Jeff Gordons Rücktritt: Überraschung, Scheidung, Verständnis

Tony Stewart wurde von Jeff Gordons Rücktrittsankündigung eiskalt erwischt, Clint Bowyer spricht von Scheidung, Jeff Burton kann die Entscheidung nachvollziehen

(Motorsport-Total.com) - Die Bekanntgabe, dass der viermalige NASCAR-Champion Jeff Gordon die Saison 2015 zu seiner persönlichen Abschiedstour macht, um sich nach dem Saisonfinale am 22. November in Homestead aus dem Cockpit des Hendrick-Chevrolet mit der Startnummer 24 zu verabschieden, kam am Donnerstag der vergangenen Woche aus heiterem Himmel.

Titel-Bild zur News: Jeff Gordon

Jeff Gordon steigt am 22.11.15 zum letzten Mal aus dem Hendrick-Chevy mit der 24 Zoom

Zwar hatten sich Gordon und Teambesitzer Rick Hendrick schon im Sommer 2014 darauf verständigt, doch sie hielten dicht. Gemeinsam wurde Ende Juli Gordons fünfter Sieg beim Brickyard 400 in Indianapolis gefeiert, anschließend die Siege auf dem Michigan Speedway und beim Chase-Rennen in Dover zelebriert. Bis zur letzten Kurve des vorletzten Chase-Rennens in Phoenix stand Gordon virtuell im finalen Titelkampf.

Dann aber nahm ihm Childress-Pilot Ryan Newman mit seinem Last-Minute-Move gegen Kyle Larson den Platz im Homestead-Finale doch noch ab. Auch ohne Chance auf den Titel dominierte Gordon in Homestead von der Pole-Position aus und führte 161 der 267 Runden an, um nach fragwürdiger Schlussstrategie doch nur Zehnter zu werden.

Zu keinem Zeitpunkt der Saison 2014 - weder nach dem Indianapolis-Sieg, noch nach dem an Teamkollege Dale Earnhardt Jr. verlorenen Martinsville-Sieg, noch nach der Texas-Keilerei mit Brad Keselowski, noch nach dem denkbar knappen Ausscheiden aus dem Titelkampf in Phoenix - gab es aus dem Hendrick-Lager Andeutungen, dass Gordons Rücktritt nicht mehr allzu weit entfernt liegt.


Fotostrecke: Jeff Gordons Drive for Five

Tony Stewart wird wehmütig

So wurden von der Ankündigung am 22. Januar nicht nur Fans und Medienvertreter überrascht. Auch Gordons Konkurrenten hatten keinen blassen Schimmer. "Ich wurde komplett überrascht. Ich glaube, es traf jeden wie aus heiterem Himmel", bemerkte der dreimalige NASCAR-Champion Tony Stewart anlässlich der Media-Tour in Charlotte.

Jeff Gordon, Tony Stewart

Tony Stewart, genau wie Gordon 43 Jahre alt, wurde komplett überrascht Zoom

Kurz nach Stewarts NASCAR-Debüt in der Saison 1999 hatten er und Jeff Gordon sich das eine oder andere hitzige Duell auf und neben der Strecke geliefert. Das Kautz-und-Maus-Spiel in den Esses von Watkins Glen 2000 inklusive anschließender Meinungsverschiedenheit im Boxenbereich oder aber die rustikalen Bump-and-Runs vor und nach der Zielflagge beim Frühjahrsrennen in Bristol 2001 sind nur zwei Beispiele.

"Speziell zu Beginn, als wir Rivalen waren, dachte ich immer 'Mann, ich kann es nicht erwarten, bis dieser Kerl seinen Rücktritt bekanntgibt', doch jetzt ist es das genaue Gegenteil", so "Smoke", der beim Gedanken an Gordons Abschiedstour wehmütig wird: "Ich war wirklich traurig. Ich kann es mir nicht vorstellen, eines Tages das Auto mit der Startnummer 24 auf der Strecke zu sehen und er sitzt nicht drin. Das ist nichts, worauf ich mich freue." Stewarts Aussagen erfolgten kurz bevor Hendrick Motorsports den jungen Chase Elliott als Gordon-Nachfolger ab 2016 präsentierte.

Clint Bowyer spricht von "Scheidung"

Während es für Tony Stewart wie für so viele andere eine Überraschung war, spricht Clint Bowyer - Jeff Gordons Erzrivale der Saison 2012 - angesichts des nahestehenden Abschieds von Scheidung. "Man ist niemals wieder so richtig auf Du und Du mit jemandem, wenn es einmal so hässlich war", so Bowyers Umschreibung der Vorkommnisse vom 11. November 2012 in Phoenix.

Clint Bowyer, Jeff Gordon

Clint Bowyer wird seinen Erzrivalen aus Phoenix 2012 nicht vermissen - oder doch? Zoom

Inzwischen haben sich die Gemüter beruhigt, doch die besten Freunde werden Bowyer und Gordon wohl nicht mehr. Auch dann nicht, wenn der Hendrick-Pilot nicht mehr aktiv ins Geschehen auf der Strecke eingreift - sei es in Form von Siegen oder in Form von Revanche-Fouls.

"Wir hatten viel Spaß zusammen. Jeff und ich, wir verstanden uns abseits der Strecke von Beginn an prächtig und unternahmen in den Wintermonaten sogar die eine oder andere gemeinsame Bootstour. Nun fühlt sich das Ganze wie eine Scheidung an. Man weiß es vielleicht hin und wieder zu schätzen, aber unterm Strich hat man keine Freude mehr", so der Mann, der durch Gordons Revanche-Foul in Phoenix die Chance auf den Titel 2012 einbüßte.

Doch Clint Bowyer wäre nicht Clint Bowyer, wenn er seinen Erzrivalen nicht mit einem markigen Spruch in die Abschiedstour 2015 schicken würde. "Er hat noch eine letzte Chance, den Namen Jeff Gordon bekannt zu machen", gab der Waltrip-Pilot auf der Media-Tour mit seinem typischen Grinsen zum Besten.

"Er hat noch eine letzte Chance, den Namen Jeff Gordon bekannt zu machen." Clint Bowyer

NASCAR-Chef Brian France wünschte Gordon direkt zum Auftakt der Media-Tour "eine starke letzte Saison", was von Rick Hendrick kurz darauf noch präzisiert wurde: "Mister Gordon hier neben mir muss 14 Rennen und den Titel gewinnen, um sich mit Stil zu verabschieden. Das ist seine Mission", so der Teambesitzer von Hendrick Motorsports zu seinem langjährigen Aushängeschild, dem er 92 seiner insgesamt 231 Siege, vier seiner elf Titel, darunter den ersten Titel überhaupt (1995), zu verdanken hat.

Jeff Burton zeigt Verständnis

In Person von Chase Elliott hat Hendrick den Gordon-Nachfolger inzwischen präsentiert. Dieser machte auf der Media-Tour deutlich, dass er seine Aufgabe beginnend mit der Saison 2016 nicht darin sieht, in die Fußstapfen des viermaligen Champions zu treten. Stattdessen will der Sohn von Bill Elliott seinen eigenen Weg gehen: "Ich glaube nicht, dass man Jeff Gordon auf irgendeine Art und Weise ersetzen kann. Das Beste, was ich tun kann, ist versuchen, ich selbst zu sein und am Lenkrad den bestmöglichen Job zu machen."

Jeff Burton, Jeff Gordon

Jeff Burton kann die Rücktrittsentscheidung seines Namensvetters nachvollziehen Zoom

Während Jeff Gordons Hendrick-Teamkollege Dale Earnhardt Jr. von einem baldigen Rücktritt nichts wissen will, kann der inzwischen zurückgetretene Jeff Burton die Entscheidung des 43-jährigen Kaliforniers nachvollziehen. "Die Jungs beginnen mittlerweile in jungen Jahren mit diesem Sport. Wenn man früher anfängt, heißt das im Umkehrschluss, dass man auch früher aufhören kann", so Burton. Der 47-Jährige begann seine Sprint-Cup-Karriere im Juli 1993 in Loudon. Zu diesem Zeitpunkt hatte Jeff Gordon schon 16 Rennen auf dem Buckel, wenngleich er mehr als vier Jahre nach Burton geboren wurde.

Die Abschiedssaison 2015 wird für Jeff Gordon seine 23. komplette sein. Inklusive seines Starts beim Saisonfinale 1992 in Atlanta markiert 2015 das 24. Jahr, in dem er die Startnummer 24 fährt. "Jeder spricht immer von der Saison 2014 und von der Saison 2015. Bezogen auf den Lebensstil und den Einsatz gibt es aber keine Pause. Es geht von Januar bis Januar. Wenn man das 20 Jahre lang so macht, fällt es natürlich schwer, im 20. Jahr noch mit der gleichen Hingabe dabei zu sein wie im ersten Jahr. Das ist der Grund, weshalb Fahrer zurücktreten", zeigt sich Jeff Burton von der Entscheidung seines Namensvetters anders als Tony Stewart nicht überrascht.

NBC schmiedet Pläne für Gordons Abschiedsrennen

Der inzwischen als Crewchief zurückgetretene Steve Letarte stimmt Burton zu: "Es ist schwierig. Der Sprint-Cup ist bezogen auf den Wettbewerb eine der intensivsten Umgebungen, die man sich vorstellen kann. Egal ob als Fahrer oder als Crewchief, du musst immer deine Topleistung bringen, und das Woche für Woche, bei 36 Rennen im Jahr."

So hat auch Letarte, der über fünf Jahre lang Crewchief von Gordon und zuletzt vier Jahre lang Crewchief von Earnhardt Jr. war, seine Konsequenzen gezogen. Beginnend mit dem Coke Zero 400 am 5. Juli diesen Jahres tritt er als Kommentator bei den NASCAR-Übertragungen des TV-Senders NBC in Erscheinung. NBC tritt im Zuge eines Milliarden-Dollar-Vertrags die Nachfolge von ESPN an.

Steve Letarte, Dale Earnhardt Jun., Jeff Gordon

Steve Letarte, Ex-Crewchief von Gordon und Earnhardt Jr., arbeitet nun für NBC Zoom

Jeff Burton wird bei NBC übrigens Kollege von Letarte sein. Der langjährige Roush- und Childress-Pilot hat also das Lenkrad gegen ein Headset eingetauscht, um als Kommentator aufzutreten - eine Variante, die auch Jeff Gordon nicht ausschließt. Bevor es eventuell soweit ist, hat Gordon aber noch eine volle Saison im Hendrick-Cockpit vor sich. "Es ist doch großartig, wenn jemand wie Jeff Gordon auf dem Höhepunkt abtreten kann", sagt Burton und unterstreicht: "Er war in der Saison 2014 ernsthafter Titelkandidat und kann jetzt sagen 'Hey, das ist mein letztes Jahr'. Ich finde das klasse." So die Worte des Mannes, mit dem sich Gordon im November 2010 in Fort Worth eine wilde Rauferei auf und neben der Strecke geliefert hatte.

Derweil schmiedet Rick Allen, als Chefkommentator bei NBC künftig der Boss von Jeff Burton und Steve Letarte, schon jetzt Pläne für die Übertragung des Ford EcoBoost 400 am 22. November in Homestead: "Ich versuche schon das Szenario aufzusetzen, wie Jeff Gordon bei seinem letzten Sprint-Cup-Rennen den Titel gewinnt."