• 03.04.2015 13:03

  • von Mark Glendenning (Haymarket)

Aero-Kits und Internationalisierung: Kriegt IndyCar die Kurve?

Mit der Brasilia-Absage ging der jüngste Versuch einer Ausweitung des IndyCar-Kalenders nach hinten los - Hat man aus der langen Winterpause etwas gelernt?

(Motorsport-Total.com) - Die IndyCar-Serie stand am Abgrund. Zu Beginn der Saison 2012 bereitete man sich auf ein Jahr vor, in dem es im wahrsten Sinne des Wortes um alles oder nichts ging. Die Wunden des Katastrophenwochenendes in Las Vegas 2011 waren noch frisch, vier Ovale wurden aus dem Rennkalender gestrichen, im Fahrerlager standen politische Grabenkämpfe an der Tagesordnung, Entscheidungen der Rennleitung wurden scharf kritisiert, Einschaltquoten außerhalb der USA waren kaum wahrnehmbar.

Titel-Bild zur News: Start zum IndyCar-Saisonauftakt 2015 in St. Petersburg

Nach sieben Monaten Winterpause rückten die IndyCars in St. Pete endlich wieder aus Zoom

Zudem gab es Bedenken hinsichtlich des neuen Chassis, denn der Dallara DW12 kam optisch wie ein besseres Flusspferd daher. Dennoch sollte sich dieses Auto zu einem der Eckpfeiler entwickeln, die es der IndyCar-Serie ermöglichten, eine schwierige Phase zu überwinden. So hässlich der DW12 auf einige Beobachter wirkte, so majestätisch erwies er sich in den Rennen - sowohl auf permanenten Rundstrecken und Stadtkursen als auch auf Ovalen. Unterm Strich gab es in der Ära des DW12 insgesamt 52 Rennen, von denen vielleicht vier langweilig waren.

Bis zum Beginn der Saison 2015 passierte einiges. Der ehemalige IndyCar-Chef Randy Bernard wurde durch Mark Miles ersetzt. Zum Zeitpunkt seiner Ernennung zum Bernard-Nachfolger war Miles Mitglied des IndyCar-Vorstands und gleichzeitig Vorstandsmitglied bei Hulman & Co, der Muttergesellschaft des Indianapolis Motor Speedway. Inzwischen ist er dort der Geschäftsführer. Zudem gab Derrick Walker seine Rolle als Teammanager zu Gunsten einer Managementrolle für die gesamte Rennserie auf und überwacht seither die Rennleitung.

Aufbruchstimmung überall spürbar

Inzwischen zieht man auch im Fahrerlager wieder verstärkt an einem Strang und die Einschaltquoten sind besser geworden. Der ehemalige Titelsponsor Izod, der so gar nichts mit dem Rennsport zu tun hatte, machte den Weg frei für das Bluechip-Unternehmen Verizon, welches sich nachdrücklich dafür einsetzt, dass die IndyCar-Serie vor einem Abfallen in die sportliche Bedeutungslosigkeit Amerikas bewahrt wird.

IndyCar-Chef Mark Miles und Verizon-Geschäftsführer Dan Mead

Zwei markante Figuren: IndyCar-Chef Mark Miles, Verizon-Geschäftsführer Dan Mead Zoom

Wenngleich sich niemand der Illusion hingibt, dass die IndyCar-Serie über den Berg ist, so ist die Aufbruchstimmung doch überall spürbar. "Ich bin mit unseren Fortschritten im Verlauf der zurückliegenden Jahre sehr zufrieden", sagt Mark Miles und spricht beim Vergleich der Saisons 2013 und 2014 von einem "grandiosen Sprung" hinsichtlich der Anzahl der Fernsehzuschauer.

"Die Zuschauerschaft ist durchschnittlich um 25 Prozent größer geworden und auch die durchschnittliche Einschaltquote ist um 25 Prozent nach oben gegangen. Das alles passiert zu einer Zeit, in der es alles andere als selbstverständlich ist, dass die Einschaltquoten für Sportveranstaltungen nach oben gehen. Deshalb sehe ich das Ganze als einen bedeutsamen Erfolg. Wir haben klein angefangen und haben uns zum Ziel gesetzt, die Zuschauerschaft deutlich zu vergrößern", so der IndyCar-Chef.

Miles hat Recht, wenn er sagt, dass die Einschaltquoten der IndyCar-Rennen unterirdisch waren. Er hat aber auch zurecht Grund zur Zufriedenheit. Schließlich geschah der dramatische IndyCar-Aufschwung in einem Jahr, in dem sowohl die Anzahl der Fernsehzuschauer von NASCAR-Rennen als auch von Formel-1-Rennen zurückging. Andere Aspekte, die auf eine Verbesserung der Gesamtsituation der IndyCar-Serie hinweisen, lassen sich nicht so einfach in Zahlen ausdrücken, sind aber ebenso entscheidend.


Fotostrecke: Die IndyCar-Fahrzeuge 2015

"Wir müssen unsere Wirtschaftlichkeit nach wie vor verbessern, aber ich glaube, unsere Interessengruppen sind inzwischen deutlich positiver gestimmt", bemerkt Miles. "Die Leute wissen, was wir vorhaben und warum unsere Pläne so aussehen. Selbst wenn sie nicht immer zustimmen, so haben sie uns doch ihr Vertrauen zugesichert."

Rennleitung hat Glaubwürdigkeit zurückgewonnen

"Damit einher geht auch die positive Stimmung im Fahrerlager", wie der IndyCar-Chef anfügt und ausholt: "Vor ein paar Jahren noch gab es Bedenken hinsichtlich unserer Fähigkeiten als Sporthoheit. Grundlegende Dinge wie das Aufstellen und Durchsetzen von Regeln wurden hinterfragt. Wenngleich wir unsere Interessengruppen regelmäßig befragen, so ist ein Fortschritt auf diesem Gebiet dennoch schwer abzuschätzen. Ich glaube aber, dass wir unser Ansehen als Sporthoheit deutlich gesteigert haben."

Derrick Walker

Seitdem Derrick Walker die Entscheidungen der Rennleitung überwacht, läuft es wieder Zoom

"Die Rennleitung sorgte im vergangenen Jahr kaum noch für Schlagzeilen. So soll es sein", sagt Miles, weiß aber genau: "Hin und wieder bleibt das nicht aus, schließlich ist es ein Sport, in dem Entscheidungen getroffen werden. Da gibt es Kontroversen und hin und wieder werden auch Fehler gemacht."

"Wir haben aber viel Geld in die Hand genommen, um die Technologie zu verbessern. Derrick hat ein neues System eingeführt, dass nun klarer aufzeigt, in welchen Fällen es Strafen gibt. Zudem hat er einen Kommunikationsprozess geschaffen, der es Teams und Fahrern erlaubt, die Entscheider im Anschluss an ein Rennen zu treffen und in die der Rennleitung zur Verfügung stehenden Videoaufzeichnungen Einsicht zu nehmen. Das heißt nicht, dass wir immer entzückt gewesen wären, aber die Kommunikation war vernünftig. Teams und Fahrer wussten, warum wir so entschieden haben wie wir entschieden haben. Ich finde, das ist wichtig", so der IndyCar-Chef.

Brasilia-Absage macht Miles "wütend und bitter enttäuscht"

Die Skeptiker - und davon gibt es angesichts der von Turbulenzen geprägten jüngeren IndyCar-Vergangenheit viele - werden sofort auf das ominöse Thema Brasilien verweisen. Der Rennkalender der Saison 2014 war der erste Schritt der IndyCar-Bosse auf dem Weg zu einem langfristigen Plan, die Saison früher beginnen und früher enden zu lassen. Der erste Kalenderentwurf sah dabei sogar ein Saisonende im frühen August vor.

Flagge von Brasilien

Die IndyCar-Saison 2015 hätte in Brasilien beginnen sollen, doch dazu kam es nicht Zoom

Angesichts des im März liegenden Saisonauftakts 2015 war die Winterpause beinahe genauso lang wie die Saison selbst. Das stellt für eine Rennserie, die gerade dabei war, wieder Oberwasser zu gewinnen, ein gewaltiges Risiko dar. In Nordamerika gibt es wenige Rennstrecken, die vom Klima her einen Renntermin im Februar zulassen. Deshalb kam Miles auf die umstrittene Idee, die Lücke im Kalender mittels einer Ausweitung auf internationale Märkte zu füllen.

Der Plan für diese neue Phase der Expansion war, in einem Markt zu beginnen, in dem die IndyCar-Szene bereits bekannt ist und der im Gegenzug den IndyCar-Verantwortlichen bekannt ist: Brasilien. In den Jahren 2010 bis 2013 fuhren die IndyCar-Boliden auf einem Stadtkurs in Sao Paulo. Die Saison 2015 sollte mit einem Rennen in Brasilia eröffnet werden. Doch wenige Wochen vor dem Renntermin erfolgte die Absage, weil die lokalen Behörden ihre finanzielle Unterstützung zurückgezogen hatten.

Miles gibt sich angesichts der späten Absage des Brasilien-Rennens "wütend und bitter enttäuscht", glaubt aber nach wie vor, dass das Rennen ein Erfolg hätte werden können. Schließlich hatte man zum Zeitpunkt der Absage sowohl einen Titelsponsor als auch unterstützende Sponsoren im Boot, die Plätze in den Gästezelten waren ausgebucht und rund 25.000 Eintrittskarten waren verkauft worden.


IndyCar in St. Petersburg

Drei Jahre nachdem das im chinesischen Qingdao geplante IndyCar-Rennen abgesagt wurde, war Brasilia die zweite Absage in jüngerer Vergangenheit. Wenngleich es naheliegend scheint, hier Parallelen zu ziehen, so waren die Umstände doch gänzlich andere. Während im Zusammenhang mit Qingdao immer wieder auf die Risiken verwiesen wird, die auftreten können, wenn man mit vergleichsweise unerfahrenen Rennpromotern in aufstrebenden Märkten zusammenspannt, so waren die Promoter in Brasilia dieselben, die das Sao-Paulo-Rennen erfolgreich auf die Beine gestellt hatten.

Thema Internationalisierung wird weiter verfolgt

Die Absage des Rennens in Brasilia hatte zur Folge, dass die ohnehin schon lange IndyCar-Winterpause noch länger wurde, doch Miles gewinnt diesem Umstand durchaus Positives ab. Der IndyCar-Chef verweist darauf, dass eine Rennabsage direkt am Beginn einer Saison weniger störend ist als eine ungewollte Lücke mitten im Kalender. So hält er ungeachtet der Enttäuschung über die Absage an den Plänen für eine internationale Ausweitung fest.

"Die Menschen, insbesondere die Amerikaner, vergessen gerne, dass auch Rennen auf amerikanischem Boden abgesagt wurden - sei aus wirtschaftlichen Gründen, aus politischen Gründen oder aus anderen Gründen", sagt Miles und stellt klar: "Der Rennkalender von heute ist nun mal nicht der, den CART vor 20 Jahren hatte. Er wird in gewisser Weise immer dynamisch bleiben."

"Der Rennkalender von heute ist nun mal nicht der, den CART vor 20 Jahren hatte. Er wird in gewisser Weise immer dynamisch bleiben." IndyCar-Chef Mark Miles

"Bernie Ecclestone und andere haben das Thema der internationalen Ausrichtung ganz gut hinbekommen, sowohl wirtschaftlich betrachtet als auch hinsichtlich einer Ausweitung der Fangemeinde. Ich halte es daher für falsch, zu glauben, dass Amerikaner außerhalb der USA kein erfolgreiches Business betreiben können, weil die Leute nicht vertrauenswürdig wären. Sicher, es werden hier und da Probleme auftauchen, aber es gibt es genügend Beispiele, die zeigen, dass es funktionieren kann", so der IndyCar-Chef.

So sehr Miles eine Internationalisierung der IndyCar-Serie auch befürwortet, so wenig hält er diese für überlebenswichtig, wenn es um die Zukunft der Rennserie geht: "Wir können den Ansatz, die Saison früher beginnen zu lassen und die Anzahl der Saisonläufe zu erhöhen, weiter verfolgen. Das gilt selbst dann, wenn alle Rennen in Nordamerika stattfinden. Die Marktchancen sind international aber möglicherweise besser als sie es üblicherweise in den Vereinigten Staaten sind. Daher glaube ich, dass wir expandieren sollten - vielleicht mit etwas verringertem Tempo."


Fotostrecke: Die IndyCar-Piloten 2015

Das Produkt IndyCar ist gut

Wie aber steht es um das Produkt, das der IndyCar-Chef zu verkaufen gedenkt? Die Qualität der Rennen spricht für sich. Diejenigen aber, die das Ganze durch eine Formel-1-Brille betrachten, könnten das Niveau der IndyCar-Piloten leicht unterschätzen. Juan Pablo Montoyas erfolgreiches Comeback auf schwache Gegner zurückzuführen, tut nicht nur dem Leistungsniveau des IndyCar-Starterfeldes unrecht. Es wird auch der erheblichen Anstrengungen, die sowohl von Montoya als auch von Penske unternommen wurden, nicht gerecht. Wäre IndyCar-Racing eine einfache Angelegenheit, dann hätte Rubens Barrichello Rennen gewonnen.

Juan Pablo Montoya

Juan Pablo Montoya: Sieger des Saisonauftakts 2015 in St. Petersburg Zoom

Das Verhältnis zwischen zahlenden Fahrern und Fahrern, die bezahlt werden, unterscheidet sich vermutlich gar nicht so stark von der Formel 1. Auch die Fähigkeiten der Fahrer, die sich dank einer Mitgift ein Cockpit kaufen, sind in beiden Rennserien grundsätzlich vergleichbar. Der Grund, weshalb weniger namhafte Fahrer in der IndyCar-Serie eher auf sich aufmerksam machen können als es ihre Gegenspieler in der Formel 1 können, ist einfach der, dass es den Faktor technische Überlegenheit in der IndyCar-Serie nicht gibt. Im Unterschied zu den Topteams der Formel 1 hat Will Power auf die Fahrer am Feldende nicht automatisch ein Polster von zwei Sekunden pro Runde.

Jede einzelne Zehntelsekunde ist entscheidend und jeder noch so kleine Nachlass beim Setup rächt sich sofort auf der Strecke. Ein Teil des Vermächtnisses von Randy Bernard ist das Verschwinden von Mika Duno aus der IndyCar-Szene. Das aktuelle Starterfeld ist stärker denn je. Was Miles betrifft, so ist es sein Job, bezüglich der IndyCar-Zukunft Optimismus an den Tag zu legen. Doch endlich gibt es tatsächlich auch Grund für Optimismus.

Graham Rahal, Simon Pagenaud

Die Aero-Kits von Honda und Chevy stehen für ein neues IndyCar-Zeitalter Zoom

Das Produkt IndyCar ist gut. Die Zuschauerzahlen steigen. Im Fahrerlager ist Ruhe eingekehrt. Doch die IndyCar-Serie wäre nicht die IndyCar-Serie, wenn es nicht trotzdem etwas gäbe, über das man sich Sorgen machen muss. Wie sich eine sieben Monate lange Winterpause auf den Ende der Saison 2014 aufgebauten Schwung auswirken wird, bleibt abzuwarten. Darüber hinaus gibt es Bedenken, wonach die eingeführten Aero-Kits auf Kosten der Qualität der Rennen gehen könnten. Die IndyCar-Serie hat allerdings schon deutlich größere Hürden genommen.