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  • 25.08.2017 22:37

  • von Dieter Rencken, Sven Haidinger & Norman Fischer

Wieso die entmannte Eau Rouge 2017 die Techniker zittern ließ

Vom Piloten-Schreck zum Ingenieurs-Albtraum: Wieso die einstige Mutkurve Eau Rouge heute von Piloten belächelt wird, aber Ingenieuren schlaflose Nächte bereitet

(Motorsport-Total.com) - Das Ende von Eau Rouge als Mutkurve ist besiegelt. Den Todesstoß gab ihr ausgerechnet Marcus Ericsson. "Diese Kurve fahre ich im Schlaf", diktierte der schwedische Sauber-Pilot den Journalisten in ihre Aufnahmegeräte. "Die ist viel zu einfach, selbst wenn man die alten Kiesbetten wieder zurückholt. Da sollte man eher auf dem Hügel eine Kurve einbauen."

Titel-Bild zur News: Eau Rouge

Die Eau Rouge hat ihren Schrecken bei den Piloten verloren Zoom

Während die Senke, die dem deutschen Supertalent Stefan Bellof 1985 bei einem Sportwagenrennen das Leben kostete, früher bei den Piloten gefürchtet war, machen sich inzwischen bereits Piloten von Nachzüglerteams über sie lustig.

Und bei allem Respekt vor Ericssons Fähigkeiten hinterm Lenkrad: Früher hatten selbst die absoluten Topstars Mühe, die Kompression, auf die eine 18-Grad-Steigung folgt, mit Vollgas zu durchfahren. "Du glaubst, dass du sie voll genommen hast, aber dann siehst du auf dem Telemetrieausdruck doch einen kleinen Zacken", erzählte Gerhard Berger einmal. Der Kopf ließ selbst ausgewiesene Vollgastiere doch immer wieder leicht lupfen.

Eau Rouge: Von der Angstpassage zur Gerade

Rubens Barrichello beschrieb vor einigen Jahren bildhaft wie kaum ein anderer Pilot, wie ihm zwischen Eau Rouge und Raidillion der Atem wegblieb. Und Draufgänger Jacques Villeneuve, der 1998 und 1999 zwei heftige Unfälle in der Senke hatte, ließ stolz auf seine Autogrammkarte drucken: I survived Eau Rouge.

Marcus Ericsson

Ende einer Legende: Ericsson meint, er könnte Eau Rouge im Schlaf durchfahren Zoom

Doch mit der enormen Aerodynamik-Aufrüstung durch den Einstieg der Werke verlor die Kurve in den Jahren darauf ihren Glanz. "Es handelt sich nicht einmal mehr um eine Kurve", findet der dreimalige Weltmeister Lewis Hamilton. Das sei aber nichts Neues: "In den zehn Jahren, die ich jetzt in der Formel 1 bin, ging sie immer schon voll. Mit einer einzigen Ausnahme: wenn es feucht ist." Und wenn man einem Vordermann zu dicht auffährt, wirft Romain Grosjean ein.

Kiesbett als Lösung? Fahrer unterschiedlicher Meinung

Heute ist Eau Rouge so einfach, dass die Piloten bereits in der ersten Runde des ersten Freitag-Trainings voll auf dem Gaspedal bleiben. "Und wenn wir in diese Richtung gehen und die Autos immer mehr Abtrieb bekommen, dann wird Eau Rouge weiter entschärft werden", meint Force-India-Pilot Sergio Perez. Ob ein Kiesbett die Angelegenheit wieder aufregender machen würde? "Warum nicht?", meint er.

Eau Rouge 1960

So sah die einst größte Herausforderung der Formel 1 im Jahr 1960 aus Zoom

Haas-Pilot Grosjean ist anderer Meinung. "Was die Sicherheit angeht, wäre das nicht das Beste", zeigt er sich auf Anfrage von 'Motorsport-Total.com' wenig begeistert. "In Spa gibt es viele aufregende Kurven. Und Eau Rouge ist immer noch aufregend, auch wenn sie ganz einfach voll geht."

Warum die Ingenieure dieses Jahr Eau Rouge fürchteten

Während also die Piloten jegliche Ehrfurcht vor Eau Rouge verloren haben, trieb die Passage in den vergangenen zwölf Monaten interessanterweise den Technikern die Schweißperlen auf die Stirn. "Bei den ersten Simulationen für das neue Reglement haben wir uns diese Kurve ganz genau angeschaut", bestätigt Force-India-Technikchef Andy Green. "Wir wussten, dass wir unser Auto für diese Kurve designen mussten."

Der Hintergrund: Nirgends im Kalender ist die Last, die auf die Boliden wirk,t so groß wie in der Senke. "Eau Rouge unterscheidet sich diesbezüglich grundlegend von jeder anderen Kurve im Kalender", erklärt Green. "Sie ist absolut außergewöhnlich." Das Problem: Die neuen, mit mehr Abtrieb ausgestatteten Boliden werden mit deutlich mehr Kraft auf den Asphalt gedrückt. "Wir sprechen von 30 Prozent mehr Last, auch wenn wir an der Stelle gleich schnell wie im Vorjahr sind", verrät der Force-India-Technikchef. "Es handelt sich um vertikale Kräfte."

Force India, Ingenieure

Stimmen die Berechnungen? Die Force-India-Ingenieure starren auf den Bildschirm Zoom

Als die Force-India-Piloten also am Freitag auf Anhieb mit Vollgas durch Eau Rouge bretterten, blieben zwar die Piloten ruhig, aber die Ingenieure blickten gebannt auf die Bildschirme. "Es ist schön, wenn die Zahlen auftauchen und man weiß, dass man nicht weit weg war", sagt Green. "Wirklich wissen wir es erst am Samstag, weil dann alles aufgedreht wird, aber nach unseren Hochrechnungen haben wir es ziemlich genau getroffen."

Pouhon und Fagnes als neue Mutpassagen

Die Piloten haben inzwischen neue Passagen liebgewonnen, bei denen es sich früher um mittelschnelle Kurven handelte, die aber durch den Abtriebsgewinn zu absoluten Mutpassagen mutiert sind. Seit einigen Jahren lässt die Bergab-DoppellinkskurvePouhon die Herzen der Fahrer höher schlagen.

"Pouhon ist ein bisschen wie Copse in Silverstone", vergleicht Hamilton. "Hier ist man ein bisschen schneller und es geht bergab, aber es handelt sich um eine tolle Kurve. In Spa ist das meine absolute Lieblingskurve." Und auch Sebastian Vettel zählt zu den Pouhon-Fans: "Die ist jetzt richtig knackig geworden." Mit der Autogeneration 2017 gefällt ihm aber eine andere Stelle noch besser. "Gleich danach folgen - piff-paff - die Kurven 12 und 13. Das macht jetzt richtig Spaß", spielt er auf die Fagnes-Passage an. "Das ist mein Lieblingsabschnitt."