• 22.02.2016 15:09

  • von David Evans (Haymarket)

Analyse: Der Millionenpoker der Rallye Schweden

Die Rallye Schweden stand auf der Kippe, die Fahrer kritisierten die Verantwortlichen - Ein Blick hinter die Kulissen und die Bemühungen der Rallye-Leitung

(Motorsport-Total.com) - Nach einer turbulenten Woche wurden die Veranstalter der Rallye Schweden für ihre Hartnäckigkeit mit einem neuen Dreijahresvertrag belohnt. David Evans beleuchtet die Meinungsverschiedenheiten, die die Rallye fast zum Abbruch gebracht haben. Der Alkoholpegel dieses Amigos auf seinem Pferd war so hoch, dass es ein Wunder war, dass die Gravitationskraft ihn nicht umgeworfen hat. Mexiko kam zur Rallye Schweden, und alle hatten eine tolle Zeit. Der Mann mit dem Sombrero hatte offensichtlich Durst, ein Kumpel musste ihn stützen und auf den Beinen halten.

Titel-Bild zur News: Sebastien Ogier, Julien Ingrassia

Sebastien Ogier holte sich zum dritten Mal den Sieg in Schweden Zoom

War er wirklich Mexikaner? Wahrscheinlich nicht. War sein Pferd echt? Ganz sicher nicht. Hatte er die beste Zeit seines Lebens? Zweifellos! Das spielte sich am Freitag in "Svullrya" ab. Am Samstag nahmen der Sombrero und seine Freunde den Whiskey zu Colin's Crest mit. Dort hatten sie den zweiten Tag in Folge die Zeit ihres Lebens. Dieser berühmte Sprung in der Vargasen-Prüfung zeigt, wie sich die Rallye Schweden entwickelt hat. Als Colin McRea weiter, höher und schneller geflogen ist als alle anderen... na ja, das war ein Sprung in der Vargasen-Prüfung.

Unter Glenn Olssons Führung wurde das zu Colin's Crest, einem einzigartigen Ort. Diese Stelle ist bekannter als die eigentliche Prüfung. Jedes Jahr wird es besser. Die Musik wird lauter, die Drinks mehr, die Partys härter. Dass Eyvind Bynildsen den Rekord für den längsten Sprung (45 Meter, einer mehr als Thierry Neuvilles Rekord aus dem Vorjahr) aufgestellt hat, ging fast unter. Zu diesem Zeitpunkt haben viele vermutlich vergessen, dass die Rallye überhaupt noch läuft.

Colin's Crest ist eine Erfolgsgeschichte, nicht nur weil es eine gelungene Mischung aus Hardcore-Fans und Firmengästen ist, die Schulter an Schulter zwischen den Bäumen stehen. Viel hat sich bei der Rallye Schweden verändert. So werden im lokalen Fernsehen fünf Stunden live übertragen. Und mache sagen immer noch, dass die Rallye-WM eine Flaute erlebt und nach Auswegen sucht. Das ist in Schweden definitiv nicht der Fall. Es gibt zwar keinen Titelsponsor, aber das kommerzielle Model, das die Rallye aufgebaut hat, ist ein Erfolg.

Wetter sorgt für große Turbulenzen

Wie konnte es also soweit kommen, dass es beinahe die letzte Rallye Schweden gewesen wäre? Ernsthaft: Beim Colin's Crest hätte es am Samstag auch total ruhig sein können. Weniger als eine Woche vor der Vargasen-Prüfung wollte Olsson gar nicht aus dem Bett steigen. Was war das Problem? Die Rallye Schweden versank in der Toilette. Von Minus 30 Grad Celsius war es um 36 Grad wärmer geworden. Starke Winde wehten meterweise den Schnee weg, die Straßen wurden vom Regen unterspült.

"Das Bauchgefühl war diesmal sehr schlecht", sagt Olsson mit der Ehrlichkeit eines Mannes, der sieben Tage am Stück an seine Grenzen gegangen ist. "Die Wettervorhersage machte uns keine Hoffnungen. Nichts." Schließlich ein Hoffnungsschimmer, die Hoffnung auf Kälte. Raus aus dem Bett und los geht es. Es folgte eine unglaubliche Schicksalswende. Mit vollstem Vertrauen in die Vorhersage, dass die Temperaturen am Donnerstag unter den Gefrierpunkt fallen, wurde die Recce um einen Tag verschoben.


Spannende Schneeschlacht bei der Rallye Schweden

Sebastien Ogier siegt bei der spannenden Rallye Schweden: Die Höhepunkte des Wochenendes Weitere Rallye-Videos

"Wir wussten, wie die Straßen aussehen würden. Und uns war klar, dass wir einige davon verlieren würden", sagt Olsson. Acht der 21 Prüfungen wurden gestrichen, eine weitere WP musste während der Rallye abgesagt werden. "Aber wir wussten, dass wir nach der Recce die Straßen bearbeiten können und sie innerhalb von 24 Stunden frieren." Den Teammanagern wurde dieser Plan mitgeteilt. Diese sagten es den Fahrern. Die Fahrer fuhren die Straßen ab und gingen dann auf die Barrikaden.

Fahrer plädierten für Absage

Vergesst es. Das war wie Wales, ein sehr nasses Wales. Das ist keine Winterrallye. Sorry, aber es ist unmöglich. Und was ist mit dem Plan? Vergesst den Plan, es wird nicht passieren. Es wäre zu gefährlich. Gefährlich! Da ist dieses Wort. Mit diesem Wort kommt fast alles zum erliegen. Wenn der Weltverband das Wort gefährlich hört, dann steht die FIA in der Pflicht. Wenn ein Fahrer etwas als nicht sicher bezeichnet und nichts unternommen wird, was geschieht dann, wenn das schlechteste Szenario eintritt?

Im Endeffekt hat Citroen-Motorsportchef Yves Matton am Sonntag gesagt: "Ich habe nicht gesehen, dass diese Rallye gefährlich wäre..." Natürlich ist die Rallye Schweden gefährlich. So wie jede andere Motorsportveranstaltung. Das steht auch auf dem Ticket geschrieben. Es war diesmal aber nicht gefährlicher als jede andere Rallye Schweden. Trotzdem hauten die Fahrer auf die Pauke und versuchten tatsächlich, die Rallye am Freitag zu unterbrechen, indem sie die Torsby-Prüfung boykottieren wollten.

Sie wollten, ja sie verlangten mehr Mitspracherecht. Ich habe kein Problem damit, wenn die Fahrer eine gemeinsame Stimme haben wollen. Es macht für sie Sinn, damit sie neben den Teammanagern eine Stimme haben. Die Fahrer hatten aber ihre Möglichkeit, denn sie sagten, dass die Rallye nicht stattfinden hätte sollen. Ihr bestes Szenario wäre eine Rallye am Freitag über einen Tage auf den Prüfungen in Norwegen gewesen. Im schlechtesten Fall hätten wir diese tolle Rallye verloren.

Zukunft der Rallye hing am seidenen Faden

Und das klingt gar nicht dramatisch. Es ist ein Fakt. 80 Prozent der Kosten für die Infrastruktur wurden schon im Vorfeld ausgegeben. Olsson schätzt, dass die Absage rund zwei Millionen Euro gekostet hätte. Genau das war für die Fahrer der Kern des Problems. Der WRC-Promoter, die Rallye-Veranstalter und die FIA stellten Olssons möglichen finanziellen Verlust und das Fehlen von Live-Bildern über die Sicherheit der Fahrer.

Ich kann diese Meinung nachvollziehen. Es wirkte phasenweise tatsächlich so. Am Donnerstagabend, als das Wunder des Temperatursturzes ausblieb, stimmte ich den Fahrern zu. Dann grub ich tiefer. Ich schaute mir die Hierarchie der Organisation an und wollte wissen, was sich hinter den Kulissen abspielt. Das Veranstaltungsteam kämpfte ums Überleben. Sie gaben alles. Schnee wurde zum zeremoniellen Start gebracht, die Straßen wurden immer wieder bewässert. Sollte das Wetter umschlagen, dann wollten sie bestmöglich vorbereitet sein.

Spät am Donnerstagabend fuhr Michele Mouton ein letztes Mal durch Torsby. Die Rallye würde stattfinden. "Für mich", sagte sie nach einem langen Tag hinter dem Steuer, "ist es okay, wenn Torsby gefahren wird." Zum ersten Mal glaubte das Veranstaltungsteam daran. Die extrem langen Arbeitstage würden sich endlich auszahlen. Die Temperaturen sanken und die Rallye war gerettet. Schweden wird ein weiteres Jahr kämpfen. Der neue Deal mit dem WRC-Promoter umfasst drei weitere Jahre.

Zweifellos wird es in Zukunft einige Änderungen bei dieser Rallye geben. Wenn das nicht passiert, dann wird diese Nachlässigkeit langfristig nicht toleriert werden. Am Ende war Sebastien Ogier froh, dass die Rallye doch noch gut gelaufen ist. Er hat verdient gewonnen, aber die Rallye-Veranstalter haben einen noch größeren Sieg davongetragen. Ja, die Fahrer hatten recht damit, ihre Bedenken kundzutun. Aber es gibt ein System, das funktioniert hat.

Wenn Torsby nicht sicher gewesen wäre, dann hätten sie die Prüfung nicht gestartet - egal ob es live im schwedischen Fernsehen war. Im Vorfeld der Rallye war das Gefahrenpotenzial hoch, aber am Ende war es das nicht. Wir brauchen jetzt von allen Seiten eine offene Diskussion bis Mexiko. Die Crews und die FIA müssen eine gemeinsame Vertrauensbasis finden. Je früher sie gefunden wird, desto besser ist es.