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Von "Bullshit" und Firmenvotes: Sturm der Kritik für FanBoost

Der FanBoost steht derzeit bei Fahrern der Formel E massiv in der Kritik, weil undurchsichtige Votes für Frust sorgen - Die Serie will aber am Konzept festhalten

(Motorsport-Total.com) - Die Formel E hat ein Problem: den FanBoost. Das Gimmick, das in der internationalen Motorsport-Welt einzigartig ist, findet nicht überall Anklang. Motorsport-Puristen waren von Anfang an gegen die Möglichkeit, dass Fans auf den Ausgang des Rennens Einfluss nehmen, doch die Formel E hat ihr Ding bei dieser Sache unbeirrt durchgezogen. Doch in der zweiten Saison hat sich die Situation verschlimmert, denn nun machen auch die Fahrer gegen das System mobil.

Titel-Bild zur News: Lucas di Grassi

Die Fans sind bei der Formel E so nah dran wie sonst in keiner anderen Serie Zoom

Zwar können sich die meisten Piloten mit dem von den Fans bestimmten Energieschub grundsätzlich anfreunden, allerdings stößt ihnen die Umsetzung sauer auf. Denn während sich die einen in den sozialen Netzwerken etwa mit irren Wetten viel Mühe geben, um die Fans zum Abstimmen zu bewegen, sind andere überhaupt nicht auf Twitter & Co. aktiv - und gewinnen den Boost trotzdem. Und weil nicht ersichtlich ist, wo diese Stimmen herkommen, sind die Fahrer verärgert.

"Ich weiß nicht, ob bei der Zählung etwas falsch läuft. Es kann schon sein, dass das passt. Das versichert man uns zumindest", meldet Daniel Abt gegenüber 'Motorsport-Total.com' Zweifel an der Umsetzung an. Der Deutsche gehört zu den Fahrern, die sich "den Arsch aufreißen und auch wirklich mit den Fans interagieren", wie er sagt - gewonnen hat er den FanBoost allerdings noch nie. "Das Problem ist, dass es Fahrer gibt, die sich null bemühen, um im FanBoost vorne zu sein, die aber über Nacht trotzdem Superstars werden und ganz viele Votes bekommen."

Dreimal kann ein User pro Tag für seinen Lieblingsfahrer abstimmen: auf der Website, in der App und indem er auf Twitter oder Instagram den Hashtag #FanBoost und dazu den Hashtag seines favorisierten Piloten schreibt - also etwa #DanielAbt. Der Deutsche verfolgt via Twitter regelmäßig die Stimmenjagd vor einem Event. Dort kann man nämlich sehen, wie viele Hashtags ein Pilot gesammelt hat - und dort wird er überrascht: "Wenn man sieht, dass Lucas (di Grassi; Anm. d. Red.) und ich in der Woche 3000 sammeln, und ein (Stephane) Sarrazin, der vor uns liegt, 120 Votes, dann frage ich mich schon, ob die Relation dann passt."

Spülen Firmenvotings Fahrer nach vorn?

Das Problem ist, dass die Stimmen auf der Website und in der App nicht öffentlich ersichtlich sind, und die Piloten zweifeln daran, ob die Stimmen echt sind. "Ich glaube nicht, dass das Fans sind, die da voten", sagt Abt und vermutet, dass "irgendwelche Leute in Firmen hocken und eine Mail bekommen: 'Bitte votet jetzt.'" Doch das sei für ihn der falsche Ansatz. Ähnlich ist es beispielsweise beim Formel-1-Voting für den Fahrer des Tages, bei dem Hinterbänkler Rio Haryanto die meisten Stimmen bekommt. "Wir wissen alle, dass das Bullshit ist", kommentiert Andretti-Pilot Robin Frijns augenzwinkernd.

Die Fahrer sind von dieser Situation genervt, wie ein Stimmungsbild von 'Motorsport-Total.com' zeigt: "Wenn es keine 100-prozentige Fairness und Gleichheit gibt, dann sollte man es sein lassen", kommentiert Renault-e.dams-Pilot Nicolas Prost. Und auch Antonio Felix da Costa (Aguri) sieht derzeit viele Probleme mit dem System: "FanBoost ist eine sehr gute Idee, aber es wird im Moment nicht gut ausgeführt", sagt der Portugiese. "Das elektronische Voting ist derzeit nicht sehr akkurat."

Loic Duval, Sebastien Buemi, Antonio Felix da Costa

Die Piloten der Formel E diskutieren derzeit angeregt über den FanBoost Zoom

Ganz deutlich wird Robin Frijns, wenn er über das Thema spricht: "Hinter dem kleinen FanBoost steckt eine Menge Politik. Es ist einfach nicht ehrlich", so der Niederländer, der die Beschwerden verstehen kann: "Viele Leute sind vorne, obwohl sie im Internet nicht viele Stimmen bekommen. Dann hat man Leute wie Daniel, dessen Beiträge von großen Unternehmen mit 500.000 Followern geteilt werden und viele Retweets bekommen. Trotzdem ist er nur Neunter oder Zehnter - und das haut einfach nicht hin."

Fahrer wünschen Anpassungen am System

Doch wie kann man die Situation um den FanBoost lösen? Die Piloten der Formel E haben sich bereits ihre Gedanken gemacht und eigene Vorschläge unterbreitet. "Ich würde es nur über Social Media machen", sagt Daniel Abt. Dort sei auch die Zielgruppe unterwegs, wie der Kemptener sagt. Außerdem hätte dies einen weiteren Vorteil: "Wenn man es nur über Social Media machen würde, dann könnte man es besser verfolgen und würde relativ schnell sehen, ob es echte Accounts sind oder nicht."

Antonio Felix da Costa würde sogar noch eine Spur weiter gehen und nur die Fans voten lassen, die sich zum Veranstaltungsort begeben haben. "Wir brauchen einen Ansatz, bei dem nur die Leute an der Strecke voten können - oder die, die wirklich involviert sind", fordert der Aguri-Pilot. "Die Leute, die hier sind, die Veranstaltung leben und die Fahrer fühlen, sollten entscheiden, wen sie wählen", sagt er.


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Auf jeden Fall muss sich etwas ändern, da sind sich die Piloten einig. "Wir müssen uns an einen Tisch setzen, um eine Lösung zu finden, um es akkurater zu machen", meint Loic Duval (Dragon) als einer der Fürsprecher. "Ich weiß nicht, ob fair das richtige Wort ist, aber wir müssen es bei den Votes so fair wie möglich machen. Wir müssen schauen, was die positiven Aspekte sind, von denen es eine Menge gibt, und wo die Schwachpunkte liegen, damit wir es besser machen."

Formel E antwortet auf Kritik - und verändert nichts

Die Formel E reagiert allerdings nicht auf die Forderungen der Fahrer und erklärt auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com', dass man für die kommende Saison keine Änderungen am FanBoost-System plant. Stattdessen sollen lediglich neue soziale Netzwerke wie Facebook und Weibo als neue Voting-Möglichkeiten aufgenommen werden. Wie es heißt, habe man durch das neue Hashtag-Voting-System auf Twitter und Instagram 800 Prozent mehr Stimmen als in der Vorsaison generiert.

Allerdings möchte die Serie den Piloten versichern, dass bei der Auszählung der Stimmen alles korrekt abläuft. "Die Formel E arbeitet eng mit Votingpartner Telescope und der FIA zusammen, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse während der gesamten Abstimmungsphase ordnungsgemäß gezählt und überwacht werden. Nach jedem Rennen werden die Daten der Votinganalyse und der Votingtrends mit den Teams geteilt."

Ob diese Antwort die Piloten wirklich zufriedenstellt, wird sich zeigen, doch das Grundproblem wird dadurch nicht gelöst werden. Ob sich Fahrer wie Daniel Abt in Zukunft überhaupt noch Mühe geben, um auf Stimmenfang zu gehen, sei dahingestellt. "Es macht nicht so viel Spaß, von daher konzentriere ich mich lieber auf das Rennen", kommentiert der Abt-Pilot. Doch dass die Serie am FanBoost prinzipiell festhalten soll, verneinen nur wenige. "Ich glaube, dass der Fanboost sehr wichtig für die Serie ist", sagt Loic Duval. "Wir sind die einzige Serie, die so etwas hat."