Kolumne: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Drei Strafen in einem Rennen inklusive Crash mit Valentino Rossi - Warum Marc Marquez ein größeres Problem als nur 25 verlorene Punkte hat

Titel-Bild zur News: Marc Marquez, Valentino Rossi

Mit dieser Aktion hat sich Marc Marquez am Sonntag keinen Gefallen getan Zoom

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,
die Reise nach Argentinien zählt zu den beschwerlichsten im gesamten MotoGP-Kalender. So war ich mit meinen Eurosport-Kollegen auf dem Hinweg insgesamt mehr als 49 Stunden unterwegs, bevor ich endlich in meinem Hotelzimmer in Termas de Rio Hondo angekommen war - Umweg und Zwischenlandung in Uruguay inklusive. Wer so eine lange Reise auf sich nimmt, der hofft natürlich, dass sich dieser Trip am Ende auch lohnt.

Marc Marquez dürfte eine ähnlich lange Anreise wie wir gehabt haben. Und auf dem Rückweg dürfte er sich vor allem eine Frage stellen: Hätte ich vielleicht einfach zuhause bleiben sollen? Ich weiß nicht, ob der Spanier bereits gestern Abend abgereist ist oder wie wir noch eine Nacht im Hotel verbracht hat und erst heute zurückfliegt. Doch egal ob im Flugzeug oder im Hotelbett: Gut wird Marc Marquez in der vergangenen Nacht ganz sicher nicht geschlafen haben.

Spulen wir die Uhr zu Beginn dieser Kolumne einmal kurz zurück auf Samstagmittag. Zu diesem Zeitpunkt waren sich eigentlich alle einig: Bei den schwierigen Mischbedingungen, die in Argentinien am ganzen Wochenende herrschten, wird Marquez zunächst auf Pole fahren und sich dann am Sonntag auch den Sieg schnappen. Da hatte Marquez den Rest der MotoGP-Welt im vierten Freien Training gerade um mehr als eine Sekunde(!) hinter sich gelassen. Die Pole schien eigentlich nur Formsache zu sein. Doch es kam anders.

Auf abtrocknender Strecke wurde es für den schnellsten Mann des Wochenendes am Ende nur Startplatz sechs - hinter Tito Rabat und Alex Rins. Das kann Marquez nicht geschmeckt haben. Dabei lief es für seine WM-Rivalen Andrea Dovizioso, Valentino Rossi und Maverick Vinales am Samstag noch schlechter - ganz zu schweigen von Jorge Lorenzo. In dieser Hinsicht hätte der Spanier also eigentlich zufrieden sein können. Das Problem: So tickt ein Marc Marquez nicht.

Marquez eines Weltmeisters unwürdig

Von daher dürfte der amtierende Weltmeister bereits in der Nacht auf Sonntag nicht besonders gut geschlafen haben. Vermutlich ist er mit einer Mischung aus Ärger über die verpasste Pole und einer damit verbunden besonderen Motivation für den Rennsonntag ins Bett gegangen. "Übermotiviert" könnte man das freundlich ausgedrückt nennen. Doch nach den Geschehnissen vom Sonntag wäre das wohl die Untertreibung des Jahres ...

Und dabei geht es nicht nur um den Rossi-Crash, der Spanier war von Rennbeginn an - wie es ein Kollege formulierte - "völlig außer Kontrolle". Das fing bereits mit seiner Aktion in der Startaufstellung an. Die sah zwar von außen betrachtet kurios aus, dürfte für die anderen Piloten aber ebenso wenig witzig gewesen sein wie die späteren Zwischenfälle mit Aleix Espargaro und Rossi. Drei Strafen in einem einzigen Rennen sind eines Weltmeisters unwürdig.

Besonders bitter: Marquez war an diesem Wochenende mit Abstand der schnellste Mann. Die 25 Punkte hätte er ohne die Zwischenfälle locker einfahren können. Und selbst nach den ersten beiden Strafen hätte er das Rennen noch immer als Fünfter beenden können - und damit vor Dovizioso, Rossi und Co. Stattdessen tritt er die Heimreise ohne Zähler an. In sportlicher Hinsicht war das gesamte Wochenende für ihn ein komplettes Desaster. Das alleine wäre bereits Grund genug für eine schlaflose Nacht gewesen.


Fotostrecke: #TermasClash: Marquez rammt Rossi weg

Zumal es ein Rückfall in "alte Zeiten" war. Marquez schien in den vergangenen Jahren gereift zu sein und gelernt zu haben, dass man manchmal das größere Bild - die Weltmeisterschaft - im Kopf haben muss. Dovizioso hat das am Sonntag zum Beispiel wieder einmal in Perfektion umgesetzt. Gestern haben wir wieder den alten Marc Marquez gesehen. Das Rennen in Argentinien zeigt, dass noch immer der teils unberechenbare Heißsporn vergangener Zeiten in ihm steckt. Es ist ein Teil von ihm, und es wird auch immer so sein.

Marquez hat ein Problem

Noch schwerer als der verlorene Sieg wiegt aber wohl der erneute Zwischenfall mit Valentino Rossi. Zu sagen, dass der "Doctor" und seine Fans ihm die Vorfälle rund um Sepang 2015 verziehen haben, wäre wohl etwas zu viel des Guten. Aber die Situation hatte sich zuletzt zumindest wieder etwas entspannt. Nun muss der Spanier fürchten, dass alles wieder von vorne losgeht. Vor allem die Reisen nach Mugello und Misano dürften für ihn in diesem Jahr erneut ein Spießrutenlauf werden.

Den ersten Vorgeschmack gab es bereits in Argentinien. Im Fahrerlager stürmte nach dem Rennen eine wütende Meute von Rossi-Anhängern in Richtung Marquez, der sich so schnell es ging in seine Zeltunterkunft flüchtete. Der "Doctor" selbst wartete zu diesem Zeitpunkt oben bei uns nahe des Media Centers auf ein Gespräch mit der Rennleitung. Seinen Gemütszustand in diesem Moment als "angepisst" zu bezeichnen, wäre ebenfalls wieder eine ziemliche Untertreibung ...

Marc Marquez

Für Marquez könnten im MotoGP-Paddock nun ziemlich eisige Zeiten anbrechen Zoom

Marquez weiß ganz genau, dass er seit gestern (wieder) ein gewaltiges Problem hat. Das zeigt die Tatsache, dass er sich unmittelbar nach dem Rennen bei Rossi entschuldigen wollte. Allerdings hätte man sich durchaus denken können, dass der Italiener darauf in diesem Moment keine besonders große Lust hatte. Ganz ehrlich: Ich hätte an Rossis Stelle nicht anders reagiert. Nicht so kurz nach dem Rennen. Nicht bei der Vorgeschichte.

Doch wie geht es nun weiter? Echte Reue zeigte Marquez in seiner Presserunde am Sonntagabend nicht. Umso gespannter darf man nun natürlich auf die Pressekonferenz in Austin in zwei Wochen sein. Bis dahin werden sich die Gemüter vermutlich ein bisschen beruhigt haben. Rossi und Marquez werden nicht aufeinander losgehen. Es könnte allerdings der Beginn einer weiteren Eiszeit zwischen den beiden sein. Und das dürfte dem Weltmeister in diesem Jahr noch einige weitere schlaflose Nächte bereiten ...

Wer sonst noch schlecht geschlafen hat
Mike Webb: Der Renndirektor der MotoGP dürfte nach der chaotischen Startphase gestern ebenfalls keine angenehme Nacht gehabt haben. Die Kontrolle über das Geschehen in der Startaufstellung ist ihm und seinen Kollegen zu diesem Zeitpunkt völlig entglitten. Die Folge: Chaos beim Start, eine ungeplante Verzögerung des Rennens und einige Fragen, die man sich nach diesem Debakel gefallen lassen muss.

Dani Pedrosa: Es ist im Motorsport immer schwierig, über "hätte, wäre, wenn" zu sprechen. Ich behaupte aber einfach mal: Hätte Zarco Pedrosa nicht abgeräumt, hätte der Spanier eine mehr als realistische Chance gehabt, das Rennen zu gewinnen. Es wäre ein Triumph genau zum richtigen Zeitpunkt gewesen. Nicht nur aufgrund der Schmerzen nach seinem Abflug wird der Routinier daher nicht viel Schlaf gefunden haben.

Jorge Lorenzo: Ein Punkt nach zwei Rennen, die Zielflagge in Argentinien hinter Fahrern wie Tito Rabat und den Rookies Hafizh Syahrin, Takaaki Nakagami und Franco Morbidelli gesehen. Mehr muss man dazu gar nicht sagen.

Ihr


Ruben Zimmermann


Ruben Zimmermann