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  • 02.09.2015 17:19

  • von Ryk Fechner

Martin Whitmarsh: Kimi Räikkönen wird missverstanden

Ex-McLaren-Teamchef Whitmarsh erinnert sich an seine gemeinsame Formel-1-Zeit mit Räikkönen zurück: "Schnell, Intelligent, aber zu wenig Hingabe"

(Motorsport-Total.com) - Beim Formel-1-Grand-Prix von Abu Dhabi 2012 fuhr Kimi Räikkönen seinen bis heute vorletzten Sieg in der Königsklasse ein. Als ihn im Rennen der ausschweifende Lotus-Teamfunk über die herannahende Konkurrenz nervt, blafft Räikkönen trocken zurück: "Lasst mich in Ruhe, ich weiß, was ich tu'!" Der Funkspruch steht beinahe symbolisch für die ganze Persönlichkeit Räikkönens: Leicht unterkühlt, kurz angebunden und auf alle Fälle unangepasst. Das, wofür ihn seine Fans lieben. Zwischen 2002 und 2006 fuhr Räikkönen für McLaren. Martin Whitmarsh kennt den Finnen aus seiner Zeit bei den einst Silbernen und spricht über den Charakterkopf, der einer aussterbenden Art anzugehören scheint.

Titel-Bild zur News: Kimi Räikkönen

Seit 2007 huldigen seine Fans Kimi Räikkönen mit Gorilla-Kostümen Zoom

"Vielleicht ist ihm der letzte Biss etwas abhanden gekommen. Bei uns hatte er damals Tage, an denen er genial war. Andere waren eher zum Vergessen", meint Whitmarsh gegenüber 'motorsportmagazine.com' über die Leistungskurve Räikkönens im Verlauf seiner Formel-1-Karriere: "Aber er kann immer noch einen verdammt guten Job machen. Außerdem macht er nicht viele Fehler."

Der Ferrari-Weltmeister von 2007 hat seit jeher mit den Ruf, dass er für einen Hochleistungssportler gelegentlich etwas zu tief ins Glas schaue. Sein Umtrunk im Gorilla-Kostüm aus eben jenem Jahr veranlasste seine Anhänger, die Rennstrecken dieser Welt regelmäßig mit entsprechendem Outfit heimzusuchen. Doch laut Whithmarsh trügt der Schein: "Ich muss sagen, dass Kimi ein sehr missverstandenes Individuum ist. Er mag es, zu feiern und zu trinken, aber er ist eigentlich viel disziplinierter, wenn es ums Training geht, als es die meisten Leute wahrnehmen."

"Einer der scharfsinnigsten Fahrer da draußen"

"Außerdem ist er sehr intelligent - in der Tat ist er einer der scharfsinnigsten Fahrer da draußen. Nur weil er nicht viel sagt und eher schnippisch auftritt, würden die Leute das nicht unbedingt behaupten. Zudem bin ich der Meinung, dass er einer der besten Fahrer ist, wenn es darum geht, das Auto zu verstehen und das zu kommunizieren", so Whitmarsh, der als McLaren-Teamchef nach der Saison 2013 seinen Hut nehmen musste.

Der Widerspruch seiner eigenen Aussage fällt Whitmarsh dabei allerdings auf: "'Kommunikation' und 'Kimi' in einem Satz hört sich vielleicht etwas verrückt an - aber ich bin ein großer Fan davon. Er ist äußerst schnell, dazu sehr intelligent, also muss man sagen, dass er alle Zutaten hat. Was er aber nicht hat, ist die Hingabe."


Fotostrecke: Glorreiche Sieben: Alle McLaren-Champions

"Wirst du dir nicht hart in den Hintern treten?"

Für sein Urteil hat Whitmarsh auch einen Beleg parat. Während ihrer gemeinsamen McLaren-Zeit sei der Finne einmal in der Woche zwischen den Rennen in Montreal und Indianapolis in Las Vegas feiern gewesen. Da die Startposition damals entscheidender war als unter heutigen DRS-Bedingungen, fragte Whitmarsh: "Wenn du in sechs Tagen die Pole in Indianapolis um fünf Tausendstelsekunden verpasst, wirst du dir dann nicht selbst hart in den Hintern treten?" Die Antwort Räikkönens: Ein Nicken und der Abflug zur Party.

Trotz der eigenwilligen Art macht Whitmarsh keinen Hehl daraus, dass er mit Räikkönen menschlich gut auskommt. Mclaren-Patron Ron Dennis und Räikkönen sollen hingegen Rote Tücher füreinander sein: "Obwohl Kimi Ron leidenschaftlich hasst, kam ich immer gut mit ihm aus. Ich habe darüber nachgedacht, ihn wieder unter Vertrag zu nehmen, als Ferrari ihn nach der Saison 2009 vor die Tür gesetzt hatte. Wir waren in Verhandlungen, jedoch waren sie... von finanzieller Seite her etwas ambitioniert. Dann wurde währenddessen Jenson (Button; Anm. d. Red.) frei und alles andere löste sich in Rauch auf."