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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Platz elf beim mit Spannung erwarteten Debüt auf der Ducati Desmosedici: Jorge Lorenzo enttäuscht in Katar und verpasst die Erwartungen deutlich

Titel-Bild zur News: Jorge Lorenzo

Jorge Lorenzo verlor in Katar mehr als 20 Sekunden auf Teamkollege Dovizioso Zoom

Liebe Leser,

diejenigen von Ihnen, die sich ab und zu auch durch unsere Formel-1-Rubrik klicken, kennen unsere Montagvormittag-Kolumne bereits, in der wir einen "Verlierer des Wochenendes" auswählen. Nach dem wie erwartet extrem spannenden Saisonauftakt in Katar wäre ich ein passender Kandidat, denn die Freuden und Dramen des ersten MotoGP-Rennens der Saison 2017 beschäftigten mich in der Nacht stärker, als mir lieb war. Doch da ich außer Konkurrenz laufe, gibt es nur eine logische Wahl für unsere Auftakt-Kolumne: Jorge Lorenzo. Beim Debüt für Ducati landete der dreifache MotoGP-Champion nur auf Platz elf.

Lorenzos Wechsel von Yamaha zu Ducati war der wohl spannendste Transfer des vergangenen Winters. Ziemlich exakt vor einem Jahr ließ sich der erfolgsverwöhnte Spanier durch Valentino Rossis unerwartet zeitige Vertragsverlängerung provozieren, bei den anderen Herstellern seinen Markwert zu überprüfen. Aus einem Flirt mit Ducati wurde etwas Ernstes. Beim Jerez-Grand-Prix im April gab Ducati die Verpflichtung von Lorenzo offiziell bekannt. Es war das Ende einer sehr erfolgreichen Ära bei Yamaha.

Was wurde vor dem Saisonstart prognostiziert und gerätselt: Kann Lorenzo bereits beim ersten Einsatz für Ducati siegen? Ist der WM-Titel in der Ducati-Debütsaison drin? Ducati tüftelte hart, um die Desmosedici endlich auf Honda- und Yamaha-Niveau zu bringen. Fahrerkollegen und Experten trauten Lorenzo durchaus zu, die 25 WM-Punkte für den Sieg einzustreichen. Und auch ich hatte ihn auf meiner Rechnung, auch wenn die Vorsaison nicht perfekt lief.


Fotos: Ducati, MotoGP in Doha


Erwartungen vs. Realität

Aber bereits in den Trainings deutete sich an, dass Lorenzo und seine Werks-Ducati noch nicht gut genug miteinander harmonieren. Besonders in den Bremszonen kämpfte der ehemalige Yamaha-Pilot und suchte vergeblich nach der Stabilität, die ihm seine M1 jahrelang bot.

Fakt ist, Losail International Circuit zählt zu den Strecken, der sowohl Ducati als auch Lorenzo immer gut lagen. Im Vorjahr stürmte Lorenzo mit der Yamaha M1 in beeindruckender Manier zum Sieg und erntete für seine Leistung reichlich Lob. Unvergessen sind die Gestiken nach dem Sieg: Lorenzo fordert seine Kritiker auf, nach den Reibereien im WM-Kampf 2015 endlich den Mund zu halten.

Jorge Lorenzo

Von Startplatz zwölf machte Jorge Lorenzo im Rennen nur eine Position gut Zoom

Andrea Dovizioso überquerte mit seiner Desmosedici die Ziellinie wie beim Saisonstart 2015 als Zweiter. Und auch in diesem Jahr kämpfte "Dovi" in Katar um den Sieg, scheiterte aber zum dritten Mal in Folge knapp. Und Lorenzo? Mehr als 20 Sekunden verlor der hoch gehandelte Ducati-Neuzugang auf den Teamkollegen. Eine Welt.

Droht ein ähnliches Schicksal wie Rossi?

"Es war ein kompliziertes Rennen in vielerlei Hinsicht", bemerkt der mit zwölf Millionen Euro vergütete Ex-Champion nach seinem enttäuschenden Debüt für Ducati. Mit Suzuki-Pilot Alex Rins und Tech-3-Pilot Jonas Folger musste sich Lorenzo gleich zwei Rookies geschlagen geben. Und Markenkollege Loris Baz kam Lorenzo am Ende mit seiner 2015er-Ducati gefährlich nah. Wenige Zehntelsekunden lagen zwischen den beiden Desmosedicis.

Noch bitterer fällt der Vergleich mit Valentino Rossi aus - ein Vergleich, den Lorenzo seit der Bekanntgabe des Ducati-Deals scheut. 2011/12 scheiterte Rossi mit den damals absolut nicht konkurrenzfähigen Desmosedicis kläglich. Doch mit den Plätzen sieben (2011) und zehn (2012) muss sich Rossi im Nachhinein nicht hinter seinem großen Feind verstecken. Ich erinnere mich gut an den Saisonauftakt 2012: Rossi kämpfte mit der gründlich überarbeiteten Ducati. Es wurden bereits im Laufe des ersten Rennwochenendes über mögliche Wechsel spekuliert.

Valentino Rossi

Valentino Rossi holte 2011/12 bessere Ergebnisse als Lorenzo in diesem Jahr Zoom

Ich würde nicht so weit gehen und behaupten, Lorenzo kann mit der Ducati keine Rennen gewinnen - zu gut ist die Desmosedici des aktuellen Jahrgangs. Vor allem beim Grand Prix in Österreich muss man den erfahrenen Ex-Weltmeister auf der Rechnung haben. Es ist schwierig, nach nur einem Rennen Prognosen für den Rest der Saison abzugeben, aber Lorenzo wird stark zu kämpfen haben, wenn er im teaminternen Duell bei Ducati die Oberhand gewinnen möchte, denn Dovizioso wirkt in seiner fünften MotoGP-Saison mit Ducati entschlossener denn je.

Blick in die Zukunft

In Katar ist das eingetreten, was Lorenzos Kritiker bereits ankündigten, als die Tinte auf dem Ducati-Vertrag noch feucht war: Der weiche und auf hohe Kurvengeschwindigkeiten getrimmte Fahrstil und das ruppige Wesen der Desmosedici bilden keine stimmige Einheit.

Jorge Lorenzo

(Noch) keine stimmige Einheit: Jorge Lorenzo auf der wilden Desmosedici Zoom

Doch was passiert, wenn Lorenzo seinen einzigartigen Stil aufgibt und einen Schritt auf die Ducati zugeht? Verliert er dann nicht das, was ihn ausmacht? Und anders herum: Was ist, wenn Ducati das Wesen der Desmosedici zu sehr an Lorenzo anpasst? Besteht dann nicht die Gefahr, die vorhandenen Stärken zu verspielen? Es wird extrem spannend, die Entwicklung bei Ducati weiter zu verfolgen.

Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:

Jonas Folger: Schlecht geschlafen, obwohl er beim MotoGP-Debüt in die Top 10 fuhr? Ja, denn es war so viel mehr drin. Teamkollege Johann Zarco setzte sich in den ersten Runden extrem in Szene, während Folger aus den Punkterängen rutschte. Der Deutsche verlor laut Teamchef Herve Poncharal bereits in der Startaufstellung das Selbstvertrauen. Dabei glänzte Folger in den vergangenen Jahren so oft bei schwierigen Bedingungen und nutzte seine Chancen, während andere zu vorsichtig agierten.

Jürgen Lingg: Keine Punkte für Sandro Cortese und Marcel Schrötter, während die Kiefer-Piloten mit den neuen Suter-Moto2-Bikes in die Top 15 fahren. Teamchef Jürgen Lingg sucht nach den Gründen für den enttäuschenden Auftakt. Besonders bitter: Mehr als 40 Sekunden verliert Cortese beim Saisonauftakt und deutet damit an, dass der Knoten auch in der fünften Moto2-Saison nicht platzen wird.

Ihr


Sebastian Fränzschky