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"Fliegende Finne": Sorge wegen LMP-Überschlägen

Der spektakuläre Crash von Anthony Davidson war nur einer von vielen - Fahrer vermuten, dass die neu eingeführte Heckfinne unter Umständen kontraproduktiv ist

(Motorsport-Total.com) - Die Serie an spektakulären Überschlägen in der Sportwagen-Szene reißt nicht ab. Zuletzt in Le Mans traf es Anthony Davidson, der von einem GT-Ferrari abgedrängt wurde, ins Schleudern kam - und seitlich zur Fahrtrichtung stehend plötzlich vom Boden abhob. Da wurden unweigerlich Erinnerungen an die legendären Mercedes-Saltos im Jahr 1999 wach.

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Alex Wurz ist von der Regeländerung mit der Heckfinne nicht überzeugt

Das große Problem ist die Aerodynamik, denn die Unterböden der mehr als 300 km/h schnellen Prototypen sind eine optimale Angriffsfläche für die Luft, die so ihre volle Gewalt entwickeln kann - ganz im Gegensatz zur Formel 1, wo die Unterboden-Fläche wesentlich kleiner ist: "Wir bekommen Unterluft und heben ab", erklärt Alexander Wurz. "Ein Formel-1-Auto ist rund um die Räder offen. Da kann die Luft durchzischen, weil sich unter dem Auto kein Luftpolster bildet. Dementsprechend hebt ein Formel-1-Auto nicht ab. Das ist die Schwachstelle der Sportwagen."

Wurz: Selbst bisher Glück gehabt

Und zwar eine ganz erhebliche, denn Überschläge sorgen auf der Langstrecke schon seit vielen Jahren regelmäßig für Schrecksekunden. 2011 waren es die Peugeots, 2012 erwischte es Davidson im Toyota. Ergebnis: zwei gebrochene Rückenwirbel. "Seit 2008, seit ich dabei bin, ist das glaube ich der zwölfte derartige Überschlag, der vierte von einem Teamkollegen", seufzt Wurz. "Jetzt bin ich es schon ein bisschen leid, Flugakrobaten als Teamkollegen zu haben und die jedes Mal im Spital besuchen zu müssen."

Davidson ist inzwischen wieder zu Hause, wird aber geschätzte drei Monate pausieren müssen. Dabei hatten sich Le-Mans-Veranstalter ACO und Automobil-Weltverband FIA nach den Unfällen der vergangenen Jahre Gedanken gemacht, wie man das Abheben der Autos vom Boden verhindern könnte. Als Ergebnis wurde eine Heckflügel-Finne entwickelt, die dem unter bestimmten Umständen vom Unterboden generierten Auftrieb entgegensteuern soll. Nur: Besonders effizient war dieses System bisher nicht.

"Wir haben zum Beispiel diese große Haifisch-Finne, die in Wirklichkeit sehr hässlich aussieht." Alexander Wurz

"Die FIA versucht schon seit langem, das zu beheben", gibt Wurz im Interview mit dem 'ORF' zu Protokoll. "Wir haben zum Beispiel diese große Haifisch-Finne, die in Wirklichkeit sehr hässlich aussieht. Die soll helfen. Ich glaube eigentlich, sie ist kontraproduktiv. Seitdem wir diese Finne haben, ist es schlimmer. Unterm Strich versuchen die Hersteller und die FIA, einiges zu machen, aber dieser große Unterboden ist immer noch da. Da fliegen die Autos wie ein Blatt Papier im Wind."

Gegenteiliger Effekt ab 70 Grad?

"Als die Heckfinne eingeführt wurde, war ich mir ohnehin nicht sicher, ob es eine gute Lösung ist", meint Wurz-Teamkollege Nicolas Lapierre gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Wenn das Auto erst einmal in der Luft ist, dann macht es die Finne aus meiner Sicht vielleicht sogar noch schlimmer." Oak-Pilot Franck Montagny stimmt in die Kritik ein: "Wir haben untersucht, dass der Heckflügel, der das Auto auf dem Boden halten sollte, ab einem Winkel von 70 Grad den gegenteiligen Effekt bewirkt und das Abheben begünstigt. Aber anscheinend ist es gut für die Sponsoren..."

"Ich glaube, man kann nicht viel machen, um so etwas zu verhindern", meint der ehemalige Le-Mans-Sieger Marco Werner. "Motorsport wird immer gefährlich bleiben. Wir haben Riesenschritte bei der Sicherheit gemacht, wir haben große Verbesserungen an den Rennstrecken erzielt. Wir haben das große Glück, in einer Zeit zu fahren, wo die Autos und die Strecken sehr sicher geworden sind. Es gab hier in der Vergangenheit Unfälle, die 15, 20 Jahre vorher tödlich ausgegangen wären. Heute klopft man sich den Ärmel ab und es geht weiter."


2012: Überschlag von Anthony Davidson

Motorsport is dangerous

"Aber ich denke, man kann im Motorsport nicht alles ausschließen", fährt der Deutsche im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' fort. "Meine persönliche Meinung ist: Wenn man eine Grenze, eine Geschwindigkeit von über 300 km/h, erreicht hat, bei denen ein 170 Tonnen schwerer Jumbo-Jet abhebt, dann kann man hier bauen, was man will. Solange über 300 km/h gefahren wird, wird hier so ein Auto immer abheben, wenn es sich nicht mehr in die Richtung bewegt, die bei der Aerodynamik vorgesehen ist. Sobald es seitlich oder rückwärts steht, wird es abheben."

"Natürlich können wir die Geschwindigkeiten verringern, aber das macht Le Mans ja auch aus", argumentiert Werner. "Das ist der Prototyp, das ist Le Mans, das will man sehen. Ich glaube, so etwas kann man nur ausschließen, wenn man festlegt, dass man nicht über 270 km/h fährt." Lapierre hat eine ähnlich resignative Einstellung: "Viele Leute haben sich mit dem Thema beschäftigt, aber solche Autos neigen zum Aufsteigen, wenn sie quer kommen. Man hat in den vergangenen Jahren vieles versucht und umgesetzt, aber einen großen Unterschied macht es nicht."

"Natürlich können wir die Geschwindigkeiten verringern, aber das macht Le Mans ja auch aus." Marco Werner

Stefan Mücke, dieses Jahr in Le Mans auf Aston Martin Dritter in der GTE-Pro-Klasse, widerspricht: "Die bisherigen Maßnahmen haben bestimmt schon etwas gebracht", sagt er gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Aber man hat gesehen, dass es noch nicht genug war. Im nächsten Schritt will man mehr tun, nämlich den Unterboden anders auslegen. Das soll ab 2014 kommen, um solche Szene zu vermeiden." Unterm Strich bleibt aber stehen: "Die Autos heben immer noch ab", hält Toyota-Pilot Wurz fest.

Hebelwirkung der Heckfinne

"Ich persönlich glaube, dass die Heckfinne in dem Fall mit schuld daran ist, dass das Auto abhebt, weil sie für einen kurzen Moment eine Hebelwirkung hat", erläutert der Österreicher die aerodynamischen Phänomene. "Im Windkanal erzeugt sie Unterdruck und Abtrieb, aber im ersten Moment, bis der Druck sich aufbaut, hat sie eine kurze Hebelwirkung. Das hebt das Auto aus. Und dann hast du den Luftkeil. Aber das ist nur eine Vermutung. Man kann ein Reglement ja nicht basierend auf reinen Vermutungen ändern."

"Es gibt sicher was, aber man muss vielleicht radikal Dinge ändern", vermutet er. "Das ist in dieser Serie manchmal gar nicht so einfach, weil es Privatiers gibt, große Werke und kleine Rennwagen-Hersteller. Und du kannst auch keine Schnellschüsse machen. Du musst alles genau untersuchen und genau ins Detail gehen. Es war letztes Jahr nach den Peugeot-Unfällen sehr aktuell. Jetzt mit diesen großen Löchern im Radkasten dachte ich, dass der Druck nicht entstehen kann, aber es hat genau gar nichts gebracht, es hat sich nichts geändert."


1999: Überschlag von Peter Dumbreck

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