powered by Motorsport.com
  • 24.11.2014 20:17

  • von Pete Fink

Analyse: Über Kahne, Elliott und Hendrick

Wie der Fall Kasey Kahne bei Hendrick Motorsports und Chase Elliott für Turbulenzen sorgt und sorgen wird - und was eine praktikable Lösung wäre

(Motorsport-Total.com) - Elfmal gewann Dale Earnhardt Jr. bisher die jährliche Wahl zum "Most Popular Driver" der NASCAR. Vielleicht ist es in wenigen Wochen soweit, dass "Junior" seinem Ruf als Dauerpublikumsliebling der NASCAR erneut Rechnung trägt und diese Wahl zum zwölften Mal gewinnt. Dann ist Earnhardt aber, und das ist kaum zu glauben, immer noch nicht der Rekordgewinner dieses Fan-Votums. Das ist nach wie vor Bill Elliott, der diese Wahl zwischen 1984 und 2002 nicht weniger als 16 Mal für sich entscheiden konnte.

Titel-Bild zur News: Chase Elliott Bill Elliott

Chase Elliott und Papa Bill Elliott: Wann geht es wie in den Sprint-Cup? Zoom

"Awesome Bill from Dawsonville", seiner Heimatstadt im US-Bundesstaat Georgia, war einer seiner Spitznamen. Ein anderer, weit berühmterer lautete "Million-Dollar-Bill", weil er durch seine drei Erfolge von Daytona, Talladega und Darlington 1985 die Winston-Million gewann. Diese hatte der damalige Titelsponsor, der Tabakriese R.J. Reynolds mit seiner Zigarettenmarke Winston, ausgesetzt, für den Fall, dass ein Pilot drei der vier Crown-Jewel-Races der NASCAR gewinnen konnte.

Elliott kam damit als erster NASCAR-Pilot auf die Titelseite der legendären "Sports Illustrated" und wurde quasi über Nacht berühmt. Doch damit nicht genug der Rekorde: 1987 fuhr er in Talladega eine Qualifikationsrunde von 212,809 Meilen pro Stunde (oder umgerechnet 342,483 km/h), die nach wie vor in den Rekordbüchern steht, weil danach auf den großen Superspeedways der NASCAR die Restrictor-Plates eingeführt wurden. 1988 gewann er seinen ersten und einzigen NASCAR-Titel. Insgesamt fuhr er 828 Cup-Rennen und gewann 44 davon.

Kurz: Bill Elliott war in seiner Ära einer der ganz Großen im NASCAR-Sport, der getrost in einem Atemzug mit einem Dale Earnhardt Sr., einem Darrell Waltrip oder einem Rusty Wallace genannt werden darf. Alleine sein Rekord von 16 Most-Popular-Driver-Titeln verdeutlicht, warum sein Sohnemann Chase Elliott so im Fokus der NASCAR-Öffentlichkeit steht. Es ist die alte Geschichte von den NASCAR-Dynastien, die nach den Pettys, den Jarretts, den Allisons oder den Earnhardts nun neue Nahrung bekommt.

Von Beginn an Tempo

Und es ist damit auch die alte Geschichte von den zahllosen Elliott-Fans, die plötzlich neues NASCAR-Futter bekommen. Gerade einmal 18 Jahre alt ist Chase Elliott, der übrigens offiziell gar nicht Chase, sondern William Clyde Elliott II heißt. Weil er aber seinem Papa so gar nicht ähnlich sieht, nannte ihn Mama Cindy irgendwann einmal Chase und dieser Spitzname hat sich, auch das ist nichts Neues in NASCAR-USA, durchgesetzt. Junior Johnson oder Fireball Roberts lassen grüßen.

Chase Elliott

Super-Youngster: Chase Elliott wird Ende der Woche 19 Jahre alt Zoom

Da ist also einer, der gerade einmal 18 Jahre alt ist (und, nebenbei bemerkt, am kommenden Freitag seinen 19 Geburtstag feiert). Einer, dessen Papa in den 1980er und 1990er Jahren die NASCAR-Massen bewegte, und einer, der sauschnell ist. Im fünften Truck-Rennen seiner Karriere stand er auf der Pole-Position, das Sechste gewann er und vorher war er immer in die Top 10 gefahren. Es war ein denkbar kurzes Gastspiel in der dritten NASCAR-Liga, denn 2014 ging es sofort in die Nationwide-Serie.

Mit JR Motorsports, also im Team von Dale Earnhardt Jr., also mit Hendrick-Technologie. Und mit einem potenten Hauptsponsor NAPA; der sich wenige Wochen zuvor elegant aus dem Sprint-Cup verabschiedet hatte, als der Richmond-Skandal das Waltrip-Team und Martin Truex Jr. so heftig traf. Und mit einem Driver-Development-Deal, den Rick Hendrick persönlich unterschrieben hatte. Und was macht der Youngster? Er gewinnt 2014 in Texas, Darlington und Chicagoland drei Rennen und holt sich den Nationwide-Titel.

Chase Elliott ist zudem der erste NASCAR-Pilot, der sich in seinem Rookie-Jahr die Meisterschaft in der zweiten Liga sicherte. Und angesichts seiner ganzen Vorgeschichte ist es kein Wunder, dass der Teenager, der übrigens nach wie vor zu Hause bei Mama und Papa wohnt, in den kommenden Wochen und Monaten (und Jahren) die Titelseiten der einschlägigen US-Medien füllen wird. Darauf darf jetzt schon gewettet werden. Zum Beispiel die NASCAR-Illustrated bezeichnete ihn bereits als "NASCARs next big star".

Eine komplizierte Geschichte

Sein Tempo war und ist atemberaubend. Da tat es Not, dass Rick Hendrick schon im Frühjahr 2014, als Elliott binnen einer Woche die beiden Nationwide-Rennen von Texas und Darlington gewann, auf die Bremse trat. Man werde den Youngster nicht verheizen. Chase Elliott solle, gemäß dem Motto "stick to the plan", auch 2015 in der zweiten Liga fahren und in der zweiten Saisonhälfte mit dem Hineinschnuppern in den Sprint-Cup beginnen. 2016 ist dann der Wechsel in die erste Liga geplant. In einem Hendrick-Chevy - oder etwa nicht?

Kasey Kahne

Kasey Kahne: Seit Jahren Pech und doch ein neuer Hendrick-Vertrag Zoom

Denn in der Riege der Hendrick-Asse um Jimmie Johnson, Jeff Gordon und Dale Earnhardt Jr. gibt es einen, dem seit zwei Jahren das Pech am Stiefel zu kleben scheint. Kasey Kahne. Rein logisch schien die Sache also klar: Wenn einer der vier Hendrick-Stars zur Disposition steht, dann Kahne. Daher war es für viele Szenebeobachter sehr überraschend, dass der Hendrick-Vertrag von Kahne vor wenigen Tagen bis Ende 2018 verlängert wurde. Denn was wird nun aus Elliott?

Das weiß man ganz offensichtlich auch im Team noch nicht so genau: "Ich kann komplett nachvollziehen, dass das Spekulieren Spaß macht", sagte Hendrick-Renndirektor Doug Douchardt dem 'Sirius-XM-Radio'. Und: "Wir versuchen, dass wir ihn in die bestmögliche Ausgangsposition bringen, damit er Erfolg haben wird, wenn er als Vollzeitfahrer in den Sprint-Cup kommen wird." Muss aber auch heißen: Hendrick ist gewarnt, denn erst vor ein paar Jahren flutschte ihnen - aus genau dem gleichen Grund - ein junger Pilot durch die Finger: Brad Keselowski.

Damals, es war das Jahr 2009, hieß der Verursacher Mark Martin. Eigentlich war verabredet, dass sich Keselowski und Martin für die Saison 2010 den Hendrick-Chevy mit der Startnummer 5 teilen sollten. Übrigens just das Auto, in dem nun Kahne sitzt. Doch Oldie Martin erlebte in dieser Saison seinen vierten (oder fünften) Frühling und gewann ein Rennen nach dem anderen. Prompt ging er zu Rick Hendrick und teilte diesem mit, dass er 2010 doch lieber noch einmal eine volle Saison im Cup fahren wolle.

Spekulieren macht Spaß...

Der wiederum konnte zu einem Mark Martin schlecht "Nein" sagen, was wiederum Keselowski in die offenen Arme von Roger Penske trieb, der wiederum auf der Suche nach einem Nachfolger für Ryan Newman war. Und als sich Mark Martin 2011 dann doch irgendwann in Richtung Frührente (das wiederum bedeutete beim NASCAR-Oldie für 2012 einen Teilzeitjob bei Michael Waltrip Racing) verabschiedete, engagierte Hendrick ganz schnell Kasey Kahne. Der wiederum musste dann 2011 noch ein Jahr bei Team Red Bull geparkt werden.

Jimmie Johnson, Jeff Gordon, Rick Hendrick, Kasey Kahne, Dale Earnhardt Jun.

Rick Hendrick und seine vier NASCAR-Asse - kommt die Nummer fünf? Zoom

Ein kompliziertes Wiederum-Jonglieren um das vierte Hendrick-Cockpit hatte sein Ende gefunden. Ach ja: Im ersten Kahne-Jahr 2012 bei Hendrick Motorsports fuhr Keselowski zum Titel. Für Roger Penske und gegen Jimmie Johnson. Und Rick Hendrick. Und was passiert nun mit Chase Elliott? Wiederholt sich da etwa eine Geschichte, die das Hendrick-Team monate-, ja fast jahrelang auf Trab hielt? Oder kommt etwa ein anderer Player ins Spiel, an den momentan noch gar niemand denkt?

Zum Beispiel Dale Earnhardt Jr. Der sagt seit Jahren, dass er es sich durchaus vorstellen könnte, sein JR-Team irgendwann von der Nationwide-Serie in den Cup zu bringen. Wenn das Finanzielle stimmt und das ist im Fall von Chase Elliott und Hauptsponsor NAPA ja gegeben. Stewart/Haas Racing, das haben Tony Stewart (2011) und nun Kevin Harvick (2014) vorgemacht, ist als Hendrick-Kundenteam bestens aufgestellt. Und der clevere Geschäftsmann Rick Hendrick könnte sich die Hände reiben, denn in so einem Fall würde er ein weiteres Kundenteam auf das höchste, und sehr teure NASCAR-Level treiben.

Wie sagte Hendrick-Rennchef Douchardt? Spekulieren macht Spaß. Ja, aber wäre dies nicht eine Alternative, die allen gerecht werden würde? Denn eines ist auch klar: So gut Youngster Elliott sein mag und so viele Fans er bereits haben mag: Der routinierte Kahne ist aus Hendrick-Sicht das sichere Pokerblatt. Und wäre der junge Elliott nicht besser bedient, wenn er zu Beginn seiner Sprint-Cup-Karriere nicht gleich in einem Auto sitzt, von dem man Siege und eventuell sogar den Titel erwarten muss? Und apropos Geschichte: Ein Elliott in einem Earnhardt-Auto im Sprint-Cup. Na ja, es gab schon schlechtere Storys...