Großer Heckspoiler auch in Michigan nicht überzeugend

Das High-Drag-Package der NASCAR erntet auch nach dem zweiten "Test im Rennen" überwiegend kritische Stimmen - Überholen so gut wie unmöglich

(Motorsport-Total.com) - Beim Pure Michigan 400 am Sonntag erlebte das High-Drag-Package der NASCAR, dessen Kernpunkt ein knapp 23 Zentimeter hoher Heckspoiler ist, seinen zweiten Renneinsatz. Drei Wochen nach dem Brickyard 400 auf dem 2,5 Meilen langen Indianapolis Motor Speedway sollte das 200-Runden-Rennen auf dem zwei Meilen langen Michigan International Speedway endgültig Klarheit über das Potenzial des auf viel Luftwiderstand getrimmten Aero-Pakets bringen. Das Ergebnis war gelinde gesagt ernüchternd.

Titel-Bild zur News: Matt Kenseth

Matt Kenseth hatte auf dem Weg zum Michigan-Sieg selten ernsthafte Konkurrenz Zoom

Matt Kenseth (Gibbs-Toyota) verbrachte 146 der 200 Runden auf Platz eins liegend. Ernsthafte Konkurrenz hatte der von der Pole-Position gestartete NASCAR-Routinier auf dem Weg zu seinem dritten Saisonsieg praktisch nie. Der Zahl der Führungswechsel belief sich im gesamten Rennen auf 16, wobei die kurzen Verschiebungen im Zuge der Green-Flag-Stops bereits mit einkalkuliert sind.

Positionswechsel waren nicht nur an der Spitze, sondern im gesamten Feld die Ausnahme. Bei den insgesamt acht Restarts gab es jeweils für einen kurzen Moment Side-by-Side-Racing, das jedoch schnell in Single-File-Racing umschlug. Die entscheidenden Positionswechsel fanden somit direkt im Anschluss an die Restarts statt. Einmal im Renntempo unterwegs, taten sich die Piloten wie schon drei Wochen zuvor in Indianapolis extrem schwer, Akzente zu setzen, die sie nach vorn gebracht hätten.

Überholen so gut wie unmöglich

So fällt das Urteil der NASCAR-Stars über das High-Drag-Package auch im Anschluss an den zweiten "Test im Rennen" wenig positiv aus. "Ich konnte auf jeden, der gerade vor mir lag, aufschließen, kam aber nicht vorbei", umschrieb der Drittplatzierte Martin Truex Jr. (Furniture-Row-Chevrolet) auf der Pressekonferenz am Sonntag das Kernproblem.

Martin Truex Jun., Ryan Blaney

Aufschließen war beim Pure Michigan 400 eine Sache, Überholen eine ganz andere Zoom

Gelang es einem Fahrer doch einmal, ein Überholmanöver zu setzen, dann "zog es sich extrem in die Länge", wie Truex Jr. anmerkt. "Das Überholen war verdammt schwierig. Die Lücke war jeweils schnell zugefahren, aber sobald ich in der Nähe des vor mir liegenden Autos war, drehte sich dieses beinahe von der Strecke", so der Furniture-Row-Pilot über das wie schon in Indianapolis äußerst anfällige Handling der Sprint-Cup-Boliden im Rennverkehr.

Dies ist insofern eine Überraschung, da der Michigan International Speedway in den vergangenen Jahren stets mehrere Rennlinien zuließ. Zwar galt das auch beim Pure Michigan 400 am Sonntag. Zu Überholmanövern konnte die Charakteristik der Strecke dennoch kaum beitragen. Der Zweitplatzierte Kevin Harvick (Stewart/Haas-Chevrolet) war nach dem Rennen so ernüchtert, dass er die Frage nach seiner Meinung zum verwendeten Aero-Paket gar nicht erst beantwortete...

Enttäuschung bei Fahrern und NASCAR

Selbst Denny Hamlin, einer der vier derzeit absolut überzeugenden Gibbs-Piloten, äußerte sich nur moderat begeistert. "Es war natürlich nicht das, was ich bevorzuge", so Hamlin, nachdem er im Verlauf der 200 Rennrunden von Startplatz zwei auf Rang fünf abgerutscht und auf diesem auch ins Ziel gekommen war. "Keine Frage, Überholen war sehr, sehr schwierig", stimmte Hamlin unterm Strich den Aussagen von Truex Jr. zu. Penske-Pilot Brad Keselowski äußerte sich nach Platz neun kurz und knapp: "Es ist das eingetreten, was zu erwarten war."

"Wir hatten uns von diesem Aero-Paket mehr versprochen", muss auch NASCAR-Vizepräsident Steve O'Donnell in seiner Michigan-Analyse gegenüber 'SiriusXM NASCAR Radio' eingestehen. Die rechte Hand von NASCAR-Präsident Mike Helton führt aus: "Wir haben wiederholt betont, dass es uns bei allen eingesetzten Aero-Paketen darum geht, dass man im Rennverkehr überholen kann und dass es zahlreiche Führungswechsel gibt. Dies war am Sonntag nicht der Fall."

"Wir hatten uns von diesem Aero-Paket mehr versprochen." NASCAR-Vizepräsident Steve O'Donnell

Nachdem das High-Drag-Package bereits im Nachgang zum Brickyard 400 in Indianapolis viel Kritik erfahren hat und diese auch nach dem zweiten "Test im Rennen", dem Pure Michigan 400, nicht in Begeisterung umgeschlagen ist, wäre es eine große Überraschung, sollte der große Heckspoiler zu einem dritten Renneinsatz kommen. Penske-Pilot Joey Logano antwortete auf die Frage, ob er sich einen weiteren Versuch mit diesem Aero-Paket wünscht, klipp und klar mit "Nein" und spricht damit stellvertretend für seine Fahrerkollegen.


Fotos: NASCAR in Michigan


Hamlin hat für sich längst die Entscheidung getroffen, welchen Aero-Weg man künftig weiterverfolgen sollte. "Ich glaube, wir haben gesehen, welches das beste Paket ist. Hoffentlich bekommen die NASCAR-Fans in Zukunft das zu sehen, was sie sehen wollen", so der Gibbs-Pilot mit Blick auf das vor fünf Wochen beim Quaker State 400 auf dem Kentucky Speedway erfolgreich eingesetzte Low-Downforce-Package mit dem lediglich knapp neun Zentimeter hohen Heckspoiler und dem verkürzten Frontsplitter.

Dieses von den Piloten hochgelobte Aero-Paket mit wenig Abtrieb erlebt am 6. September beim Southern 500 auf dem Darlington Raceway seinen zweiten "Test im Rennen". Bei den zehn Chase-Rennen kommt das Standard-Aero-Paket mit dem 15 Zentimeter hohen Heckspoiler zum Einsatz. Dies bestätigte NASCAR-Vizepräsident O'Donnell am Freitag. Welchen Weg man in der Saison 2016 gehen wird, steht noch nicht fest. Eines aber ist klar: Das High-Drag-Package aus Indianapolis und Michigan hat verschwindend geringe Chancen, den Zuschlag zu erhalten...