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Kolumne: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Das interne Teamduell bei KTM ist eindeutig: Espargaro holt in Brünn den ersten Top-10-Platz, Smith fällt aus - Schafft der Brite bei den Heimrennen die Kehrtwende?

Titel-Bild zur News: Bradley Smith

Kann Smith in Österreich oder Silverstone aus Espargaros Schatten treten? Zoom

Liebe Leser,

Die MotoGP schreibt überaus kuriose Geschichten. Der Grand Prix in Tschechien wurde vom strategischen Geniestreich von Marc Marquez geprägt. Der Spanier hat sich in weltmeisterlicher Manier den souveränen Triumph gesichert - und seine Konkurrenten damit in den Schatten gestellt. Nur bei Honda funktionierte der Bikewechsel schon in Runde zwei ohne Zwischenfall, ganz im Gegenteil zum Tech-3-Team von Jonas Folger zum Beispiel.

In dieser Kolumne wollen wir jeden Montag den Verlierer des Wochenendes küren. Fast ist man geneigt, alle anderen Piloten außer Marc Marquez zu nominieren. Denn weder sein Teamkollege Dani Pedrosa, noch die Yamaha- oder Ducati-Piloten fanden den Mut, jenes Risiko einzugehen, das dem Spanier zum Sieg verhalf. Niemand aus der Spitzengruppe hatte ansonsten das richtige Gespür bei den schwierigen, teils nassen und teils trockenen Bedingungen in Brünn. (Der Sonntag in der Chronologie!)

Viele Verlierer im Flag-to-flag-Rennen - KTM setzt Highlight

Valentino Rossi blieb extra lange auf dem Regenreifen auf der Strecke und musste nach Rennende zugeben, dass das Einschätzen solcher Mischverhältnisse nicht zu seinen großen Stärken zähle. Er trauerte einem Podestplatz hinterher, den sich Teamkollege Maverick Vinales holte. Den Yamaha-Stars gelang damit Schadensbegrenzung. Schlimmer erwischte es die Ducati-Fahrer. Andrea Dovizioso (6.) wartete mit Rossi viel zu lange auf den Bikewechsel. Und Jorge Lorenzo (15.) verlor eben dabei wertvolle Zeit: Ducati hatte jeweils beide Bikes auf Regenabstimmung bereit und musste innerhalb weniger Runden umbauen.

Auch bei den Tech-3-Rookies Folger und Johann Zarco lief strategisch einiges schief. Der Deutsche war mit Marquez bereits in Runde zwei zum Wechsel in die Boxengasse gekommen, doch sein Bike war ebenso wenig bereit. Er musste weiterfahren und in Runde drei erneut abbiegen: Statt einem möglichen Podium nur Rang zehn. Der Franzose verpokerte sich, blieb am längsten auf den Regenreifen auf der Strecke und rettete am Ende Platz zwölf.

Verlierer hätten wir in unserer heutigen Kolumne dementsprechend bereits genügend gefunden. Wollen wir jedoch einen Blick ins hintere Feld wagen. Denn neben dem Marquez-Geniestreich ereignete sich am Ende der Top 10 ein weiteres kleines Highlight. Pol Espargaro konnte für KTM auf den neunten Platz fahren, somit erfüllte der Spanier seinem Team den großen Wunsch nach dem ersten Top-10-Resultat. Er nutzte die chaotischen Bedingungen von Startplatz 18 aus.

Espargaro holt dritten KTM-Meilenstein

Kein Anlass zur Freude für Bradley Smith. Der Brite konnte nur aus der Garage mitansehen, wie sein Teamkollege diesen historischen Erfolg einfährt. Er selbst musste bereits zwei Runden zuvor aufgeben. "Das Rennen verlief nicht gerade in unsere Richtung. Das Bike bekam zusätzlich technische Probleme, daher habe ich entschieden, aufzugeben", schildert ein enttäuschter Smith nach dem Rennen.

Erneut war es der 26-Jährige aus Oxford, der mit Espargaro nicht mithalten konnte. Zwar konnte er nichts für die technischen Probleme, doch die Situation ist bezeichnend für die bisherige Saison. In Argentinien holten beide Piloten erstmals Punkte: Espargaro kam als 14. vor Smith auf dem 15. Platz ins Ziel. Der nächste Meilenstein für die Österreicher folgte in Frankreich: Espargaro qualifizierte sich auf der KTM erstmals in den Top 10 auf Rang acht, Smith wird Zehnter. Und nun der dritte Meilenstein, wieder eingefahren vom Spanier.

Bradley Smith

Die #38 musste mitansehen, wie Espargaro für KTM das erste Top-10-Resultat holte Zoom

Smith muss das zähneknirschend zur Kenntnis nehmen: "Pol ist das Bike gefahren, also verdient er den Großteil des Lobes." Sein Rennen beschreibt er als "frustrierend", schließlich habe man seit dem Test in Aragon deutliche Fortschritte erkennen können. Was dem Briten noch weniger freuen wird: Espargaro musste nach der Zieldurchfahrt zugeben, dass er sogar noch weiter vorne gelandet wäre, wenn ihm nach dem Bikewechsel nicht ein kleiner Fehler unterlaufen wäre. Sechs Sekunden habe er beim Durchfahren des Kiesbetts verloren.

Smith auch im Quali-Duell und in der WM-Wertung deutlich zurück

Blickt man auf das Endergebnis, dann hätte Espargaro womöglich sogar um die Plätze sechs und sieben mit den Ducatis gekämpft. Smith erwischte hingegen keinen guten Bikewechsel, er lag vor seiner Aufgabe nur auf Rang 18. Besonders bitter: Vergleicht man die schnellsten Rundenzeiten der KTM-Piloten im Rennen, fällt auf, dass Espargaro auf Slicks eine Sekunde schneller fahren konnte als Smith (1:57.952 Minuten zu 1:58.932 Minuten).

Besonders deutlich fiel der Abstand zwischen Smith und Espargaro schon in den Freitagstrainings aus. Der Brite verlor satte zwei Sekunden auf seinen Garagennachbar. Und auch im Qualifying hatte wieder einmal Espargaro die Nase vorne - wenn diesmal auch wirklich knapp (0,008 Sekunden). Im Qualifying-Duell steht es bei KTM nun bereits 7:1 für den Spanier.


Fotos: MotoGP in Brünn, Rennen


Der Pilot mit der Nummer 44 kam außerdem in jedem Rennen, das beide KTM-Piloten beenden konnten (vier), vor seinem Teamkollegen ins Ziel. Deshalb ein ähnliches Bild auch in der WM-Wertung: Nimmt man den Grand Prix von Katalonien aus der Wertung, da Smith aufgrund seiner Fingerverletzung nicht antreten konnte, so steht es immer noch 21:8 in Punkten für Espargaro. Obwohl dieser bereits drei Ausfälle zu verzeichnen hat, Smith steht bei zwei.

Oliveira ein möglicher MotoGP-Kandidat?

"Man verliert sein Talent nicht über Nacht", wusste der ehemalige Tech-3-Pilot bereits im April. Er verfügt auch über einen Vertrag für die Saison 2018. Doch KTM muss sich die Frage stellen, ob Smith der richtige, fordernde Teamkollege für Espargaro ist, um die Truppe in Zukunft zu einem Topteam formen zu können. Wie Motorsportchef Pit Beirer bereits mehrfach betont hat, will KTM Piloten von der Moto3 bis in die MotoGP begleiten - ähnlich dem Juniorprogramm von Red Bull in der Formel 1.

Bleiben die Ergebnisse auf der einen Seite der Boxenhälfte auch in der zweiten Saisonhälfte schwächer, muss sich die Teamführung womöglich woanders umsehen. Ein heißer Kandidat durfte die aktuelle RC16 bereits testen: Moto2-Fahrer Miguel Oliveira. Er sprach von einer "Chance, die sich jeder Fahrer einmal in seiner Karriere wünscht". Zwar ist nicht bekannt, wie schnell der Nachwuchspilot im Vergleich zu den Stammpiloten in Aragon war, dennoch konnte er in dieser Saison für KTM in der Moto2 bereits fünf Podestplätze einfahren. In Brünn hätte es fast zum Sieg gereicht, doch auch über den dritten Platz konnte er sich freuen.

Bradley Smith, Pol Espargaro

Smith hinkt im Vergleich zu Espargaro 2017 meist ein wenig hinterher Zoom

Am kommenden Wochenende müssen die KTM-Piloten eine spezielle Aufgabe bewältigen. Zum ersten Mal werden Pol Espargaro und Bradley Smith das österreichische Motorrad auf heimischen Boden fahren. In Spielberg wird es eine eigene KTM-Tribüne geben, die österreichischen Fans erwarten sich nach dem Top-10-Ergebnis noch mehr von den Lokalmatadoren. Für Smith wären das Rennen in Österreich und zwei Wochen später sein Heimspiel in Silverstone die optimale Bühne, um seine Stellung im Team zu festigen und mit guten Ergebnissen Espargaro die Stirn zu bieten.

Ihre,

Maria Reyer