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  • 24.10.2012 18:40

  • von Pete Fink

Kolumne: Quo vadis, Indianapolis?

In Indianapolis geht es hinter den Kulissen wieder einmal rund: 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Pete Fink über Tony George, Randy Bernard und Hintergründe

Titel-Bild zur News: Sonnenuntergang in Indianapolis

Eine trügerische Ruhe? Der Sonnenuntergang von Indianapolis

Liebe IndyCar-Fans,

ist der Wirbel um Tony George bereits vorüber? Oder ist es nur die Ruhe vor einem wahren Monster-Hurricane, der den IndyCars im Fall aller Fälle bevorsteht? Nein, zu vermelden gibt es derzeit nichts. In Indianapolis hat man die Schoten dicht gemacht und blockt die Anfragen ab. Was übrigens auch für unsere US-Kollegen gilt, die sich daher ebenfalls im Spekulations- und Analysemodus befinden.

Doch der Reihe nach: Ein Fakt, der mittlerweile bekannt ist, ist die Tatsache, dass Tony George die IndyCar-Serie kaufen möchte. Ein zweiter Fakt ist die Tatsache, dass Jeff Belskus, der Chef des Indianapolis Motor Speedway und Aufsichtsratsmitglied des Hulman/George-Konzerns, sagt, die IndyCars stünden nicht zum Verkauf. Der Rest ist eine turbulente Gerüchteküche, deren Lage sich beinahe stündlich ändert.

Und die natürlich viele Fragen aufwirft. Zum Beispiel: Wenn die IndyCars, wie Belskus sagt, nicht zum Verkauf stehen, warum tritt George dann aus dem Hulman/George-Aufsichtsrat zurück? Mit der Begründung, es handle sich um einen Interessenskonflikt, denn als Aufsichtsratsmitglied könne George ja nicht gleichzeitig Käufer und Verkäufer sein?

Viele Szenebeobachter unken daher, dass das erste George-Übernahmeangebot nicht das Letzte gewesen ist. Daraus folgt die nächste Frage: Ist es dann eine Frage des Preises? Hier die Spekulation: Das abgesagte China-Rennen habe ein Millionen-Loch in die Jahresbilanz 2012 gerissen. Das kolportierte Minus von sieben Millionen US-Dollar deckt sich auffällig mit dem kolportierten George-Kaufpreis von ebenfalls sieben Millionen US-Dollar.

Was entscheidet die Hulman/George-Familie?

Kunststück, wenn man unterstellen kann, dass Aufsichtsratmitglied George ja Einblick in die von IndyCar-Chef Randy Bernard vorgelegten Zahlen gehabt haben muss. Dessen Auftrag war es, die Serie aus den roten Zahlen zu heben. Die Annahme ist nun, dass dies im dritten Bernard-Jahr ohne das China-Desaster funktioniert hätte. Die schwarze Null stand leider nur im Konjunktiv.

Tony George

Der potenzielle Käufer Tony George: Was hat er wirklich vor? Zoom

Daraus folgt die nächste Frage: Welche Finanziers stehen hinter dem George-Angebot? Mittlerweile wird in den USA spekuliert, dass es sich um Investoren handle, die derzeit nichts mit den IndyCars zu tun haben. Und George selbst gab in seiner Rücktrittserklärung nicht den Tonfall vor, seine Kaufabsichten ad acta gelegt zu haben.

Daraus entwickelt sich die nächste Theorie: Haben Mari Hulman-George und ihre drei Töchter nach den vielen Jahren der roten Zahlen die Nase voll und geben die Serie bei einem adäquaten Kaufpreis ab? Im Wissen, dass die IndyCars bei einer Übernahme durch Sohn Tony ja im Einflussbereich der Hulman/George-Familie verbleiben würden?

Extrem auffällig in der ganzen Situation ist eines: Zu keiner Zeit gab es ein deutliches, öffentliches Signal seitens der Konzernführung, den so massiv in die Schusslinie geratenen aktuellen IndyCar-Geschäftsführer Randy Bernard zu unterstützen. Klar ist: Ein deutlicher Bernard-Support würde den ganzen Übernahmegerüchten fast jeglichen Wind aus den Segeln nehmen können.

Die Konkurrenz wird nicht schwächer

Denn das Schicksal der Personalie Bernard ist ein deutliches Indiz für die kommenden Wochen und Monate. Man kann getrost unterstellen, dass die Position des operativen IndyCar-Chefs unter einer Regierung George neu besetzt werden würde. Bleibt Bernard, dann meint es die Hulman/George-Familie vielleicht doch sehr ernst mit dem Satz: "IndyCar is not for sale."

Randy Bernard IndyCar-Chef

Randy Bernard: Wie lange bleibt er noch der Boss der IndyCars? Zoom

Am gestrigen Dienstag vermeldeten nun einige einschlägige US-Medien, dass Bernard zurücktreten werde. Andere widersprachen dem und betonten, dass es zumindest in dieser Woche noch keine personellen Entscheidungen geben werde. Alles wie immer mit dem Hinweis auf anonyme Quellen aus dem aktuellen Epizentrum Indianapolis. Und nun?

Der Ausgang dieser unendlichen Geschichte scheint unter dem Strich völlig offen zu sein, den IndyCars steht eine extrem turbulente Winterpause bevor. Dies alles im Zeichen einer Zusammenlegung von ALMS und Grand-Am ab 2014, womöglich unter dem milliardenschweren NASCAR-Dach? Und welche Konsequenzen wird der neue TV-Deal der Formel 1 haben, die in den USA ab 2013 auf dem IndyCar-Sender 'NBC Sports' laufen werden?

Zur Erinnerung: Im Vergleich zum Motorsportgiganten NASCAR spielen die IndyCars in den USA nur eine kleine Nebenrolle - die einzige Ausnahme ist natürlich das Indy 500. Und die Konkurrenz schläft nicht, denn eine vereinte Sportwagenserie mit NASCAR-Power wird den IndyCars schwer zusetzen, darüber sollte man sich keinerlei Illusionen hingeben. Welche Folgen der Formel-1-Deal für die IndyCars haben wird, ist völlig offen.

Wie immer man es auch drehen will ...

Und wie wird dieses Kuddelmuddel um Macht, Geld und Einflussnahme in den Sponsorenkreisen aufgenommen werden? Die verbliebenen IndyCar-Fans, das zeigen die teilweise heftigen Reaktionen auf die George-Gerüchte, haben überhaupt keine Lust auf ein Comeback des so umstrittenen IRL-Gründers, dem natürlich nicht verziehen worden ist, dass er einen maßgeblichen Anteil am Niedergang der einst so erfolgreichen IndyCars hatte.

Pete Fink Kolumne

Pete Fink schreibt über einen ungemütlichen Winter in Indianapolis Zoom

Eines ist klar: Auch die Ära Bernard hatte bislang ihre Höhen und Tiefen. Der Kalifornier übernahm Anfang 2010 ein Himmelfahrtskommando und besaß als Quereinsteiger keinerlei Hintergrundwissen in Sachen Motorsport. Bernard war ein reiner Marketingexperte, der bis Ende 2014 (solange läuft sein Vertrag) die stark defizitären IndyCars in die schwarzen Zahlen führen sollte.

Geht es also überhaupt noch um Tony George und/oder Randy Bernard? In den USA mehren sich gerade die Stimmen, dass man in den Reihen der Hulman/George-Familie durchaus über einen Verkauf der Serie nachdenken sollte. Der bei den Fans so beliebte Bernard bekommt ganz offenbar extremen Gegenwind und erfährt seitens der Familie keinerlei öffentlichen Support. Andererseits: Wäre ein George-Comeback nicht ein komplettes PR-Desaster? Oder gibt es vielleicht sogar einen weiteren Kaufinteressenten?

Wie immer man es auch drehen und wenden mag: In den Augen vieler haben sich die letzten Wochen und Monate wieder einmal zu einem Ränkespiel entwickelt, von dem sich eine Menge IndyCar-Fans mit Grausen abwenden. Oder anders formuliert: Die Leidensfähigkeit der IndyCar-Fans wird wieder einmal auf eine harte Probe gestellt. Aber das ist nun wirklich nichts Neues.

Mit durchaus leidensfähigen Grüßen

Euer

Pete Fink