powered by Motorsport.com
  • 16.04.2012 18:00

  • von Dieter Rencken, Markus Lüttgens & SID

"Schanghai-Express" Rosberg erlöst Mercedes

Nach einem perfekten Rennen und dem ersten Sieg von Nico Rosberg kannte die Freude im Werksteam von Mercedes (fast) keine Grenzen

(Motorsport-Total.com/SID) - Nach der historischen Triumphfahrt ließ "Schanghai-Express" Nico Rosberg seiner Freude mit einem ohrenbetäubenden Schrei freien Lauf, anschließend sprang er jubelnd auf sein Auto und spritzte bei der Siegerehrung die Magnumflasche Champagner fast komplett auf Sportchef Norbert Haug. Freude, Jubel und Erleichterung im Lager von Mercedes kannten nach der ersten Sternstunde im Zeitalter der neuen Silberpfeile (fast) keine Grenzen.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Nico Rosberg genoss den Erfolg im Kreise seines Teams

"Das war absolut gigantisch, sensationell. Ich bin unglaublich happy", sagt Rosberg nach seinem "Bilderbuchsieg" (Haug): "Das war ein perfektes Rennen nach einem Superstart." In seinem 111. Rennen, mehr als 56 Jahre oder genau 20.671 Tage nach dem letzten Erfolg eines Mercedes-Werksteams hatte Rosberg, der schon in den vergangenen beiden Jahren beim Rennen im Reich der Mitte geführt hatte, den Bann endlich gebrochen.

So sehr er den Zieleinlauf und den anschließenden Triumphzug auch genoss, so sehr hatte er während der 96 Minuten und 26 Sekunden im Auto gelitten. "Ich dachte, das Rennen geht nie zu Ende", meint der Sohn des früheren Weltmeisters Keke Rosberg, der seit Sonntag der siebte deutsche Formel-1-Sieger ist: "Ich habe mich gefühlt, als würde ich die 24 Stunden von Le Mans fahren." Entsprechend laut fiel nach der erlösenden Zieldurchfahrt dann auch der erleichterte "Yeah"-Schrei aus.

"Ich dachte, das Rennen geht nie zu Ende." Nico Rosberg

Auf dem Siegerpodest kannte der 26-Jährige schließlich keine Gnade mit Haug. Der wollte vor dem erwarteten Champagnerbad in Deckung gehen, allein es nutzte nichts. "Das war schon okay", sagt Haug schmunzelnd. Mehr Probleme hatte der 59-Jährige auf dem Weg zum Podium. "Ich habe den Eingang nicht gefunden", sagt der Schwabe, dessen ehemaliger Schützling Lewis Hamilton ihm schließlich den Weg wies: "So oft war ich schließlich noch nicht dort." Den hässlichen bunten Siegerpokal nahm er anschließend mit zum TV-Interview: "Den gebe ich nicht mehr her."

Historischer Sieg für Mercedes

Als das Mercedes-Werksteam am 11. September 1955 in Monza durch den legendären Argentinier Juan Manuel Fangio den zuvor letzten Sieg geholt hatte, war Haug gerade mal drei Jahre alt. Auch Teamchef Ross Brawn war damals noch nicht viel älter. "Mir hat gerade jemand erzählt, dass ich ein Jahr alt war, als wir den letzten Grand Prix gewonnen haben. Das ist eine nette Statistik", erzählt der Brite nach dem Rennen.

Nico Rosberg, Ross Brawn (Teamchef), Sam Bird

Rosberg sorgte für ausgelassene Feierstimmung bei Mercedes Zoom

Haug suchte kurz nach dem erlösenden Erfolg im 41. Rennen der neuen Werkszeit in der Formel 1 erst einmal die Ruhe und zog sich abseits des Rummels auf eine Bank des Team-Pavillons zurück, wo ihn jedoch immer wieder Anrufe und SMS von Gratulanten erreichten. Bei Teamchef Brawn hatte das Telefon schon unmittelbar nach der Zieldurchfahrt geklingelt. Wie er später erzählt, war sein Vater der erste Gratulant. Kaum hatte er aufgelegt, traf schon der nächste Anruf ein. Diesmal war Brawns Ehefrau am anderen Ende der Leitung. "Sie war sehr emotional", sagt Brawn. "Sie lebt für diesen Sport."

Rosberg musste einen knapp zweistündigen Marathon durch Gratulanten und Schulterklopfer zurücklegen, der ihm keine Zeit zur Besinnung ließ. "Ich habe es schon realisiert", sagt der 26-Jährige dennoch ganz entspannt: "Wenn man etwas das erste Mal erlebt, weiß man nicht, was einen erwartet. Nun habe ich es erlebt. Und es war schön." Die anschließende Feier fiel wegen der direkt anstehenden Reise nach Bahrain "etwas gedämpft" aus: "Aber ich hoffe, dass es noch einige Partymöglichkeiten geben wird."

"Er ist ganz gefasst, egal ob er Erster oder Letzter wird." Hamilton über Rosberg

Rosbergs "Coolness" sorgte bei Konkurrent Hamilton für Erstaunen. "Es ist etwas Besonderes, den ersten Sieg und auch die erste Pole-Position einzufahren. Und dabei sah er noch gar nicht mal allzu aufgeregt aus. Ich war total aus dem Häuschen, als ich das erste Mal gewonnen habe. Aber er ist ganz gefasst, egal ob er Erster oder Letzter wird."

Erster von vielen Erfolgen?

RTL-Experte Niki Lauda, selbst dreimaliger Weltmeister, versicherte Rosberg jedoch, dass das Siegen nach dem erlösenden ersten Erfolg "nun leichter fallen wird". "Wenn es so ist, in Ordnung", meint Rosberg schmunzelnd: "Ich hoffe schon, dass noch einige Siege folgen werden. Aber wir können jetzt nicht erwarten, dass wir alle in Grund und Boden fahren."

Nico Rosberg

Kann Mercedes nun regelmäßig Siege feiern? Zoom

Ähnlich schätzt sein Motorsport-Chef die Situation ein. "Ich will realistisch bleiben: Wir sind nicht die Favoriten, aber wir sind auch nicht chancenlos. Nach den ersten beiden Rennen hatten uns viele Leute nicht für einen Sieg auf der Rechnung", sagt Haug. Teamchef Brawn tat sich nach dem Rennen schwer, den Sieg einzuordnen. "Es ist schwierig, das einzuschätzen. Lagen alle anderen falsch und nur wir haben es richtig gemacht? Oder langen die anderen auch richtig, und das Rennen war ein wirklicher Maßstab unserer Leistungsfähigkeit. Wir hatten ein perfektes Rennen, ich glaube, das können nicht alle behaupten."

Doch statt den Abend mit Analysen zu verbringen, genoss das Team den Triumph von Schanghai. "Wir haben ein neues Abenteuer begonnen. Ich hatte das Glück, schon viele besondere Tage zu erleben, und der heutige ist sicherlich ein ganz besonderer", sagt Brawn. "Das erinnert mich daran, warum ich den Motorsport so liebe. Nach diesen harten Jahren ist das ein ganz besonderer Sieg für uns."

"Das erinnert mich daran, warum ich den Motorsport so liebe." Ross Brawn

Dabei hatte der Brite schon in der Vergangenheit zahlreiche Siege gefeiert. "Meine Jahre bei Ferrari waren wundervoll, ich hatte dort eine tolle Zeit, alle waren sehr leidenschaftlich. Aber nun bin ich bei einem anderen Team, uns das schöne ist, dass auch dieses Team auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Wir möchten diese Geschichte weiterschreiben. Ich bin stolz, ein Teil der Geschichte der neuen Silberpfeile zu sein", so Brawn.


Fotos: Mercedes, Großer Preis von China, Sonntag


Emotionaler Sieg für Norbert Haug

Gleiches gilt für Mercedes-Mann Haug: "Das ist einer der sehr, sehr guten Siege. Davids (Coulthrad, Anm. d. Red.) erster Sieg 1997 war sicherlich ein Meilenstein. Wir haben das Auto silbern lackiert, und er hat gleich das erste Rennen gewonnen. Wir hatten 1994 in Indianapolis einen herausragenden Sieg, haben viele Erfolge mit McLaren und BrawnGP gefeiert. Aber dieser Sieg ist für uns sehr wichtig - vor allem in diesem Land und nach all der harten Arbeit", blickt Haug auf den wichtigen Absatzmarkt China.

Nico Rosberg, Norbert Haug (Mercedes-Motorsportchef)

Norbert Haug war nach dem Triumph sichtlich gerührt Zoom

Der Sieg hätte für Haug zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können, mehrten sich doch in den vergangenen Wochen im Hause Mercedes Stimmen, die ein Ende des bislang erfolglosen Formel-1-Engagements forderten. Haug glaubt jedoch nicht, dass die Wartezeit auf den ersten Sieg zu lange gedauert habe: "Beim Blick in die Geschichtsbücher stellt man fast, dass nicht vielen Teams im dritten Jahr schon ein Sieg gelungen ist. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn wir schon im ersten Jahr gewonnen hätten, aber wir nehmen die Dinge so, wie sie kommen."

Dass Rosberg oder dem Team der Erfolg zu Kopf steigen werde, schloss Haug aus."Er hat jetzt einen Sieg in der Tasche und will sicher mehr", so der 59-Jährige, der eine Trennlinie zwischen gesundem Selbstbewusstsein und Arroganz zieht. "Wir sind sicherlich nicht arrogant, aber Selbstvertrauen ist eine Eigenschaft, die du brauchst. Wenn du nicht an dich selber glaubst, widmest du dich deiner Aufgabe nicht mit voller Energie. Das ist wesentliche Eigenschaft all unserer Teammitglieder."

"Er hat jetzt einen Sieg in der Tasche und will sicher mehr." Haug über Rosberg

Schumachers Ausfall der einzige Makel

Nur einem im Mercedes-Team war gestern nicht nach Feiern zumute. Michael Schumacher bejubelte zwar am Kommandostand den Sieg des Teamkollegen, das eigene Abschneiden sorgte aber für Frust: Der Rekordweltmeister, von Rang zwei aus ins Rennen gegangen, hatte diesen bis zum ersten Boxenstopp nach zwölf Runden erfolgreich verteidigt, wenige Meter später musste er sein Auto aber in der Wiese abstellen, weil ein Mechaniker das rechte Vorderrad nicht richtig festgeschraubt hatte.

Statt diesem einen Vorwurf zu machen, kündigte Schumacher aber an, "ihn nachher mal kräftig zu drücken". Der Mechaniker hatte nach dem Entdecken des Fehlers noch energisch Handzeichen gegeben, um Schumacher aufzuhalten, doch der war bereits losgefahren. Für Brawn war der Ausfall seines zweiten Fahrers gestern der einzige Wermutstropfen, wurde dadurch doch ein möglicher Doppelsieg verhindert: "Das war sehr frustrierend, denn er war gut in Form und hat seine Reifen geschont. Er war auf derselben Strategie wie Nico unterwegs."

Folgen Sie uns!

Folge uns auf Instagram

Folge uns jetzt auf Instagram und erlebe die schönsten und emotionalsten Momente im Motorsport zusammen mit anderen Fans aus der ganzen Welt