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Justin Wilsons Vermächtnis: Sechs Menschenleben gerettet

Mit seiner Organspende wirkt Justin Wilson über sein Ableben hinaus - Bruder Stefan Wilson und Ex-Kollege A.J. Allmendinger erinnern an einen Menschen mit Größe

(Motorsport-Total.com) - Justin Wilsons Einfluss wirkt über sein Ableben hinaus. Am Montagabend (Ortszeit) wurde im Lehigh-Valley-Krankenhaus in Allentown, Pennsylvania der Tod des 37-jährigen IndyCar-Piloten bestätigt. Die Kopfverletzungen, die er sich rund 27 Stunden zuvor beim schweren Unfall auf dem Pocono Raceway zugezogen hat, waren zu schwer

Titel-Bild zur News: Trauer um Justin Wilson

Abschiedsgruß für Justin Wilson am Indianapolis Motor Speedway Zoom

Als Wilsons Andretti-Bolide nach dem Schlag durch die Crashstruktur der Fahrzeugnase von Sage Karams Ganassi-Bolide in die innere Streckenbegrenzung krachte, war der Fahrer vermutlich bereits bewusstlos. Als die Erstversorgung an Ort und Stelle keine zufriedenstellende Wirkung hatte, wurde der Brite sofort mit dem Rettungshubschrauber ins rund 70 Kilometer entfernte Lehigh-Valley-Krankenhaus geflogen. Wenig später kam die Meldung, dass Wilson in einem kritischen Zustand im Koma liegt. Aus diesem wachte er nicht mehr auf.

Allen voran die Familie und Freunde, aber auch die gesamte Motorsportgemeinde - Fahrerkollegen, Fans und Medienvertreter eingeschlossen - trauern um Justin Wilson. Doch der hatte vorgesorgt. In Abstimmung mit seiner Ehefrau Julia, die zusammen mit den Eltern Keith und Lynne sowie Bruder Stefan im Krankenhaus Abschied nahm, wurde der letzte Wunsch des Verstorbenen erfüllt. Binnen 24 Stunden wurden die intakten Organe an sechs bedürftige Patienten gespendet. Dass Justin Wilson als Organspender registriert war, hatte Bruder Stefan unmittelbar nach Bekanntgabe der traurigen Neuigkeiten mitgeteilt.

Organspende rettet sechs Menschenleben

"Das zeigt, welch ein Mensch er war. Er berührt Menschen, die er überhaupt nicht kannte", sagte Stefan Wilson, verständlicherweise noch immer geschockt über den Verlust seines Bruders, am Dienstag gegenüber 'Racer'. "Wir haben ihn verloren, aber da er den Organspendeausweis bei sich trug, wurden wir diesbezüglich gefragt. Das war natürlich nicht einfach, weil man ihn als Ganzes in Erinnerung behalten möchte, aber es war etwas, das er zuvor mit Julia besprochen hatte. Also stimmten wir ein und haben seinem Wunsch Folge geleistet."

"Jetzt haben sechs Familien ein unglaubliches Geschenk erhalten, denn seine Organe retten Leben. Das ist unglaublich und macht sein Leben umso kraftvoller", so der jüngere Wilson-Bruder weiter. In den schwierigen Stunden nach der traurigen Gewissheit, dass Justin Wilson den Kampf um sein Leben verloren hat, bedankt sich der zwölf Jahre jüngere Bruder noch einmal für die Unterstützung: "Zunächst möchte ich mich bei allen Fans für die aufmunternden Worte für mich und die Familie bedanken. Und ich möchte allen danken, die geholfen haben, dass Julia, ich und unsere Familie rechtzeitig vor Ort sein konnten."

Stefan Wilsons Dank an "Smoke" und Erinnerung an Baltimore 2013

Damit spricht Stefan Wilson unter anderem auf die Geste von NASCAR-Star Tony Stewart an, der am Sonntag umgehend seinen Privatjet mitsamt Besatzung zur Verfügung stellte. Auch die Familie von Ex-Indianapolis-Streckenchef und Ex-IRL-Boss Tony George sprang sofort ein. So erreichten die Angehörigen von Justin Wilson das Krankenhaus in Allentown, ohne sich in den bangen Momenten nach dem Unfall ihres Familienmitglieds mit den Qualen der Anreise beschäftigen zu müssen.

"Ich war zu Hause und sah den Unfall im Fernsehen", so Stefan Wilson, der selbst Rennfahrer ist und in Indianapolis wohnt. "Ich war drauf und dran, in mein Auto zu springen und die mehrstündige Fahrt in Angriff zu nehmen, doch Tony Stewart half mir, während die George-Familie Julia half. Als wir ankamen, war die erste Notoperation gerade beendet. Wir warteten auf ihn, aber es gab keine zeitliche Verzögerung. Das bedeutete uns alles", so Stefan Wilson, der im Sinne seines Bruders Justin auch beim IndyCar-Saisonfinale am kommenden Wochenende in Sonoma, Kalifornien vor Ort sein wird.

Justin Wilson, Stefan Wilson

In Baltimore 2013 fuhren Justin und Stefan Wilson gemeinsam für Dale Coyne Racing Zoom

"Ich werde dort sein, aber natürlich würde ich viel lieber Justin die Daumen drücken", so die traurige Anmerkung des 25-Jährigen, der in Baltimore 2013 sein einziges IndyCar-Rennen fuhr. Während Justin Wilson als Stammfahrer von Dale Coyne Racing damals Vierter wurde, kam Stefan Wilson bei seiner IndyCar-Premiere auf Platz 16 ins Ziel. Er steuerte als Teamkollege seines Bruders das zweite Auto von Dale Coyne Racing. In diesen Tagen erinnert sich Stefan Wilson wehmütig an jenen 1. September 2013 in Baltimore zurück: "Es war fantastisch, mit ihm zusammen Rennen zu fahren. Ich dachte, wir würden noch viel häufiger die Gelegenheit bekommen."

Im Zusammenhang mit dem Ableben von Justin Wilson erkennt der zwölf Jahre jüngere Bruder einen ganz entscheidenden Aspekt: "Er tat das, was er liebte, als Beruf." Doch Justin Wilson war weit mehr als ein Rennfahrer, der den Topteams mit meist unterlegenem Material das Fürchten lehrte. Allen voran war der 37-Jährige liebevoller Ehemann, der seine Jugendliebe Julia am 29. Dezember 2006 in der Heimatstadt Sheffield in Großbritannien vor den Traualtar führte. Und er war Vater zweier Töchter im Alter von sieben und fünf Jahren.

Unendliche Tragik für die Familie Wilson

Im Unterschied zu Ehefrau Julia, Bruder Stefan und den nachgereisten Eltern Keith und Lynne waren die Töchter Jane und Jessica US-Medienberichten zufolge nicht im Krankenhaus in Allentown vor Ort. Die kleine Jessica hatte am vergangenen Freitag ihren ersten Schultag. Während sich Mutter Julia am Wohnsitz der Familie Wilson in Longmont im US-Bundesstaat Colorado um die Einschulung kümmerte, war Justin in Vorbereitung aufs IndyCar-Rennwochenende in Pocono bereits im Bundesstaat Pennsylvania vor Ort.

So besuchte der Andretti-Pilot am Freitag vor seinem Tod unter anderem ein Kinderkrankenhaus in Danville, Pennsylvania . Dies tat er im Rahmen der Intiative "Racing for Kids" regelmäßig. Während Justin Wilson von Krankenzimmer zu Krankenzimmer ging, um den dort behandelten Patienten im Kindesalter mit seinem Besuch und kleinen Geschenken eine Freude zu machen, schrieb er SMS mit Ehefrau Julia, um sich zu erkundigen, wie die eigene Tochter am ersten Schultag zurechtkommt.

Vor geraumer Zeit gründete Justin Wilson seine eigene Stiftung für Kinder, den "Wilson Children's Fund". Vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse bittet die Familie Wilson, statt Blumen und Kränzen für das Begräbnis zu schicken, eine Spende für diese Stiftung zu hinterlassen. Ein Teil der Spenden kommt in diesem Zusammenhang auch Wilsons eigenen Kindern Jane und Jessica zu, die nun vor der schwierigen Aufgabe stehen, das Leben ohne ihren Papa meistern zu müssen.

Innerhalb der eigenen Familie hinterlässt Justin Wilson die größte Lücke, aber auch in der Rennsportszene wird der 1,93 Meter große Brite schmerzlich vermisst. "Justin war ein so ruhiger Kerl. Die Öffentlichkeit weiß vermutlich nicht viel über ihn, deshalb möchte ich die Leute wissen lassen, welch fantastischer Mensch er war", bemerkt A.J. Allmendinger gegenüber unseren Kollegen von 'NASCAR.com'. Seit 2007 fährt Allmendinger in der NASCAR, doch von April 2005 bis Juni 2006 war er beim ChampCar-Team RuSPORT Teamkollege von Wilson, bevor er zu Forsythe Racing wechselte. Zudem traten die beiden mehrfach gemeinsam für Michael Shank Racing bei den 24 Stunden von Daytona an. 2012 holten sie zusammen mit Oswaldo "Ozz" Negri und John Pew den Sieg.

"Ich möchte einfach, dass die Leute wissen, welch knallharter Rennfahrer Justin war. Meiner Meinung nach hat er nie das Vertrauen bekommen, dass er verdient gehabt hätte", sagt Allmendinger und spricht damit auf die Tatsache an, dass die Topteams der IndyCar-Szene (mit Ausnahme von Newman/Haas Racing in der Saison 2008 und Andretti Autosport im Zuge der Teilzeitsaison 2015) einen Bogen um den großgewachsenen Briten gemacht haben, wenn es um Verträge ging.

AJ Allmendinger, Justin Wilson

A.J. Allmendinger und Justin Wilson waren bei RuSPORT gut ein Jahr Teamkollegen Zoom

So sagten Dario Franchitti und Will Power vor Jahren einmal übereinstimmend, dass sich "das gesamte Feld warm anziehen" könne, wenn Justin Wilson etwa in einem Boliden von Chip Ganassi Racing eine Chance bekäme. Allmendinger bestätigt: "Ich hatte immer die Hoffnung, dass Penske oder Ganassi ihn verpflichten würden, denn er war einer der Besten im Feld. Doch er machte immer das Beste aus seinen Möglichkeiten und hat sich nie beschwert. So gut er auf der Rennstrecke auch war. Das Wichtigste ist, dass er abseits der Rennstrecke noch so viel besser war."