Charlotte: Harvick-Sieg und fliegende Fäuste

Kevin Harvick fährt in Charlotte zu einem längst überfälligen Sieg und zieht in die nächste Chase-Stufe ein - Blankliegende Nerven bei Brad Keselowski und Co.

(Motorsport-Total.com) - Kevin Harvick (Stewart/Haas-Chevrolet) kann doch noch gewinnen: Beim Bank of America 500 in Charlotte sicherte sich der Kalifornier nach langer Pechsträhne seinen längst überfälligen dritten Saisonsieg und wichtiger noch, im Kampf um den Titel des NASCAR-Sprint-Cup-Champions 2014 den vorzeitigen Einzug in die dritte Chase-Stufe (Eliminator-Round).

Titel-Bild zur News: Kevin Harvick

Harvick gibt Gummi: Dank Charlotte-Sieg sicher in der Eliminator-Round Zoom

Mit einem überzeugenden Sieg im zweiten Rennen der Contender-Round beendete Harvick eine monatelange Serie von Pleiten, Pech und Pannen. Zuletzt hatte der Stewart/Haas-Pilot Mitte April in Darlington gewonnen. Seitdem stand er sieben Mal auf der Pole-Position, holte sich bei sechs Rennen die meisten Führungsrunden und kam fünf Mal auf Platz zwei ins Ziel.

"Wir wussten immer, dass wir die nötigen Zutaten hatten, aber die Dinge liefen einfach nie richtig zusammen - bis heute Nacht: Heute Nacht kam es drauf an und wir haben es geschafft", so Harvicks erleichterter Kommentar in der Victory Lane. Der Restrictor-Plate-Schlacht in Talladega kann er nun genau wie Kansas-Sieger Joey Logano (Penske-Ford/4.) ganz entspannt entgegenblicken.

Mit 162 von 334 möglichen Führungsrunden leistete Harvick auch in Charlotte den Großteil der Führungsarbeit. Nicht ganz so überzeugend, aber ebenfalls stark präsentierte sich Jeff Gordon (Hendrick-Chevrolet), der nach 74 Führungsrunden schließlich Zweiter wurde und sich damit in Sachen Weiterkommen im Chase etwas Luft vor der nächste Stufe der Eliminierungen verschaffte.


Fotos: NASCAR in Charlotte


Platz drei ging an Jamie McMurray, der diesmal der besser platzierte Ganassi-Pilot war, nachdem Teamkollege Kyle Larson sein Auto in der Schlussphase in den Top 3 liegend leicht an die Mauer von Turn 3 gesetzt hatte und sich unterm Strich mit Platz sechs hinter und Polesetter Kyle Busch (Gibbs-Toyota/5.) zufriedengegeben musste.

Erneuter Rückschlag für Johnson und Earnhardt Jr.

In den Top 5 wäre wohl auch Jimmie Johnson (Hendrick-Chevrolet) ins Ziel gekommen. Doch als Brian Vickers (Waltrip-Toyota) mit einem Motorschaden in der 329. von 334 Runden die achte und letzte Gelbphase herausbrachte, ritten Johnson und Crewchief Chad Knaus die falsche Strategie. Im Bemühen, alles auf den nach dem Kansas-Crash so wichtigen Sieg zu setzen, entschied man noch einmal für zwei frische Reifen. Johnson war damit der einzige Fahrer aus der Spitzengruppe, der sich für einen späten Stopp entschied, konnte die frischen Goodyear-Gummis in den verbleibenden Runden aber nicht nutzen und kam nur als 17. ins Ziel.

Dale Earnhardt Jun., Jimmie Johnson

"Junior" und Johnson haben ein Problem: Beide brauchen den Talladega-Sieg Zoom

Vor dem Geico 500 in Talladega am kommenden Sonntag sind Johnsons Sorgen um das Weiterkommen im Chase nun alles andere als kleiner geworden. Doch der sechsmalige und amtierende Sprint-Cup-Champion steht damit nicht allein da. Hendrick-Teamkollege Dale Earnhardt Jr. konnte aufgrund eines gebrochenen Schalthebels nicht mehr als Platz 20 an Land ziehen. Beide trennen vor Talladega satte 26 Punkte vom rettenden Tabellenplatz acht, den nach Platz zehn in Charlotte Kasey Kahne im dritten Hendrick-Chevy inne hat.

Fliegende Fäuste im Box(en)bereich

Die im negativen Sinne Hauptdarsteller der Charlotte-Nacht waren aber weder Johnson noch Earnhardt Jr., sondern Brad Keselowski und Matt Kenseth. Nach dem Rennen entwickelte sich im Boxenbereich eine wilde Keilerei zwischen den beiden, wobei Kenseth gegenüber Keselowski handgreiflich wurde. Was war passiert?

Als Michael Annett in Runde 268 mit Ölverlust an seinem Baldwin-Chevy ausrollte, griffen Keselowski und Crewchief Paul Wolf in die Trickkiste. Anders als die übrigen Fahrer der Spitzengruppe verzichteten sie auf einen Reifenwechsel. Genau wie für Johnson ging es für Keselowski nach dem Kansas-Rückschlag nur um den Sieg, doch genau wie im Falle des Hendrick-Piloten ging die abweichende Strategie auch für den Penske-Fahrer nicht auf.

Keselowski führte das Feld nach der Annett-Caution zum Restart. Doch schon auf den ersten Metern krachte es. Auf der Außenbahn von Reihe zwei kam Kenseth besser in die Gänge und wollte vor Turn 1 außen vorbeiziehen. Der Penske-Pilot blockte und schickte den Gibbs-Piloten damit in die Mauer: Kenseth konnte zwar weiterfahren, musste aber seine Hoffnungen auf eine Top-Platzierung angesichts der Beschädigungen begraben. Auf Keselowski war er so sauer, dass er diesem bei der nächsten passenden Gelegenheit (Wave-Around nach der Vickers-Caution) vorn rechts an den Kotflügel fuhr und damit auch dem Penske-Ford nachhaltige Beschädigungen zufügte.

Brad Keselowski

Penske-Pilot Brad Keselowski machte sich in Charlotte wenig Freunde Zoom

In den Schussrunden war für Kenseth nicht mehr als Platz 19 zu holen. Keselowski legte sich nach dem letzten Restart mit seinem schlecht liegenden Auto zu allem Überfluss noch mit dem vor ihm fahrenden Denny Hamlin (Gibbs-Toyota/9.) an und bereitete damit die Bühne für chaotische Szenen nach der Zieldurchfahrt.

"Als Brad hinter mir lag, war mir klar, dass er aggressiv zu Werke gehen würde, denn das war seine einzige Chance", berichtet Hamlin und schildert die Szenen nach der Zieldurchfahrt: "Nachdem er mich einfach aus dem Weg geschoben hatte, zeigte ich ihm auf der Auslaufrunde, was ich davon hielt. Ich stieg vor ihm auf die Bremse. Daraufhin versuchte er mich umzudrehen. In der Boxengasse rauschte er dann voll in die 14 (Tony Stewart) und in die 20 (Matt Kenseth) hinein."

Kenseth hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seine Gurte gelöst und war nun endgültig geladen. Zwischen den Penske-Transportern jagte er Keselowski und wurde diesem gegenüber handgreiflich. Mehrere Teammitglieder mussten die beiden auseinanderbringen. "Neben dem Manöver beim Restart ging es mir vor allem um die Sicherheit. Ich hatte schon mein HANS-Device und meine Gurte gelöst, da rauscht er voll in mich hinein", erklärte Kenseth sein ungehaltenes Verhalten zwischen den Penske-Transportern.

Kenseths Teamkollege Hamlin musste von den eigenen Mechanikern zurückgehalten werden. Anderenfalls wäre wohl auch er auf Keselowski losgegangen. Stewart hingegen regelte die Sache auf seine Weise. Nachdem ihm der Penske-Pilot in der Boxengasse ins Heck gedonnert war, würgte "Smoke" den Rückwärtsgang rein und zerlegte die Front des hellblauen Ford Fusion mit der Startnummer 2 nachhaltig.


Kenseth vs. Keselowski: Fliegende Fäuste

Vor der durch Vickers' Motorschaden ausgelösten letzten Gelbphase stand das Bank of America 500 über weite Strecken im Zeichen von langen Green-Flag-Runs, die durch Motorschäden an Clint Bowyers Waltrip-Toyota in Runde 96 und an Paul Menards Childress-Chevrolet in Runde 136 kurz unterbrochen wurden. In Runde 246 gab es die einzige (harmlose) Kollision während des Rennens: Die Hauptdarsteller Joey Logano und Danica Patrick die sich in Turn 3 nicht über die Vorfahrt einigen konnten. Penske-Pilot Logano wurde noch Vierter, Stewart/Haas-Pilotin Patrick, nachdem sie bis zur Kollision lange auf Top-15-Kurs lag, nur 26.

Im ganzen Chaos um Keselowski und Co. ging unter, dass Kyle Busch (Gibbs-Toyota/5.), Ryan Newman (Childress-Chevrolet/7.) und Carl Edwards (Roush/Ford/5.) allesamt nach Kansas City ihre zweite Top-10-Platzierung der Contender-Round sicherstellten und damit ihre Positionen in der Gesamtwertung vor der gefürchteten "Wildcard" Talladega festigten. Das dortige dritte und entscheidende Rennen der Contender-Round steigt am kommenden Sonntag. Bei wem werden nach den 188 Highspeed-Runden die Nerven blankliegen?