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Hollywood in Fontana: Graham Rahal gewinnt IndyCar-Thriller

Graham Rahal nach mehr als sieben Jahren wieder ein IndyCar-Sieger - Fesselndes, aber gefährliches Pack-Racing - Überschlag von Ryan Briscoe endet glimpflich

(Motorsport-Total.com) - Man hatte das Gefühl, als wäre Hollywood am Samstag mal eben rund 80 Kilometer nach Osten, konkret nach Fontana, verlegt worden. Atemberaubendes IndyCar-Racing mit Three-Wide- und teilweise sogar Four-Wide-Manövern im Kampf um die Spitze, mit sage und schreibe 80 Führungswechseln ein neuer Rekord unter IndyCar-Regularien, zwei heftige, aber glimpflich ausgegangene Crashs und am Ende ein Fahrer in der Victory Lane, der über sieben Jahre auf einen weiteren Sieg warten musste. Das ist die Kurzzusammenfassung des äußerst packenden IndyCar-Saisonrennens Nummer elf, dem MAVTV 500 auf dem Auto Club Speedway in Fontana.

Titel-Bild zur News: Graham Rahal, Tony Kanaan

Moment der Entscheidung: Graham Rahal beim letzten Gelb knapp vor Tony Kanaan Zoom

Neben der Tatsache, dass auf dem östlich von Los Angeles gelegenen Zwei-Meilen-Oval packendes, aber auch kreuzgefährliches IndyCar-Racing geboten wurde, bleibt festzuhalten, dass das Duell der beiden Hersteller Chevrolet und Honda endlich wieder eines ist - zumindest auf Ovalkursen. Im Verlauf der 250 Fontana-Runden kämpften die Honda-Piloten jederzeit auf Augenhöhe mit ihren Chevy-befeuerten Kollegen. Dank der Aero-Kits mit mehr Abtrieb als in den vergangenen Jahren unterwegs, erinnerte das Racing an die Zeiten, als in der CART-Serie der Handford-Wing zum Einsatz kam.

Wie schon auf dem Texas Motor Speedway in Fort Worth, so waren die Boliden auch auf dem Auto Club Speedway in Fontana mit unterschiedlichen Aero-Konfigurationen unterwegs - je nach Vorliebe der Piloten. Trotz der Unterschiede auch innerhalb eines Lagers (Chevrolet oder Honda), lagen letztlich doch alle IndyCars sehr eng beisammen. Entscheidend absetzen konnte sich weder ein Fahrer mit Antrieb und Aero-Kit von Chevy, noch einer aus dem Honda-Lager. Genau das führte zum so gefährlichen Pack-Racing.

Als nach 250 Runden die Karierte Flagge fiel, war es Graham Rahal, der am Steuer seines Rahal-Honda seinen ersten IndyCar-Sieg seit St. Petersburg 2008 eingefahren hatte. "Unser Schwachpunkt waren immer diese Ovale. Ich habe meinen Jungs heute Morgen gesagt, dass die nächsten drei Rennen entscheidend sein werden. Vielen Dank an meinen Vater (Bobby Rahal), an Mike (Teammitbesitzer Mike Lanigan; Anm. d. Red.) und an alle, die an mich geglaubt haben. Es ist überwältigend", so der erste Kommentar des jungen Rahal, nachdem er eine 124 Rennen dauernde Durststrecke ohne Sieg beendet hatte. Graham Rahal ist beim elften IndyCar-Rennen der Saison 2015 bereits der achte unterschiedliche Sieger.

Überschlag von Ryan Briscoe - Graham Rahal siegt unter Gelb

Rahals zweiter IndyCar-Sieg kam unter Gelb zustande, weil es in Sichtweite der Weißen Flagge für die letzte Runde einen heftigen Überschlag von Ryan Briscoe (Schmidt-Honda) gab. Der Australier war im dichten Pulk mit Ryan Hunter-Reay (Andretti-Honda) kollidiert, konnte sich nach seinem Salto aber selbst aus dem Cockpit befreien. Hunter-Reay, der sich kurz zuvor seine ersten Führungsrunden in dieser Saison abgeholt hatte, war ausgangs Turn 4 der vorletzten Runde von Juan Pablo Montoya (Penske-Chevrolet/4.) in Richtung Sage Karam (Ganassi-Chevrolet/5.) gedrückt worden. Beim anschließenden Pendler nach links kreuzte Hunter-Reay die Fahrspur von Briscoe.

Graham Rahal, Ryan Briscoe

Ryan Briscoe steigt nach Überschlag aus, Graham Rahal siegt unter Gelb Zoom

Der goldene Bolide des Australiers verkantete daraufhin im Gras des Infields und legte einen Überschlag hin. Glücklicherweise kam der Ersatzmann von James Hinchcliffe mit dem Schrecken davon. "Das ist nicht die Art und Weise, wie ich dieses Rennen beenden wollte", sagte Briscoe, um hinzuzufügen: "Ich spürte, dass ich eine Chance hatte, dieses Rennen zu gewinnen. Hoffentlich klappt das in diesem Jahr noch." Unfallgegner Hunter-Reay merkte an: "Eine Runde vor Schluss willst du so etwas natürlich überhaupt nicht haben. Doch ich bin froh, dass Ryan okay ist. Das hätte ganz übel ausgehen können."

Graham Rahal passierte die letzte Gelbe Flagge nur mit wenigen Zentimetern Vorsprung auf Tony Kanaan (Ganassi-Chevrolet) und brachte damit den Sieg in trockene Tücher. Hinter Kanaan kamen auf den Plätzen drei bis fünf Marco Andretti (Andretti-Honda), der gleich mehrfach knapp einem Crash entgangene Tabellenführer Juan Pablo Montoya und Sage Karam ins Ziel. "Es war ein verrücktes Rennen. Ich bin froh, hier in einem Stück zu stehen. Hoffentlich können wir für die Zukunft eine bessere Lösung finden", fand der Zweitplatzierte Kanaan in Anspielung auf das atemberaubende, aber ebenso gefährliche Pack-Racing deutliche Worte.


Überschlag von Ryan Briscoe eingangs der letzten Runde

"Es war verrückt", stimmte auch Marco Andretti zu. "Pack-Racing ist immer so. Ich fand es eigentlich recht unterhaltsam, aber es war auch sehr gefährlich." Der Andretti-Pilot hatte sich genau wie Kanaan konstant in der Spitzengruppe aufgehalten und war somit häufig mittendrin in den Three-Wide-, manchmal sogar Four-Wide-Manövern. Mit Platz drei in Fontana hat Marco Andretti eine Serie aufrechterhalten. Er ist der einzige Pilot im Feld, der in dieser Saison jede einzelne Rennrunde zurückgelegt hat. Gerade im dramatischen Fontana-Rennen war dies alles andere als eine Selbstverständlichkeit.


Fotos: IndyCar in Fontana


Der Viertplatzierte Montoya fand das Pack-Racing auf dem ultraschnellen Zwei-Meilen-Oval "ehrlich gesagt einen Tick zu dumm". Unter anderem Sieger Graham Rahal erhielt von der Rennleitung eine Verwarnung wegen Blockierens. So offen das Rennen über die gesamten 250 Runden war, so viele Siegkandidaten gab es. Anstelle von Rahal hätten auch Kanaan, Andretti, Montoya, Karam, Briscoe oder Hunter-Reay in der Victory Lane stehen können - oder allesamt in der Wiese oder der Mauer landen können.

Heftiger Crash mit Will Power und Takuma Sato

Auch Will Power (Penske-Chevrolet) und Takuma Sato (Foyt-Honda) waren heiße Anwärter auf den Sieg. Power verrichtete mit 62 Führungsrunden den Löwenanteil der auf 14 Piloten verteilten Führungsarbeit. Neun Runden vor Schluss aber gerieten er und Sato auf Höhe der Start/Ziel-Linie aneinander. Sato hatte ausgangs Turn 4 Übersteuern bekommen, den links neben ihm fahrenden Scott Dixon (Ganassi-Chevrolet/6.) leicht erwischt, woraufhin der Foyt-Honda nach oben in die Spur von Power gedreht wurde.

Takuma Sato, Will Power

Runde 241: Takuma Sato crasht schwer, bleibt wie Will Power unverletzt Zoom

Beide schlugen in der Außenmauer ein, wobei Sato frontal und Power seitlich anprallte. Nach bangen Sekunden kletterten schließlich beide aus ihren stark beschädigten IndyCars. "Offenbar zog Dixon leicht nach oben. Ich konnte die Berührung nicht vermeiden, weil ich ja in der Mitte fuhr", lautete der erste Kommentar von Sato.

Kurz zuvor - während sich Power und Sato zum obligatorischen Check ins Medical-Center begaben - hatte Tim Cindric das Pack-Racing scharf kritisiert. "Wir waren uns eigentlich einig, dass wir so etwas nach den Vorkommnissen aus Las Vegas nicht mehr sehen wollten", so die Anspielung des Penske-Präsidenten auf das tragische IndyCar-Saisonfinale 2011, beim dem Dan Wheldon sein Leben ließ.

Nach 136 Runden High-Speed unter Grün: Castroneves fliegt ab

Bis in die 137. von 250 Runden hinein lief das MAVTV 500 in Fontana trotz einiger haarsträubender Manöver komplett unter Grün. Dann aber wurde es zum ersten Mal zu eng: Helio Castroneves (Penske-Chevrolet) wurde zwischen Ryan Briscoe und Will Power eingeklemmt. Briscoe war ausgangs Turn 2 leicht nach oben in die Spur von Castroneves gedriftet.

Der "Spiderman" drehte sich in Richtung innerer Streckenbegrenzung und hätte dabei um ein Haar den nachfolgenden Teamkollegen und Tabellenführer Juan Pablo Montoya abgeräumt. Für Castroneves, der bis dahin die meisten Runden aller Piloten in Führung liegend verbracht hatte, war das Rennen gelaufen. Montoya kam genau wie viele Runden später beim Crash Briscoe/Hunter-Reay mit viel Glück ungeschoren davon.

Helio Castroneves, Juan Pablo Montoya, Ryan Briscoe

Castroneves hinter Briscoe - Montoya hat bei der Berührung großes Glück Zoom

"Ich war in ein Duell mit Rahal verstrickt und musste lupfen. Da flogen sie nur so an mir vorbei. Warum Briscoe direkt vor mir heraufzog, ist mir ein Rätsel. Das hätte er nicht tun müssen", sah Castroneves nach seinem Ausfall die Schuld beim Australier in Diensten von Schmidt/Peterson Motorsports. Die IndyCar-Offiziellen sahen es genauso und brummten dem James-Hinchcliffe-Ersatz eine Durchfahrtsstrafe für "vermeidbaren Kontakt" auf. Trotz dieser Strafe kämpfte Briscoe in der absoluten Schlussphase um den Sieg mit - bis zum Überschlag eingangs der letzten Runde.

CFH: Auf Toronto-Doppelerfolg folgt Fontana-Kollision

Die Abgänge von Briscoe, Hunter-Reay, Power, Sato und Castroneves waren zwar die wildesten, blieben aber nicht die einzige Ausfälle im Rennen. Nur wenige Runden, nachdem es zwischen Castroneves und Montoya zur Beinahe-Kollision zweier Penske-Teamkollegen gekommen war, kollidierten tatsächlich zwei Teamkollegen: Die beiden CFH-Piloten Ed Carpenter und Josef Newgarden. Carpenter, seines Zeichens Fontana-Sieger des Jahres 2012, übersah ausgangs Turn 4, dass Newgarden außen neben ihm fuhr.

Es kam zum Kontakt und damit nur zwei Wochen nach dem grandiosen CFH-Doppelerfolg von Toronto (Newgarden gewann vor Luca Filippi) zum bitteren Doppelausfall in Fontana. "Ich wurde aus Turn 3 herauskommend nach oben gedrückt, bekam Untersteuern und hatte einfach keinen Platz mehr", kommentierte Carpenter. Teamkollege Newgarden, der ganz außen erst Recht keinen Platz mehr hatte, nahm es dem Boss nicht übel. "Das ist Racing", zuckte der Toronto- und Barber-Sieger mit den Schultern. Was Newgarden zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Im weiteren Rennverlauf sollte es noch deutlich wilder zugehen.

Josef Newgarden

Josef Newgarden: Zwei Wochen nach dem Toronto-Sieg von Ed Carpenter abgeräumt Zoom

Nach dem den dramatischen 250 Rennrunden bleibt festzuhalten: Der amtierende IndyCar-Champion Will Power hat durch den Crash neun Runden vor Schluss massiv Boden auf Tabellenführer Juan Pablo Montoya verloren. Lag der Kolumbianer vor Fontana mit 27 Punkten Vorsprung an der Spitze, sind es nun deren 46 Punkte. Nur drei Punkte hinter Power lauert Ganassi-Speerspitze Scott Dixon. Sieger Graham Rahal ist mit 73 Punkten Rückstand auf Montoya Tabellenvierter und damit bestplatzierter Honda-Pilot.

Das zwölfte von 16 Rennen der IndyCar-Saison 2015 steigt in zwei Wochen auf der altehrwürdigen Milwaukee Mile.