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  • 25.11.2011 06:57

  • von Pete Fink

Kolumne: Über die NASCAR-Saison 2011

Was war das für eine Saison 2011! 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Pete Fink blickt in seiner neuen Kolumne zurück auf das gerade abgelaufene NASCAR-Jahr

Liebe NASCAR-Fans,

Titel-Bild zur News: Tony Stewart

Tony Stewart hat den NASCAR-Fans eine denkwürdige Show geboten

wie hat sie euch denn gefallen, die NASCAR-Saison 2011? Ich muss sagen: Mir hat dieses Jahr ausnehmend gut gefallen. Ein 20-jähriger Nobody-Sunnyboy namens Trevor Bayne gewinnt das Daytona 500. Kleine Teams wie die Wood Brothers, oder später in Darlington Furniture-Row-Racing mit Regan Smith, stehen plötzlich in der Victory Lane. Sie drehen den Hendricks, Childress, Gibbs oder Roush dieser NASCAR-Welt eine lange Nase. Ganz ehrlich: Ich dachte nicht, dass so etwas in der modernen NASCAR noch möglich ist. Herrlich!

Oder Tony Stewart. Ein Owner/Driver als Champion. Das hat Alan Kulwicki 1992 einmal geschafft, davor in den letzten 40 Jahren nur Richard Petty. Ich befürchte fast, dass dieser Titel eine absolute Ausnahme bleiben wird und deswegen schlage ich vor, dass wir diese historische Leistung ganz einfach würdigen sollten. Ich behaupte: Es wird sehr lange dauern, bis wir wieder einen Owner/Driver, also ein eigentlich fast schon ausgestorbenes Lebewesen, als NASCAR-Champion zu sehen bekommen.

Überhaupt muss ich sagen, dass ich auch ein paar Tage nach diesem dramatischen Finale von Homestead noch begeistert bin, was "Smoke" und Carl Edwards da abgezogen haben. "Against all odds" bedeutet sinngemäß übersetzt "allen Widrigkeiten zum Trotz." Genauso sehe ich Stewarts Leistung. Nicht nur in Homestead, sondern im ganzen Chase. Mal ehrlich: Wer hatte "Smoke" denn zu Playoff-Beginn auf seinem Zettel stehen? Wohl keiner, nicht einmal er selbst. Mir klingen immer noch seine Worte in den Ohren, die er in Michigan vom Stapel ließ: "Wenn wir so schlecht unterwegs sind wie jetzt gerade, dann sollten wir unseren Chase-Platz einfach weitergeben. Das macht ja überhaupt keinen Sinn."

Gegen alle Widrigkeiten

Das war im August. Vier Wochen später beginnt er mit einer Siegesserie, die ihm den dritten Titel beschert. Ich frage mich jetzt: Wie sehr muss es da teamintern gerappelt haben, dass so etwas möglich ist? Klar gab es ein paar Gerüchte, dass bei Stewart/Haas der Haussegen schief stehen würde. Und wenn sein Crewchief Darian Grubb auf der Pressekonferenz direkt nach Homestead schildert, dass man ihn zu Chasemitte (!) gesagt hat, er würde 2012 nicht mehr im Team sein, dann kann man sich in etwa vorstellen, was da los gewesen sein muss.

Tony Stewart

Tony Stewart gegen Carl Edwards: Ein wahres Gigantenduell... Zoom

Wofür steht dieser Titel also? Ich glaube, es war der pure Wille. Stewart sagt selbst, dass er nach seinem Sieg in Martinsville fest an die Meisterschaft geglaubt hat. Und dann ist "Smoke" einfach explodiert. Glücklicherweise ist er zudem jemand, der einfach alles sauschnell fahren kann, was vier Räder hat. Eines dieser Naturtalente, die alle Reißbrett-Weisheiten der modernen Sport- und Ernährungswissenschaft ad absurdum führen. Ein angegrauter 40-Jähriger mit Bauchansatz, der dem Rest der Welt zeigt, wo der Hammer hängt.

Ich persönlich finde es sehr erfrischend, dass noch nicht alles im Motorsport durch Computersimulationen mit Wahrscheinlichkeiten von zigtausend Stellen hinter dem Komma ausrechenbar ist. Weil es da eben noch eine menschliche Komponente gibt, die, wenn sie einmal losgelassen, alles andere niederwalzen kann. "Against all odds" eben.

Aller guten Dinge sind drei

Ich bin übrigens der Meinung: Eigentlich hätte Carl Edwards auch einen Pokal verdient gehabt. Wie der Ex-Lehrer aus Missouri seine hauchdünne Niederlage angenommen hat, hatte absolute Klasse, das hatte wirklich Stil. Er und Stewart waren gleichwertig und haben uns allen ein paar denkwürdige Chase-Wochen beschert. Und mit der Rückendeckung von Jack Roush wird Edwards seine(n) Titel in Zukunft noch holen, da bin ich mir ganz sicher.

Pete Fink Kolumne

Pete Fink sagt: Gebt Carl Edwards doch bitte auch eine Trophäe! Zoom

Auch zu Edwards fällt mir seit Sonntagnacht immer ein Sprichwort ein, dieses Mal ein deutsches: "Aller guten Dinge sind drei". Warum? In der Saison 2008 scheiterte er mit neun Saisonsiegen an Jimmie Johnson. So oft wie Edwards konnte 2008 keiner gewinnen, auch Johnson (7) nicht. In diesem Jahr gewann Edwards nur ein einziges Mal. Aber in den zehn Chase-Rennen kam er im Schnitt auf Platz 4,9 ins Ziel. Das ist die absolute Bestmarke aller NASCAR-Playoffs überhaupt, aber sie war nicht genug.

Unter dem Strich ist die Rechnung also ganz simpel: 2008 zu wenig konstant und 2011 zu wenige Siege. Wenn Edwards aus diesen beiden Gleichungen die richtigen Konsequenzen zieht, dann wird er den Titel in seinem nächsten Anlauf holen. "Alle guten Dinge sind drei" eben, oder wie es auf Englisch lautet: "All good things come in threes". Vielleicht schon 2012? Ich würde es Edwards gönnen.

Die Szene des Jahres

Wenn es einen "Fahrer der Saison" geben würde, dann müsste die Wahl natürlich entweder auf Stewart oder auf Edwards fallen. Wenn ich mir jedoch für einen Moment das denkwürdige Saisonfinale wegdenke, dann hieße mein "Driver of the Year" Brad Keselowski. Er ist für mich eindeutig der Shooting-Star der Saison 2011. Klar hat "Bad Brad" den Nationwide-Titel 2010 gewonnen. Aber auch hier die Frage: Wer hätte zu Saisonbeginn darauf getippt, dass der Penske-Pilot mit drei Saisonsiegen in den Chase kommen würde? Wohl keiner.

Jeff Gordon, Brian Keselowski, Brad Keselowski

"Bad Brad" (2) schiebt seinen Bruder Brian auf der Außenbahn ins Daytona 500 Zoom

Für mich persönlich lieferte Brad Keselowski übrigens auch die Szene des NASCAR-Jahres 2011 ab. Nämlich als er in seinem Gatorade-Duel von Daytona seinen älteren Bruder Brian Keselowski in dessen völlig veraltetem und eigentlich chancenlosen Familien-Dodge ins Daytona 500 geschoben hat. Das hat der Rennfahrerfamilie Keselowski - samt Preisgelder und Sponsoren - knapp 500.000 Dollar beschert. Von wegen "Bad Brad" also.

Augenscheinlich war auch seine emotionale Kehrtwendung. Zu seinen Nationwide-Zeiten war er - gefühlt - in jedes zweites Scharmützel verwickelt. Egal ob Denny Hamlin, Kyle Busch oder Carl Edwards, auch 2010 hat er sich noch mit jedem angelegt, der nicht schnell genug bei Drei auf dem Baum war. Und 2011? Nichts dergleichen. Genauso fährt man im zweiten Sprint-Cup-Jahr in der Gesamtwertung auf Platz fünf, sogar nach einem wirklich heftigen Crash bei Testfahrten im Sommer.

Wo ist eigentlich Kimi Räikkönen?

Eigentlich sah vor etwa einem Jahr alles so aus, als habe Keselowski die Rolle des "Bad Boys" der NASCAR von Kyle Busch übernommen. Kyle Busch tritt seit der Saison 2010 in der Truck-Series mit einem eigenen Team an und ganz NASCAR-USA war allerbester Hoffnung, dass das neue Aufgabengebiet als Owner sein Temperament etwas zügeln würde. Schließlich ist er als Chef von Kyle Busch Motorsports direkt verantwortlich für sämtliche Sponsorgelder. Und dann kam Texas.

Kimi Räikkönen

Kimi Räikkönen und sein sehr kurzer NASCAR-Abstecher Zoom

Ich bin gespannt, welche Konsequenzen dieser Vorfall noch nach sich ziehen wird, denn diese Sache ist Gibbs-intern sicherlich noch nicht durch. Trotzdem bin ich bei weitem nicht der einzige, der Kyle Busch zutraut, in seiner Karriere noch mehrere Sprint-Cup-Titel zu holen. Mein Argument: In vielerlei Hinsicht ähnelt Kyle Busch dem jungen, wilden Tony Stewart sehr. Und Stewart war schon 31 Jahre alt, als er seine erste Meisterschaft holte. Kyle Busch ist gerade einmal 26.

Apropos Kyle Busch: Wer erinnert sich noch an den Mai 2011? Als sich plötzlich Kimi Räikkönen in der NASCAR angesagt hatte? Für mich auch so eine Story des Jahres 2011, die wieder einmal bewiesen hat, wie hoch die Trauben in der NASCAR wirklich hängen. Zwei Rennen, einmal Platz 15 (im Kyle-Busch-Truck) bei den Trucks, einmal Platz 27 in der Nationwide-Serie. Oder anders formuliert: Einmal rein geschnuppert und dann ganz schnell wieder weg.

Glücksfall Danica Patrick

Räikkönen hat sich also nahtlos in eine extrem prominente Liste eingereiht. Juan Pablo Montoya, Jacques Villeneuve, Dario Franchitti, Sam Hornish Jr., Mattias Ekström. Ehemalige Formel-1-Weltmeister, IndyCar-Champions, Indy-500-Sieger, DTM-Champions. Alle haben sie erfahren müssen, dass NASCAR quasi als beim Arbeitsamt angemeldete Nebentätigkeit nicht funktioniert. Montoya und Hornish haben zumindest noch nicht aufgegeben. Respekt dafür.

Danica Patrick, Tony Stewart

Danica Patrick und ihr neuer Sprint-Cup-Boss Tony Stewart Zoom

All diese Beispiele verdeutlichen aber auch, wie die Leistung von Danica Patrick einzuordnen ist, und vor allem sein wird. Auch wenn es einige Leser geben mag, die das alles nicht mehr hören können oder wollen: Danica Patrick in der NASCAR wird 2012 eine der ganz großen Storys werden. Ich möchte mir gar nicht erst ausmalen, was in Daytona los sein wird, wenn die 29-Jährige ihr erstes Sprint-Cup-Rennen fährt.

Danica Patrick, und davon bin ich felsenfest überzeugt, ist für die NASCAR ein absoluter Glücksfall, und zwar in jeder Hinsicht. Wird sie Letzte, steht sie im Fokus, weil alle sagen: Ätsch, sie kann es nicht. Gewinnt sie, steht sie sowieso im Mittelpunkt. Selbst im Vergleich zu Montoya anno 2006 wird sie der NASCAR wesentlich mehr neue und vor allem junge Fans bringen. In den USA und überall auf dem Globus. Und eines ist auch klar: Im Gegensatz zu Räikkönen und Co. wird sie nicht so schnell die Flinte ins Korn werfen. Dazu ist sie zu stur. Ganz ehrlich: Ich freue mich auf Danica in der NASCAR!

Und 2012?

Tony Stewart, der alte Fuchs, hat den Danica-Braten übrigens schon lange gerochen. Sonst würde er nicht mit aller Macht versuchen, ihr Teilzeitteam - Patrick fährt 2012 neben einer kompletten Nationwide-Saison zehn Sprint-Cup-Rennen für Stewart/Haas - gleich von Beginn auf Vollzeit zu trimmen. Der clevere Geschäftsmann "Smoke" weiß genau, wie sehr seine ganze Mannschaft davon profitieren wird, wenn Danica 2013 für ihn antritt. Ich würde mich nicht wundern, wenn in den kommenden Tagen oder Wochen ein richtiges NASCAR-Schwergewicht als ihr Crewchief benannt wird.

Kasey Kahne

Mein Geheimtipp auf den NASCAR-Titel 2012: Kasey Kahne Zoom

Eine andere Story, die ich 2012 als extrem spannend erwarte, ist Kasey Kahne. Ich lehne mich jetzt einmal ganz weit aus dem Fenster und sage: Kahne wird nächstes Jahr um den Titel mitfahren. Für mich ist Oberglüher Kahne sogar einer der Top-Favoriten auf die Meisterschaft. Meine Begründung: Er und sein Crewchief Kenny Francis haben 26 Rennen lang Zeit, sich mit dem Top-Material bei Hendrick Motorsports anzufreunden. Und was Kahne im Chase kann, hat er bei Red Bull gezeigt.

Aber eigentlich wollte ich ja über die Saison 2011 schreiben. Ich entschuldige mich also schon einmal prophylaktisch für all jenes, was ich in dieser kleinen Kolumne zum Thema 2011 vergessen habe. Gott sei Dank ist die NASCAR-Winterpause so kurz: Schon am 18. Februar 2012 steigt in Daytona das Budweiser Shootout. Hoffentlich wird 2012 ein genau so guter NASCAR-Jahrgang wie 2011!

Euer


Pete Fink

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