powered by Motorsport.com

Le Mans: Bigger, Better, Faster, More!

Ein Österreicher in Le Mans: Chefredakteur Christian Nimmervoll, eigentlich eher in der Formel 1 heimisch, ist beeindruckt vom legendären 24-Stunden-Event

Titel-Bild zur News: Nacht in Le Mans

Der Magie von Le Mans kann man sich - speziell in der Nacht - kaum entziehen...

Liebe Leser,

die Formel 1 hat mich schon immer fasziniert, von klein auf. Sie ist die Königsklasse - nicht nur für Fahrer, Teams und Fans, sondern auch für Journalisten. Eine eigene Welt, dachte ich immer - oder, wie die 4 Non Blondes gesagt hätten: Bigger, Better, Faster, More! Wie man sich täuschen kann, wenn man jahrelang den Grand-Prix-Tunnelblick aufsetzt...

Le Mans also. Die Magie packt einen gleich beim ersten Spaziergang durch den Paddock. "Und, wie ist das so im Vergleich zur Formel 1?", fragt mich unser Sportwagen-Experte Roman Wittemeier. Ich muss zugeben: "Hier sind am Donnerstag schon so viele Menschen wie in der Formel 1 am Sonntag." Denn der 24-Stunden-Klassiker ist ein zweischneidiges Schwert: Die Fans kommen bis ins Fahrerlager, das meistens rappelvoll ist, und müssen nur beim "Inner Circle", also den Garagen und den wichtigsten Hospitalitys, draußen bleiben.

Audis Palast lässt Red Bull vor Neid erblassen

Dafür kann der Herr Formel-1-Journalist nicht, wie ich es aus meinem gewohnten Umfeld kenne, einfach überall hineinspazieren. Für Audis zweistöckigen Palast, der Red Bulls Energy-Station auch im buchstäblichen Sinn locker in den Schatten stellen würde, gibt's für jeden Tag ein eigenes Bändchen zum Hospitality-Pass dazu; bei Toyota reicht eines für das komplette Wochenende. Behangen wie ein Weihnachtsbaum tauche ich dann bei meinem alten Bekannten Colin Kolles im kleinen Lotus-Motorhome (früher jenes von HRT in der Formel 1) auf. Der Bürokratie-Muffel lacht mich aus und winkt seinem Teammanager: "Boris, haben wir eigentlich auch solche Bändchen?" Haben sie, aber eher als Gimmick für VIPs, die sich wichtig fühlen sollen.

Motorsport-Total.com in Le Mans: Roman Wittemeier und Christian Nimmervoll

Motorsport-Total.com in Le Mans: Roman Wittemeier und Christian Nimmervoll Zoom

Dann das Rennen, die Nacht bricht langsam herein. Die Haupttribüne leert sich. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Barbecues auf den Campingplätzen ebenso rasant an wie der durchschnittliche Alkoholspiegel des Publikums. Im gefühlt längsten Medienzentrum, das ich je erlebt habe (Kompliment für die ebenso kostenlose wie vorbildlich stabile Internet-Leitung!), schlafen die ersten Kollegen ein. Mit dem Kopf auf dem Notebook, unter dem Tisch oder einfach im Sessel hängend (Zur Backstage-Fotostrecke: Le Mans 2012).

Schlafloses Rennen gegen die Zeit

Ich selbst halte durch. Um 9:00 Uhr morgens ein kurzer Konzentrations-Einbruch ("Wie hast du den Satz begonnen und worum geht es in dem Artikel eigentlich?"), der sich aber mit zwei Minuten "frischer" Luft (also einer Zigarette) überwinden lässt. 38 Stunden ohne Schlaf, davon 33 nonstop arbeitend. Nach der Siegerehrung ertappe ich mich doch tatsächlich einen Moment lang dabei, irgendwie emotionalisiert zu sein, von diesem magischen Rennen, in dem die Zeit dein größter Gegner ist.

Schlafende Journalisten im Medienzentrum

Le Mans ist der ultimative Härtetest, auch für die schreibende Zunft Zoom

Und wenn das schon für einen bedeutungslosen Schreiberling so ist: Wie muss sich erst Wolfgang Ullrich gefühlt haben, als seine Audis in Viererformation über die Ziellinie fuhren und einen Dreifachsieg fixierten, gekrönt vom historischen ersten Triumph eines Hybridantriebs in Le Mans? Denn im Gegensatz zu meinen fahrenden Landsleuten Alex Wurz (mit Toyota bis zu Nakajimas Blackout auf Podestkurs), Dodo Kraihamer (bis zum Motorschaden erneut eine tolle Talentprobe abgelegt) und Richard Lietz (Getriebeschaden am Porsche) hat der Audi-Sportchef während des Rennens sicher auch keinen Schlaf abbekommen.

Österreichs Feldherr erobert Le Mans

Ullrich, geboren am 27. August 1950 in Wien und ein Doktor der technischen Wissenschaften, ist momentan wahrscheinlich der erfolgreichste österreichische Motorsport-Manager - und wird in seiner Heimat vom Massenpublikum trotzdem kaum wahrgenommen. Unter seiner Führung hat Audi elf der 13 letzten Le-Mans-Rennen gewonnen, plus der Sieg von 2003, als de facto ein zu einem Bentley umlackierter Audi triumphierte. Nur 2009 wurde die Dominanz des VW-Konzerns an der Sarthe von Peugeot unterbrochen. Am Steuer: Alex Wurz.

Mein persönliches Le-Mans-Highlight 2012 lieferte aber ein Japaner. Herzzerreißend, wie Satoshi Motoyama eineinhalb Stunden lang verzweifelt versuchte, seinen revolutionären Nissan-DeltaWing eigenhändig zu reparieren - bewaffnet mit einem Schraubenschlüssel, instruiert von seinem am Zaun stehenden britischen Teamchef und einem Japanisch-Dolmetscher. Und dann in Tränen ausbricht, als er trotzdem aufgeben muss. "Le Mans gewinnst du nicht, Le Mans lässt dich gewinnen", heißt es. Oder eben auch nicht.


Satoshi Motoyamas DeltaWing-Drama

Nach diesem einmaligen Erlebnis halte ich es selbst als alter Formel-1-Tunnelblicker mit Steve McQueen, dem legendären Hollywood-Vollgashelden: "Rennen heißt Leben. Die Zeit dazwischen ist nur Warten." Auf 2013. Denn dann bin ich sicher wieder mit dabei...

Christian Nimmervoll

Folgen Sie mir auf Twitter: twitter.com/MST_ChristianN