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Angebohrte Reifen? Heiße Diskussionen im Fahrerlager

NASCAR hat nach den Rennen in Phoenix, Fontana und Martinsville Reifen eingefordert, um möglichen Betrügereien der Topteams auf die Schliche zu kommen

(Motorsport-Total.com) - Während der NASCAR-Zirkus eine kurze Osterpause einlegt, toben hinter den Kulissen angeregte Diskussionen um mögliches unsportliches Verhalten einzelner Teams. Konkret geht es um das Thema Reifen und darum, dass einige Teams im Verdacht stehen, winzige Löcher in die Flanken der Einheitspneus von Goodyear zu bohren. Effekt einer solchen Bohrmaßnahme wäre, dass während des Rennens Luft durch die winzigen Löcher entweichen kann.

Titel-Bild zur News: NASCAR-Reifen in Daytona

NASCAR-Teams stehen im Verdacht, Löcher in die Flanken der Reifen zu bohren Zoom

Im Verlauf eines Stints im Rennen steigt der Luftdruck in den Reifen an, weil auch die Temperatur im Inneren der Reifen mit zunehmender Dauer eines Stints ansteigt. Schafft man eine Möglichkeit, Luft entweichen zu lassen, sinkt der Luftdruck auf ein niedrigeres Niveau, was dann wiederum auch später im Stint eine bessere Haftung und damit bessere Rundenzeiten ermöglicht.

Konkrete Anschuldigungen gibt es diesbezüglich (noch) nicht. Fakt ist aber, dass NASCAR im Anschluss an die drei zurückliegenden Sprint-Cup-Läufe in Phoenix (15. März), Fontana (22. März) und Martinsville (29. März) jeweils im Zuge von "routinemäßigen Prüfungen" die Reifen mehrerer Fahrzeuge zur genaueren Untersuchung ins NASCAR-Forschungszentrum in Concord, North Carolina mitgenommen hat.

Reifen von Stewart/Haas, Penske und Co. konfisziert

In Phoenix wurden die Reifen von Sieger Kevin Harvick (Stewart/Haas-Chevrolet) und vom Zweitplatzierten Joey Logano (Penske-Ford) ausgewählt. In Fontana betraf die "routinemäßige Prüfung" erneut Harvick und darüber hinaus dessen Stewart/Haas-Teamkollegen Kurt Busch sowie Ryan Newman und Paul Menard (beide Childress-Chevrolet). Harvick und Busch hatten das Rennen hinter Penske-Pilot Brad Keselowski auf den Plätzen zwei und drei beendet, nachdem sie es über weite Strecken der Distanz mit teilweise erdrückender Dominanz bestimmt hatten.

Joey Logano, Kevin Harvick, Martin Truex Jun.

Harvick, Logano, Truex Jr.: Die Reifen der Top 3 der Punktewertung werden geprüft Zoom

Am vergangenen Wochenende in Martinsville war es zum zweiten Mal die Penske-Crew von Logano und darüber hinaus die Crews von Matt Kenseth (Gibbs-Toyota) und Martin Truex Jr. (Furniture-Row-Chevrolet), die ihre Pneus für Untersuchungszwecke herausgeben mussten. Während an den in Phoenix konfiszierten Reifen von Harvick und Logano laut NASCAR "keine Auffälligkeiten" festgestellt wurden, hat man die in Fontana und Martinsville eingesammelten Reifen nach der Erstanalyse in Concord inzwischen an ein unabhängiges Forschungszentrum weitergegeben. Die Ergebnisse dieser Zweituntersuchung stehen noch aus

Pikant: Somit warten ausgerechnet die Top 3 der aktuellen Sprint-Cup-Gesamtwertung - Kevin Harvick, Joey Logano und Martin Truex Jr. - mit Spannung auf die Untersuchungsergebnisse. Diese drei Fahrer sind in die einzigen, die bei den sechs bisherigen Saisonläufen immer in den Top 10 ins Ziel gekommen sind. Harvick, der in Las Vegas und Phoenix siegte, fuhr sogar fünfmal in die Top 2. Logano siegte beim prestigeträchtigen Saisonauftakt, dem Daytona 500.

Jeff Gordon: Diskussionen um Luftdruck sind ein alter Hut

Während die Ergebnisse der Zweituntersuchung noch ausstehen, wurde das Thema am Martinsville-Wochenende heiß diskutiert. "Zahlreiche Gerüchte machen die Runde", sagte Alan Gustafson, Crewchief am Hendrick-Chevrolet von Jeff Gordon, auf der Pressekonferenz am Freitag und fügte hinzu: "Das sagt mir, dass einige Leute der Meinung sind, dass etwas im Busch ist." Gordon teilt die Meinung seines Crewchiefs. "Ich glaube, viele von uns machen sich seit Jahren Gedanken darüber, wie man Luft aus den Reifen entweichen lassen kann. Es ist schon verrückt, was wir über den Luftdruck versuchen", so der viermalige NASCAR-Champion seinerseits am vergangenen Freitag.

Jeff Gordon und Crewchief Alan Gustafson

Gordon-Crewchief Alan Gustafson: Löcher in Reifen "nichts Schlechtes, aber illegal" Zoom

Bei dieser Gelegenheit hatte Gordon auch gleich einen möglichen Lösungsvorschlag parat: "Ich sage schon seit Jahren, dass wir Entlüftungsventile brauchen." Damit spielt der Hendrick-Routinier auf die in der Sprint-Car-Szene seit Jahren gängige Praxis an, gibt aber zu bedenken: "Diese Ventile sind vielleicht noch nicht so weit, um sie auch an einem Sprint-Cup-Auto einzusetzen. Ich glaube aber, es würde grundsätzlich Sinn ergeben." Nicht zuletzt deshalb, weil man sich Diskussionen wie die aktuell laufende um Löcher in den Flanken der Reifen dann ersparen könnte. Weil man über winzige Löcher einen ähnlichen Effekt erzielen würde wie mit Entlüftungsventilen sei so etwas laut Gordons Crewchief Gustafson "grundsätzlich nichts Schlechtes, aber es ist illegal".

Gordon erinnerte daran, dass das Thema Entweichen der Luft aus den Reifen schon Ende der 1990er-Jahre diskutiert wurde, konkret in der Saison 1998, als er selbst unter der Regie von Crewchief Ray Evernham auf dem Weg zum dritten NASCAR-Titel innerhalb von vier Jahren 13 Saisonsiege einfuhr. "Ich weiß, dass die Leute schon damals darüber spekulierten. Ich kann nur sagen, dass wir in der Saison 1998 nichts dergleichen unternommen haben. Wenn doch, dann hat es mir Ray nie erzählt. Ich würde mal sagen, dass ich es nach so langer Zeit erfahren hätte, wenn da etwas gewesen wäre."

Überprüfung des Luftdrucks in einem NASCAR-Reifen

Der Luftdruck in den NASCAR-Reifen ist seit Jahren ein sensibles Thema Zoom

Der NASCAR-Routinier aus Kalifornien, der seine lange und erfolgreiche Sprint-Cup-Karriere zum Ende der laufenden Saison beendet, weiter: "Ich habe im Laufe der Jahre viele Dinge gehört, von Ventilkappen bis hin zu Löchern, die in die Reifen gestochen werden. Ich habe so etwas aber nie gesehen, hatte also nie den Beweis, dass so etwas tatsächlich gemacht wird. Aus diesem Grund finde ich es sehr interessant, dass man bei NASCAR dieses Thema nun weiter verfolgt. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt und kann nur sagen, wenn solche Dinge tatsächlich gemacht werden und man findet einen Weg, diese Dinge zu unterbinden, dann wird das unsere Chancen deutlich erhöhen, denn ich weiß, dass wir so etwas nicht tun."

Roger Penske nimmt seine Mitarbeiter in die Pflicht

Roger Penske, von dessen Fahrer Joey Logano sowohl in Phoenix als auch in Martinsville Reifen eingezogen wurden, macht gegenüber 'Associated Press' unmissverständlich klar: "Ich habe bis dato noch keine Beweise vorgelegt bekommen, dass jemand so etwas tut. Daher kann ich nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen. Der einzige Fingerzeig, den ich tätigen kann, ist der in Richtung meiner Leute, um sicherzustellen, dass wir in so etwas nicht verwickelt sind. Ich habe meinen Jungs gesagt 'Lasst uns da nicht hineingeraten.'"

Roger Penske

"Captain" Roger Penske dudelt innerhalb seiner Mannschaft keine faulen Tricks Zoom

Seitens NASCAR hat man noch kein konkretes Datum im Visier, was die Verkündung der Ergebnisse der unabhängigen Untersuchungskommission betrifft. "Natürlich hätten wir die Ergebnisse am liebsten so schnell wie möglich vorliegen, um dieses Kapitel abschließen zu können", erklärt NASCAR-Geschäftsführer Richard Buck im Nachgang des Martinsville-Wochenendes und fügt hinzu: "Hoffentlich wird nichts gefunden. Wenn doch etwas nachgewiesen wird, dann müssen wir reagieren, und zwar schnell."

Denny Hamlin fordert "dauerhaften Urlaub" für Betrüger

Mit Bekanntwerden der Ergebnisse sollte dann auch klar sein, ob es Strafen geben wird und wenn ja, in welcher Form diese ausfallen werden. Laut NASCAR-Strafenkatalog haben unerlaubte Veränderungen an den Reifen eine P5-Strafe für die betreffende Crew zur Folge. Dies würde bedeuten, dass sowohl in der Fahrer- als auch in der Owner-Wertung 50 Punkte abgezogen werden. Die Geldstrafe wäre zwischen 75.000 und 125.000 US-Dollar angesiedelt. NASCAR behält sich jedoch zusätzliche Strafen vor.

Denny Hamlin, der das Martinsville-Rennen am vergangenen Sonntag als Sieger beendete, geht sogar noch weiter. Der Gibbs-Pilot hat eine klare Vorstellung, wie man im Fall der Fälle mit Betrügern auf diesem Gebiet vorgehen sollte. "Wenn das wirklich praktiziert wird und man davon weiß, dann sollten die Betroffenen für immer das Weite suchen", so Hamlin am Freitag vor seinem ersten Saisonsieg.

Denny Hamlin

Martinsville-Sieger Denny Hamlin hat klare Vorstellungen von möglichen Strafen Zoom

"Wir reden hier wirklich von einer großen Sache. Wenn jemand dabei erwischt wird, vielleicht sogar wiederholt, dann sollte das einen dauerhaften Urlaub zur Folge haben", forderte Hamlin die NASCAR-Offiziellen zum Handeln auf, sollten die Untersuchungen durch das unabhängige Forschungszentrum tatsächlich Beweise ans Tageslicht bringen. Reifenlieferant Goodyear ist in die Zweituntersuchung übrigens ebenso wenig involviert wie NASCAR.