• 24.11.2016 14:48

  • von Arantxa Dörrié

Ideen, die die Welt veränderten

Zum 1. Advent: Eine Weihnachtsgeschichte über kleine Jungs, große Männer und wie aus Träumen und Visionen Wirklichkeit werden kann

(Motorsport-Total.com/Classic-Car.TV) - "Wir sollten endlich mit dem Unsinn aufhören,
über Fluggeräte, die schwerer als Luft sind, nachzudenken. Das kann nicht funktionieren.?
Lord Kelvin, 1895

Titel-Bild zur News: Historischer Flughafen Böblingen

1929 landete erstmals ein Zeppelin auf dem Flughafen Böblingen Zoom

"Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten - allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren."
Gottlieb Daimler, 1901

Nachts im Hangar

Timos Anspannung war mit einem Schlag weg, vergessen die Angst vor der Standpauke, die ihn erwartete, sobald Mama und Papa sein Verschwinden entdeckten. Kurz vor dem Abendessen hatte er ihnen zugerufen, "ich bin beim Andi", und hatte sich stattdessen mit seinem Fahrrad auf dem Weg zur Motorworld gemacht. Er musste einfach nochmal diesen Ort besuchen, der vor 100 Jahren mal ein Flughafen gewesen war, auf dem sogar riesige Zeppeline landeten, und wo man heute wunderschöne alte Autos ansehen konnte. Dieser ganze Chrom, das schöne Leder, die riesigen Scheinwerfer ... Wahnsinn, was für Karossen die früher gebaut hatten!

Es war spät in der Nacht, alle waren schon nach Hause gegangen. Er aber saß hier, mitten in dem ehemaligen Hangar, ganz im Stillen, und erinnerte sich an seinen Großvater, mit dem er das erste Mal diesen ganz besonderen Ort erkundet hatte. "Mein Junge", hörte er ihn sagen, "du machst große Augen, wenn du diesen Ort und diese alten Automobile siehst.

Wenn du wüsstest: Vor langer, langer Zeit gab es Menschen, die für verrückt erklärt wurden, weil sie verrückte Ideen hatten. Sie waren es jedoch, die eine Vision hatten, sie waren der Ursprung dieser Autos, von Luftschiffen, Flugzeugen und so vielen anderen Dingen, die für uns so selbstverständlich geworden sind." Und mit einem Seufzen hatte er schließlich festgestellt: "Lass dir deine Ideen nicht rauben, Timo, die Menschheit braucht Ideen!"

Ein seltsames Licht

Verstanden hatte er seinen Großvater damals nicht. Was brauchte die Menschheit seine Ideen? Wirr waren sie, sagte Vater immer. Leider war es zu spät, seinen Großvater danach zu fragen. Diese Weihnacht würde er nicht mehr da sein, ihn an die Hand nehmen und mit ihm mal wieder diesen tollen Ort besuchen. Opa war für immer gegangen ...

Als eine dicke Träne Timos Wange hinunter kullerte, blinzelte er. Wenn auch unbeobachtet, weil er ganz alleine hier saß, schämte er sich, Schwäche zu zeigen. "Männer weinen nicht!", hörte er seinen Vater sagen. Doch plötzlich blinzelte er umso mehr. Seine Augen fokussierten und kämpften zugleich gegen einen Lichterregen an, der, wie aus dem Nichts, den Raum erleuchtete.

Noch bevor Timo erkennen konnte, was mitten in der Halle vor sich ging, hörte er einen dumpfen Schlag. Und noch einen. Dann wurde es wieder dunkel. Timo rieb sich die Augen, versuchte auszumachen, was da gerade passiert war. Plötzlich nahm er zwei Schatten wahr, dann eine Stimme. Sie hörte sich an wie die verrosteten Saiten einer alten, lange nicht mehr gestimmten Gitarre. "Guten Abend, der Herr." "Guten Abend", erklang eine zweite sehr rauchige Stimme.

Merkwürdige Gestalten

So langsam gewöhnten sich Timos Augen wieder an die Dunkelheit, sodass er schließlich zwei merkwürdig gekleidete Herren erblickte. Erschrocken duckte er sich hinter einem der großen Oldtimer. Dann lugte er verstohlen hinter dem breiten Kotflügel hervor. Was waren das denn für Gestalten?! Die sahen ja aus, als würden sie einen Faschingsball besuchen wollen. Timo spitzte die Ohren und wartete ab, während die beiden komischen Typen sich gegenüberstanden und neugierig musterten.

Der Herr mit dem nach oben gezwirbelten weißen Schnauzbart und einer Kapitänsmütze auf dem Kopf, die in Timos Augen völlig aus der Zeit war, sprach als erster: "Darf ich fragen, wem ich die Ehre habe, gegenüberzustehen?"

Hallo, wie seltsam redete der denn! "Mein Name ist Benz, Carl Benz, aus Mannheim." Ja klar, dachte Timo und lachte in sich hinein. Vielleicht übten die zwei für eine Weihnachtsaufführung in der Motorworld? Er würde das morgen gleich mal googeln. Fasziniert verfolgte er die Szene weiter. "Es ist mir eine Ehre, Herr Benz." Etwas steif, aber umso ehrwürdiger, verbeugte sich der alte Mann mit der Kapitänsmütze. "Ich empfehle mich: Ferdinand Graf von Zeppelin. Lange Jahre in Friedrichshafen am Bodensee tätig."

Carl Benz

Der 81-Jährige Carl Benz auf seinem Patent-Motorwagen Zoom

Eine fremde Welt

"Die Ehre ist ganz meine, Graf Zeppelin. Sie haben die Luftschiffe erfunden." "Und sie den pferdelosen Motorwagen. Eine reife Leistung." Der Graf verbeugte sich abermals. "Können Sie mir sagen, wo wir uns hier eingefunden haben?" Erst jetzt schienen die Herren ihre Umgebung wahrzunehmen. Ihre zunehmende Verwunderung war spürbar.

"Was sind das für befremdliche Gerätschaften?" Der Mann, der sich als Carl Benz ausgegeben hatte und dessen Schnauzbart auch nicht von schlechten Eltern war, schüttelte ungläubig den Kopf. "Nun, Herr Benz, wenn mich nicht alles täuscht, sind wir hier in einer Automobilhalle. Das sehen Sie doch!"

"Ja, aber ..." Vorsichtig näherte sich dieser einem SL-Flügeltürer. "Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass das ein Motorwagen ist! Wo bitte soll hier der Chauffeur Platz nehmen?"
Hallo?!? Timo kicherte. Das waren ja echt schräge Vögel. "Wer auch immer dort im Hintergrund wittert ..." Timo erstarrte. Oh-oh, Sie hatten ihn entdeckt. ... er trete vor!", polterte der alte Graf in militärischem Ton.

Zwei Legenden stellen sich vor

Wenn auch etwas beängstigt, verließ Timo sein Versteck. Er fühlte sich zu den zwei Gestalten magisch hingezogen. Erst mit vorsichtigen, dann umso resoluteren Schritten, nahm er Kurs auf die beiden und baute sich schließlich mit seiner stattlichen Größe eines Zwölfjährigen vor ihnen auf. "Hallo, ich bin Timo." Er streckte dem angeblichen Grafen Zeppelin seine Hand entgegen.

Mit strengem Blick schaute der alte Mann auf ihn hinab. "Was ist das für eine Anrede! Ich darf doch bitten, junger Mann!", maßregelte er Timo und verweigerte den Gruß. Viel zu fasziniert von dem, was da gerade passierte, ließ sich Timo nicht einschüchtern. Stattdessen wandte er sich dem anderen Mann zu und streckte nun diesem seine Hand entgegen: "Und sie sind wirklich Carl Benz?!" Er grinste frech. "Der Erfinder des Automobils?!" "Das bin ich mein Junge." Der Mann zeigte weniger Zurückhaltung und schüttelte Timos Hand. "Kannst du uns sagen, wo wir hier sind?"

"Oh ja!" Vergessen waren Timos Angst und Nervosität. "Das hier ist ein Ort, der tolle Geschichten erzählt." Er dreht sich um seine eigene Achse. "Sehen Sie da", er zeigte auf den SL der 1960er Jahre, den Benz vorhin kritisch beäugt hatte. "Ein Sportwagen Mercedes-Benz Flügeltürer." Er zwinkerte dem Mann zu. "Wer so einen fährt, will keinen Chauffeur, sondern selbst fahren. Das ist mega!"

Was ist "googeln"?

Dann wandte er sich dem anderen Mann zu. "Für Sie, Graf Zeppelin, oder wer auch immer Sie wirklich sind, dürfte das hier auch total cool sein", nun zeigte er auf die Glasfront des Hangars und auf das dahinter liegende Außengelände. "Dort sind früher die riesigen Zeppeline gelandet, auch das Luftschiff LZ 127 Graf Zeppelin!"

"Absurd! LZ 127 hat es nie gegeben, schon gar nicht ein Luftschiff mit meinem Namen", konterte der alte Mann entrüstet. "Was erzählst du da, Junge?!" "Doch, doch!" Timo hob wissend den Finger. "Auch die Hindenburg und die Graf Zeppelin II wurden danach noch gebaut. Mein Opa hat die sogar alle gesehen. Sie können das googeln." Entschlossen zog er sein Smartphone aus der Hosentasche und reichte es dem Grafen. Dieser nahm das Gerät mit spitzen Fingern und betrachtete es abfällig.

"Was ist das?", schaltete sich Carl Benz nun ein und beäugte Timos Smartphone neugierig. "Es blinkt", schrak er plötzlich zusammen, als auf dem Bildschirm eine neue Nachricht aufpoppte. "Junger Mann!" Unwirsch reichte Graf Zeppelin Timo das Höllengerät zurück. "Mir scheint, hier gibt es Einiges zu klären."

Eine Reise durch Raum und Zeit

Er packte Timo am Arm und führte ihn zu einer Empore. Als alle drei dort Platz genommen hatten, murmelte der alte Graf: "Zeitreise ... eine Zeitreise in die Zukunft ... das muss es sein." Er nickte bedächtig, schien ganz in Gedanken. "Sie vermuten, wird sind auf einer ... Zeitreise?", warf Carl Benz erstaunt ein.

Graf Zeppelin

Graf Ferdinand von Zeppelin Zoom

"Ich habe schon damals Überlegungen gehabt. Meine Luftschiffe sollten irgendwann nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit überbrücken ..." Deutlich freundlicher als zuvor, wandte sich Graf Zeppelin an Timo und bat: "Erzähl uns ein wenig aus deiner Zeit, junger Mann. Ich bin neugierig, was aus der Welt geworden ist." "Ja", auch Benz war Feuer und Flamme. "Und was bitte ist dieses Googeln von dem du immer sprichst?!"

"Also, wir sind im Jahr 2015 ..." Timo setzte sich im Schneidersitz zwischen die zwei Herren und begann zu erzählen. Über Autos, Flugzeuge, das neue Zeppelin Luftschiff, was seit einigen Jahren am Bodensee wieder gebaut wurde. Und natürlich ließ er Smartphones und Apps, Google und Facebook nicht aus. Und je mehr er von seiner Welt erzählte, umso größer wurden die Augen der beiden alten Herren ...

Alles entstand aus Ideen

"So ist meine Welt." Timo rieb sich müde, aber immer noch vollkommen aufgedreht die Augen. Als er durch die Glasfront des Hangars blickte, stellte er erstaunt fest, dass die Sonne gerade aufging. Unfassbar, er hatte die ganze Nacht mit Graf Zeppelin und Carl Benz verbracht. Und sie waren es wirklich - auf Zeitreise in deren Zukunft und Timos Gegenwart. Ach, Opa, dachte er wehmütig, hast du mir die zwei vom Himmel geschickt ...?

"Hey", rief Timo jetzt laut. Er nahm erst die Hand des einen Mannes, dann des anderen. "Schaut euch mal um!" Er sprang auf und forderte die alten Herren auf, ihm zu folgen. Er führte sie durch die Reihen der unzähligen Autos, Oldtimer und Youngtimer, erzählte Geschichten, die er von seinem Großvater über all die tollen Fahrzeuge erfahren hatte.

Dann erkundete er mit ihnen auch noch die Legendenhalle der Motorworld. Unterhalb des Flugzeugs, das an die Flieger- und Luftschiffgeschichte des Standortes erinnerte, blieb er schließlich stehen. "Das alles ist aus Euren Ideen entstanden. Ich weiß es von meinem Opa." Er nickte resolut. "Autos, Luftschiffe, Flugzeuge ... ohne euch hätte es sie niemals gegeben!"

Jetzt verstand er seinen Großvater

Stille kehrte ein. Die alten Herren aus einer anderen Zeit und Timo, der Junge von heute, hingen ihren Gedanken nach. Schließlich ergriff Graf Zeppelin das Wort: "Mein Junge", er neigte den Kopf, "wenn alles, was du uns erzählt hast, wahr ist, dann hat es sich gelohnt ..." Bedächtig schüttelte er den Kopf. Nun lächelte der Luftschiff Pionier sogar verschmitzt. "Weißt du, Kaiser Wilhelm hat damals über mich gesagt, ich sei der dümmste aller Süddeutschen."

"Blödmann!", rief Timo aus und unterstrich seine Entrüstung mit einer wegwerfenden Handbewegung. "Und wenn ich nicht meine Bertha gehabt hätte ...", Carl Benz strich gedankenverloren über den Kotflügel eines auf Hochglanz polierten Sportwagens. "Es hat alles einen Sinn gehabt ..."

Schlagartig hatte Timo wieder das Bild seines Großvaters vor Augen. Und diesmal schämte er sich nicht der Träne, die seine Wange hinunter kullerte. Schließlich stellte er fest. "Ihr seid Helden, eure Ideen haben die Welt verändert!" Er nickte resolut mit dem Kopf. Plötzlich hielt er inne. Jetzt verstand er, was Opa ihm hatte sagen wollen. "Mein Großvater hat mir oft gesagt, auch ich soll an meine Ideen glauben!", stieß er aufgeregt aus. "Mach das, mein Junge", Graf Zeppelin klopfte Timo auf die Schulter. "Ich habe immer schon gesagt: Man muss nur wollen und daran glauben, dann wird es gelingen." Carl Benz nickte abermals: "Die Liebe zum Erfinden höret nimmer auf."

Nur geträumt?

"Timo!" Seine Mutter schüttelte ihn aus dem Schlaf. "Wach endlich auf, du musst zur Schule!" "Mama", Timo rieb sich die Augen und schloss sie gleich wieder. Kurzzeitig kehrte er in Gedanken zurück zu seinem nächtlichen Traum, der sich so real angefühlt hatte. Dann sprang er aus dem Bett, um voller Inbrunst festzustellen: "Ich kann jetzt nicht in die Schule, Mama. Ich muss an meiner Vision arbeiten. Das habe ich Graf Zeppelin und Carl Benz versprochen!"

"Ach mein Junge, du und deine verrückten Ideen!" Timos Mutter seufzte ergeben, schenkte ihm ein mütterliches Lächeln. "Junger Mann", schaltete sich sein Vater nun ein und erhob drohend den Finger. "Deine Träumereien werden noch Konsequenzen haben!"

Ja, dachte Timo und grinste in sich hinein, die Konsequenzen würde er gerne in Kauf nehmen, solange er an seine Idee glaubte. Das war er seinen alten, neuen Freunden und vor allem seinem Opa schuldig. Und eine Idee, die die Welt verändern konnte, hatte er auch schon ... eine Zeitmaschine, um alle drei bald wiederzusehen!

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