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Kolumne: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Warum Andrea Dovizioso ein würdiger Weltmeister wäre und die Misere von Andrea Iannone bei Suzuki immer schlimmer wird - Ein Rückblick Silverstone

Titel-Bild zur News: Andrea Iannone

Andrea Iannone schafft auch in Silverstone nicht die Wende zum Guten Zoom

Liebe Leser,

wieder liegt ein abwechslungsreiches MotoGP-Wochenende hinter uns und die WM bleibt auch nach dem zwölften Rennen extrem spannend. Mit Andrea Dovizioso, Marc Marquez und Maverick Vinales sind drei Fahrer innerhalb von 13 Punkten. Und auch Valentino Rossi ist mit 26 Zählern Rückstand noch nicht komplett raus aus dem Titelkampf. Das typisch britische Wetter blieb diesmal in Silverstone aus. Trotz Sonnenschein kamen am Sonntag nur 56.000 Fans an die Strecke. Das sind um rund 20.000 weniger als noch im Vorjahr, obwohl rund um das Rennen viele Aktivitäten geboten wurden.

In unserer Montagskolumne wollen wir auf das Wochenende zurückblicken und im übertragenen Sinne jemanden auswählen, der nicht gut geschlafen hat. Das werden einerseits sicherlich die Veranstalter sein, die nach Gründen für den Zuschauerrückgang suchen werden. Marquez ist mit Blick auf die WM natürlich auch ein Verlierer des Rennens. Aber während in der Formel 1 bei Honda Motordefekte an der Tagesordnung sind, kommt das in der MotoGP kaum vor. Es war überhaupt erst der erste technisch bedingte Ausfall, seit Marquez in der Königsklasse fährt.

Auch Dani Pedrosa konnte sich nicht daran erinnern, dass er jemals im Rennen einen Motorschaden hatte. So etwas kommt zwar selten vor, aber es gehört zum Rennsport dazu. Marquez wird deswegen sicher nicht schlecht geschlafen haben, auch wenn seit Mick Doohan 1998 kein Fahrer mit drei Ausfällen Weltmeister wurde. Weitere Kandidaten für unsere Kolumne wären Sam Lowes und Bradley Smith, die sich wieder einmal nicht mit Ruhm bekleckert haben. Aber wollen wir die Misere der beiden Briten nicht zu sehr breittreten.

Dovizioso: Die "Nummer 2" ist endgültig WM-Kandidat

Nach Silverstone fällt es mir nicht leicht, einen eindeutigen Verlierer zu finden. Deswegen drehen wir es um und suchen uns diesmal einen Fahrer, der bestimmt sehr gut geschlafen hat. Und da fällt die Wahl ganz klar auf Dovizioso. Dass er jetzt schon seinen vierten Saisonsieg auf dem Konto hat, hätten wohl die kühnsten Beobachter im Winter nicht geglaubt. Mich beeindruckt vor allem seine Körpersprache auf dem Motorrad. Das sah auch in Silverstone souverän, abgeklärt und cool aus. "Dovi" hat alles unter Kontrolle, wirkt extrem entspannt.

Viel spielt sich in der MotoGP im Kopf ab, und der Sieg in Österreich hat Dovizioso bestimmt mental enorm viel Auftrieb gegeben. Wenn du einen aggressiven Marquez in der letzten Kurve ganz cool besiegen kannst, dann verleiht dir das viel Selbstvertrauen. Hätte der Italiener in Spielberg verloren oder zurückgesteckt, dann würde er wohl weiterhin den Stempel der "ewigen Nummer 2" tragen. Vielleicht war Österreich der entscheidende Wendepunkt im Titelkampf. Hand aufs Herz: Wer würde Dovizioso nicht den WM-Titel gönnen?

Karriere von Rückschlägen und Enttäuschungen geprägt

Wie kaum ein anderer Spitzenfahrer musste "Desmo Dovi" in den vergangenen zehn Jahren Niederlagen schlucken und stand ständig im Schatten anderer Fahrer. 2006/2007 kämpfte er vergeblich mit Honda in der 250er-Klasse um den WM-Titel, während Jorge Lorenzo mit Aprilia die Erfolge einheimste und als neuer Stern am Himmel aufging. Die Markentreue zahlte sich für Dovizioso zunächst aus, denn Honda brachte ihn in die MotoGP. Nach einem Jahr im Kundenteam Scot ging es direkt in die Repsol-Mannschaft.

Auf seinen ersten Sieg in Donington 2009 folgten aber nur einige Podestplätze. Honda verpflichtete Casey Stoner und wollte Dovizioso loswerden, der aber auf seinem Vertrag bestand. So gab es 2011 drei Repsol-Bikes in der Startaufstellung. Da er bei Honda nicht erwünscht war, ging er zu Tech-3-Yamaha und überzeugte auch dort mit vielen Podestplätzen. Aber im Werksteam war kein Platz. Ein weiterer Hersteller wollte Dovizioso nicht haben. Somit entschied er sich für Ducati. Dieses Abenteuer wollte sich nach den beiden Rossi-Jahren kein anderer Spitzenfahrer antun.

"Das erste Jahr mit Ducati war sehr schwierig", antwortet Dovizioso in Silverstone auf die Frage nach frustrierenden Momenten seiner Karriere. "Ich kann mich sehr gut daran erinnern. Deswegen ist meine jetzige Situation so schön." Er hat die schwierigen Jahre mit harter Arbeit gemeistert. Ducati hielt ihm die Treue und setzte ihm trotzdem Jorge Lorenzo, der den Titel holen soll, vor die Nase. Wieder stand Dovizioso im vergangenen Winter im Schatten, aus dem er in diesem Jahr eindrucksvoll hervorgekommen ist. Davor kann man nur den Hut ziehen!

Suzuki: Alex Rins düpiert Andrea Iannone

Ein zweiter Fahrer, der uns positiv auffällt, aber in Silverstone kaum im Fernsehen zu sehen war, ist Alex Rins. Nach seiner von Verletzungen geprägten ersten Saisonhälfte kommt der Spanier immer besser in Fahrt und langsam in der MotoGP an. Vielleicht hatte Suzuki-Teammanager Davide Brivio mit ihm doch den richtigen Riecher? Mit seinem neunten Platz knüpfte Rins dort an, wo er in Katar angefangen beziehungsweise aufgehört hat, bevor er sich erneut verletzte.

Schon im Qualifying war Rins schneller als Andrea Iannone und im Rennen lag die 42 immer vor der gelben 29. Bei Rins sind ganz klar kontinuierliche Fortschritte zu erkennen. Deswegen bin ich gespannt, welche Leistungen er in den restlichen Rennen zeigen wird. Und damit sind wir auch schon bei dem Fahrer, der bestimmt nicht gut geschlafen hat - Iannone! Eine Bestzeit im Warm-up ist zwar schön, aber im Endeffekt muss sich der Italiener jetzt auch noch seinem Rookie-Teamkollegen geschlagen geben.

Alex Rins, Andrea Iannone

Andrea Iannone fällt nun auch noch hinter Rookie Alex Rins zurück Zoom

Und dann schießt Iannone drei Runden vor Rennende auch noch Danilo Petrucci ab, der zum Glück unverletzt geblieben ist. "Es war nicht meine Schuld", gibt Iannone nach dem Rennen zu Protokoll. "Ich glaube, Aleix Espargaro und Petrucci haben sich in der Bremsphase berührt. Die Ducati fuhr einen weiten Bogen und als er zurückkam, kreuzte er meine Linie. Ich versuchte Petrucci auszuweichen und bremste hart. Dabei bin ich gestürzt und habe die Ducati mitgerissen. Er weiß, dass es kein absichtliches Manöver war."

Wie dem auch sei, die Performance von Iannone ist unterirdisch, das muss man ganz klar so sagen. Ducati hatte im Vorjahr recht und hielt am richtigen Andrea fest. Es gab zu Beginn des Sommers schon Gerüchte, dass sowohl Suzuki als auch Iannone versuchen, aus dem Zweijahresvertrag herauszukommen. Mangels Alternativen bleibt man zusammen. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass wir 2019 noch Iannone auf der GSX-RR sehen. Suzuki wird wohl schon im Frühling auf dem Fahrermarkt aktiv werden, um einen neuen Partner für Rins zu suchen.

Ihr


Gerald Dirnbeck