Allmendinger: "Für mich hat ein neues Leben begonnen"

A.J. Allmendinger im Exklusivinterview über seinen Aufstieg aus der Open-Wheel-Szene in die NASCAR, seine Perspektiven als Penske-Pilot und mehr

(Motorsport-Total.com) - A.J. Allmendinger ist alles andere als der typische NASCAR-Pilot. Über den Go-Kart-Sport sowie die Formeln Ford und Atlantic stieg der aus Los Gatos in Kalifornien stammende US-Boy zur Saison 2004 in die ChampCar-Serie auf. In drei Jahren für RuSPORT und Forsythe machte sich "Dinger" schnell einen Namen als talentierter Open-Wheeler. Zur Saison 2007 wagte er dann den Wechsel in die NASCAR. Nach fünf schwierigen Jahren für Red Bull und Richard Petty Motorsports unterschrieb der mittlerweile 30-Jähirge im Dezember 2011 bei Penske Racing.

Titel-Bild zur News: A.J. Allmendinger

A.J. Allmendinger im gelben Penske-Overall für die NASCAR-Saison 2012

Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' spricht Allmendinger über seinen perfekten Start ins Jahr 2012, die Zusammenarbeit mit seinem neuen Teamkollegen Brad Keselowski, seine Einschätzung des Kräfteverhältnisses im IndyCar-Team von Roger Penske, einen möglichen Start beim Indy 500 sowie den nächsten US-Amerikaner in der Formel 1.

Frage: "A.J., du hast das Jahr mit dem Sieg beim 24-Stunden-Rennen von Daytona großartig begonnen. War es für dich nach fast sechs Jahren ohne Sieg eine Erlösung?"
A.J. Allmendinger: "Ich habe mich zwischenzeitlich schon gefragt, ob ich noch weiß wie das geht. Ich habe es ja hautnah miterlebt, wie Justin (Teamkollege Wilson; Anm. d. Red.) in diesem Rennen das Auto bis zum Limit ausgefahren hat und Oswaldo Negri die Führung gegen Allan McNish verteidigen konnte. Bevor ich ins Auto gestiegen bin, habe ich regelrecht gezittert und mich gefragt, ob ich diesem Druck, kurz vor dem Sieg zu stehen, standhalten kann. Früher war das für mich nichts Besonderes."

"Dass und vor allem wie es letztlich geklappt hat, war fantastisch. Ich musste mir drei Stunden lang den Arsch abfahren. McNish und später Ryan (Dalziel; Anm. d. Red.) machten höllisch Druck. Speziell nachdem, was ich in den vergangenen fünf, sechs Jahren durchgemacht habe, waren das wohl aus fahrerischer Sicht die drei besten Stunden meines Lebens. Bis ich 20 Minuten vor Schluss etwas Tempo herausnehmen konnte, habe ich nicht einen einzigen Fehler gemacht und alles gegeben. Für mich persönlich war es ein sehr gutes Gefühl, denn ich habe mir selbst bewiesen, dass ich es immer noch kann, wenn es darauf ankommt."

A.J. Allmendinger

A.J. begann das Jahr mit dem Sieg beim 24-Stunden-Rennen von Daytona Zoom

Frage: "Brachte der Sieg bei dir Erinnerungen an deine erfolgreiche Zeit in der ChampCar-Serie hervor?"
Allmendinger: "Die fünf Jahre waren wirklich schwierig. Für einen Kerl wie mich, der sein ganzes Leben dem Rennsport verschrieben hat, sind fünf Jahre mit - sagen wir einmal eingeschränktem Erfolg - beinahe so, als hätte es die Siege davor nie gegeben. Nicht dass ich sie vergessen hätte, im Gegenteil: Ich erinnere mich an jede Runde - speziell aus den Rennen, die ich gewonnen habe. Wenn ich mir jetzt die Trophäen von damals ansehe, kommt es mir angesichts der vergangenen fünf Jahre beinahe so vor, als wären diese bedeutungslos."

"Für mich hat im Grunde ein neues Leben begonnen. In meinem vorherigen Leben war ich es gewohnt, ständig zu gewinnen und es fiel mir leicht. Im meinem jetzigen Leben bekomme ich gefühlsmäßig jedes Wochenende die Hucke voll. Es ist einfach alles anders - das gesamte Umfeld und die Art, wie diese Autos gefahren werden müssen. Ich würde daher nicht sagen, dass die Siege von damals nichts mehr wert sind, aber man vergisst sie beinahe, denn das war der alte A.J. aus der Open-Wheel-Szene, der den Job hinbekommen hat. Der A.J. aus der NASCAR ist diesen Beweis bisher noch schuldig geblieben. Es wird Zeit, dass auch er gewinnt."

A.J. Allmendinger

Allmendingers neuer Dienstwagen: Der gelbe Penske-Dodge mit der 22 Zoom

"Ich gehe inzwischen in mein sechstes NASCAR-Jahr. Es kommt mir aber nicht so vor, wie wenn ich schon im sechsten Jahr dabei bin, denn ich habe einige Rennen verpasst. Die ersten zwei Jahre waren besonders schwierig. Damals war ich nicht gerade im besten Team unterwegs und hatte keine Möglichkeit, diesen Sport richtig zu lernen. Für mich ging es eher ums Überleben. So gesehen glaube ich, dass ich in Wahrheit drei Testjahre und nur zwei echte NASCAR-Jahre hatte."

Gute Zusammenarbeit mit Brad Keselowski

Frage: "Wie lässt sich die Zusammenarbeit mit deinem Penske-Teamkollegen Brad Keselowski an?"
Allmendinger: "Ich habe wirklich ein gutes Gefühl. Wir kommen gut miteinander aus. Er ist ganz eindeutig ein starker Fahrer, wenn es darauf ankommt. Gleichzeitig kann er jederzeit einen Schalter umlegen und herumalbern. Ganz ehrlich: Das Rennteam ist seines, denn er ist derjenige, der es mit seinen Siegen dorthin gebracht hat, wo es heute steht. Ich sehe ihn daher als den Leader im Team an. Er ist im vergangenen Jahr nicht einfach nur im Chase mitgefahren. Er hatte lange Zeit eine ernsthafte Titelchance. Wäre er in Martinsville nicht kurz vor Schluss im Kampf um Platz zwei umgedreht worden, wäre er als Tabellenzweiter mit drei Punkten Rückstand aus Martinsville abgereist."

"Er ist inzwischen ein paar Jahre dabei und hat ein starkes Team um sich herum aufgebaut. Es ist nicht so, dass er der Nummer-eins-Fahrer und ich die Nummer zwei wäre, die schlechteres Material bekommt - so etwas gibt es bei Penske nicht. Aber er ist ganz eindeutig der Leader im Team und ich bin der Neuling, der dazu stößt und sich erst einmal einleben muss. Ich habe wirklich das Gefühl, dass sich unsere Zusammenarbeit gut anlässt, denn einen Teamkollegen, den er ständig um Lichtjahre hinter sich lässt, will auch er nicht haben. Er will jemanden neben sich haben, der ihm einheizen und ihn auch das eine oder andere Mal schlagen kann. Natürlich wollen wir uns beide gegenseitig schlagen. Jeder, der etwas anderes behauptet und sagt 'Solange das Team gewinnt, ist alles in Ordnung', sagt nicht die Wahrheit. Auf der anderen Seite komme ich lieber hinter ihm als Zweiter ins Ziel, als ihn im Kampf um Platz 20 zu schlagen. Letzeres würde keinen von uns beiden weiterbringen. Wir müssen also zusammenarbeiten."

Brad Keselowski

Brad Keselowski ist bei Penske die Messlatte für Allmendinger Zoom

Frage: "Geht das soweit, dass ihr euch beim Setup gegenseitig austauscht? Könnt ihr das überhaupt oder sind eure Fahrstile dafür zu verschieden?"
Allmendinger: "Unsere Fahrstile unterscheiden sich schon ein wenig, aber nicht grundlegend. Brad ist ein Fahrer, der die Bremse sehr selten benutzt. Das gilt nahezu für alle Strecken, auf denen wir fahren. Ich nehme die Bremsen aufgrund meiner Vergangenheit als Open-Wheeler deutlich härter ran. Gleichzeitig habe ich mich auf diesem Gebiet während der vergangenen zwei, drei Jahre deutlich verbessert. Vorher waren meine Bremsen grundsätzlich die ersten, die am Ende waren."

"Auch wenn sich unsere Fahrstile ein wenig voneinander unterscheiden, so können wir dennoch darüber sprechen. Er ist zum Beispiel auf einigen Strecken, auf denen ich zu kämpfen habe, sehr gut. Umgekehrt gibt es auch womöglich auch Strecken, wo er nicht ganz so gut zurechtkommt wie ich. Unterm Strich geht es darum, sich gegenseitig zu pushen. Wie schon gesagt: Angenommen, er gewinnt ein Rennen und ich werde Zweiter. Dann wäre ich natürlich enttäuscht, weil ich selbst gewinnen will. Ich würde dieses Szenario aber immer jenem vorziehen, in dem ich ihn im Kampf um Platz 20 hinter mir lasse. Dadurch, dass er so schnell ist, bringt er mich dazu, noch härter zu arbeiten. Das mag ich."

A.J. Allmendinger

Allmendinger ist fest entschlossen, seine Chance bei Penske zu nutzen Zoom

Frage: "Ist Brad für dich so etwas wie der ideale Teamkollege?"
Allmendinger: "Es ist noch etwas zu früh, um das zu sagen. Wir beide passen in meinen Augen hervorragend in dieses Team. Jetzt müssen wir abwarten, wie es sich im Verlauf des Jahres entwickelt. Ein guter Anfang ist auf jeden Fall gemacht. Ich bin mir nicht sicher, ob es so etwas wie den idealen Teamkollegen überhaupt gibt. Es mag Fahrer geben, mit denen ich persönlich gut auskomme, die aber nicht so stark sind wie andere. Ich will die schnellsten Fahrer als Teamkollegen haben und Brad gehört im Moment ganz klar in diese Kategorie. Ich könnte mir auch Jungs wie Jimmie Johnson, Jeff Gordon oder Kyle Busch vorstellen, aber mit ihnen habe ich bisher nicht zusammengearbeitet. Wer weiß, womöglich würde ich sie hassen, wenn wir Teamkollegen wären (lacht; Anm. d. Red.). Bisher genieße ich die Zusammenarbeit mit Brad sehr."

"Ich will die schnellsten Fahrer als Teamkollegen haben und Brad gehört im Moment ganz klar in diese Kategorie." A.J. Allmendinger

Will Power die Penske-Messlatte bei den IndyCars

Frage: "Du hast deine Vergangenheit als Open-Wheeler angesprochen. Hältst du zu den Piloten der IndyCar-Serie nach wie vor Kontakt?"
Allmendinger: "Justin Wilson ist immer noch ein enger Freund von mir. Ich spreche auch des Öfteren mit Katherine Legge, die in diesem Jahr wieder ein Cockpit bekommen hat. Auch mit Paul Tracy verstehe ich mich sehr gut. Dazu kommt die Tatsache, dass ich als Penske-Fahrer drei IndyCar-Piloten direkt im Shop neben mir habe. Will Power, Ryan Briscoe und ich, wir sind uns schon das eine oder andere Mal im Fitnessraum begegnet. Helio (Castroneves) und ich werden vom selben Sponsor (Shell; Anm. d. Red.) unterstützt und unternehmen daher viele Sachen gemeinsam."

Frage: "Welcher dieser der drei IndyCar-Piloten des Penske-Teams ist deiner Meinung nach der beste?"
Allmendinger: "Im Moment müsste man wohl sagen Will. Alle drei sind schnell, aber Will hat in den vergangenen ein, zwei Jahren gezeigt, wozu er fähig ist. Helio hatte eine großartige Karriere und hat jede Menge Rennen gewonnen. Ryan ist eher der Ruhige im Team. Keiner beachtet ihn so richtig, aber auch er ist sehr schnell. Penske hat so gesehen ein ziemlich gutes Lineup mit drei Fahrern, die jederzeit gewinnen können. In den vergangenen ein, zwei Jahren war sicher Will der schnellste von ihnen. Es ist schade, dass er für Roger noch keinen Titel einfahren konnte. Vielleicht ändert sich das in diesem Jahr."

Will Power, Helio Castroneves, Ryan Briscoe

Das Penske-Trio bei den IndyCars: Allmendinger hat einen klaren Favoriten Zoom

Frage: "Bei Forsythe gabst du zusammen mit Paul Tracy ein starkes Gespann. Glaubst du, dass er noch einmal eine Chance hat, ein IndyCar-Cockpit zu ergattern?"
Allmendinger: "Ich hoffe es. In der heutigen wirtschaftlichen Situation ist es aber nicht einfach. Er braucht einen Sponsor. Ich würde es sehr gern sehen, wenn er noch eine ernsthafte Chance bekommt und noch einmal eine volle Saison fahren könnte. Das würde ganz sicher Spaß machen, ihm dabei zuzusehen."

Frage: "Vielleicht ergibt sich diese Chance bei Michael Shank Racing?"
Allmendinger: "Das hoffen wir. Im Moment ist der Deal etwas ins Stocken geraten. Wir arbeiten daran, ich kann aber nichts versprechen."

Allmendinger künftig für Penske in Indy?

Frage: "Zurück zu dir. Fühlst du dich in der NASCAR und speziell bei Penske inzwischen heimisch?"
Allmendinger: "Absolut. Durch meine Verbindung zu Penske ergibt sich womöglich in der Zukunft einmal die Chance auf das Double Indy-Charlotte. In diesem Jahr bietet sich diese Möglichkeit nicht. In Zukunft wäre ich diesbezüglich aber nicht abgeneigt. Ich will meine Karriere bei Penske beenden."

Frage: "War es schon immer ein Traum von dir, beim Indy 500 zu starten?"
Allmendinger: "Das würde ich nicht sagen. Wenn überhaupt, dann höchstens in den frühen 1990er-Jahren. Als es dann den Split gab, verlor Indy so viel an Bedeutung. In dieser Zeit haben Leute das Indy 500 gewonnen, die es meiner Meinung nach nicht hätten gewinnen sollen. Ich will keine Namen nennen, aber es gab eine Phase von fünf Jahren, in der haben Jungs das Indy 500 gewonnen, die es niemals gewonnen hätten, wenn beide Serien zusammengeblieben wären."

Roger Penske

Für Teamchef Roger Penske würde Allmendinger auch in Indy fahren Zoom

"Inzwischen hat sich das Ganze etwas erholt. Das Prestige ist wieder da und auch die Zuschauer sind zurückgekehrt. Dort passiert gerade so etwas wie ein Comeback. Für mich persönlich war es aber nie der ultimative Traum, in Indy zu fahren. Ich habe mir immer gesagt: Wenn sich die richtige Gelegenheit bietet, dann schlage ich zu. Ich wollte mit einem Penske in Indy antreten. Ich würde nie zu Roger (Teamchef Penske; Anm. d. Red.) gehen und darum betteln, dass er mich in Indy fahren lässt, aber ich bin auch nicht dumm. Wenn er sagt: Lass uns das Double in Angriff nehmen, dann sage ich: Yes Sir, ich mache das Double."

Der nächste US-Boy in der Formel 1

Frage: "Was hältst du davon, dass die Formel 1 in diesem Jahr in die USA zurückkehrt?"
Allmendinger: "Wenn es gelingt, wäre das eine großartige Sache. Ich erinnere mich an Indy. Das erste Rennen dort (in der Saison 2000) generierte ein großes Interesse. Dann kam durch das Reifendebakel (in der Saison 2005; Anm. d. Red.) alles ins Straucheln. Die Sache ist die: Anders als in anderen Ländern gibt es in den USA einfach eine riesige Menge an Sportarten. Es gibt Länder, da gibt es Racing und Fußball und vielleicht noch Kricket oder Rugby. Bei uns hingegen gibt es rund 15 Sportarten, die alle für sich eine große Nummer sind. Die Formel 1 muss daher in den USA deutlich mehr und vor allem richtig promotet werden."

"Die Formel 1 hat nahezu in jedem anderen Land einen höheren Stellenwert als hier. Die Hardcore-Fans, die ohnehin das Rennen besuchen, gibt es überall. Worum es geht ist, diejenigen Fans, die einmal ein solches Rennen im Fernsehen einschalten, dauerhaft dafür zu begeistern. Wenn die Formel 1 richtig promotet wird, kann auch hier etwas Großes daraus entstehen. In Indy herrschte damals eine Haltung nach dem Motto: Wir sind in Indy und holen die Formel 1. Was spricht dann noch gegen einen Besuch des Rennens? Natürlich kamen Leute, aber nicht in dem Maße, wie es erwartet wurde. Ich hoffe wirklich, dass es diesmal funktioniert, denn die USA brauchen die Formel 1. Es wäre toll, wenn es auch einen US-Amerikaner im Starterfeld geben würde."

"Die Formel 1 hat nahezu in jedem anderen Land einen höheren Stellenwert als hier." A.J. Allmendinger

Frage: "Siehst du da einen, der es schaffen kann?"
Allmendinger: "Alexander Rossi scheint in Europa einige Fortschritte zu machen. Abgesehen von ihm sehe ich derzeit ehrlich gesagt keinen. Bei den IndyCars gibt es im Moment keinen jungen Kerl, der die Serie im Sturm erobern könnte. J.R. Hildebrand ist ohne Frage sehr schnell. Charlie Kimball ist auch okay, aber er ist inzwischen nicht mehr der Jüngste. Ich kenne ihn schon ewig aus unseren gemeinsamen Go-Kart-Zeiten. Mir kommt es manchmal so vor, als wäre er älter als ich. Josef Newgarden ist auch ein Guter, der seinen Weg gehen wird. Aktuell sehe ich aber nur Rossi in Europa."

"Einige Leute sehen Marco Andretti als möglichen Kandidaten für die Formel 1. Ich bin aber der Meinung, dass er in der IndyCar-Serie noch mehr zeigen muss, bevor er an einen Wechsel in die Formel 1 denken kann. Meiner Ansicht nach musst du eine Serie dominieren, bevor du in die nächste wechseln kannst. So traten die Leute während meiner ChampCar-Zeit auch mir gegenüber. Wenn mich damals jemand gefragt hätte, ob ich Formel 1 fahren möchte, hätte ich wohl geantwortet: Ich muss erstmal hier gewinnen, dann kann ich darüber nachdenken, woanders zu gewinnen."

Marco Andretti

Marco Andretti als US-Hoffnung für die Formel 1? A.J. ist anderer Meinung Zoom