• 26.06.2017 13:07

  • von Maria Reyer & David Emmett

Nur elf Punkte zurück: Überrascht Marquez in Deutschland?

Der WM-Kampf ist so offen wie selten zuvor: Vier Piloten innerhalb von elf Punkten an der Spitze - Marquez (WM-Vierter) kommt als Favorit zum Sachsenring

(Motorsport-Total.com) - Die MotoGP-Weltmeisterschaft 2017 stellt schon jetzt neue Maßstäbe auf. Elf Punkte trennen die ersten vier Topstars. Andrea Dovizioso konnte sich die Spitze mit einem fünften Platz in Assen sichern, weil Maverick Vinales ausfiel. Valentino Rossi kämpfte sich mit seinem Sieg bei der Dutch TT zurück und Marc Marquez hielt seine WM-Chancen mit einem soliden dritten Platz am Leben. 115 Punkte, so wenige hatte ein WM-Führender nach acht Rennen in der MotoGP noch nie auf dem Konto. Allein diese Tatsache zeigt, wie ausgeglichen und unvorhersehbar diese Meisterschaft ist. (Zum WM-Stand!)

Titel-Bild zur News: Marc Marquez, Valentino Rossi

Valentino Rossi glaubt, dass Marc Marquez in Deutschland gefährlich werden könnte Zoom

"Die Weltmeisterschaft ist unglaublich, darüber bin ich sehr glücklich. Es macht außerdem sehr viel Spaß, das zu verfolgen", schmunzelt Rossi nach seinem ersten Saisonsieg, seinem 115. Sieg insgesamt, am Sonntag in Assen. Der Routinier durfte ebenfalls bereits WM-Führungsluft schnuppern, musste die Spitze jedoch nach nur zwei Rennen (Austin und Jerez) wieder an seinen Teamkollegen Vinales in Le Mans abgeben.

"Nichts ist entschieden, alles total offen zwischen verschiedenen Fahrern und Bikes", weiß der "Doktor". Eine Ducati steht nun vor den beiden Werks-Yamahas und der Honda. Mit Rossi und Marquez befinden sich zwei Champions im Favoritenkreis, Dovizioso und Vinales sind hingegen völlige Neulinge. Der Italiener übernahm nun zum ersten Mal überhaupt die WM-Führung, sein bestes Gesamtergebnis fuhr er 2011 als WM-Dritter ein.

Dovizioso: "Enorm wichtig, keinen Nuller zu schreiben"

Nachdem der Seriensieger von Mugello und Barcelona seine Titelchancen in Spanien noch kleinreden versuchte, gab er in Assen doch zu, die Weltmeisterschaft ständig zu verfolgen: "Ich habe noch nie etwas Verrücktes in einem Rennen angestellt und immer an die WM gedacht. Alle Toppiloten haben das im Hinterkopf", verrät er. "In dieser Meisterschaft, wie schon im Vorjahr, ist es enorm wichtig, nicht auszufallen und einen Nuller zu schreiben."

Doch genau das ist bereits allen Topstars passiert: Dovizioso wurde in Argentinien von Aleix Espargaro zu Sturz gebracht, Vinales ging in Austin und nun auch in Assen zu Boden, Rossi verabschiedete sich in Le Mans im Führungsduell vorzeitig ins Kiesbett und auch Marquez konnte die Rennen in Frankreich und in Argentinien nicht beenden. Kein Titelaspirant blieb bisher fehlerfrei. Die Sturz-Statistik zeigt: Marquez fuhr bisher wenig überraschend am aggressivsten, er stürzte in dieser Saison bereits 13 Mal (in allen Sessions) - so oft wie kein anderer Pilot. Rossi liegt mit zwei, Dovizioso mit vier und Vinales mit fünf Crashs weit dahinter.

Maverick Vinales

Heikle Szene in Assen: Dovizioso musste Vinales bei dessen Sturz ausweichen Zoom

"Ich denke, dass du manchmal, wie eben auch in diesem Rennen, nicht all das Risiko nehmen solltest, das du könntest", gibt der neue WM-Leader zu bedenken. Vinales selbst weiß, dass er sich von den vergangenen Rennen in Barcelona (nur Zehnter) und in Assen (Sturz) schnell wieder erholen muss. Der Spanier war nach seinem heftigen Abflug, bei dem er unverletzt blieb, völlig ratlos. Seine Saison gleicht nach dem traumhaften Einstieg mit zwei Siegen in Katar und Argentinien einer Achterbahnfahrt. "In manchen Rennen gewinnt nicht der Schnellste", muss er einsehen und sich zu Herzen nehmen.

Zahlen sind Rossis Leidenschaft

Selbst Marquez, der bisher nur auf seiner Paradestrecke in Austin gewinnen konnte, ist bescheidener geworden. Der Titelverteidiger freut sich über 104 Punkte nach den ersten acht Saisonrennen. "Nach diesem schwierigen Saisonstart nur elf Punkte hinter dem WM-Leader zu sein, das ist toll. Damit bin ich sehr zufrieden, weil ich weiß, dass wir uns verbessern können."

Im direkten Duell gegen Dovizioso und Cal Crutchlow um den dritten Platz konnte er sich durchsetzen - jedoch nicht um jeden Preis. "Ich wollte nicht weitere Punkte verlieren. Daher bin ich aufs Podium gefahren und konnte weitere 16 Zähler mitnehmen. Nur deshalb bin ich jetzt noch im Titelkampf." In Mugello hatte er bereits 37 Punkte Rückstand.

Valentino Rossi

WM-Platz 3 (108 Zähler): Valentino Rossi freut sich über seinen ersten Saisonsieg Zoom

Rossi hatte zu jenem Zeitpunkt 30 Zähler Rückstand auf den Garagennachbar. Von 28 verkürzte er auf sieben Punkte. "Die Zahlen zu verfolgen, ist eine Leidenschaft von mir", lacht der strahlende Sieger am Sonntag. "Jetzt haben wir 115 Punkte an der Spitze. Es sieht so aus, als würde ein niedriger Punktestand die WM entscheiden." Der Altmeister glaubt, dass nun jedes Rennen entscheiden kann, in denen die Topstars nicht in die Top 5 kommen.

Schafft Marquez den achten Triumph auf dem Sachsenring?

Den Ausfall von Vinales im gestrigen Rennen nannte er "eine wichtige Nachricht für den weiteren Verlauf des Rennens", denn Rossi wusste, dass Vinales die Pace für den Sieg hatte. "In diesem Moment hast du aber keine Zeit, um darüber nachzudenken, ob du dich jetzt freust oder nicht. Du gibst einfach Vollgas", möchte der Italiener keinen Funken Schadenfreude aufkommen lassen.

Schon am kommenden Sonntag hat der junge Spanier die Chance, Dovizioso die WM-Führung wieder zu entreißen. Gewinnt er in Deutschland sein viertes Saisonrennen, hilft dem Ducati-Piloten nicht einmal der zweite Platz. Auf dem Sachsenring ist jedoch ein anderer der große Favorit: Marc Marquez. "In den vergangenen Jahren waren die Hondas, speziell Marquez, sehr stark", weiß Rossi. "Daher müssen wir auch dort konkurrenzfähig sein."

Andrea Dovizioso

WM-Platz 1 (115 Punkte): Dovizioso liegt knapp vor Vinales, Rossi und Marquez Zoom

Der Weltmeister entschied den Deutschland-Grand-Prix seit er in der MotoGP fährt immer für sich. Von 2013 bis 2016 war er in der Königsklasse siegreich auf dem Sachsenring, 2012 und 2011 außerdem in der Moto2 und 2010 in der 125er-Klasse. In den vergangenen sieben Jahren stand er also in allen Klassen auf dem obersten Treppchen. Schon 2015 und 2013 holte er erst in der Bundesrepublik seinen jeweils zweiten Saisonsieg. Gelingt ihm das 2017 erneut?

"Der Sachsenring ist zwar keine Lieblingsstrecke von mir, aber es passt gut zu meinem Fahrstil. Die Honda funktioniert dort außerdem sehr gut. Aber in dieser Saison fahren wir auf einem neuen Belag, sie haben alles neu asphaltiert", merkt er kritisch an. Die Bedingungen könnten sich also geändert haben. "Aber es ist auf jeden Fall ein Kurs, auf dem ich attackieren kann, wenn ich mich stark fühle." Am Sonntag könnte sich die Rangordnung mit einem Marquez-Sieg erneut kräftig durchmischen. Es stellt sich die Frage, wer als WM-Führender in die Sommerpause geht und damit für die zweite Saisonhälfte am meisten Selbstvertrauen mitbringt.

Marc Marquez

WM-Platz 4 (104): Marc Marquez ist Topfavorit auf den Sieg in Deutschland Zoom