powered by Motorsport.com
  • 29.12.2015 08:19

Gewagte MotoGP-Thesen 2015: Was die Experten sagen (1/2)

Hat Marquez Lorenzo geholfen? Ist Rossi für den #SepangClash verantwortlich? Mick Doohan und Kevin Schwantz gehen den MotoGP-Thesen 2015 auf den Grund

(Motorsport-Total.com) - Die MotoGP-Saison 2015 ist in die Geschichte eingegangen. Der Zweikampf zwischen Superstar Valentino Rossi und seinem Yamaha-Teamkollegen Jorge Lorenzo hielt die Sportwelt in Atem. Vor allem als in Sepang die Situation mit Marc Marquez eskalierte, war die MotoGP in aller Munde. In den Sozialen Medien wurde hitzig diskutiert, an den Stammtischen emotionell die Meinungen ausgetauscht. Niemanden ließen die Aktionen kalt und es wird spannend zu sehen, ob und wie sich die Rivalitäten im kommenden Jahr entwickeln werden.

Titel-Bild zur News: MotoGP Start

Die MotoGP-Saison 2015 ist aus vielen Gründen in die Geschichte eingegangen Zoom

Wir haben 19 Thesen aufgestellt, teilweise sehr provokant formuliert. Mit diesen Thesen haben wir Mick Doohan (fünffacher 500er-Weltmeister) und Kevin Schwantz (Champion 1993) konfrontiert. Diese Rennlegenden hatten die Gelegenheit, die Thesen mit "Stimmt, weil..." oder "Stimmt nicht, weil.." zu kommentieren - und ihre Meinung kompakt zu begründen. Das Ergebnis ist hochinteressant, bringt teilweise spannende Gedankenansätze zutage und liefert unseren Usern sicher Stoff für weitere Diskussionen. Aber lesen Sie selbst!

These #1: Wegen des #SepangClash zwischen Rossi und Marquez ist Jorge Lorenzos dritter WM-Titel wertloser als seine ersten beiden Weltmeisterschaften.

Seit der Pressekonferenz am Donnerstag in Malaysia war das Verhältnis zwischen Rossi und Marquez vergiftet. Als Publikumsliebling hatte Rossi die Mehrheit der Fans im Rücken, Marquez bekam die Rolle des "bad guy" aufgedrückt. Auch Lorenzo wurde von vielen Fans kritisiert und sogar ausgebuht. Wäre sein WM-Titel ohne #SepangClash deutlich wertvoller? Doohan und Schwantz sind sich einig: "Dem stimme ich nicht zu." Und Doohan betont: "Jorge war sehr schnell und sehr konstant. Letztendlich gab es viele Stimmen zu Rossi und Marquez, aber jeder WM-Titel ist verdient."

Auch Schwantz verweist auf die lange Saison mit 18 Rennen. Unter dem Strich war Lorenzo der schnellste Mann: "Jorge hatte eine großartige Saison und Druck auf Rossi ausgeübt, wenn es notwendig war. Jeder WM-Titel hat seinen Wert. Es geht darum, wer nach 18 Rennen die meisten Punkte auf dem Konto hat. Ich finde nicht, dass sein WM-Titel wertvoller oder weniger wertvoll als normal ist." Lorenzo hat mittlerweile 39 Rennsiege in der Königsklasse gefeiert. Auf Doohans-Marke fehlen ihm noch 15 Siege. Schwantz gewann in seiner Karriere 25 Rennen.

These #2: Marquez hat Lorenzo in Valencia beschützt, während es Dani Pedrosa nicht gemacht hat.

Eine der am meisten diskutierten Thesen nach dem Saisonfinale. Anhand der Kommentare unter unseren Artikeln beziehungsweise auf unserer Facebook-Seite wird deutlich, dass die meisten Fans von dieser These überzeugt sind. Bewiesen ist sie nicht. Lorenzo fuhr in Valencia ein perfektes Rennen und hielt die Pace konstant hoch. Die Honda-Fahrer klagten schon nach dem Freitagstraining über Probleme mit dem Vorderreifen. Trotzdem war auffällig, dass Marquez - völlig untypisch für ihn - keine einzige Attacke auf Lorenzo geritten hat.

Die Meinung unserer beiden Experten geht bei dieser These auseinander. Schwantz glaubt daran: "Als Pedrosa Marquez überholte, war Marquez aggressiver als sonst an diesem Wochenende. Ich denke, dass Dani an die Spitze hätte fahren können, wenn Marquez nicht so aggressiv gekontert hätte." Marquez hatte nach dem Rennen gesagt, dass er ohne Pedrosas Attacke am Ende eventuell noch eine Möglichkeit für einen Angriff auf Lorenzo gesehen hätte.

Jorge Lorenzo, Marc Marquez

Marc Marquez attackierte Jorge Lorenzo in Valencia kein einziges Mal Zoom

Doohan stimmt der These nicht zu und versucht die Situation analytischer zu bewerten: "Es gibt auf diese Frage wahrscheinlich zwei Antworten. Wenn er es getan hätte, dann liegt es wahrscheinlich an Sepang und ist verständlich. Wenn dich jemand von der Strecke fährt, wen möchtest du dann als Sieger sehen? Honda war am Ende schnell, aber ich glaube nicht, dass Marquez der entscheidende Faktor in der WM sein wollte. Damit meine ich, dass er mit Jorge mitfahren konnte. Aber ihn auf dieser Strecke zu überholen, und er hatte seine Reifenprobleme angesprochen, dann wäre es vielleicht zu einem Sturz gekommen, bei dem er Lorenzo vielleicht mitgerissen hätte. Die Wahrheit weiß nur Marquez selbst. Ich kann nur sagen, dass Lorenzo sehr schnell gefahren ist."

These #3: Auch wenn die Öffentlichkeit eine andere Meinung vertrat, Valentino Rossi alleine trägt am #SepangClash die Schuld.

In den Kommentaren wurde nach Sepang in erster Linie auf Marquez geschimpft, doch die meisten Fans hatten die "Rossi-Brille" auf und es kam überhaupt nicht infrage, dass eigentlich Rossi der "bad guy" war. Aber hat Rossi die falsche Taktik gewählt? Hätte er bei der Pressekonferenz lieber schweigen und erst nach dem Saisonfinale seine Meinung der Öffentlichkeit mitteilen sollen? Wären in diesem Fall die Ereignisse auf der Strecke anders gewesen? Ist Rossi ganz alleine Schuld an den Ereignissen, die ihn letztendlich den WM-Titel kosteten?

"Seit es den Rennsport gibt, werden Spiele gespielt und man drückt jemanden raus", bewertet Doohan die kontroverse Situation in Sepang. "Marc hätte vom Gas gehen und zurückstecken können, und ihn später wieder überholen können. Ich bin mir nicht sicher wer der Schuldige ist. Es war nicht ganz korrekt von Valentino, aber Marc hätte auch zurückstecken und den Unfall verhindern können." Für Doohan hätte sich Marquez in dieser Situation geschickter verhalten können, aber prinzipiell war es ein normaler Rennvorfall.

Valentino Rossi

Trägt Valentino Rossi an der Sepang-Kontroverse die alleinige Schuld? Zoom

Und auch für Schwantz war es eine Rennszene, die schon oft vorgekommen ist, allerdings sieht er die Schuld nicht bei Rossi. "Ich glaube, es gab in Sepang keinen Clash. Valentino hat Marquez nicht von der Strecke gefahren. Er hat Marquez in dieser Kurve auf der Außenseite, Marquez lenkte zweimal ein. Alles was nach Sepang passiert ist, war meiner Meinung nach wegen nichts. Marquez ist gestürzt, weil er in Valentino hineinlenkte. Valentino war auf der Innenseite, es war seine Kurve."

"Marquez kann von außen erst einlenken, wenn der Mann auf der Innenbahn lenkt. Das ist meine Meinung. Ich hätte an Valentinos Stelle genauso gehandelt. Bernie Ecclestone hat gesagt, dass er Valentino die schwarze Flagge gezeigt hätte. Bernie weiß aber nichts über den Motorradsport. Valentino hat niemanden gefährdet. Valentino wurde bestraft, weil Marquez gestürzt ist. Das war aber nicht Valentinos Schuld."

These #4: Der Konflikt in Sepang war gut für die MotoGP und gut für das weltweite Ansehen der Serie."

"Absolut", lacht Doohan. "Letztendlich hat die MotoGP mit dieser Situation gewonnen. Valentino hatte eine großartige Saison und es war natürlich enttäuschend, dass er nicht gewonnen hat. Das wäre für den Sport auch sehr gut gewesen. Der Rummel nach Sepang hat der MotoGP wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit beschert, als wenn Valentino mit einem sauberen Rennen gewonnen hätte." Schwantz sieht es etwas differenzierter. Auf der einen Seite war die MotoGP weltweit in aller Munde, aber es ist offen, ob die Popularität auch langfristig gestiegen ist: "Die Aufmerksamkeit war groß, aber vielleicht lag es nur am momentanen Eifer des Gefechts."

These #5: Valentino Rossi hatte bei seinen Siegen Glück, Jorge Lorenzo hat dagegen mit seinem Speed gewonnen."

Vier Rennen gewann Rossi im Laufe der Saison, Konkurrent Lorenzo kreuzte sieben Mal als Erster die Ziellinie. "Seine Qualifyings haben es ihm schwer gemacht", spricht Doohan die größte Schwäche des Altmeisters an. "Als er in Valencia von hinten starten musste, war sein Speed deutlich zu sehen. Aber alle der Top 4 hätten es in diesem Rennen auf den vierten Platz geschafft." Rossi profitierte vor allem in der ersten Saisonhälfte von den Stürzen bei Marquez, der Operationspause von Pedrosa und kleineren Schwierigkeiten bei Lorenzo.

Trotzdem will Schwantz nicht von Glück sprechen: "Valentino hat gewonnen, weil er clever war. Im Gegensatz zu Lorenzo hat Valentino bei seinen Rennsiegen nicht von Beginn an geführt. Seine Siege müssen für ihn etwas Besonderes gewesen sein, denn er musste hart darum kämpfen." Auch Doohan stimmt zu und bringt es auf den Punkt: "Valentino hat sich seine Position verdient, aber ihm ist praktisch die Zeit davongelaufen. Es gab ein Rennen zu viel..."

Fans

Die MotoGP lockte 2015 eine Rekordzahl an Fans zu den Rennstrecken Zoom

These #6: Valentino Rossi wird nie wieder Weltmeister.

War 2015 seine letzte Chance? "Wir haben in diesem Jahr gesehen, dass ihn schon viele Leute abgeschrieben hatten, aber er war sehr entschlossen. So entschlossen haben wir ihn schon sehr lange nicht mehr gesehen", meint Doohan. "Es wird natürlich interessant, ob ihn der Ausgang der WM beeinflussen wird. Und was wird ihn nächstes Jahr motivieren? Es wird an seiner Vorbereitung liegen, damit er sich in eine bessere Position bringt und er dieses Extra findet, das ihm in diesem Jahr gefehlt hat. Lorenzo und Marquez scheinen etwas mehr Speed zu haben."

Deshalb glaubt der Australier, dass ein weiterer WM-Titel nicht ausgeschlossen ist: "Wenn Valentino noch etwas findet, dann wird er ein WM-Anwärter sein. Auf der anderen Seite kommt sein Rücktritt immer näher. Es könnte seine letzte Chance werden." Schwantz sieht es ähnlich, aber Rossi wird auch auf die Hilfe der drei Spanier zählen müssen: "Wenn sie Fehler machen, dann ist für Valentino die Türe offen. Es wird zwischen den vier Fahrern sicher eine hart umkämpfte Weltmeisterschaft werden."

Valentino Rossi

War 2015 die letzte WM-Chance von Valentino Rossi? Zoom

These #7: Valentino Rossi wäre 2015 Weltmeister geworden, wenn mit 500er Zweitaktmotoren gefahren worden wäre.

Bei dieser These fängt Doohan zu Lachen an. Die aktuellen MotoGP-Prototypen entscheiden sich fundamental von den giftigen und schwierig zu fahrenden Zweitaktern aus seiner Ära. "Das ist schwierig zu beantworten. Valentino ist sehr talentiert und ist verschiedene Motorräder gefahren. Er hat auch mit der 500er einen WM-Titel gewonnen. Ich glaube, dass talentierte Fahrer wie Marquez und Lorenzo auch mit einer 500er umgehen könnten. Wer weiß, wer der Gewinner wäre. Man kann auch nicht Lorenzo und Rainey vergleichen."

These #8: Marc Marquez hat den WM-Titel schon im Winter verloren, als er sich für den zu aggressiven Motor entschieden hat.

"Eine schwierige Frage, vielleicht ist sie richtig", grübelt Doohan, der in seiner kompletten Karriere nur für Honda gefahren ist. "Ich weiß aus meiner Erfahrung, dass es manchmal schwierig sein kann, mit den japanischen Honda-Technikern zu arbeiten. Wenn er sich beim Test mit diesem Motor wohlgefühlt hat, dann hat er seine Entscheidung getroffen. Beim Saisonstart stellte sich dann heraus, dass es nicht die richtige Wahl war. Das gehört aber zum Motorsport dazu."

Diese falsche Entscheidung führte nicht nur zu Rennstürzen, sondern Marquez musste auch seinen Fahrstil umstellen. Der Vorteil von 2014 war verloren gegangen. Er konnte nicht mehr so spät und aggressiv die Kurven anbremsen. Schwantz stimmt der These zu, ist aber auch der Meinung, dass sich die Honda-Ingenieure in Zukunft auf die Rennpace konzentrieren müssen, damit Marquez auch im letzten Renndrittel noch voll attackieren kann.

Der zweite Teil mit neun weiteren Thesen zur MotoGP-Saison 2015 folgt morgen.