powered by Motorsport.com
  • 08.12.2009 17:58

Herrmann: "Solange es geht, will ich fahren"

Der bislang letzte Mercedes-Werksfahrer Hans Herrmann über die Formel 1 der 1950er-Jahre, das neue Silberpfeil-Team und Michael Schumacher

(Motorsport-Total.com/SID) - Hans Herrmann ist 81 Jahre alt, doch Stillsitzen liegt dem ehemaligen Rennfahrer nicht im Blut. Stattdessen dreht der frühere Mercedes-Werksfahrer noch möglichst oft selbst am Lenkrad, leitet eine kleine Firma und beobachtet leidenschaftlich gerne das Renngeschehen in der Formel 1. Dem neuen Silberpfeil-Team von Mercedes kann der ehemalige Teamkollege von Juan-Manuel Fangio und Stirling Moss sehr viel abgewinnen, wie er im ausführlichen Interview zu Protokoll gibt.

Titel-Bild zur News: Hans Herrmann

Hans Herrmann pilotierte bereits vor über 50 Jahren einen Mercedes-Silberpfeil

Frage: "Herr Herrmann, sie sind inzwischen 81 Jahre alt. Fahren sie immer noch Rennautos?"
Hans Herrmann: "Natürlich. Noch vor sechs Wochen bin ich bei den Eifel-Classics gefahren. Ich kann immer noch alleine ins Auto einsteigen. Und solange es geht, will ich fahren."#w1#

Frage: "Und voll berufstätig sind sie auch noch..."
Herrmann: "Ich bin eben kein Golfer. Und meiner Frau würde ich zu Hause nur auf den Wecker gehen. Ich habe mir eine kleine Firma aufgebaut und fungiere als Bindeglied zwischen der Automobilzulieferindustrie und den Autoherstellern. Ich vermittle zum Beispiel Räder an Mercedes und Porsche. Aber die Zeiten sind schwer. Wenn ich zu Einkäufern muss, kriege ich fast Magenbeschwerden."

Frage: Aber die Nachricht, dass Mercedes künftig wieder mit einem eigenen Team in der Formel 1 startet, hat sie als bislang letzten deutschen Silberpfeil-Piloten doch sicher gefreut..."
Herrmann: "Ich habe mich sehr gefreut, aber ich hatte es auch schon geahnt. Schließlich habe ich guten Kontakt zu Norbert Haug. Und auch, wenn er es nie konkret gesagt hat, war ich sicher, dass sie schon seit drei, vier Jahren eine Gelegenheit gesucht haben, ein eigenes Team aufzubauen."

"Ich habe mich sehr gefreut, aber ich hatte es auch schon geahnt." Hans Herrmann

"Bisher war es doch so: Wenn das Auto gewonnen hat, war es ein McLaren. Natürlich gibt es Leute bei uns im Schwabenland, die sagen, im Mercedes-Werk gibt es Kurzarbeit und die geben Millionen in der Formel 1 aus. Aber die neue Situation ist hervorragend, da kommen sie gar nicht so schlecht weg."

Herrmann würde Lewis Hamilton holen

Frage: "Was trauen sie dem Team im Comeback-Jahr 2010 zu?"
Herrmann: "Norbert wird so klug sein, dass er Ross Brawn arbeiten lässt. Und der hat immer gezeigt, was er kann. Im letzten Jahr ist er aus dem Nichts Weltmeister geworden. Die Mischung Mercedes mit Norbert Haug, Ross Brawn und einem guten Fahrer wie Nico Rosberg verspricht große Erfolge."

Frage: "Mit ihrem potenziellen Nachfolger bei den Silberpfeilen - nach 45 Jahren - können sie also gut leben?"
Herrmann: "Auf jeden Fall. Nico macht auf mich einen sehr guten Eindruck. Persönlich kenne ich ihn leider nicht, dafür kenne ich seinen Vater Keke sehr gut."

"Der hat ihn auch gut erzogen und ihm zum Beispiel beigebracht, bei Interviews die Sonnenbrille abzunehmen. Nico ist ein junger Kerl, aber schon ein erfahrener Mensch, der sehr gut zu Mercedes passt. Er ist ein sympathischer und cleverer junger Mann."

"Nico ist ein junger Kerl, aber schon ein erfahrener Mensch." Hans Herrmann

Frage: "Und wer wäre ihrer Ansicht nach der ideale Partner? Nick Heidfeld? Michael Schumacher?"
Herrmann: "Heidfeld nicht, nein. Und Schumacher auch nicht. Seinem Team Ferrari hätte er im Vorjahr geholfen, wenn er gesund gewesen wäre. Aber dass er nochmals eine komplette Saison fährt, kann ich mir nicht vorstellen."

"Mir hätte Kimi Räikkönen gepasst, aber er kann sich leider nicht einordnen, das hat man bei Mercedes schon einmal erfahren müssen. Am liebsten wäre mir jedoch Lewis Hamilton gewesen. Rosberg und Hamilton wären mein Traumpaar. Aber wenn sich nichts anderes ergibt, wird es am Ende vielleicht doch Heidfeld."

Rücksicht ist heute ein Fremdwort

Frage: "Sie waren vor fast 50 Jahren Formel-1-Pilot und verfolgen heute noch jedes Rennen im Fernsehen. Wären sie auch lieber heute Rennfahrer als damals?"
Herrmann: "Natürlich, viel lieber. Man stelle sich das mal vor: Es ist nicht mehr gefährlich und es gibt viel Geld. Zu unserer Zeit war es gefährlich und es gab sehr wenig Geld."

"Damals sind jedes Jahr zwei oder drei Fahrer gestorben. Das heißt, in zehn Jahren haben wir 20 Freunde verloren. Deshalb habe ich meinen beiden Söhnen auch ausgeredet, Rennfahrer zu werden. Inzwischen ist seit 15 Jahren nichts mehr passiert."

"Das einzige Problem ist, dass der Respekt kleiner geworden ist. Wir haben vorher in bestimmten Zonen nicht mehr angegriffen, weil es eben gefährlich war. Heute wird respektlos, ohne Rücksicht auf Verluste attackiert, selbst wenn es nur um Platz drei geht. In dem sicheren Glauben, es passiert ja nichts."

"Das einzige Problem ist, dass der Respekt kleiner geworden ist." Hans Herrmann

Frage: "Gerade Schumacher galt als kompromissloser Fahrer. Was halten sie von ihm?"
Herrmann: "Schumacher war ein Sonderfall. Für ihn gab es nur Autofahren und die Familie. Er war überehrgeizig. Deshalb ist er aber auch so weit gekommen."

"Es gab andere, die haben ihr Trainingspensum abgespult und sind dann den Frauen nachgestiegen. Das gab es bei Schumacher nicht. Er hat abends noch verbissen gesucht, wo er zwei Zehntel rausschlagen könnte. Erst in den letzten beiden Jahren war er etwas entspannter, da hatte man das Gefühl, er ist er selbst."

Erinnerungen an die eigene Formel-1-Zeit

Frage: "Welche Erinnerungen haben sie an Ihre Zeit bei den Silberpfeilen?"
Herrmann: "Als der Dicke (Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer; Anm. d. Red.) mich damals angerufen hat, hat es mich fast umgehauen."

"Das war für mich, als wenn du als Schauspieler vom größten Regisseur angerufen wirst. Ich war dann Teamkollege von Fahrern wie Juan-Manuel Fangio oder Sir Stirling Moss. Deshalb habe ich als Jüngster meist das schlechtere Auto bekommen. Aber es war eine wunderschöne Zeit."

Frage: "Sie hatten im Training von Monaco 1955 aber auch einen ganz schweren Unfall..."
Herrmann: "Ich habe damals früh gemerkt, dass etwas mit der Bremse nicht stimmt. Da hätte ich sofort in die Box fahren müssen, doch ich war einfach zu unerfahren. Es gab noch keine Leitplanken,
also bin ich in eine Mauer gekracht."

"Ich habe damals früh gemerkt, dass etwas mit der Bremse nicht stimmt." Hans Herrmann

"Ich lag einige Wochen in Frankreich im Krankenhaus, bis ich überhaupt transportfähig war. Die Ärzte haben gesagt: 'Wenn sie mal 50 sind, werden sie große Probleme mit ihrem Bein kriegen.' Gott sei Dank haben sie sich um 20 Jahre vertan. Die Probleme kamen erst mit 70."

Frage: "Sie hatten den Beinamen 'Hans im Glück'. Galt das im Nachhinein vielleicht sogar für diesen Unfall? Denn dadurch waren sie wenige Monate später bei der Tragödie von Le Mans mit 82 Toten nicht dabei..."
Herrmann: "Aber die wäre ja nie passiert, wenn ich dort gewesen wäre. Unglücksfahrer Pierre Levegh saß in meinem Auto und war gerade von Fangio überrundet worden. Ich wäre sicher nach anderthalb Stunden ganz woanders gewesen."