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  • 26.12.2017 10:40

  • von Toni Börner

MotoGP-Rückblick 2017: Die Überflieger von KTM

Die Mattighofener Werksschmiede von KTM hat 2017 das Grand-Prix-Fahrerlager schwer beeindruckt - Mit den fulminanten Debüts in Moto2 und MotoGP

(Motorsport-Total.com) - KTM ist 2017 mit Sicherheit Investitions-Weltmeister des Motorrad-Rennsportes geworden. Das Werk aus der Nähe der ehemaligen Grand-Prix-Strecke von Salzburg konnte dabei schwer beeindrucken und die Farbe Orange ist im Fahrerlager mittlerweile eine feste Größe. Zumindest vom Erscheinungsbild her auch schon so dominant, wie in der eigentlichen Parade-Disziplin des MotoCross-Rennsportes. Nach nur einer Saison ist die MotoGP ohne die orangenen Raketen der RC16 nicht mehr denkbar. Die niedrig gesteckten Erwartungen haben die Österreicher übertroffen und bereits das erste Werk in der Hersteller-Wertung "versägt".

Titel-Bild zur News: Pol Espargaro, Bradley Smith

KTM zeigte in der ersten MotoGP-Saison ein rasantes Entwicklungstempo Zoom

KTM Saison 2017 - Fast Facts
Hersteller-Wertung: 5.
Punkte: 69 (-288)
Team-Wertung: 10.
Punkte: 84 (-424)

Kurz-Fazit: KTM hat in der ersten MotoGP-Saison mächtig für Furore gesorgt. Die Österreicher haben klar den Anspruch, in die Weltspitze vorzustoßen. Mit dem Entwicklungsaufwand, der in diesem Jahr betrieben wurde, haben die Österreicher mächtig Eindruck gemacht. Geht es in diesem Entwicklungs-Tempo weiter, dann gehört der direkte Einzug in Q2 schon bald nicht mehr zu den groß zu bejubelnden Erfolgen, sondern wird zum Standard.

Fahrer: Pol Espargaro
WM-Rang: 17
Punkte: 55 (-243)
Bestes Qualifying: 6. (Phillip Island)
Bestes Rennen: 9. (1x, Phillip Island)

Kurz-Fazit: Klar die Speerspitze. Nahezu permanent hat der Spanier Pol Espargaro seinen Teamkollegen in den Schatten gestellt. Er hat über das Jahr nur fünf Ausfälle verbucht, zwei Mal sah er das Ziel außerhalb der Punkteränge. Klar der konstantere Fahrer der beiden Orangenen. Außerdem wurde Espargaro im Regen-Qualifying am Sachsenring zum ersten Fahrer, der im Nassen mit dem Ellbogen schliff.

Pol Espargaro

Pol Espargaro war der schnellste KTM-Fahrer und die Messlatte Zoom

Fahrer: Bradley Smith
WM-Rang: 21
Punkte: 29 (-269)
Bestes Qualifying: 7. (Motegi)
Bestes Rennen: 10. (2x, San Marino, Phillip Island)

Kurz-Fazit: Einige Stimmen sind laut geworden, dass Smith hinter seinen Leistungen her hinkt und nicht den Ansprüchen eines Werksteams gerecht werden kann. Der Brite musste sich sogar zwei Mal von Testfahrer Mika Kallio bügeln lassen. Mental war die Saison 2017 für ihn schwer, auch laborierte er noch unter Verletzungen aus dem Jahr davor. Als KTM sich hinter Smith stellte und ihm die Einhaltung seines Vertrages für 2018 garantierte, war leichte Besserung in Sicht und zum Saisonabschluss gab es noch mal drei Punktplatzierungen.

Fahrer: Mika Kallio
WM-Rang: 24
Punkte: 11 (-287)
Bestes Qualifying: 12. (Aragon)
Bestes Rennen: 10. (1x, Red Bull Ring)

Mika Kallio

Testfahrer Mika Kallio durfte vier Wildcard-Starts absolvieren Zoom

Kurz-Fazit: Neben Michele Pirro der wahrscheinlich schnellste und beste Testfahrer der MotoGP-Welt. Kallio selbst brennt noch auf eine Rückkehr als Einsatz- und Stammfahrer und das bewies er bei seinen vier Wildcard-Einsätzen. Zwei Mal fuhr er dort in die Punkte. Allerdings konnte er dabei auch befreit aufgeigen. Kallio wurde von den Stammpiloten Smith und Espargaro immer wieder dankend erwähnt und in höchsten Tönen für seine Arbeit gelobt.

KTM: Viel Lob und Anerkennung der Konkurrenz

"Honda ist mein meistgehasster Konkurrent", hatte KTM-Chef Stefan Pierer noch bei der Vorstellung des ersten KTM-MotoGP-Teams Ende Februar im Werk in Mattighofen verkündet. "Weil Honda die größte Herausforderung ist, weil Honda immer versucht, bei den Regeln zu mogeln." Da saß aber der Frust über einen Zwist bei der Rallye Dakar im vorangegangenen Monat noch tief - wenngleich KTM die Dakar gewinnen konnte. Seitens KTM wurde aber für den MotoGP-Einsatz auch klar gestellt: "Es hat Jahre gedauert, bis wir die Dakar erstmals gewinnen konnten. Wir sind nicht hier, um nur mitzumachen."

Und "nur mitgemacht" hat KTM in der Königsklasse des Motorrad-Straßenrennsportes 2017 lediglich, wenn man sich nüchtern die Zahlen und Punkte auf dem Papier anschaut.
Neu im Fahrerlager waren die Orangenen nicht. Seit Jahren wird der Red Bull Rookies Cup mit KTM-Maschinen ausgetragen, in der Moto3 wurden Siege und Weltmeister-Titel errungen. 2017 hob Mattighofen das Engagement auf ein neues Level: Einstieg in die Moto2 (Chassis mit Honda-Motor) und in die MotoGP. Scheinbar aber wird man im Fahrerlager erst richtig ernst genommen, wenn man eben MotoGP fährt. Dort wurde KTM wärmstens empfangen.

Pit Beirer

Motorsportchef Pit Beirer ist stolz auf die Leistung seiner Mannschaft Zoom

"Zuerst möchte ich mich bei der Dorna und auch all unseren Kollegen der Mitbewerber für die herzliche Aufnahme in diesem Fahrerlager bedanken", sagte Pit Beirer bei seiner Saisonzusammenfassung 2017. "Das war unsere erste, vollständige Saison. Die war wirklich fantastisch und wir sind sehr stolz, Teil dieser First-Class-Racing-Show und dem besten Rennsport der Welt zu sein."

Kein Spaziergang

Dass es nicht leicht werden würde, war allen von Anfang an klar. Und trotzdem beeindruckte man: KTM wurden in der Hersteller-Wertung auf Anhieb Fünfte - mit fünf Punkten mehr als Aprilia, die über massig Erfahrung im Straßenrennsport - sowohl MotoGP, als auch Superbike-WM - verfügen. "Ja, die Saison war unglaublich schwierig für uns", so Beirer weiter. "Wir hatten großen Respekt bevor wir eingestiegen sind. Aber wir haben uns so gut wir konnten vorbereitet, aber man kann sich auf die MotoGP nicht vorbereiten, nicht für deine erste MotoGP-Saison. Wir mussten jeden Tag, jede Stunde in diesem Fahrerlager lernen."

Ganz hinten, es war finster und hat leicht geregnet

"Aber es ist gut gelaufen und das auch besser, als wir erwartet hatten", zeigte er sich begeistert. "Wir haben ganz hinten angefangen, in der letzten Reihe in Katar und es war finster und es hat etwas geregnet und wir konnten fast die Start-Ampel nicht sehen." Was wie ein Auszug aus 1000 und 1 Nacht klingt, war der Einstieg KTMs in die MotoGP-Weltmeisterschaft in Katar im März 2017.

"Dann haben wir es gegen Ende der Saison in die zweite Reihe geschafft", unterstreicht Beirer die Fortschritte. "Das ist eine unglaubliche Entwicklung und wir sind richtig zufrieden. Unser Team hat einen fantastischen Job gemacht und ich muss allen Fahrern und Mitgliedern im Team danken, dass sie all diesen Aufwand betrieben haben. Ja, wir sind happy und wir sind in diesem Fahrerlager angekommen. Wir sind richtig stolz darauf, Teil dieser First-Class-Motorcycle-Show zu sein."


Fotos: KTM, MotoGP in Valencia, Rennen


Fahrerpaarung steht

Probleme - und Kritik - gab es für die Orangenen vor allem für das Festhalten am Briten Bradley Smith, der deutlich hinter den Erwartungen blieb und regelmäßig von Einsatzfahrer und Teamkollege Pol Espargaro, aber auch von Test-Fahrer Mika Kallio gebügelt wurde. Der Druck auf Smith und Beirer wuchs, doch man stellte sich klar hinter den Briten und dessen Dienste. "Warum ich ihn für nächstes Jahr bestätigt haben? Zu allererst, weil er einen Vertrag für nächstes Jahr hat. Da war er offiziell nie ohne Fahrerplatz für nächstes Jahr."

"Natürlich haben wir von außen sehr viel Druck bekommen, denn seine Ergebnisse waren nicht so gut und natürlich weiß ich das. Aber man muss auch den Tag eines Fahrers sehen: Sie gehen ein großes Risiko ein, wenn sie in ein neues Projekt, mit einem neuen Motorrad, neuen Teammitgliedern und so weiter, kommen. Als diese Fahrer für uns unterschrieben haben, gab es nur ein Blatt Papier, da konnten sie sich noch nicht einmal das Motorrad anschauen. Das war für die Fahrer ein Risiko, von einem sehr konkurrenzfähigen Motorrad zu kommen und an unser Projekt zu glauben."

Bradley Smith

Der Brite Bradley Smith durfte trotz Kritik seinen Platz behalten Zoom

"Dann wäre es auch nicht fair, einen Fahrer nach Halbzeit der ersten Saison rauszuwerfen und fallen zu lassen", unterstreicht Beirer seinen Standpunkt. "Wir haben klar die Entscheidung getroffen, ihm die Zeit zu geben, sich zu entwickeln und ich weiß, dass er besser ist als das, was er gezeigt hat. Irgendetwas hat nicht gestimmt und er hat sich nicht so gefühlt, wie er das müsste, damit er seine Leistungen abrufen kann. Als der Druck größer und größer wurde, habe ich einfach die Chance genutzt, bevor es nach Übersee ging, um zu bestätigen, dass wir zu unserem Vertrag stehen und diesen immensen Druck von seinem Rücken zu nehmen."

"Denn wie soll man denn Leistung bringen, wenn man jedes Wochenende ins Fahrerlager kommt und die erste Frage ist: Wie viele Stunden bleiben dir noch in diesem Team, bevor sie dich rauswerfen? Ich wollte das einfach unterstreichen und ihm vor den Übersee-Rennen diese Unterstützung geben und wir konnten schon sehen, dass er nur durch diese kleine Bestätigung ein anderer Fahrer war. Er ist dann drei Rennen mit richtig guten Ergebnissen gefahren."

Stefan Pierer

KTM-CEO Stefan Pierer will KTM mittelfristig an der Spitze sehen Zoom

Beirer glaubt an sein Fahrer-Trio aus Espargaro, Smith und Kallio und weiß, was diese Drei in der zurückliegenden Saison - zusammen mit der Mannschaft und dem Technik-Team - geleistet haben. "Ich bin sehr froh und dankbar für alle drei Fahrer, die wir haben, Pol, Mika und Bradley, sie haben alle einen fantastischen Job gemacht. Dort, wo wir momentan sind, sind wir dank des Teams und der Fahrer. Es ist mir eine Ehre zu bestätigen, dass er bei uns bleibt und auch nächstes Jahr für uns fährt."

Fazit: KTM hat 2017 insgesamt eingeschlagen, wie eine Bombe - wenngleich sich dies wenig in den WM-Tabellen niedergeschlagen hat. In der Moto3 kamen die Mattighofener mit ihrem besten Piloten gerade einmal zu Rang neun der End-Tabelle, die sieben vordersten Plätze wurden von Honda-Fahrern besetzt. Trotzdem: Rang zwei in der Hersteller-Wertung.

Im ersten Jahr in der Moto2-WM gab es auf Anhieb Rang drei mit Miguel Oliveira - der Portugiese gewann die letzten drei Saisonrennen, in diesen drei Rennen gab es KTM-Doppelpodeste, da sein Teamkollege Brad Binder zwei Mal Zweiter und ein Mal Dritter wurde. Die KTM-Piloten sind 2018 heiße Anwärter auf den Titel der Moto2-Klasse - auch wenn dann von Triumph andere und neue Motoren zum Einsatz kommen werden.

In der MotoGP musste man kleinere Brötchen backen, doch diese waren groß wie Brote. KTM hat das gesamte Fahrerlager mit seinen Fortschritten beeindruckt, die sich durch direkte Einzüge ins Q2 und verringerte Rückstände in den Trainings und in der Gesamt-Rennzeit schwarz auf weiß belegen lassen. Die Firmen-Philosophie wurde klar demonstriert: KTM ist eben nicht nach dem Motto "Dabei ist alles" am Start, sondern man will ganz vor. Oder wie Pierer schon bei der Präsentation im Februar 2017 sagte: Um den Hass-Gegner Honda zu schlagen. Und der wurde mit Marc Marquez Weltmeister.