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  • 20.03.2013 08:44

  • von Roman Wittemeier

Kolumne: Le Mans ist der Formel 1 voraus

'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier und die leidenschaftliche Liebe zur Le-Mans-Szene: Was die Formel 1 derzeit nicht bieten kann

Liebe Freunde des Triplestints,

Titel-Bild zur News: Wurz Lapierre

In der WEC liefern sich Toyota und Audi heiße Duelle: 2014 kommt Porsche hinzu Zoom

ich bin mit Motorsport aufgewachsen und trage die große Leidenschaft für Le Mans in mir. Auch die Formel 1 gibt mir Freude und Spektakel, aber nichts kommt an jene Emotionen heran, die die Prototypenszene in mir verursacht. Woran das liegt? Im Bereich Sportwagen finde ich viele Elemente, die ich in der Formel 1 seit einigen Jahren immer mehr vermisse: neue Technikideen, heroische Fahrer, Ehrlichkeit, Zugänglichkeit und einfach schöne Autos (klar, ist Geschmackssache!).

Als kleiner Junge saß ich an jedem Rennsonntag gemeinsam mit meinem Vater und meinen Brüdern vor dem Fernseher, um Lauda, Hunt, Andretti und Co. beim Rennen zu sehen. Viele Jahre später war ich im immerwährenden Duell hin- und hergerissen zwischen der klugen Fahrweise des Alain Prost und dem leidenschaftlichen Vollgastier Ayrton Senna. Fan eines einzelnen Fahrers war ich nie. Es waren für mich alle Helden. Sie alle waren cooler als ein Eimer Eiswürfel.

Doch genau in jener Phase des Zweikampfes zwischen Senna und Prost setzte aus meiner Sicht etwas ein, was der Formel 1 heute zum Problem wird: Teams und Piloten wurden immer glatter, die Helden weniger greifbar, die Autos immer ähnlicher und die Technik immer weniger faszinierend. Natürlich ist ein heutiges Formel-1-Auto ein erstklassiges Stück Ingenieurskunst, aber - ganz ehrlich - mich interessieren keine Flips, Flaps und Coandas. Im Technikzoo will ich Artenvielfalt erleben!

LMP1 fast so schnell wie Formel 1

Genau diese Vielfalt finde ich seit vielen Jahren in Le Mans. Technisch ausgefeilte Prototypen möchte ich sehen. Ich will den Kampf von Konzepten erleben, auch mal schräge Ideen auf der Rennstrecke sehen. Für eine solch schräge Idee hielt ich es damals zum Beispiel, als Audi mit einem Diesel an die Sarthe kam. Dass ein "Traktor" das Highend-Rennfeld Le Mans siegreich beackern könnte, hätte ich mir nie vorstellen können. Das Gegenteil wurde bewiesen. Das liebe ich am Motorsport.

Auch an Leistung mangelt es den LMP1-Flundern nun absolut nicht. Die Formel 1 als das uneingeschränkte Nonplusultra des Motorsports? Sehe ich nicht so, wenn ich sehe, dass die Le-Mans-Autos von Peugeot und Audi auch 800 PS hatten und sagenhafte 1.100 Newtonmeter Drehmoment generierten. Ein Antriebsstrang, der solche Power über 24 Stunden im Dauerbetrieb aushält - das ist für mich eine echte Ingenieursleistung. Die Beschleunigung eines Formel-1-Boxenstopps um weitere 0,037 Sekunden eher weniger.

Vielleicht muss der Speed der Le-Mans-Prototypen hier noch einmal allen dargelegt werden, die der Formel 1 wie Jünger folgen, weil sie doch die Spitze der Motorsportpyramide darstellt. An dieser Stelle mal Beispiele: 2009 sind die LMS und auch die Formel 1 in Spa-Francorchamps gefahren, 2010 waren beide Serien am Nürburgring unterwegs. In beiden Fällen waren die Rundenzeiten der Prototypen zehn Sekunden höher als jene der Königsklassen-Kutschen. In Bahrain 2012 ebenso - bei absolut gleichen Bedingungen.

Ein Formel-1-Auto wiegt 640 Kilogramm, ein LMP1-Auto 900 - der Unterschied also: 260 Kilogramm. Die Ingenieure der Königsklasse haben - wenn es um das Fahrzeuggewicht geht - immer eine Faustformel: zehn Kilogramm mehr machen rund drei Zehntelsekunden auf der Strecke aus. Demnach dürften die Le-Mans-Prototypen 7,8 Sekunden langsamer sein. Der Unterschied in den Rundenzeiten relativiert sich und es wird äußerst deutlich, wie schnell die LMPs wirklich sind.

Le-Mans-Szene ist einen Schritt voraus

"Die Eau Rouge in Spa macht im LMP1-Auto viel mehr Spaß als im Formel-1-Wagen", sagt Rebellion-Pilot Nick Heidfeld, der an der Langstreckenszene seine helle Freude hat. "Die Dinger haben richtig fette Reifen und mächtig Abtrieb", freut sich Alexander Wurz immer wieder über die Qualitäten des aktuellen Toyota TS030. Die beiden langjährigen Formel-1-Piloten haben längst erkannt, dass die Le-Mans-Szene mehr zu bieten hat als nur die große Historie eines 24-Stunden-Rennens.

2014 bekommt die Formel 1 ein neues Motorenformat. Dann fahren alle mit 1,6-Liter-V6-Turbos, die allesamt höchstens 15.000 Touren drehen dürfen. Unterschiede mag es bei den Energie-Rückgewinnungsystemen geben, aber schon nach wenigen Jahren wird es wieder Einheitsbrei. Die Formel 1 verharrt dann auf einem technologischen Stand, den die LMPs schon jetzt in Sachen Antrieb haben. Le Mans legt gleichzeitig nach und zieht diesbezüglich wieder einen Schritt voran.

Schon in diesem Jahr sehen wir die Brennstoffzelle als Antrieb in einem Le-Mans-Auto, im kommenden Jahr will Nissan die 24-Stunden-Tortur mit einem reinen Elektroantrieb schaffen. Wir erleben Benziner, Diesel, Turbos, Sauger, Hybridsysteme aller Art im direkten Wettbewerb - so muss es doch sein! Und dann auch noch Techniker, Verantwortliche und Fahrer, die durchaus mal im Fahrerlager für einen kurzen Schnack am LKW lehnen, die spätestens am frühen Morgen des Le-Mans-Rennens aufgrund von Müdigkeit nur noch ehrlich antworten können. Auch das ein Faktor, der wichtig ist.


Fotos: Präsentation WEC/Le Mans 2013


Nicht falsch verstehen: Die Formel 1 bietet eine große Show und ist in Sachen Popularität bestimmt kaum zu schlagen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass viele Fans der Königsklasse auch in der WEC und in Le Mans ihre Helden finden könnten. Die Szene hat ein Manko: Rennen über sechs oder sogar 24 Stunden sind im TV nur schwierig darzustellen. Aber dafür bekommt man oft mehr Action geboten als in einer gesamten Formel-1-Saison.

Ich mag die Formel 1, aber ich liebe die Le-Mans-Szene. Damit bin ich sicherlich nicht allein.

Viele Grüße,

Roman Wittemeier