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Kolumne: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Ein übermächtiger Teamkollege, der zu "Everybody's Darling" mutiert, null Punkte und ein angsteinflößender Sturz: Jorge Lorenzo erlebt in Katar ein Debakel

Titel-Bild zur News: Jorge Lorenzo

Jorge Lorenzo stand bei Ducati erneut im Schatten von Andrea Dovizioso Zoom

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,
ich bin erleichtert: Die MotoGP macht 2018 an der Stelle weiter, an der die vergangene Saison endete. Ehrlich gesagt war ich auf Grund der extrem hohen Erwartungen an die neue Saison etwas skeptisch. Was ist, wenn das mit Spannung erwartete erste Rennen der Saison zu einer One-Man-Show wird? Was ist, wenn die Kräfteverhältnisse sofort klar verteilt sind? Diese Bedenken lösten sich zum Glück in Luft auf, als die Akteure in der Wüste loslegten. Andrea Dovizioso entschied ein weiteres packendes Duell mit Marc Marquez für sich. Ursprünglich plante "Dovi", dem Feld davonzufahren und das Rennen zu kontrollieren. Ich denke, die MotoGP-Fans waren ihm nicht böse, dass er zu Plan B übergehen musste.

Für Ducati-Teamkollege Jorge Lorenzo lief es in Katar weniger erfreulich. Es war nicht zwingend der Horror-Sturz auf Grund des Bremsversagens, der ihn zum perfekten Kandidaten für unsere Montags-Kolumne macht. Ich bin überzeugt, Lorenzo hatte nicht nur wegen des Nullers keinen ruhigen Schlaf. Der Saisonauftakt sollte nach einer durchwachsenen Debütsaison mit der Desmosedici sein wahrer Startschuss bei Ducati sein. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit dem erfolgsverwöhnten Spanier.

Böse Blicke und Kopfschütteln

Bereits in den Trainings wurde Lorenzos Rhythmus gestört. Technische Zwischenfälle, wie der spektakuläre Funkenschlag im zweiten Freien Training, warfen den Plan von Crewchief Cristian Gabbarini durcheinander. Und Lorenzo ließ sich den Ärger anmerken. Kopfschütteln und böse Blicke sind Gift für die Stimmung in der Box und ein Zeichen von Schwäche. Auf der anderen Seite der Ducati-Box ging es harmonisch, geordnet und souverän zu: Dovizioso wirkte konzentriert und zielstrebig. Er hatte einen Plan, Lorenzo nicht.

In den beiden Auftakttrainings sicherte sich Dovizioso die Bestzeiten und sägte damit an Lorenzos Nervenkostüm. Etwa eine halbe Sekunde lag der bestbezahlte MotoGP-Pilot zurück. Und im Qualifying kam es für Lorenzo noch schlimmer: Startplatz neun auf der Paradestrecke in Losail. Erneut machte er technische Probleme für das enttäuschende Ergebnis verantwortlich.

Jorge Lorenzo

Auch 2018 noch keine perfekte Paarung: Lorenzo und die Ducati Desmosedici Zoom

Im Rennen war nach zwölfeinhalb Runden Schluss. Eine defekte Vorderradbremse zwang Lorenzo, bei knapp 200 km/h mehr oder weniger freiwillig dazu, vom Motorrad zu springen, um Schlimmeres zu verhindern. Vermutlich jeder, der schon einmal ähnliche Geschwindigkeiten mit einem Motorrad unterwegs war, kann sich vorstellen, dass solche Erlebnisse nicht förderlich sind, wenn es darum geht, das Vertrauen in die Technik zu steigern.

Nur noch viertbester Ducati-Pilot?

Die MotoGP-Vergangenheit lehrt uns, dass Lorenzos Psyche nicht immer so stabil war, wie man es von einem MotoGP-Profi erwartet. Ich erinnere mich gut an den peinlichen Frühstart in Austin vor vier Jahren. Damals spürte Lorenzo, dass Valentino Rossi bei Yamaha zu alter Stärke findet. Sobald es nicht nach Plan lief, schüttelte der Mallorquiner immer wieder mit dem Kopf und ließ sich den Frust anmerken.

Was mich am meisten schockiert, ist der Fakt, dass Lorenzo bis kurz vor seinem Ausfall nur viertbester Ducati-Pilot war. Klar, gegen den enorm starken Dovizioso konnte er in Katar nichts ausrichten. Dass aber auch die beiden Pramac-Piloten Danilo Petrucci und Jack Miller vor Lorenzos Nase herumtanzten, dürfte den dreimaligen MotoGP-Champion richtig wurmen.

Jack Miller, Jorge Lorenzo

Jack Miller forderte Jorge Lorenzo beim Saiosnauftakt in Katar heraus Zoom

Ich bin überzeugt, dass Lorenzo auch mit der Ducati einige Rennen gewinnen kann. Doch dafür muss alles stimmen. Und in der heutigen MotoGP mit den ständig wechselnden Reifenmischungen, den unvorhersehbaren Kräfteverhältnissen und dem enormen psychischen Druck zähle ich Lorenzo nicht zu den WM-Kandidaten.

Rossi verhindert Lorenzos Rückkehr zu Yamaha

Besonders bitter sieht es für Lorenzo aus, wenn man in die Zukunft schaut. Ausgerechnet Erzrivale Valentino Rossi, der bei Ducati 2011 und 2012 eine ähnlich durchwachsene Zeit erlebte, ließ am Donnerstag vor dem ersten Grand Prix der Saison Lorenzos Hoffnungen auf eine Rückkehr zu Yamaha platzen. Auch 2019 und 2020 wird Lorenzos ehemaliger Arbeitgeber mit der aktuellen Fahrerpaarung weitermachen. Eine Re-Union von Lorenzo und Yamaha gibt es also frühestens 2021. Ob Yamaha auf den dann 34-Jährigen setzt, lässt Zweifel aufkommen.

Bei Ducati empfahl sich Danilo Petrucci beim Saisonauftakt für einen Aufstieg ins Werksteam und könnte immer mehr zu einer Gefahr für Lorenzo werden. Petrucci meint es ernst: Aus dem etwas moppeligen und drolligen Italiener ist spätestens im vergangenen Winter ein Topathlet geworden, der für seine Karriere alles gibt. Er zeigte in Losail sowohl im Qualifying als auch im Rennen starke Leistungen und war Lorenzo überlegen. Komplettiert "Petrux" im kommenden Jahr das italienische Dream-Team?


Fotos: Ducati, MotoGP in Doha


Ihr,

Sebastian Fränzschky

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