• 27.08.2016 11:36

  • von Scott Mitchell (Haymarket)

Jaguars Formel-E-Debüt: So schlägt sich die Raubkatze

Das Jaguar-Projekt in der Formel E stand bei den Testfahrten in Donington zu ersten im Fokus der Öffentlichkeit - Was sich nach drei Testtagen sagen lässt

(Motorsport-Total.com) - Die Informationen um Jaguars privates Testprogramm vor dem Formel-E-Debüt waren bislang eher spärlich gesät. Wir wissen, dass sie alle 15 privaten Testtage genutzt haben, die sie zur Verfügung hatten. Wir wissen, dass Adam Carroll eine Schlüsselfigur ist. Und wir wissen, dass sie die offiziellen Testfahrten im Donington Park dazu genutzt haben, um ihre Fahrer für die Saison auszuwählen. Doch viele Fragen bleiben noch immer offen.

Titel-Bild zur News: Alex Lynn

Jaguar hat die wahre Performance bei den Testfahrten noch nicht aufgedeckt Zoom

Es liegt auf der Hand, dass ein Hersteller, der nach zwölf Jahren Abstinenz in den Spitzensport zurückkehrt, großes Interesse erwecken würde. Die Tatsache, dass es sich dabei um eine der großen Ikonen des Motorsports handelt, verstärkt diesen Effekt nur. Und obwohl Teams, die ihren eigenen Antriebsstrang bauen, 15 private Testtage zugestanden bekommen, war Donington das erste Mal, dass diese neuen Antriebseinheiten wirklich im Rennauto waren - und nicht, wie zuvor, in Test-Chassis. Das heißt, dass gleichzeitig eine Shakedown-Liste abgearbeitet werden musste. Und diese Liste ist lang.

Verständlicherweise ist Jaguar das Team, das am meisten zu tun hatte. Während andere Teams schon eine gewisse Idee hatten, wo sie mit ihren neuen Antriebseinheiten stehen und sich mit ihren Leistungen aus den vergangenen Jahren vergleichen konnten, war für Jaguar alles neu. Donington war nicht bloß ein Shakedown - es war die erste Chance, zu sehen, wie das Jaguar-Team Form annimmt. Die erste Chance, sie gleichzeitig mit zwei Autos im Einsatz zu sehen. Die erste Chance, zu sehen, wo sich der I-Type 1 sich in der frühen Hackordnung einsortieren würde.

Jaguar spricht nicht viel. Es gibt wenig öffentliche Kommunikation und die Fahrer hüllen sich wegen des langwidrigen Auswahlprozesses in Schweigen. Es gibt also von keiner Seite Informationen. Es ist wahrscheinlich, dass das Team hinsichtlich des Antriebsstrangs vor dem ersten Rennen im Oktober in Hong Kong noch auftauen wird. Wie es aussieht, haben sie den Umrichter auf die Batterie drauf gebaut; Renault und DS haben ihn darunter, um den Schwerpunkt abzusenken. Es sieht so aus, als verfüge das Fahrzeug über einen einzelnen Motor und ein Zweigang-Getriebe, wie es die Norm geworden ist.

Über eine Sekunde Rückstand beim Test

Natürlich geht es den meisten Leuten aber um die Performance. Die kurze Antwort ist: Wir wissen nicht, wie schnell der Jaguar ist. Aber es gibt ein paar Hinweise. Vom Nominalwert her wäre es schon schmeichelhaft, die Pace der ersten beiden Tage als "solide" zu bezeichnen. Alex Lynn war am Eröffnungstag Sechstschnellster, aber im Qualifying-Trimm mit 200 Kilowatt 1,2 Sekunden langsamer als die Zeit von Renault-e.dams-Pilot Sebastien Buemi.

Mitch Evans

Jaguar testete in Donington zahlreiche potenzielle Stammfahrer Zoom

Am Mittwoch hatte Carroll wiederum mehr als eine Sekunden Rückstand auf die Rekordrunde von Jean-Eric Vergne im Renault-befeuerten Techeetah. Somit war Jaguar das langsamste der zehn Teams im Qualifying-Trimm. Bei der Rennpace war das Bild ähnlich: Am zweiten Tag war Jaguar mit 170 Kilowatt am langsamsten - die 1:33.196 Minuten von Carroll lagen über eine Sekunde hinter Buemis 1:32.048 zurück.

Was aber die Zeitenmonitore nicht verraten, ist, dass Jaguar am Mittwoch im 200kW-Trimm nicht auf frischen Reifen auf die Strecke gegangen ist, als alle anderen mit Sektorenbestzeiten auf sich aufmerksam machten. Oder auch, dass Jaguar viel mehr Daten als die anderen Teams sammeln muss und so das meiste Steigerungspotenzial hat.

Das bedeutet, dass Jaguar und das Einsatzteam Williams Advanced Engineering konservativ vorgehen, um nicht die falschen Ziele zu verfolgen. Ein Grund, warum Carroll an allen drei Tagen gefahren ist, während Lynn, Mitch Evans und Harry Tincknell jeweils einen Tag im zweiten Auto verbringen konnten, ist die Tatsache, dass er die meisten privaten Testtage für das Team absolviert hat. Somit ist er für das Team ein Referenzpunkt. Er ist eine bekannte Variable und es dürfte sehr wahrscheinlich sein, dass er eines der Cockpits erhalten wird.

Eindrucksvolle Zuverlässigkeit

Jedes Team in der Boxengasse wird erzählen, dass Rundenzeiten nicht wichtig sind. Nun, wenn das der Fall wäre, dann wäre Mahindra zu diesem Zeitpunkt nicht eine Sekunde schneller als zum selben Zeitpunkt im vergangenen Jahr. Und es wären nicht mehrere Fahrer schneller als der Streckenrekord gefahren. Vergne würde nicht an Techeetas zweitem Tag in der Formel E Sektorenbestzeit am Fließband abliefern. Für Jaguar hingegen ist die Zeitenjagd wirklich nicht wichtig. Hier liegt der Fokus auf dem Abspulen von Runden und dem Durcharbeiten von Programmen.

Es hat Gerüchte gegeben, dass Jaguar bei den privaten Testfahrten kleinere technische Probleme wie Überhitzung hhabt hätte, was den meisten Teams während der Entwicklung ihrer ersten Antriebe einst widerfahren war. Doch die Zuverlässigkeit war in Donington beeindruckend - von einem elektronischen Bug abgesehen, der Evans am Ende des Mittwochs zum Anhalten zwang.

An den beiden ersten Tagen hat Jaguar 130 Runden absolviert, also so viele wie DS Virgin, Abt und Venturi, und mehr als Mahindra, Andretti, Faraday Future Dragon Racing und NextEV. In Sachen Antriebsstränge hat Renault dank des Deals mit Techeetah einen Vorteil bei der abgespulten Distanz. Im vergangenen Jahr hatte Renault zum selben Zeitpunkt 147 Runden absolviert.

Fakt ist, dass Jaguar in Sachen Zuverlässigkeit bei der Musik dabei ist. Das ist gut zu wissen, wenn man sich vor Augen hält, dass es mehrere Leute im Fahrerlager gibt, die die Geschichten aus den Privattests vernommen hatten. Und es ist noch eindrucksvoller, wenn man bedenkt, dass Jaguar erst seit Ende 2015 an diesem Projekt arbeitet. Hersteller aus der Saison 2015/16 wie Renault, Abt und DS (die in dieser Saison Jaguars Ziel sein müssen) hatten bereits seit Mitte 2014 an ihren Konzepten gearbeitet. Die Vorlaufzeit eines Projekts liegt mittlerweile nicht mehr bei einem Jahr, sondern bei über 18 Monaten.

Schwere Geburt im Frühjahr

Im Juli hatte es Warnungen seitens des Teamdirektors James Barclay und Rennleiter Craig Wilson gegeben. "Als wir das grüne Licht (im Dezember; Anm. d. Red.) erhalten haben, war der Zeitrahmen bereits äußerst eng", sagte Barclay damals. "Das hat sich negativ auf die Entwicklungszeit ausgewirkt. Aber wir hätten es niemals akzeptiert, wenn wir nicht in der Position gewesen wären, ein konkurrenzfähiges Paket zu schnüren." Wilson fügte hinzu: "Es stimmt, Jaguar ist eine sehr starke Marke und die Erwartungen sind hoch. Aber es ist wie ein 100-Meter-Lauf, bei dem man den Gegnern drei Sekunden Vorsprung einräumt."


Fotos: Formel-E-Test in Donington


War dieses Tiefstapeln eine Folge eines schwierigen Starts in die Testfahrten? Zu diesem Zeitpunkt hatte Jaguar bereits zwei Drittel des Programms abgespult. Aber vielleicht macht man es sich auch ein bisschen zu leicht, wenn man diese Kommentare rückwirkend in Relation zu einer schwierigen Geburt des Jaguar-Programms setzt. Was wir bislang wissen, ist, dass das Auto einen zuverlässigen Eindruck macht und dass es noch nicht alle seine Muskeln ausgespielt hat. Wenn man es aus dieser Perspektive betrachtet, dann ist der Rückstand von einer Sekunde in Qualifying- und Renntrimm zu diesem Zeitpunkt ganz gut.

"Im ersten Jahr fangen wir sie vielleicht auf der Ziellinie ein", sagte Wilson vergangenen Monat, als er beschrieb, warum Jaguar über die Saison hinweg mehr lernen müsse als die Gegner und die Lernkurve steiler sein würde. Das wäre etwas, was man vom ersten öffentlichen Auftritt des Teams mitnehmen könnte.

Wie schlagen sich die Rookie-Teams?

Jaguar ist nicht das einzige Team, das in Donington lernen muss. Das neue Techeeta-Team ist zum ersten Mal mit dem Antriebstrang von Renault unterwegs und konnte außerdem keinerlei private Testfahrten absolvieren, weil es keinen eigenen Antrieb entwickelt hat. Das bedeutet, dass es deutlich weniger Gelegenheiten hatte, Probleme herauszufiltern - sowohl hinsichtlich des Autos als auch bei der Aufstellung des ehemaligen Aguri-Teams.

Adam Carroll

Der nominelle Abstand war bei den Testfahrten noch groß Zoom

Und wie Jaguar geht auch Faraday Future Dragon Racing durch den Prozess, zum ersten Mal eine eigene Technologie zu entwickeln. Wobei das Paket sehr an das von Mahindra erinnert. Diese waren, soweit die einhellige Meinung, mehr als nur eine helfende Hand bei der Konstruktion des Penske 701-EV.

Es wird faszinierend zu sehen sein, wie ein Fahrer von Vergnes Kaliber sich in einem neuen Team mit demselben Antriebsstrang wie der amtierende Meister Sebastien Buemi schlagen wird. Und auch, was das Dragon-Team mit der Unterstützung durch ein aggressives, futuristisches Unternehmen wie Faraday Future (die gleichzeitig der erste Hersteller aus den USA sind) erreichen kann. Doch diese spielen eher Nebenrollen im Vergleich zur Haupt-Story: Was ist neu in der Formel E? Jaguar. Die Raubkatze ist zurück. Wir warten gespannt darauf, zu sehen, wie scharf ihre Krallen sind.