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  • 22.05.2015 10:59

  • von Christian Ebner

Selbst Rennfahrer werden: Quälen wie die Champions

Training bei Formel-1-Physio Erwin Göllner: Petra und Christian Ebner leiden auf dem Weg zum Rennfahrer dort, wo schon Jacques Villeneuve gelitten hat...

Nein, liebe Leser von Motorsport-Total.com,

Titel-Bild zur News: Christian Ebner im Simulator von Erwin Göllner

Christian Ebner im Formel-1-Simulator von JV-Coach Erwin Göllner Zoom

an der Situation, dass wir uns auf Sponsorensuche befinden, hat sich seit unserer letzten Kolumne nichts geändert. Jedoch haben wir ein Teammitglied dazugewonnen, ein wertvolles noch dazu: Danny Altmann aka Herr Löblich. Den Simracern sicherlich bekannt durch seine unzähligen YouTube-Videos zum Thema Simracing, ein echt lustiger Typ. Er greift uns tatkräftig unter die Arme, was das Videoschneiden angeht; Social Media ist mittlerweile ein keinesfalls zu vernachlässigendes Thema geworden. Willkommen, Danny!

Was sich allerdings geändert hat, ist meine Einstellung zum Rennfahren, primär denjenigen Menschen gegenüber, die die Rennautos bewegen. Für mich steht jedenfalls fest, dass es viele Aliens unter uns gibt - und die sind allesamt Rennfahrer! Rosberg, Vettel, Ericsson, ja selbst hinunter bis in die Formel 3. Das können keine Menschen sein, unmöglich.

17 km/h langsamer als die Profis

Und diese Erkenntnis, dass wir Normalsterblichen eben nicht allein im Universum sind, beruht nun endgültig auf Fakten. Auf jene, die ich in den vergangenen zwei Wochen auf die harte Tour kennengelernt habe.

Beginnen wir bei der Auswertung der Onboard-Aufnahmen des Testtags auf dem Red-Bull-Ring. Einer dieser Außerirdischen trägt den Namen Sascha Halek und greift ab heute im GT4-X-Bow an. Kämpft in Zandvoort gegen seinesgleichen. Nimmt er mir doch tatsächlich in einer einzigen Kurve, nämlich der Würth-Kurve, irre viel Zeit ab. Er durchfährt sie 17 km/h schneller als ich. Im selben Auto, am selben Tag. Wo ich am Kämpfen bin, dass mich das Heck nicht überholt, haut mir dieser Marsianer eine Packung drauf, dass ich echt nicht mehr weiß, wie das gehen soll.


Petra und Christian trainieren bei Erwin Göllner

Für mich ganz klar: Er kann die Fliehkräfte außer Kraft setzen, und das können Erdbewohner nunmal nicht. Ich bin ja froh, dass meine Frau Petra nicht auch dieses Tempo geht und somit eine von uns ist.

Aber, das ist ja nicht der einzige Beweis, den ich liefern kann. Es gibt einen weiteren, der jeden Verschwörungstheoretiker jubeln lässt. Ich habe nämlich den Oberbürgermeister der Aliens am vergangenen Wochenende kennengelernt und verrate hier exklusiv seinen Namen: Erwin Göllner.

Ein Fleckerl Mars in Fürstenbrunn bei Salzburg

Seine Basis hat er in Fürstenbrunn bei Salzburg aufgeschlagen, von wo aus er viele Rennfahrer betreut. Warum auch immer, aber er hat meiner Frau, Chefredakteur Christian Nimmervoll und mir einen Einblick in so ein Alien-Training gegeben, hat das Outing sozusagen selbst zu verantworten.

Christian Ebner bei Erwin Göllner

Schon nach den Aufwärmübungen ist Christian völlig am Ende Zoom

Das begann alles schon bei der Uhrzeit. Man hat uns an einem Sonntag, dem Tag des Herrn und nicht des Teufels (!), in seine Folterkammer gebeten. Antreten um 10 Uhr. Morgens. Während der Schlussspurt des 24-Stunden-Rennens auf der Nordschleife stattfindet. Erbarmungslos ist er schon. Statt gemütlich im Sofa lungernd, bei dem typisch Österreichischen K&K-Frühstück (nein, nicht Kaiserlich & Königlich sondern Kippe & Kaffee) dem spannenden Rennverlauf zuzusehen, sollen Petra und ich das Astronautenprogramm absolvieren.

Erwin ist seit über 30 Jahren im Geschäft, hat Weltmeister mit den klingendsten Namen unter seinen Fittichen gehabt. Villneuve, Hill, Frentzen, Rosberg: Seine Vita liest sich wie die Startaufstellung des Race of Champions. Er hat sie alle gequält, deutlich ärger als Petra und mich. Schon mein Ruhepuls, nach dem Umkleiden, schrammte regelmäßig an der 100er-Grenze - und hat sie an diesem Tag nie mehr unterschritten.

Aufwärmen? Sterben!

Gemütliches Aufwärmen? Bei den kommenden Weltmeistern heißt das: einmal den Untersberg hinauflaufen. Schlappe 1.500 Höhenmeter, für die ich vermutlich eine Woche benötigen würde - nein, das kommt schon mal gar nicht in Frage. Also ein "Zirkeltraining": elf Übungen ohne irgendeiner Gerätschaft, die man immer und jederzeit machen kann. Frei nach Jeremy Clarkson: How hard can it be?

Petra Ebner bei Erwin Göllner

Petra Ebner plagt sich bei Sit-ups während eines Jetflieger-Programms Zoom

Beim Einstudieren der Übungen wusste ich schon, dieses bisschen Aufwärmen kann mich töten. Bei dem Tempo Strecksprünge, Liegestützen, Kniebeugen, Hampelmann, Sit-ups, und so weiter durchführen, da wird sich meine arme geschundene Raucherlunge gleichmal ordentlich melden und w.o. geben.

So kam es dann auch. Jede dieser Übungen so oft wie möglich innerhalb von 30 Sekunden absolvieren. Anschließend 30 Sekunden Pause und weiter mit der nächsten. Die Profis, erzählt Erwin, haben dazwischen nur fünf Sekunden Pause. Also keine Zeit zum Schweiß abwischen oder gar trinken. Nicht mal eine Zigarettenpause ist da eingeplant. Ein Barbar ist der Erwin - und sicher nicht von dieser Welt!

Ja, das abschließende Punkteschema, mit welchem er den Ist-Zustand messen kann, hat ergeben, dass ich schlechter abgeschnitten habe als Petra. In Zahlen ausgedrückt: 1.291 Punkte erreichte ich, Petra 1.350 - und diejenigen, die dort oft verkehren und Weltmeisterschaften gewinnen, über 3.000 Punkte. Allerdings machen die das als Aufwärmübung, während Petra und ich uns schon jetzt ein Bett wünschen.

Gehaut wird nur auf der Rennstrecke!

Weiter ging es mit Gummibändern, in alle möglichen Richtungen ziehen, halten und langsam locker lassen. Ein kurzes Boxtraining, wobei es nach 30 Sekunden eher aussah, als ob Petra und ich den Sandsack streicheln würden. Wir sind einfach nicht so gewaltbereit, Hauen und Stechen liegt uns fern. Außer auf der Rennstrecke, da mögen wir es grob!

Jet-Test mit Petra und Christian Ebner

Nur Aufwärmen: Petra erreichte beim Jet-Test mehr Punkte als Christian Zoom

Und um dort hinzukommen, ihr habt es in der letzten Kolumne gelesen, müssen wir die Arm- und Nackenmuskeln fordern. Dazu hat Erwin aus den Weiten der Galaxie eine Box mitgenommen. Eine, die er selbst entwickelt hat, zusammen mit Jacques Villeneuve. Sie simuliert auf gesunde Art und Weise die G-Kräfte, die einem auf der Rennstrecke so unterkommen können. Meine Frau, so ein Schwächling, startet mit dem Seifenkisten-Programm. Gemütlich am original McLaren-Lenkrad drehen und sich in einem schmalen Bereich aufhalten.

Die Lenkbewegung erinnert ein wenig an das Reifenaufwärmen in einer langen Kurve: 100 Mal in jede Richtung bei neun Kilogramm Lenkkraft. Lenkt man zu stark ein und überschreitet die rote Linie, welche man am Bildschirm vor sich sieht, zählt dieses böse Programm nach oben statt nach unten. Ebenso, wenn man die Lenkung zu sehr aufmacht. Wir machen das beide lieber ohne rote Linie, wir würden sonst vermutlich noch übernächste Woche in diesem G-Force-Simulator sitzen.

Aber nicht nur die Hände werden trainiert, auch das Knie. In Kurven muss man ja ebenso die Kontrolle über die Pedalerie eines Rennboliden haben. So drückt man (richtig geraten, wieder je 100 Mal) die Knie nach außen. Dann noch 100 Mal das Brems- und Gaspedal.

Fliehkräfte lassen sogar Bierbauch verschwinden

Das Schöne beim Bremsen: Mein kleiner (über die Formulierung "klein" lässt sich streiten; Anm. d. Chefredaktion) Bierbauch verschwindet dank dieses Wundergeräts vollständig! Die Sitzgurte ziehen einen dermaßen in den Sitz, dass er inexistent wird. Deswegen gibt es vermutlich auch keine dicken Rennfahrer. Ich sollte mir auch so einen Bauch-weg-Trainer bauen. Alle Übungen noch halbwegs machbar. Wie gesagt, im Seifenkisten-Modus.

Petra Ebner im Simulator von Erwin Göllner

In diesem Simulator haben schon Formel-1-Weltmeister trainiert Zoom

Kommen wir nun zum Finale, der Halsmuskulatur. Am Helm ist in alle vier Himmelsrichtungen ein Seil angebracht, welches den Kopf in alle erdenklichen Richtungen ziehen kann. Man simuliert Beschleunigung, Kurvenfahrt und Bremsmanöver. Wieder je Richtung 100 Mal innerhalb der roten Linie bleiben, auf Zeit natürlich.

Rennfahrer lieben die Zeit und haben keine. Sie müssen ja alles so schnell wie möglich machen und können nichts genießen. Wenn Erwin eine Gruppe zum Trainieren da hat, vergleichen sie untereinander die Zeiten. Feuern sich an oder gehen sich so auf den Geist, dass auch mal ein Walkie-Talkie aus dem Simulator herausgeflogen kommt.

Das Ding zerrt mit zwölf Kilo am Helm, was wirklich äußerst anstrengend ist, aber für die Formel-3- und Grand-Prix-Helden immer noch aufwärmen bedeutet. Mein Mundwerk ist immer offen, die Töne groß. So kennt man mich und ich falle auch manchmal auf die Schnauze, weil ich mich übernehme. So geschehen: "Erwin, gib mir endlich mal das Rosberg-Programm an Lenkrad und Helm!" Hätte ich bloß meine Klappe gehalten...

Entschuldigung bei Stefan Raab

Stefan Raab, ich entschuldige mich in aller Form bei dir! Bei deinem Ausflug im McLaren-Doppelsitzer habe ich Tränen gelacht, weil es dir deinen Kopf hin und her geschmissen hat, deine Augen verrieten auch sehr viel. Großes Indianerehrenwort: Ich werde nie mehr lachen bei dieser Szene, ich weiß es nun besser.

Christian Ebner im Simulator von Erwin Göllner

Nichts geht mehr: Beim Rosberg-Programm müssen die Hände mithelfen Zoom

42,5 Kilo sind alleine mit dem Kopf zu stemmen, das entspricht 5g. Ein Wert der beim Bremsen mit einem Formel-1-Auto Standard ist. Es kann jeder gerne ausprobieren: Man legt sich auf einen Tisch, der Kopf sieht über die Kante und alleine mit dem selbigen hebt man nun zwei Kisten allerfeinsten Gerstensaft an. Logisch, 100 Mal. Selbst mit beiden Händen, die ich zu Hilfe nahm, konnte ich meinen Kopf nicht zurück zum Sitz drücken, keine Chance! Gas geben geht ja noch - die Designer der Formelfahrzeuge haben ein Einsehen und bauen so etwas Ähnliches wie eine Kopfstütze ein.

Die kommenden Tage verbrachte ich mit Nachdenken. Über diverse Schmerzen an Stellen, wo man keinen Muskel vermutet. Hinter den Ohren beispielsweise, wozu ist dieser Muskel gut? Nach zwei Stunden kam ich auf die Lösung: Ohrenwackeln. Was anderes fällt mir nicht ein. Und diese Maschine hat mir viele Stellen aufgezeigt, wo Muskeln sind, von deren Existenz ich bis heute nichts wusste. Allein durch die schiere Kraft, der man sich als Rennfahrer aussetzt.

Nein, solche Kräfte kann kein normaler Mensch aushalten, dazu muss man von einem anderen Stern sein. 20 dieser Exoten könnt ihr dieses Wochenende bewundern, wenn sie beim Millionärsausflug in Monaco spielen dürfen. Und ich werde bestimmt nicht lachen, versprochen!

Euer

Christian Ebner

Bisherige Beiträge aus der Reihe "Selbst Rennfahrer werden":
- Lebe deinen Traum! (8. April 2015)
- Dreher, Verbremser, Abschleppseil (17. April 2015)