan soll kommen und es gibt Gerüchte um ein LMP1-Projekt von Ferrari. Steht die Szene vor einem gigantischen Aufschwung?"
Pescarolo: "Da wäre ich vorsichtig. Schau mal in der Formel 1. Dort wären es nur sechs Autos, wenn nur noch die echten Werksteams starten würden. Der große Unterschied zur WEC ist aber, dass diese Hersteller ihre Motoren und Hybridsysteme an Kunden verkaufen. Nur so können es über 20 Autos werden."


Fotostrecke: Au revoir, Pescarolo Team

"In der LMP1-Klasse passiert dies nicht. Sollte Nissan 2015 kommen, dann werden es acht Werksautos in der LMP1-Klasse sein. Aber das reicht doch nicht. Als Porsche damals in Le Mans erfolgreich war, da gab es Zeiten, in denen zwölf Porsche 956 am Start standen. Was ich im Kern sagen will: Wenn die Hersteller ihre Antriebe nicht an gute Privatteams geben, dann wird es keine konkurrenzfähigen privaten LMP1-Teams geben."

Kundenautos wären die Lösung

Frage: "Wie wichtig sind die Privaten aus deiner Sicht für das Gesamtgefüge in der WEC?"
Pescarolo: "Peugeot ist schon weg, Audi könnte auch schnell weg sein und bei Toyota wissen wir es auch nicht. Bei Porsche habe ich den Eindruck, dass sie länger planen. Tatsache ist aber, dass Werke von einem Tag auf den anderen verschwinden können. Das haben wir bei Peugeot gesehen. Man braucht die Privaten. Und wenn man denen gute Chancen einräumt, dann bleiben die auch lange in der Szene, denn es ist deren Kerngeschäft."

Frage: "Also machen die Hersteller mit ihrer aktuellen Politik die Szene eher kaputt, oder bringen sie zumindest in Gefahr?"
Pescarolo: "Die Hersteller sind Fluch und Segen zugleich. Man will die Privatteams in diesem Jahr näher heranbringen, indem die Nicht-Hybridautos mehr Sprit verfeuern dürfen und die Motoren richtig Power haben. Aber werden die wirklich um Siege kämpfen können? Nein, denn es wäre undenkbar, dass ein Privater die großen Werke schlägt, die Unmengen Geld einsetzen. Das ist einfach unmöglich."

"Die Hersteller sind Fluch und Segen zugleich." Henri Pescarolo

"Wir bräuchten ein Modell für Kundenfahrzeuge, oder zumindest solche Komponenten, die für private Teams erhältlich sind. Zwei Werksautos einer Marke und jeweils zwei Kundenautos dazu, das wäre doch perfekt für den Wettbewerb. Gute Teams wie Oreca oder Rebellion können doch zweifellos solche Autos betreiben - und Pescarolo bestimmt auch!"