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Warum Benetton nach Schumacher das Siegen verlernte

Wieso Benetton nach Michael Schumachers Erfolgsära nur noch einmal gewann und Gerhard Berger und Jean Alesi im Siegerauto B195 aussahen wie Anfänger

(Motorsport-Total.com) - 1994 und 1995 sicherte Michael Schumacher Benetton zwei Fahrer-Titel und eine Konstrukteurs-WM, zudem holte Flavio Briatores Team in diesem Zeitraum 19 Grand-Prix-Siege. Danach jubelte man nur noch einmal: bei Gerhard Bergers legendärem Triumph in Hockenheim, wenige Tage nach dem Tod seines Vaters. Doch wie konnte das Team so schnell den Anschluss verlieren? War der Höhenflug nur auf die Klasse Schumachers und dessen akribische Arbeitsweise zurückzuführen, oder war bei Benetton nach der Erfolgsära einfach die Luft draußen und die Autos nicht mehr schnell genug?

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Schumacher konnte als einziger das Limit des Benetton-Boliden wirklich ausloten Zoom

Ex-Benetton-Mastermind Pat Symonds, damals als Renningenieur von Jean Alesi aktiv und 1997 nach dem Abgang von Ross Brawn zum Technikchef befördert, verteidigt das Team. "Es war definitiv kein schreckliches Auto", verweist der heutige Williams-Technikchef auf den Benetton B196, mit dem die Truppe aus Enstone in der Konstrukteurs-WM 1996 im Jahr 1 nach Schumacher knapp hinter Williams und Ferrari auf den dritten Platz kam.

"Zu Saisonbeginn hatten wir ein enormes Problem", gibt Symonds zu. "Und das hat uns lange verfolgt." Problemzone war der Lufteinlass für den Motor, der unter gewissen Bedingungen dafür sorgte, dass der Saugmotor nicht ordentlich mit Sauerstoff angeströmt wurde. "Dadurch haben wir Zylinder verloren", stellt er klar. "Das hat eine Zeitlang unsere Performance beeinträchtigt. "Als das gelöst war, war das Auto nicht großartig, aber auch nicht schlecht."

Berger und Alesi konnten Weltmeister-Auto nicht bändigen

Schumacher-Intimus Brawn, der damals bei Benetton als Technikchef fungierte, drückt es sogar noch drastischer aus, was damit zu tun haben könnte, dass der heute 61-Jährige die Verantwortung für den Nachfolger des Weltmeisterboliden trug. Der B196 sei "ein sehr gutes Auto gewissen", meint er im Buch 'Total Competition: Lessons in strategy from formula one', das er gemeinsam mit Ex-Williams-Geschäftsführer Adam Parr verfasste. Das Auto sei "genauso gut" gewesen wie das im Jahr davor, "aber wir gewannen kein einziges Rennen damit", was ihn "desillusionierte" und schließlich zum Abgang zu Ferrari führte.

Die Antwort auf die Frage, warum die Benetton-Siegesserie 1996 so abrupt abriss, obwohl man mit Berger und Alesi zwei siegfähige Piloten engagiert hatte, liefern möglicherweise die ersten Tests des Duos. Denn die fanden ab dem 20. November 1995 tatsächlich im Weltmeisterauto des siebenmaligen Champions auf dem schnellen, hügeligen Kurs in Estoril statt.

Gerhard Berger, Michael Schumacher

Mit dem laut Brawn "sehr guten" B196 holten Berger und Alesi keinen Sieg Zoom

Die Spannung war enorm, als der für seine außergewöhnliche Fahrzeugkontrolle bekannte Alesi als erster den B195 ans Limit trieb und dabei aussah wie ein blutiger Anfänger. Der Franzose hatte enorme Schwierigkeiten, den "giftigen" Boliden zu bändigen, und zeigte Dreher am laufenden Band. Nach drei Tagen übernahm Berger das Steuer. Er war allerdings nicht lange unterwegs, ehe es ordentlich krachte und der Benetton nur noch Schrott war.

Berger: Plötzlicher Strömungsabriss auf Bodenwellen

"Der Crash war mordsmäßig, dass es drei Tage Unterbrechung gab", erinnert er sich in seinem Buch "Zielgerade". "Der Wagen war einfach ausgebrochen - und weg -, so schnell konnte ich gar nicht schauen." Nichtsahnend, dass das der Anfang einer bitteren Serie sein würde, klopften ihm die Benetton-Ingenieure auf die Schulter und beglückwünschten ihn zu seinem ersten Benetton-Crash seit 1986.

Als der Österreicher nach drei Tagen Pause - das Auto musste in Enstone repariert werden - bei Regen wieder auf die Strecke ging, steckte der Bolide schon nach drei Runden mit dem Heck voran erneut in der Leitplanke. Und auch beim nächsten Test produzierte Berger, als er erstmals ans Limit ging, Schrott. "Das war natürlich schon voll peinlich, und an den Gesichtern der Mechaniker und Ingenieure konnte ich eine gewisse Sehnsucht nach Schumacher ablesen", sah er sich mit einer unangenehmen Situation konfrontiert.

Das Fahrverhalten des Autos sorgte beim Routinier für ein großes Fragezeichen, schließlich wusste er selber, dass Schumacher damit eben erst Weltmeister geworden war. Dennoch forderte er seine Ingenieure auf, den Fehler zu finden. Mit Erfolg. "Das Mysterium ließ sich tatsächlich einkreisen", erzählt er. "Das Auto ging bei full speed auf Bodenwellen 'in stall', wie ein Flugzeug, bei dem die aerodynamische Wirkung abrupt abreißt", spielt er auf einen sogenannten Strömungsabriss an, der das Auto zu einem unkontrollierbaren Geschoss macht.

Symonds relativiert: Normal, dass Auto außer Kontrolle gerät

"War diese Bodenwelle in einer schnellen Kurve, dann konnte der Wagen übersteuernd ausbrechen", lautet für Berger die Erklärung, dass nicht einmal Alesi der Situation Herr wurde. Mit diesen Aussagen konfrontiert, analysiert Symonds die Angelegenheit aus der Ingenieurs-Perspektive.

"In Wahrheit sagt Gerhard, dass der Abtrieb des Autos nicht stabil war", schlussfolgert der Brite, und gibt eine kleine Lehrstunde in Sachen Aerodynamik. "Der Abtrieb steigt nicht einfach zum Quadrat mit der Geschwindigkeit an, denn das Auto bewegt sich ja, und der Abtrieb ist davon abhängig. Tatsache ist aber auch, dass ein sehr guter Fahrer das Auto so fährt, dass das Auto in gewissen Momenten außer Kontrolle ist, er es dann aber wieder unter Kontrolle bekommt."

"Ein sehr guter Fahrer fährt das Auto so, dass es in gewissen Momenten außer Kontrolle gerät." Pat Symonds

Ein Grenzbereich, mit dem Schumacher besser zurecht kam als Berger und Alesi. "Michael fuhr das Auto viel näher an der Instabilität als alle anderen", erklärt Symonds. "Er konnte weiter gehen als diese beiden Fahrer." Und mit dieser Gabe hatte der Kerpener, der 1991 zu Benetton gekommen war, offenbar auch unbewusst die Entwicklungsrichtung des Boliden beeinflusst. "Michael hat es dem Auto möglicherweise erlaubt, sich in diese Richtung zu entwickeln, weil er damit umgehen konnte", glaubt Symonds. "Das bereitete auch seinem 1995er-Teamkollegen Johnny Herbert große Probleme."

Bergers Theorie: Wie Schumacher das Problem umging

Berger hatte damals eine Idee, wie es Schumacher gelang, mit dem auf Bodenwellen plötzlich ausbrechenden Auto trotzdem ans absolute Limit zu gehen. Und zwar mit einem proakiven Fahrstil. "Schumachers Sensorik war völlig darauf ausgerichtet, weil das Auto das von Anfang an so eingebaut hatte. Er konnte damit umgehen - wahrscheinlich hat er instinktiv schon vorher gegengelenkt", gibt Berger seine Theorie im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' Preis. "Das war für mich wahnsinnig schwierig zu verstehen, dass die letzten fünf Zehntelsekunden so schwierig sind."

Das war auch der Moment, in dem er erkannte, was für ein Ausnahmekönner sein damaligen Intimfeind Schumacher war, wodurch er auch seine letzten Zweifel abbaute: "Wer dieses Auto auch im Grenzbereich so souverän im Griff hatte, musste absolute Extraklasse sein."

Gerhard Berger

In Hockenheim war der Benetton durch Berger auch nach Schumacher ganz vorne Zoom

In ihren gemeinsamen zwei Benetton-Jahren gelang es Berger und Alesi nur in Ausnahmefällen, im bunten Boliden wie davor Schumacher zu glänzen. Oft war es der Renault-Motor, der dafür sorgte: Der Österreicher glänzte 1996 auf den langen Waldgeraden in Hockenheim und fuhr Damon Hill vor der Nase herum, ehe sich das französische Triebwerk drei Runden vor Schluss verabschiedete. 1997 hätte Berger in Interlagos fast gewonnen, ehe er in Hockenheim erneut eine Galavorstellung ablieferte und siegte, während Alesi 1997 in Monza nur knapp am Sieg vorbeischrammte.

Monza 1997: Alesi sorgt bei Symonds für Trauma

Ein Rennen, das sich in Symonds Gehirn eingebrannt hat. "Weil ich mir Siege kaum merke, aber dafür jede Niederlage", sagt der Brite, der Alesi Vorwürfe macht. "Ich habe es noch nie gesehen, dass jemand die Boxeneinfahrt so verhaut wie er. Er hätte Monza gewinnen sollen, aber so hat er David Coulthard den Sieg geschenkt. Nur selten hat jemand ein Rennen so leichtfertig verloren."

Pat Symonds

Alesi brachte Symonds 1997 in Monza um den zweiten Sieg seines ersten Boliden Zoom

Dazu kamen nach der Schumacher-Ära, in der alles auf den damaligen Überfahrer zugeschnitten war, Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Strickwaren-Teams. Für Brawn war ausgerechnet die Verpflichtung Bergers durch Briatore daran schuld. "Das war das Schlimmste, was uns passieren konnte", schimpft der Brite.

Arbeitete Berger intern gegen Alesi?

Mit Alesi habe man bereits "ein riesiges Talent" engagiert gehabt, doch er und der ehemalige Teamkollege von Ayrton Senna "hatten ein angespanntes Verhältnis, als sie bei Ferrari waren. Also hatten wir jetzt zwei neue Fahrer, die mit einer sehr schwierigen Beziehung zu uns kamen." Das Problem war laut Brawn, dass die beiden nicht an einem Strang zogen: "Eines von Gerhards Zielen war, Jean ständig einen Strich durch die Rechnung zu machen - und darin war er sehr gut. Ihre Beziehung war nicht konstruktiv für das Team."

Gerhard Berger, Jean Alesi

Jean Alesi und Gerhard Berger: Keine Harmonie unter den Teamkollegen? Zoom

Alesi manövrierte sich aber auch durch Eigenfehler ins Abseits. Als ihm beim Saisonauftakt 1997 in Melbourne der Sprit ausging, obwohl er mittels Funk- und Boxensignalen zehn Minuten lang aufgefordert worden war, an die Box zu kommen, platzte Briatore der Kragen: Der Franzose musste sich wüste Beschimpfungen anhören.

Symonds glaubt nicht an Gerücht um Alesi-Streik in Melbourne

Ein Fahrerlager-Gerücht besagt, dass Alesi sogar absichtlich nicht zum Nachtanken hereinkam und sich an Briatore rächen wollte. Denn: Briatore hatte seinen Piloten angeblich nach der ersten gemeinsamen Benetton-Saison das Gehalt gekürzt, weil die Autos wegen der mäßigen Platzierungen nicht oft genug im Bild waren. Und da Briatores Sponsorenverträge an die TV-Minuten gekoppelt waren, wirkte sich die sieglose Saison äußerst negativ auf das Teambudget aus.

Alesi soll Briatore also ins Gesicht gesagt haben: "Du zahlst mir nur die Hälfte? Dann fahre ich halt nur das halbe Rennen..." Symonds, der damals Alesis Renningenieur war, dementiert dieses Gerücht. "Ist es vorstellbar, dass ein Fahrer so etwas macht?", fragt der heute 63-Jährige. Und reicht seine Antwort nach: "Ich glaube es nicht."