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  • 10.08.2016 14:48

  • von Scott Mitchell (Haymarket)

Kann die Formel E ein Wettrüsten verhindern?

In den ersten beiden Saisons war die Formel E ein enger Wettbewerb, und das gilt es zu halten: Warum Herstellerflut Fluch und Segen zugleich ist

(Motorsport-Total.com) - Die Formel E ist in der modernen Motorsportlandschaft eine beneidenswerte Serie. Bislang hat man einen hervorragenden Job gemacht und viele großartige Dinge mit der aufkeimenden Meisterschaft erreicht: Man hat neue Technologie, eine Budgetgrenze, Spitzenfahrer und coole Straßenkurse in ein glaubwürdiges und unterhaltsames Rennspektakel verwandelt. Die meisten herkömmlichen Serien würden für eine solche Kombination töten, und die Formel E erhält derzeit zurecht Beifall für ihre Errungenschaft.

Titel-Bild zur News: Loic Duval

Die Formel E ist aktuell ein wahrer Herstellermagnet Zoom

Aber mit dem tollen Erfolg und dem Wachstum kommen unweigerlich auch große Herausforderungen auf die Meisterschaft zu, besonders da man immer noch in den Kinderschuhen steckt. Neben dem Kalender für die dritte Saison, der immer noch nicht vollständig gefüllt ist, gibt es vor allem eine kostenbasierte Herausforderung, die in der Prioritätenliste der Formel E rasch nach oben sollte.

Das Grundgerüst der Serie war bislang der intensive Wettbewerb sogenannter Hersteller mit ähnlichen Technologien. Man muss "sogenannter" schreiben, weil der Status "Hersteller" jedem Team verliehen wird, das seine eigene Technologie homologiert - und auch drei Privatiers haben genau das gemacht. Bald wird man aber auf das "sogenannter" verzichten können, weil Jaguar schon im Anmarsch ist und auch ernsthaftes Interesse von BMW und Nissan zeigt, dass die Formel E eine Anziehungskraft für Hersteller besitzt, wie keine andere Serie derzeit.

Risiko Herstellerflut

Neun von zehn Teams hatten bislang Verbindungen zu Herstellern, was man durchaus als Killerquote bezeichnen kann. Und die Bezeichnung "Killer" ist keinesfalls zufällig gewählt, weil dieser Hersteller-Magnetismus ganz schnell ins Negative abgleiten kann, wenn die Serie nicht aufpasst. In der zweiten Saison durften Hersteller eigene Motoren, Getriebe und Inverter entwickeln. Dadurch konnte man auch das Heck anpassen, weil Teams Freiheiten bei den Dämpfern und Federungen bekamen. Neue Technologie trifft Old-School-Ingenieurswissen.

Renault hat sich bei der Performance einen Vorteil verschafft und geschätzte zehn Millionen Euro investiert. Das war allerdings nicht zum Nachteil des Unterhaltungsfaktors der Serie, wie der lange Kampf von Abts Lucas di Grassi in der Meisterschaft beweist. Was passiert allerdings, wenn noch mehr Hersteller einsteigen? Schon im kommenden Jahr könnten BMW und Nissan kommerziell in die Serie einsteigen, bevor sie ein eigenes Team stellen.

Sebastien Buemi

Renault hat in die Formel E investiert - und eine Menge gewonnen Zoom

Damit würden sie Renault, Mahindra, DS, NextEV, Venturi, Techeetah, Jaguar und Audi (die mit Abt verbunden sind) folgen. Ohne despektierlich gegenüber den Elektrospezialisten und aufstrebenden Marken zu sein, aber die große Glaubwürdigkeit kommt vor allem durch die großen Unternehmen mit richtiger Motorsport-Vergangenheit. Gleichzeitig kommt aber auch das Potenzial für große technologische Sprünge...und riesige Budgets.

Budgetgrenze sorgt für Ausgleich

Bislang hat die Formel E die Dinge durch eine stringente Budgetgrenze unter Kontrolle gehalten. Das Chassis kostet 270.000 Euro, die Batterien ähnlich (plus 100.000 Euro für die Betreuung). Die entwickelten Antriebe der Hersteller müssen jedem Team für 120.000 Euro zugänglich sein. Zudem ist eine weitere Budgetgrenze geplant, wenn der Wettbewerb der Batterien eröffnet wird. "Da kommt der gesunde Menschenverstand ins Spiel", sagt Serienchef Alejandro Agag.

"Die Nachhaltigkeit ist gegeben. In der Formel 1 wäre das Power-Unit-Äquivalent Manor, die im kommenden Jahr für 0,5 Millionen Euro einen Mercedes-Motor kaufen könnten. Das würde Wettbewerb bringen. Mercedes wäre glücklich, weil Manor mit einem Mercedes-Motor gewinnen würde, und alle Welt wüsste es, also würden sie die Lorbeeren dafür bekommen."


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Das ist richtig, aber nur derzeit. Der Festpreis für den Antriebsstrang ist eine kurzfristige Sache mit begrenztem Gebrauch. Das neue Team Techeetah konnte so günstig an die Technologie des führenden Renault-Teams kommen. Aber wenn die Hersteller kommen, wollen sie dann wirklich ihren Namen auf die Technologie eines anderen pappen? Nissan vielleicht, dank der Zusammenarbeit mit Renault. Da muss man nur zwei und zwei zusammenzählen, mit welchem Team der japanische Hersteller in naher Zukunft verbunden sein könnte.

Warum ein Kundenprogramm utopisch ist

Bei den anderen ist dieser Fall jedoch unwahrscheinlich. Die Anziehungskraft der Formel E ist für Hersteller primär die Möglichkeit, involviert in Elektroautos gesehen zu werden (wie bei Jaguar etwa), ihren Wert zu beweisen (wie bei weniger bekannten Marken wie Venturi) und vielleicht etwas über Elektrotechnologie für Straßenwagen zu lernen (wie beispielsweise Mahindra).

Wenn man den Antrieb oder die Batterie eines anderen benutzt, dann fallen zumindest zwei dieser Faktoren weg. BMW wird also niemals einen Antrieb von Renault kaufen. Dadurch ist es potenziell wahrscheinlicher, dass Renault mehr in sein Produkt investiert, während BMW ziemlich viel in sein eigenes stecken wird. Dieser Prozess hat bereits begonnen, weil Renault die Messlatte gelegt hat und Jaguar dazustößt. Zu denken, dass dies das Investment nicht erhöhen würde, ist naiv.

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Ein offener Batteriewettbewerb ist bestreitbar der entscheidende Kostenfaktor, um in Zukunft in der Formel E konkurrenzfähig zu sein. Doch während ein Vergleich mit der Formel 1, wo Hersteller mit der Zeit immer ihr eigenes Motorenprogramm gefahren haben, leicht ist, gibt es in der Formel E keine Garantie, dass ein Herstellerstatus automatisch auch zu einem eigenen Batterieprogramm führen wird.

"Keine Geldgrube für Hersteller"

Laut Agag zeigen die Diskussionen mit interessierten Unternehmen, dass ein freier technischer Wettbewerb nicht notwendig ist, um sie zu ködern. Darum kommen bereits in der Embryophase der Meisterschaft Hersteller in die Serie oder zeigen zumindest Interesse. "Bevor wir Entscheidungen treffen, beraten wir uns mit potenziellen Herstellern", erklärt er. "Wir geben ihnen Informationen und bekommen ihr Feedback. Einen eigenen Motor mit dem eigenen Namen zu haben, reicht. Das Auto ist deins. Ich denke, dass die Hersteller bei den Antrieben auch ohne die Batterien genügend Freiheiten finden."

NextEV ist eine nützliche Fallstudie dafür. Sie sind nicht BMW oder Renault und werden nicht durch alte Rivalitäten beeinflusst. "Die Überlegung für uns ist, dass wir ein neues Unternehmen sind und in verschiedenen Bereichen arbeiten", erklärt Firmenchef Martin Leach. "Es geht nicht darum, ob wir eine Batterie bauen können, sondern ob wir sollten. Die Formel E darf nicht nur eine Geldgrube für Hersteller sein."

"Wenn man aus den Augen verliert, dass man eine Show zu kreieren versucht, dann wird man scheitern." Martin Leach

"Wettbewerb verbessert den Markt, aber die Hersteller besitzen Milliarden für Forschung und Entwicklung, von daher brauchen sie die Formel E nicht, um Batterien oder MGUs zu entwickeln. Es ist eine Sache zu sagen, dass man versucht, neue Technologien zu entwickeln, aber wenn man dabei aus den Augen verliert, dass man eine Show zu kreieren versucht, dann wird man scheitern", so Leach weiter.

Zusammenarbeit erreicht

Die generelle Message im Paddock ist, dass enger Wettbewerb für die Formel E wichtig ist. Dass man den Batteriewettbewerb verzögert, hält große Marken davon ab, jetzt viel Geld in die Entwicklung zu stecken und die Konkurrenz in der fünften Saison vernichtend zu schlagen. Eine neue gemeinsame Batterie wird kommen und theoretisch den gleichen technischen Standard erreichen wie alles andere, was nach Öffnung dieser Seite in der siebten Saison auftauchen wird.

Damit bekommen wir eine konkurrenzfähige Lösung, die auch aus kommerzieller Sicht Sinn ergibt. Darum hat die Meisterschaft auch vermieden, den Weg der offenen Kriegsführung zu gehen. Hersteller wie DS, Mahindra und Renault wollen alle ihre eigenen Batterien entwickeln, erkennen aber an, dass es vielleicht nicht im besten Interesse der Meisterschaft ist. "Ich denke, dass wir erfolgreich eines der schwierigsten Dinge im Motorsport erreicht haben, und das ist Kostenkontrolle", sagt Agag. "Es war fantastisch zu sehen, wie der gesamte Paddock zugestimmt hat, diese Richtung einzuschlagen."

"Das Wichtige ist, dass Erfolg nicht mit Geld verbunden sein darf." Alejandro Agag

"Es war keine einfache Entscheidung, weil man einige Dinge opfern muss, aber dass jeder der Kostenkontrolle zustimmt, ist entscheidend. Es ist die Basis für den zukünftigen Erfolg in der Meisterschaft. Das Wichtige ist, dass Erfolg nicht mit Geld verbunden sein darf. Er muss mit Spitzenleistung bei Ingenieurskunst, Teamwork, Setup und Fahrfähigkeiten verbunden sein. Das sind die Elemente. Wir hätten gerne, dass alle das Gleiche investieren, und dann der Beste gewinnt."

Irgendjemand muss Letzter werden...

Ob beabsichtigt oder nicht, aber Agag deutet dabei auf eine Zukunft für die Formel E, in der Budget kein Problem ist, wenn jedes Team ein Hersteller ist. Wie viel macht es aus, wenn die Budgets immer mehr in den zweistelligen Millionenbereich gehen, wenn alle Teams Herstellerunterstützung bekommen? Wie Agag zugibt, "sieht es danach aus, als würden wir zehn Hersteller bekommen". Doch er fügt an: "Hersteller verlieren nicht gerne..."

Und das ist ein weiteres Problem: Irgendjemand muss Letzter werden. Und während es also denkbar ist, dass die Formel E in nicht allzu langer Zeit ein komplettes Herstelleraufgebot besitzt, kann niemand sagen, wie lange diese Blase hält. Man muss nur auf Hondas kurzen Formel-1-Stint schauen, nachdem man BAR kaufte, aber keinen Erfolg hatte. Natürlich ist das nicht die Formel 1, und die Budgets sind nicht vergleichbar, aber es hat trotzdem einen Einfluss, und alles ist relativ.


Fotostrecke: Das neue Formel-E-Design

Sollte etwa BMW mit Ausgaben von mehreren Millionen mit seiner Elektrotechnologie von einem halben Dutzend anderer Hersteller geschlagen werden, dann muss man in Erwägung ziehen, dass es ein schwerer Schlag für das Image wäre. "Und dann gehen sie kaputt", unterstreicht Agag. "Und das möchte man nicht. Man möchte, dass die Teams gesund sind."

Wie lang hält die Formel E?

Vielleicht wird die Existenz der Formel E glorreich, aber kurz sein. Vielleicht wird man auch eine längere Relevanzperiode mit Herstellern haben, die die Einführung von immer aggressiverer Elektrotechnologe bezahlen. Sollte das der Fall sein, dann kann die Formel E nur bedingt kontrollieren. Man geht in die richtige Richtung, indem man einen offenen Chassiswettbewerb kurz- bis mittelfristig eliminiert.

Das hält die Personalzahlen gering, und während Forschung und Entwicklung nicht gedeckelt werden können (wodurch Hersteller bei Batterien und Antrieben auf den Putz hauen können, wenn sie wollen), hält es zumindest die Formel E davon ab, bei Windkanalnutzung und Aerodynamikentwicklung in die Formel-1-Falle zu tappen.

Die Natur des Motorsportbiests bedeutet, dass mit mehr Herstellern auch mehr Geld zur Verfügung steht, um zum Sieg zu verhelfen. Darum ist es eine faszinierende Zeit für die Formel E, denn auch wenn es ein Risiko ist, ist es unmöglich, das Konzept eines Grids voller Hersteller, die Kopf an Kopf in einem echten Entwicklungsrennen antreten, nicht unglaublich verlockend zu finden.


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Vielleicht ist ein Ausgabenkrieg nicht unvermeidlich, doch mit Sicherheit bringt das Momentum die Formel E in eine Richtung, wo sie Serie für die ganz Großen ist. Wenn diese kommen, könnte die Serie ganz schnell ihren Zenit erreichen. Sie muss sich nur vor Beschuss aus dem eigenen Lager in Acht nehmen.