powered by Motorsport.com

Rallye Dakar: KTM-Motorsportchef Pit Beirer im Interview

Nach dem Rücktritt von Marc Coma tritt KTM bei der Rallye Dakar mit einer jungen Mannschaft an - Motorsportchef Pit Beier im großen Vorschau-Interview

(Motorsport-Total.com) - Seit 2001 hält die KTM-Siegesserie bei der Rallye Dakar. In den vergangenen Jahren trat die österreichische Marke mit den Topstars Marc Coma und Cyril Despres an. Die Duelle der beiden mehrfachen Sieger sind legendär. Despres verabschiedete sich nach seinem Triumph 2013 und Coma verkündete in diesem Sommer den Rücktritt und den Wechsel zum Organisationsteam des ASO. Auf dem Papier steht KTM ohne Nummer-1-Fahrer da.

Titel-Bild zur News: Pit Beirer

KTM-Motorsportchef Pit Beirer ist von seiner jungen Mannschaft überzeugt Zoom

Mit Matthias Walkner, Toby Price und Antoine Meo stehen drei vielversprechende Youngster in den Startlöchern. Der Österreicher Walkner trat bereits die Nachfolge von Coma an und holte sich überraschend den CrossCountry-WM-Titel. Neben den drei Youngstern steht Jordi Viladoms für die Routine im KTM-Werksteam. Motorsportchef Pit Beirer blickt im Interview mit 'Motorsport-Total.com' auf den Generationenwechsel, die technische Herausforderung und die Chancen bei der kommenden Rallye Dakar.

Frage: "Pit, KTM ist bei der Rallye Dakar seit 2001 ungeschlagen. Ist der Druck hoch, dass diese Serie halten muss?"
Pit Beirer: "Nach so vielen Siegen ist es natürlich unser Anspruch, diese Position zu verteidigen. Wir sind aber auch realistisch genug, dass diese Serie irgendwann reißen wird. Nichts ist für die Ewigkeit. Ich kann nur versprechen, dass wir alles daran setzen werden, dass das nicht passiert."

Frage: "Welchen Stellenwert hat die Dakar nach wie vor für KTM?"
Beirer: "Es ist eines unserer Standbeine, seit die Firma damals nach dem Konkurs wieder den Aufstieg geschafft hat. Heinz Kinigadner hatte damals den Traum, und aus dieser Euphorie heraus ist das entstanden. Die Dakar ist und bleibt eines unserer wichtigsten Aushängeschilder. Man kann seine Kompetenz im Offroad-Bereich beweisen. Die Dakar bleibt diesbezüglich die größte Herausforderung und ist deshalb für KTM absolut wichtig."

Coma-Rücktritt kam überraschend

Frage: "Durch den Rücktritt von Marc Coma habt ihr die Nummer 1, eure Referenz, verloren. Ist es ein großer Verlust für das Team?"
Beirer: "Für uns war es nicht ganz einfach. Bevor die Dakar losgeht, haben wir einen Plan für das nächste Jahr. Nach der Dakar haben wir verhandelt und die Mannschaft aufgestellt. Zu diesem Zeitpunkt war die klare Zusage von Marc, dass er auf jeden Fall noch ein weiteres Jahr fährt - wenn nicht sogar zwei. Dann haben wir im Sommer die Nachricht erhalten, dass er zum ASO wechselt."

"Für uns war das schon ein harter Schlag, denn es war vorgesehen, dass Marc unsere Nummer 1 bleibt und die jungen Fahrer noch Zeit haben, um sich zu entwickeln. Dann mussten wir relativ schnell die Strategie verändern. Klar wird Marc eine Lücke hinterlassen, aber auf der anderen Seite ist es auch eine Chance. Natürlich ist es ein Neuanfang und wurde von manchen Fahrern auch sofort als Chance erkannt. Jetzt sind wir sehr glücklich mit unseren Jungs."

Marc Coma

Im Januar 2015 holte Marc Coma seinen fünften Dakar-Sieg Zoom

Frage: "Mit Walkner, Sunderland und Price habt ihr recht junge Fahrer, die ihren Speed schon unter Beweis gestellt haben. Für KTM ist es ein richtiger Generationenwechsel, nachdem ihr viele Jahre mit erfahrenen Leuten zusammengearbeitet habt."
Beirer: "Auch für uns im Management ist es eine spannende Zeit, das zu beobachten. Sie hatten alle Respekt vor Marc. Sie hätten ihn nicht angegriffen, sondern wollten von ihm lernen, um besser zu werden. Wenn man ehrlich ist, dann war Marc die Nummer 1 im Rallye-Sport. Dann kamen vom Speed her die beiden Honda-Fahrer und dahinter schon unsere ganzen jungen Fahrer."

"Als der Marc dann weg war, haben unsere Burschen das Level so erhöht, dass sie bei der nächsten Rallye die beiden Honda-Jungs in der Luft zerrissen haben. Unsere Jungs haben den Speed und die Navigationsfähigkeiten auf ein neues Level gehoben. Wie schnell sie das geschafft haben, war für uns sehr interessant zu beobachten."

KTM Dakar-Team 2016

Generationenwechsel: KTM setzt auf vielversprechende Youngster Zoom

Frage: "Mit Jordi Viladoms habt ihr noch einen Routinier in euren Reihen. Ist er die 'Vaterfigur' für eure Youngster?"
Beirer: "Das sind Dinge, die wir nicht bestimmen oder vertraglich festlegen. Wir haben eine sehr gute Stimmung im Team. Jordi hat sich dieser Rolle angenommen. Er weiß, dass er noch die nächste Dakar fährt und dann als Profirennfahrer aufhört. Er verwaltet unsere Roadbücher und lernt unsere Fahrer an. Matthias hat bestätigt, dass er beim letzten Trainingscamp wieder einen Fortschritt gemacht hat."

"Jordi hat die Dakar nicht gewonnen, war aber schon Zweiter. Er war in den vergangenen Jahren auch der Partner von Marc und weiß unter Umständen mehr über das Rennen als Marc selbst. Das kann er den jungen Fahrern weitergeben. Da Jordi das Rennen nicht gewinnen muss, gibt er vielleicht auch die Tipps leichter weiter. Wir haben die bestmögliche Struktur im Team und auf keinen Fall durch den Rücktritt von Coma ein Notfallteam."

Beirer: "Matthias Walkner wird permanent unterschätzt"

Frage: "In Österreich wird Matthias Walkner durch seine Erfolge immer bekannter. Wie würdest du ihn charakterisieren, wo sind seine Stärken? Und woran muss er noch arbeiten, um ein Dakar-Sieger zu werden?"
Beirer: "Eine große Stärke in seiner bisherigen Karriere ist, dass er permanent unterschätzt wird. Viele Leute haben gedacht, er fährt Motocross und jetzt fährt er eben die Dakar. Viele haben ihn überhaupt nicht auf der Rechnung gehabt. Aber wie schnell er ist und wie professionell er arbeitet, das traut ihm kaum jemand zu. Viele glauben, er ist ein Supertalent und kann automatisch schnell fahren."

"Aber er arbeitet wie ein Verrückter und bereitet sich auch körperlich speziell auf die Dakar vor. Das Thema Navigation und Roadbook ist entscheidend. Viele fahren das Roadbook einmal ab, Matthias macht das mehrmals. Man sieht, wie schnell er sich entwickelt, er hat sich alles in kürzester Zeit hart erarbeitet. Das Talent, schnell Motorrad zu fahren, hat er sowieso. Sonst wäre er nicht da, wo er jetzt ist. Aber das reicht eben nicht. Matthias ist sehr fleißig und zurecht in dieser Position."

Matthias Walkner

Matthias Walkner wurde in Marokko CrossCountry-Weltmeister 2015 Zoom

"Ursprünglich war es eine Idee von Heinz Kinigadner, aber Matthias hat die Chance ergriffen und etwas Tolles daraus gemacht. Wir freuen uns sehr, dass er jetzt in dieser Position ist und Rallye-Weltmeister ist. Man muss schon festhalten, dass die WM zwischenzeitlich auch an Wert verloren hatte, aber seit Yamaha, Honda und KTM richtig angreifen, hat die WM wieder einen hohen Stellenwert. Eine Rallye kann man mal gewinnen, aber die WM gewinnt man nicht zufällig. Matthias hat eine Basis in diesem Sport, auf der er aufbauen kann."

Richtiges Management der "jungen Wilden"

"Da unsere jungen Fahrer nun versuchen werden, in die Nummer-1-Rolle zu schlüpfen, ist zum Teil auch unnötiger Druck dabei, den sie sich selber machen. Das kann natürlich auch gefährlich werden. Wenn sie permanent hinausfahren und versuchen, der schnellste KTM-Mann zu sein, dann müssen wir auf der Hut sein."

"Es wird unsere Aufgabe im Management sein, unsere Fahrer darauf einzustellen. Die innere Ruhe von Marc Coma haben wir jetzt nicht. Unsere Jungs fahren los und wollen gewinnen. Marc hat schon oft die Konkurrenz in der ersten Woche fahren lassen und hat dann in der zweiten Woche zugeschlagen. Wir müssen ein Auge darauf haben."

Sam Sunderland

Sam Sunderland muss nach Verletzung den Dakar-Start absagen Zoom

"Hinzufügen möchte ich auch, dass Matthias nicht die nächste Dakar gewinnen muss. Er hat den Speed und sich den Druck mit dem WM-Titel selbst auferlegt. Die Zeit wäre eigentlich zu kurz, um jetzt schon die Dakar zu gewinnen. Ich wünsche mir, dass er ein gutes Rennen fahren will, denn dann kommt automatisch ein gutes Ergebnis heraus. Und nicht, dass er sich den Druck macht, unbedingt gewinnen zu müssen."

Frage: "Du hast es angesprochen, das Level hat in den vergangenen Jahren durch Honda und Yamaha richtig angezogen."
Beirer: "Das hat auch uns wachsamer und scharfsinniger gemacht - Gott sei Dank. Wenn nur Fahrer deiner Marke gegeneinander fahren, dann willst du dich auch nicht einmischen. Du gibst allen die bestmöglichen Chancen und lässt die Fahrer selbst entscheiden. Man will auch nicht mit Gewalt etwas Neues erfinden. Am Ende gewinnt KTM - der Fahrer ist mehr oder weniger egal."

"Wenn eine andere Marke dabei ist, dann ist es dir nicht mehr egal wer gewinnt. Dann muss man seinen Gegner schlagen. Sie orientieren sich an uns und versuchen uns mit unseren eigenen Waffen zu schlagen. Deswegen muss man neue Wege einschlagen und mit Überraschungen kommen, denn wenn du alles gleich machst, wirst du nur Zweiter werden. Es macht uns richtig Spaß, dass wir richtig gefordert werden und nichts dem Zufall überlassen dürfen."


Dakar 2016: Das KTM-Team stellt sich vor

Seriensieger KTM startet die Rallye Dakar 2016 mit einem jungen Team. Ein Blick auf die neuen Stars. Weitere Rallye-Videos

Frage: "Mit Laia Sanz habt ihr auch eine sehr talentierte Dame im Aufgebot. Im Vorjahr ist sie in die Top 10 gefahren. Es ist beeindruckend zu sehen, dass auch Frauen bei so einer harten Veranstaltung konkurrenzfähig sein können."
Beirer: "Sie ist als Persönlichkeit eine große Bereicherung. Und was Laia leistet, ist wirklich unglaublich. Man braucht hier nicht über Frau oder Mann reden. Wenn man bei der Dakar unter die ersten Zehn fährt, da gibt es nicht viele, die das in ihrer Motorradkarriere schaffen. Insgesamt haben wir ein ganz tolles Team beisammen. Wir haben die jungen Wilden mit der besten Frau. Somit fühlen wir uns richtig gut aufgestellt."

Keine Experimente beim Motorrad

Frage: "Werfen wir einen Blick auf die Technik. Was ist neu an der KTM 450 Rally und auf welchen Bereich habt ihr euch bei der Entwicklung konzentriert?"
Beirer: "Für die letzte Dakar hatten wir ein ganz neues Motorrad entwickelt und werden damit auch kommenden Januar fahren. Wir verwenden das gleiche Basiskonzept. Eine Rennabteilung will immer das Gewicht etwas minimieren, etwas mehr Ansprechverhalten von unten heraus finden, sowie etwas mehr Spitzenleistung. Die Rennfahrer wollen natürlich alles haben und unsere Ingenieure tüfteln an Details."

"Wir wollen die nächste Dakar mit einer stabilen Technik bestreiten. Es gibt keine Experimente und kein radikal neues Motorrad. Wir haben unser bestehendes Bike verfeinert. Die Motoren sind etwas stärker und wir haben etwas Gewicht abgespeckt. Das sind im modernen Rennsport aber normale Dinge, die man tun muss, weil es die Konkurrenz auch macht."

Laia Sanz

Die Spaniern Laia Sanz ist die beste CrossCountry-Fahrerin Zoom

Frage: "Die Marke Husqvarna ist mit den Fahrern Pablo Quintanilla und Ruben Faria auch vertreten. Handelt es sich um das baugleiche Motorrad wie die KTM?"
Beirer: "Ja, es gibt technisch keine Unterschiede. Wir haben hier ein Differenzierungsproblem, denn die Ingenieure bauen das bestmögliche Motorrad. Deshalb tun wir uns schwer, eine zweitbeste oder bessere Maschine zu bauen. Es gibt technische Lösungen für die Dakar, die unserer Meinung nach fantastisch sind. Da haben wir gar nicht die Möglichkeit, eine andere Lösung zu finden."

Zuverlässigkeit extrem wichtig

Frage: "In den vergangenen Jahren war auch die extrem gute Zuverlässigkeit auffällig. Ein Motorwechsel bedeutet gleich eine Strafe von 15 Minuten und kann den Sieg kosten. Das ist sicher eine der Stärken der KTM?"
Beirer: "Deswegen habe ich vorhin über Experimente gesprochen. Du musst dir für die Dakar wirklich überlegen, ob man auf ein komplett neues Motorrad wechselt. Ein neues Motorrad kann schneller und leichter sein, aber es muss auch ins Ziel fahren. Zuverlässigkeit ist extrem wichtig."

"Das Rennen ist schon sehr eng geworden. Früher war der Navigationsanteil größer und die Zeitunterschiede waren größer. Die Topfahrer hatten meistens die Reserve, dass sie einen oder zwei Motoren tauschen konnten. Jetzt ist das Rennen viel enger, es gibt viele Enduro-Passagen, wo auf die letzte Sekunde gefahren wird. Man kämpft jetzt den ganzen Tag um die Zeit. Beim letzten Mal haben wir mit einem Vorsprung von 14 Minuten und ein paar Sekunden gewonnen. Ein Motorwechsel hätte den Sieg gekostet."

KTM 450 Rally

Die KTM 450 Rally ist ein ausgereiftes und zuverlässiges Motorrad Zoom

"Das muss man sich einmal vorstellen: Wir sind beim letzten Mal durch einen Salzsee gefahren. Bei Trockenheit wäre es eine Vollgaspassage gewesen, aber es hat geregnet. Dann fährt man einige Stunden im Salzwasser. Die Kühler waren zu und die Motoren überhitzt. Dafür braucht man natürlich ein Motorrad, das man genau kennt. Das ist im Vergleich zu unserer Konkurrenz ein großer Vorteil für uns, und das müssen wir natürlich voll ausspielen."

Frage: "Und wie schätzt du eure Konkurrenz ein?"
Beirer: "Die stärkste Konkurrenz wird mit Barreda und Goncalves von Honda kommen. Das sind zwei sehr starke Jungs. Barreda ist sehr schnell, macht aber immer wieder große Fehler. Goncalves ist konstant schnell und ist wahrscheinlich der gefährlichere Gegner. Honda weiß mittlerweile auch, wie man ein starkes Motorrad baut. Sie sind sicher unser stärkster Konkurrent."

Frage: "Wie gefällt dir die Route durch Argentinien und Bolivien?"
Beirer: "Da müsste man die Fahrer fragen. Im Vorfeld wird immer wieder geredet, dass hier etwas fehlt und es dort zu leicht ist. Ich habe noch nie eine einfache Dakar erlebt. Die Route wird sicher schwierig sein. Wir machen uns gar nicht so viele Gedanken. Wir wollen wissen, wo der Start und das Ziel ist, und dann werden wir alles geben."