• 11.03.2005 08:54

Formel-1-Pneus - "Verschleiß hat viele Gesichter"

Die Reifen in der Formel 1 sind immensen Kräften ausgesetzt, Michelins Motorsportdirektor Pierre Dupasquier erklärt die möglichen Folgen

(Motorsport-Total.com) - Der Saisonauftakt ist gelaufen, die ersten Fragen zur "neuen" Formel 1 beantwortet - doch die Spannung, wie sich die neuen Reifenregeln auswirken werden, bleibt. Die Michelin-Rillenslicks von Australien-Sieger Giancarlo Fisichella und dem drittplatzierten Fernando Alonso jedenfalls sahen nach der Zieldurchfahrt in Melbourne fast taufrisch aus. Ein gutes Indiz für ihre Haltbarkeit, doch noch kein Beweis. Denn Reifenverschleiß kann viele Gesichter haben, wie Michelins Motorsportdirektor Pierre Dupasquier erklärt.

Titel-Bild zur News: David Coulthard

Einige Belastungen für die Reifen sind auch optisch gut sichtbar

Im Lauf eines Grand-Prix-Wochenendes treten verschiedene Arten von Abnutzung auf, die auf unterschiedliche Weise die Leistung der Pneus beeinflussen. "Wenn sich Vorder- und Hinterräder ungleichmäßig abnutzen, verändert sich das Handling des Autos", erklärt Michelins Motorsportdirektor Pierre Dupasquier einen grundlegenden Sachverhalt. "Verliert die Vorderachse an Grip, kann der Fahrer schlechter einlenken. Er muss früher bremsen und gefühlvoller fahren, um dem Untersteuern zu begegnen. In diesem Fall ist es wichtig, weniger Last auf die Vorderräder zu bringen, da sich der Effekt sonst noch verstärkt." Rundenzeit kosten nachlassende Vorderreifen dennoch.#w1#

Dasselbe gilt, wenn sich die Hinterräder stärker abnutzen als die vorderen Pneus und das Auto anfängt zu übersteuern. "Besonders beim Herausbeschleunigen aus langsamen Kurven muss der Fahrer vorsichtiger mit dem Gas umgehen, um die Reifen nicht zu überfordern", so Dupasquier. "Natürlich spielt das Chassis-Setup eine wichtige Rolle. In dieser Saison wird es wichtiger denn je sein, die aerodynamische Balance auf die steiferen Konstruktionen und Reifenmischungen von Michelin anzupassen." Der entscheidende Faktor bleiben jedoch die Fahrer: Von ihrer Rennintelligenz hängt es ab, ob die Reifen ihre Leistung über die gesamte Renndistanz aufrecht erhalten.

Grundsätzlich gibt es drei Formen der Reifenabnutzung, die Dupasquier folgendermaßen beschreibt:

Blasenbildung
"Die Blasenbildung wird durch einen Temperaturanstieg an bestimmten Punkten des Reifens verursacht - meist durch eine Kombination von starker Beschleunigung und hoher Fliehkraft in Kurven, die sowohl vertikal als auch lateral wirkt. Die gut sichtbaren Blasen entstehen auf der Oberfläche des Reifens, wo sich überhitzter Gummi abgelöst hat. Zunächst wirkt sich dies kaum auf die Rundenzeiten aus. Aber wenn die Hinterräder - an denen dieses Phänomen am häufigsten auftritt - anfangen zu rutschen, überhitzen sie noch stärker und lassen dramatisch nach."

"Obwohl sich die Lauffläche schnell erhitzen kann, hat Gummi natürliche isolierende Eigenschaften, die das Ansteigen der Temperatur unter der Oberfläche verlangsamen. Sobald aber das Innere des Reifens überhitzt, wirft dieser schneller Blasen und der Zustand der Lauffläche verschlechtert sich rapide. Wenn sich der Reifen kurz nach der Zieldurchfahrt dem Ende seiner natürlichen Lebensdauer nähert, wissen wir, dass wir unsere Hausaufgaben ordentlich gemacht haben", wandelt der Michelin-Rennleiter einen berühmten Spruch des Lotus-Konstrukteurs Colin Chapman ab.

Körnen (Graining)
"Das Körnen kann prinzipiell bei jeder Sorte Rennreifen auftreten, die in der Formel 1 verwendeten Rillenreifen sind aber anfälliger für diese Form der Abnutzung. Der Begriff 'Graining' wurde in Amerika geprägt, wobei ich denke, dass man den Effekt besser als 'Abschälen' beschreiben könnte."

"Beim Körnen löst sich eine feine Gummischicht von der Lauffläche und lagert sich als dünner Wulst auf der Oberfläche des Reifens ab. Das geschieht oft, wenn der Pneu hohe seitliche Lasten aufnehmen muss. Als Folge des Grainings beginnt das Auto zu untersteuern. Normalerweise stabilisiert sich der Zustand des Reifens aber nach wenigen Runden, wenn der überflüssige Gummi durch den normalen Abnutzungsprozess wieder abgefahren wird. Auf manchen Rennstrecken, besonders solchen, auf denen man häufig aus langsamen Kurven stark beschleunigen muss, sind auch die Hinterräder von diesem Phänomen betroffen."

Lineare Abnutzung
"In diesem Fall nutzen sich Vorder- und Hinterräder durch den normalen Abrieb gleichmäßig ab. Der Gripverlust bleibt von Runde zu Runde konstant, die Balance des Chassis verändert sich nicht. Geschieht die Abnutzung linear und bleiben die Reifen konstant, können sich die Rundenzeiten eines Autos im Lauf des Rennens sogar verbessern - ein Ergebnis des durch Benzinverbrauch leichter werdenden Wagens."