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  • 26.05.2017 21:11

  • von Heiko Stritzke & Roman Wittemeier

Musterreifen führt zu Chaos: Muss der Einheitsreifen her?

Die Reifendiskussion bei den 24 Stunden auf dem Nürburgring wird noch wilder - Hitze lässt alle bei null anfangen, Frikadelli setzt ganz aus, künftig Einheitsreifen?

(Motorsport-Total.com) - Es bleibt das Reizthema des 24-Stunden-Rennens: Das schwarze Gold stellt Teams und Fahrer in der SP9- und SPX-Klasse vor große Herausforderungen. Noch nie konnten die Pneus, die nach dem neuen Musterreifen-Reglement konstruiert wurden, bei solch warmen Bedingungen auf der Nürburgring-Nordschleife getestet werden. Weil Entwicklungsreifen von den großen Herstellern Dunlop und Michelin nicht mehr verwendet werden, da die Konkurrenz sie käuflich erwerben kann, betreten alle an diesem ungewöhnlich heißen Wochenende Neuland.

Titel-Bild zur News: Marco Werner, Dirk Werner

Die Reifen bleiben ein großer Diskussionspunkt beim 24h-Rennen

Das Problem geht so weit, dass der Frikadelli-Porsche #31 das Top-30-Qualifying 'Motorsport-Total.com' hörte sich im Fahrerlager um und traf auf Kopfschütteln. "Wir hängen hier in einem hausgemachten Dilemma", klagt etwa Audi-Kundensportleiter Chris Reinke. Um welches Dilemma es geht, erklärt BMW-Motorsportchef Jens Marquardt: "Die Bedingungen sind dermaßen krass anders als all das, was wir bei den VLN-Läufen und beim Qualirennen hatten. Da lag die Streckentemperatur bei fünf oder sechs Grad, jetzt haben wir hier zwischen 30 und 40 Grad. Da fängst du nochmal ganz von vorne an." Und das hat sicherheitsrelevante Aspekte.

Anders als BMW, deren werksunterstützte Teams voll und ganz auf Michelin setzen, hat Audi seine Teams zwischen den Franzosen und Dunlop aufgeplittet. "Wir werden aber zu unseren Reifenpartnern stehen, denn sie können gar nichts für diese Situation", sagt Reinke. Nur auf welche Art und Wiese? Tatsächlich stand eine Zeitlang der absurde Gedanke im Raum, sogar während der Nacht mit anderen Reifen zu fahren als am Tag. Zumindest bei Audi funktioniert der Dunlop bei Hitze besser, der Michelin bei kühleren Bedingungen.

Zwei Reifenpartner in einem Rennen?

"Wir wären mit unserer 'Doppelnennung' tatsächlich auf ein Szenario vorbereitet, beide Reifenmarken zu nutzen. Das Reglement lässt das zu", erläutert der frühere LMP1-Projektleiter von Audi Sport. "Allerdings stehen wir zu unseren Partnern. Wenn es nicht in deren Sinne ist, dann sollte es für uns auch kein Zielszenario sein." Und es ist definitiv im nicht Sinne der Reifenhersteller, mit unterschiedlichen Reifen zu fahren. "So etwas werden wir nicht zulassen", stellt Dunlop-Motorsportmanager Alexander Kühn klar.

Allerdings wusste Audi auch noch kurz vor dem Top-30-Qualifying nicht, mit welchen Reifen welches Auto definitiv das Rennen starten wird. Die Regel, dass mit den im Top-Qualifying verwendeten Reifen auch der erste Rennstint gefahren werden muss, gilt nicht mehr. Somit bleibt Audi noch immer Zeit. Eine Entscheidung soll am Freitagabend fallen.

Musterreifen-Reglement verfehlt fast alle Ziele

Chris Reinke nutzt die Zeit, um sich über die ganze Art und Weise, wie die neuen Regeln eingeführt wurden, Luft zu machen: "Diese Bedingungen wurden den Reifenherstellern aufgezwungen, jetzt müssen wir sehen, dass wir das sicher über die Bühne bringen. Das geht nur im Schulterschluss. Keiner der Hersteller wird beim Thema Sicherheit irgendwelche Kompromisse eingehen. Eher wird man reagieren, indem man Performance reduziert. Das war sicherlich nicht so gedacht, als man dieses Reglement so formuliert hat."

Ein anderes Thema sind die Kosten: "Aufgrund der Reifenthematik musste man jetzt viel testen. Und dann gibt es die Tatsache, dass man sich alle Optionen offen halten muss, also viel mehr Reifen erwerben muss. Es ist so, dass bei allen Herstellern die Kosten dramatisch nach oben gegangen sind."

Frikadelli-Porsche

Frikadelli zog den Top-Porsche aus dem Top-30-Quali ab, um Reifen zu sparen Zoom

Marquardt formuliert die Kritik etwas weniger hart, stößt aber ins selbe Horn: "Die Änderungen kamen sehr kurzfristig. Da muss man sich überlegen, ob man so etwas nicht in Zukunft so plant, dass man unter relevanten Bedingungen testen kann. Das ist ein Thema zwischen DMSB und Reifenherstellern. Wir sind letztlich nur Nutzer. Eines muss man klar festhalten: So etwas muss früher entschieden werden, viel früher."

Als das neue Reifenreglement im Herbst vergangenen Jahres beschlossen wurde, standen noch zwei VLN-Läufe auf dem Programm, größtenteils im Herbstregen. Dann wurde das Aerodynamik-Reglement der GT3-Boliden geändert und alle gesammelten Daten waren hinfällig. Im Winter war kein Rennstreckenbetrieb möglich, sodass erst mit Beginn der Rennsaison die Entwicklung für die Reifen, die jetzt verwendet werden, wirklich starten konnte. Und simulieren lässt sich die Nürburgring-Nordschleife mit ihren vielen einzigartigen Herausforderungen an den Reifen nicht.

Einheitsreifen als Lösung?

Doch wie kann eine Lösung aussehen? Die Rückkehr zu Entwicklungsreifen will der DMSB nicht, da die Autos zu schnell werden würden. Selbst mit Einführung des Musterreifen-Regelwerks und der neuen Aerodynamikregelungen sind die Fahrzeuge lediglich nicht noch schneller geworden. Muss also der Einheitsreifen kommen? "Aus unserer Sicht ist das die einzige Möglichkeit, die Betriebskosten zu reduzieren. Und nebenbei wird dadurch die BoP relevanter, weil sie um einen wichtigen Faktor bereinigt wird", findet Reinke.

Die Balance of Performance macht seines Erachtens nur bedingt Sinn, solange nicht auch beim schwarzen Gold für ein einheitliches Feld gesorgt wird. Chris Reinke weiter: "Ich hebele doch einen Teil des BoP-Prozesses aus, wenn ich einen Reifenkrieg zulasse. Auf was balanciere ich denn? Auf welchen Reifen? Da sind so viele Themenfelder eröffnet, die nicht sein müssten." Mit der Nürburgring-Nordschleife als einziger Strecke und dem Einheitsreifen auf der anderen Seite wären bereits zwei Variablen für einen sauberen BoP-Prozess unveränderlich.

Doch es gibt nicht nur Fans der Einheitsreifen. Die VLN und das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring sind mittlerweile eine der letzten Bastionen des Reifenwettbewerbs. Und werden von den Reifenherstellern entsprechend als Werbeplattform genutzt. Auch auf Herstellerseite hält sich die Begeisterung zu Vereinheitlichung bei mehreren Parteien in Grenzen. Marquardt spricht es aus: "Wir fahren in der DTM einen Einheitsreifen, was gut funktioniert. Auch in anderen Serien geht das gut. Auf der anderen Seite: Das Schöne am Nürburgring ist gerade die Vielfalt." Und die gibt es auch hier mittlerweile nicht mehr in allen Klassen.

"Ich hebele doch einen Teil des BoP-Prozesses aus, wenn ich einen Reifenkrieg zulasse. Auf was balanciere ich denn? Auf welchen Reifen?" Chris Reinke

Egal wie man es dreht und wendet: Es herrscht Handlungsbedarf für 2018. Und das ziemlich schnell, denn noch einmal werden die Parteien einen solch plötzlichen Regelmentswechsel wie zur Saison 2017 nicht hinnehmen.