Marvin Kirchhöfer: Nächste Formel-1-Hoffnung am Scheideweg

Der Leipziger Marvin Kirchhöfer hofft auf den Sprung in die GP2-Serie, doch der wird zum Kraftakt: Erfüllt sich stattdessen der Traum von der DTM?

(Motorsport-Total.com) - Seit dem Wechsel von Daniel Abt in die Formel E hat der deutsche Formelsport-Nachwuchs keinen Fuß mehr in der GP2-Serie. Mit Sebastian Vettel, Nico Rosberg und Nico Hülkenberg gibt es derzeit zwar drei Piloten in der Formel 1, doch darunter wird es aus deutscher Sicht eng. Als eine der größten Hoffnungen hat sich in den vergangenen Jahren der Leipziger Marvin Kirchhöfer etabliert, der in den vergangenen beiden Saisons jeweils Dritter in der GP3-Serie werden konnte.

Titel-Bild zur News: Marvin Kirchhöfer

Marvin Kirchhöfer wurde in der GP3-Serie zweimal Gesamtdritter Zoom

2015 holte er die meisten Siege aller Piloten in der Kategorie, nun steht der 21-Jährige vor dem nächsten Sprung in seiner Karriere. Wohin ihn dieser führen wird, ist aktuell allerdings noch offen. Mit 'Motorsport-Total.com' spricht Kirchhöfer über seine Ambitionen im Motorsport, einen möglichen Wechsel in die DTM und auch darüber, wieso es deutsche Nachwuchspiloten derzeit schwer haben.

Frage: "Marvin, deine Karriere verlief bislang recht erfolgreich: Meister im Kartsport, Meister im Formel Masters, Meister im Formel-3-Cup. Du hast jetzt zwei Jahre in der GP3-Serie hinter dir, in denen du 'nur' Dritter wurdest. Siehst du diesen Karriereschritt trotzdem als erfolgreich an?"
Marvin Kirchhöfer: "Wirklich zufrieden bin ich definitiv nicht! Ich hätte schon im ersten Jahr Vizemeister werden können und hatte das Auto beim Saisonfinale in Abu Dhabi auch auf die Pole-Position gestellt. Leider ist das komplett untergegangen, weil ich im zweiten Rennen ein Problem mit der Kupplung hatte und aus der Box starten musste. Den Vizetitel habe ich um drei Punkte verloren, was natürlich nicht zufriedenstellend war. Trotzdem sollte man einen dritten Platz im ersten Jahr nicht schlechtreden."

"Im vergangenen Jahr war die Ambition in Richtung Platz eins. Das ging auch bis zur Saisonhälfte ganz gut, doch leider haben sich ab Monza mehrere Fehler eingeschlichen, die mich speziell im Qualifying zurückgeworfen haben. Mit Esteban Ocon und Luca Ghiotto gab es im Kampf um Platz eins auch zwei starke Konkurrenten, und da haben mich diese ein, zwei Fehler am Ende des Tages bestimmt 30 bis 40 Punkte gekostet - das war die Lücke, die mir zu Platz eins gefehlt hat. Es hat leider nicht ganz funktioniert, aber es war trotzdem ein gutes Jahr, in dem ich viel Erfahrung gesammelt habe."


Fotos: GP2-/GP3-Zeremonie in Abu Dhabi


Frage: "Ärgert man sich dann besonders, wenn man sieht, dass ein Fahrer mit nur einem Saisonsieg den Titel holt?"
Kirchhöfer: "Im Endeffekt wird meist der beständigste Fahrer Meister. Zwar ist es auch meist so, dass er zumindest einige Siege hat, aber Esteban war eigentlich immer da. In jedem Rennen war er zumindest in den Top 5 und zumeist auf dem Podium - und das hat sehr viele Punkte gebracht. Jeder Rennfahrer weiß, dass ein Rennsieg noch einmal etwas Anderes ist, aber natürlich ist eine Meisterschaft am Ende mehr wert als drei, vier Siege."

Motopark statt ART: Was wäre wenn?

Frage: "Im ersten Jahr solltest du eigentlich für die von Motopark organisierte Mannschaft Russian Time fahren, die dann allerdings kurzfristig ausstiegen. War es im Nachhinein betrachtet ein Glücksfall, weil du so zum Topteam ART gekommen bist?"
Kirchhöfer: "Das interessiert mich selber! Ich denke heute manchmal noch darüber nach, was gewesen wäre, wenn ich mit Russian Time an den Start gegangen wäre. Ich würde gerne die Zeit zurückdrehen und alles mit Russian Time passieren lassen. Es ist nicht so, dass ich sage, dass ich absolut froh bin, diese Entscheidung getroffen zu haben."

"Sicherlich habe ich mit ART viel Erfahrung gesammelt, weil sie international sehr erfolgreich waren und mich noch ein bisschen mehr in die Motorsport-Welt hineingeführt haben. Ich denke aber auch, dass Timo Rumpfkeil (Teamgründer; Anm. d. Red.) und die Ingenieure, mit denen ich zuvor zusammengearbeitet habe, extrem starkes Potenzial haben, Leute nach vorne zu bringen. Das hat man 2013 sehr gut gesehen, wo sie in der GP2 Teammeister geworden sind - und mit Sam Bird fast Fahrermeister. Das Potenzial habe ich nie angezweifelt."

Marvin Kirchhöfer

2015 holte der Leipziger die meisten Siege, auch in Abu Dhabi gewann er Zoom

Frage: "Inwiefern wart ihr bei ART auch mit dem GP2-Team vernetzt. Konntest du gute Tipps von Stoffel Vandoorne abgreifen?"
Kirchhöfer: "Sicherlich. Wir hatten mit Stoffel in der GP2 ein sehr gutes Vorbild. Er hat uns ab und zu Hilfe gegeben, auch wenn das GP2- und das GP3-Team nicht wirklich miteinander gearbeitet haben. Sie sind schon verknüpft gewesen, aber die Ingenieure haben keinen großen Datenaustausch praktiziert. Ich habe mich mit Stoffel meist einfach persönlich unterhalten. Ich habe ihn nach ein paar Tipps und Tricks gefragt, besonders wenn die Strecke nicht so einfach war, weil es beispielsweise nicht eindeutig war, ob die Strecke nass oder trocken war. Da bringt es schon etwas, wenn man einen Teamkollegen hat, der in einer höheren Klasse überragend fährt."

Frage: "Ist das Kapitel GP3 für dich damit nach zwei Jahren beendet?"
Kirchhöfer: "Es gibt keine sinnvollen Gründe, warum ich in diesem Jahr noch einmal in der GP3 fahren sollte. Natürlich bin ich etwas frustriert, weil ich bislang in jeder Klasse den Meistertitel geholt habe, aber nichtsdestotrotz würde es keinen Sinn ergeben, deswegen noch einmal in der GP3 zu starten. Da haben wir derzeit andere Perspektiven."

Von GP2-Realität und DTM-Träumen

Frage: "Wie sehen diese aus? Der nächste logische Schritt wäre ja die GP2-Serie..."
Kirchhöfer: "Es gibt momentan zwei Wege. Zum einen bin ich natürlich schon daran interessiert, in Richtung GP2 zu gehen. Zum anderen wäre es auch ein Traum, wenn ich in Richtung DTM denken könnte. Im vergangenen Jahr durfte ich einen Test fahren, und das war wirklich eine geile Erfahrung. Es ist einfach Wahnsinn, was man aus einem Tourenwagen herausholen kann. In diese Richtung besteht schon ein enorm großes Interesse - auch aus Kostengründen."

"Es wird für uns sehr, sehr schwer, in diesem Jahr eine GP2-Saison zu stemmen. Wir wissen noch nicht so genau, wie wir das alles bewältigen wollen. Wir haben natürlich unsere Sponsoren aus den vergangenen Jahren, die weiter mitziehen wollen und von denen einige auch zusätzlich bei der Herausforderung helfen wollen. Beschlossen ist alles aber noch nicht. Ich denke, dass es auf alle Fälle in eine der beiden Richtungen gehen wird."

Frage: "Trotz des DTM-Interesses: Die Formel 1 bleibt schon noch dein oberstes Ziel und dein Traum, oder?"
Kirchhöfer: "Sicherlich, der ganz große Traum ist die Formel 1! Aber selbst in der DTM wäre ich sehr glücklich und zufrieden, weil man selbst dort als Rennfahrer lernt, mit großen Werksteams zu arbeiten. Naheliegend wäre für mich Mercedes, weil ich im vergangenen Jahr für sie getestet habe und eine gewisse Beziehung zu ihnen habe. Für mich wäre es sogar ein größerer Traum, wenn ich die DTM mit der GP2 gleichstellen müsste. Denn jeder Rennfahrer hat den Traum, vom Motorsport leben zu können und seine Leidenschaft ausleben zu können."

"Es ist nicht die Formel 1, aber wir wissen alle, dass sich die Spielregeln leider ein wenig geändert haben. Ich glaube weiter an die Formel 1, aber man muss sich auch nach anderen Möglichkeiten orientieren - und da wäre die DTM eine sehr, sehr gute Alternative! Ich hoffe natürlich, dass es eine Möglichkeit geben könnte."

Frage: "Welche Rolle spielt Mercedes denn insgesamt in deiner Karriere? Gibt es wie bei Pascal Wehrlein in gewisser Weise eine Entscheidungsgewalt?"
Kirchhöfer: "Eine direkte Entscheidungsgewalt haben sie nicht, dementsprechend gibt es auch keine Unterstützung, wie man es von einem Sponsor kennt. Natürlich habe ich versucht, eine Verbindung zu Mercedes aufzubauen, weil es auch in meinem Interesse ist, als junger Rennfahrer einen Kontakt zu einem großen Werk herzustellen. Wir kommunizieren gut miteinander, und ich war im vergangenen Jahr auch bei den DTM-Veranstaltungen mit dabei und bekam überall bei Mercedes Zutritt. Unter den Fittichen stehe ich aber nicht."

Wenn der deutsche Pass zur Bürde wird

Frage: "Wie schwierig ist es für einen deutschen Piloten überhaupt, große Partner zu gewinnen? Denn mit Sebastian Vettel, Nico Rosberg und Nico Hülkenberg gibt es in der Formel 1 quasi bereits ein Überangebot."
Kirchhöfer: "Als Deutscher ist es derzeit mit am schwierigsten, in die Formel 1 zu kommen. Nichtsdestotrotz gibt es viele Teams, die an deutschen Fahrern interessiert sind. Man muss einfach hoffen, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und auch den richtigen Erfolg hat. Dann ist nichts unmöglich."

Frage: "Den richtigen Erfolg hast du eigentlich. Kann man überhaupt noch durch Leistung in die Formel 1 kommen?"
Kirchhöfer: "Sicherlich ist die Leistung schon ausschlaggebend. Wenn man als Rookie in einer Serie ein Überfliegerjahr hinlegt, dann gibt es definitiv Möglichkeiten. Man muss aber auch mit den richtigen Leuten in Verbindung stehen. Wenn man als Red-Bull-Junior extrem überzeugt, dann ergeben sich immer Möglichkeiten. Es ist schade, dass wir bei Stoffel Vandoorne derzeit das Gegenteil sehen. Bei ihm war es zwar das zweite Jahr, aber er hat die GP2 überlegen gewonnen."

"Wenn man in einem Team ist, wo die Verträge aber schon stehen (McLaren mit Fernando Alonso und Jenson Button; Anm. d. Red.), dann kommt man automatisch nicht rein. Man braucht ein Quäntchen Glück, und man muss auch zur richtigen Zeit dort sein. Wenn das der Fall ist, ist es definitiv möglich, seine Bahn durch Erfolg zu bestreiten."


Fotostrecke: Werdegang der deutschsprachigen GP2-Piloten

Frage: "Blickt man in gewisser Weise auch neidisch auf Fahrer wie Artjom Markelow, den du im Formel-3-Cup deutlich geschlagen hast, der aber nun mit anderen Möglichkeiten ausgestattet in seine bereits dritte GP2-Saison startet?"
Kirchhöfer: "Neid gibt es auf keinen Fall, weil ich mich schon von klein auf damit abgefunden habe, dass es solche und solche Fälle gibt. Man sollte sich nicht an solchen Leuten orientieren, sondern sich auf sich selbst konzentrieren und versuchen, seine eigenen Wege zu bestreiten."

Wo ist der deutsche Nachwuchs?

Frage: "In der GP3 warst du - abgesehen von Daniel Abt in der Formel E - der ranghöchste deutsche Pilot im Formelsport. Siehst du dich selbst als die größte deutsche Formel-1-Hoffnung derzeit?"
Kirchhöfer: "Als größte Formel-1-Nachwuchshoffnung sehe ich momentan Pascal (Wehrlein; Anm. d. Red.), das muss ich ehrlich zugeben. Er steht am meisten mit dem Fuß in der Tür. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich der nächste bin, der angesprochen wird, wenn es um einen Deutschen geht. Es kann vielleicht sein, dass ein Team sagt, dass sie lieber mit mir als mit Pascal arbeiten würden, aber dadurch dass Pascal bei den Formel-1-Tests ist und offizieller Mercedes-Formel-1-Junior ist, ist er momentan der erste, der von den Deutschen eine Chance auf die Formel 1 hat."

"Danach wird es aber schon sehr, sehr wenig. Danach kommen nur noch ich und Daniel Abt in der Formel E. Das ist eigentlich sehr schade. Bis auf Maximilian Günther in der Formel 3 wird es sehr eng unten. Es gibt nicht viele deutsche Formel-1-Nachwuchshoffnungen, und das sollte dem deutschen Sport zu denken geben, wenn man bedenkt, wie viele englische Piloten derzeit Unterstützung bekommen. In Deutschland wurde das eher zurückgefahren."

Maximilian Günther

Maximilian Günther gehört zu den wenigen deutschen Hoffnungen Zoom

Frage: "Ist es auch schwieriger, weil in Deutschland viele Serien wie der Formel-3-Cup oder das Formel Masters weggebrochen sind oder kann die Formel 4 das auffangen?"
Kirchhöfer: "Die Serie Formel 4 finde ich sehr gut, weil es dadurch einheitlicher wird. Man konnte nie etwas mit Formel Masters anfangen, das ist wenigen ein Begriff. Deswegen finde ich es gut, dass sie eingeführt wurde. Man muss aber einfach das Budget zurücksetzen. Wenn man hört, dass die Budgets dort teilweise bei 300.000 Euro liegen, dann ist das ziemlich erschreckend."

"Wenn man schon aus finanziellen Gründen keine Chance hat, in einen Nachwuchsformelsport einzusteigen, dann hat man auch keine Chance, Leistung zu zeigen. Bei anderen Teams muss man vielleicht nur 150.000 Euro mitbringen, aber da gibt es dann keine Möglichkeit, mit dem Team auch nur annähernd um den Erfolg mitzufahren. Da sollte man sich noch einmal Gedanken machen, ob es nicht eine andere Möglichkeit gibt."

Frage: "Siehst du Lösungsansätze dafür?"
Kirchhöfer: "Ich habe viele Fahrer gesehen, die auch in die italienische Formel 4 gegangen sind. Ich glaube, man sollte vielleicht ein Limit setzen, dass die Fahrer nicht in drei verschiedenen Serien fahren können. Wenn ein Fahrer in einer Serie eingeschrieben ist, dann soll er dort auch bleiben."

Frage: "Wann kann man bei dir mit einer Bekanntgabe rechnen, für welche Serie du dich entscheidest?"
Kirchhöfer: "Ich hoffe, dass es in den nächsten ein bis zwei Wochen definitiv feststehen sollte, in welche Richtung es geht. Das wäre auch für mich ziemlich angenehm!"