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Hamilton-Sieg hing an seidenem Faden

Sportdirektor Sam Michael erklärt, warum man bei McLaren wegen der Reifen alles andere als zuversichtlich war, dass Lewis Hamilton in Ungarn gewinnt

(Motorsport-Total.com) - Sam Michael ist es gewohnt, auf dem Prüfstand zu stehen. Der Australier war jahrelang Williams-Technikchef - und das in den weniger erfolgreichen Jahren des Traditionsrennstalls aus Grove. Nach dem Rauswurf wechselte er zum McLaren-Rennstall nach Woking, wo er seit dieser Saison als Sportdirektor fungiert. Einer seiner Haupt-Verantwortungsbereiche ist die Vorbereitung der Rennstrategie am Sonntag.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton, Kimi Räikkönen

Bei McLaren befürchtete man in der Endphase Reifenprobleme

Das ist vor allem dieses Jahr in Anbetracht der enormen Leistungsdichte eine harte Nuss. Nicht immer sah das McLaren-Team diesbezüglich glücklich aus. In Ungarn gelang es den Briten aber, mit Lewis Hamilton den dritten Saisonsieg einzufahren. Das Timing ist günstig, schließlich hält der Triumph die Motivation in der Sommerpause hoch. McLaren liegt derzeit im WM-Klassement zurück, muss also in der zweiten Saisonhälfte Punkte aufholen.

Auch wenn Hamilton das Rennen von der Spitze aus kontrollierte, war der Sieg auch auf eine gelungene, aber riskante Strategie zurückzuführen. "Es war wirklich knapp", erklärt Sportdirektor gegenüber 'Speed.com' und spielt damit auf die Bedrohung durch das Lotus-Team - seit Saisonbeginn als "Reifenflüsterer" bekannt - an.

Lotus zwang McLaren zu großen Risiko

Zunächst war es Romain Grosjean, der Hamilton hetzte, in der Endphase holte dann der deutlich schnellere Kimi Räikkönen mit einem späten Stopp und somit frischeren Reifen zur großen Attacke aus. "Wir mussten so schnell fahren wie wir konnten", bestätigt Michael. "Lotus setzte uns den ganzen Tag lang unter Druck, und wir schlugen sie an den Boxen und im Qualifying. Beim gesamten letzten Stint mussten wir auf die Reifen achten. Kimi war schneller als wir, aber wir hielten ihn hinter uns."

Die Pirelli-Reifen, mit denen McLaren schon die gesamte Saison lang hadert, machten das Rennen für Michael & Co. am McLaren-Kommandostand zur Zitterpartie. Hamilton kam beim letzten Stopp fünf Runden vor Räikkönen an die Box - niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, ob die Pneus am MP4-27 halten würden. Was passieren kann, wenn man es übertreibt, bewies ausgerechnet Räikkönen in Schanghai, als die Reifen plötzlich rapide abbauten und er von Platz zwei auf Platz 14 durchgereicht wurde. "Wir waren alles andere als zuversichtlich", gibt Michael zu. Auf einen dritten Stopp, wie ihn die Red-Bull-Piloten und McLaren-Mann Jenson Button machten, wollte man aber unbedingt verzichten.

Martin Whitmarsh (Teamchef, McLaren), Sam Michael

Sam Michael und Martin Whitmarsh waren sich alles andere als siegessicher Zoom

"Wir wussten, dass es das dann gewesen wäre, hätten wir noch einen Stopp eingelegt", erklärt der "Aussie". "Lotus wäre Erster und Zweiter geworden. Wir wussten, dass wir nach einem Stopp nicht noch einmal zurückschlagen hätten können und sie gekriegt hätten. Sie waren zu stark, also beruhte unsere einzige Siegchance darauf, draußen zu bleiben, und es hat sich ausgezahlt."

McLaren rechnete mit Räikkönen-Attacke

Ausgerechnet die Funksprüche zwischen Räikkönen und seinem Renningenieur Mark Slade sorgten am McLaren-Kommandostand für etwas Beruhigung. "Kimi ist ein Weltmeister, aber er wusste, dass er es nicht versuchen konnte, solange Lewis' Reifen nicht massiv abbauten. Man konnte hören, dass er das über Boxenfunk sagte, das war etwas beruhigend. Wir hatten befürchtet, dass er sein gesamtes KERS aufbewahrte und einen Versuch starten würde, aber dafür war er nicht schnell genug. Er musste KERS nutzen, um dran zu bleiben."

Doch während der Poker bei Hamilton schließlich aufging, sah die Dreistopp-Strategie bei Teamkollegen Button alles andere als gelungen aus. Der Zweitplatzierte von Hockenheim lag in den ersten Runden sogar auf dem dritten Platz, wo er sich gegen Sebastian Vettel behauptete, doch nach dem frühen zweiten Stopp fand er sich plötzlich hinter dem Williams-Piloten Bruno Senna auf Platz acht wieder, der zu diesem Zeitpunkt erst einen Stopp hinter sich hatte. Als dann Senna zum zweiten Mal hereinkam, reagierte McLaren und holte Button zum dritten Mal an die Box, um den Williams-Piloten überholen zu können - schließlich wurde der Vizeweltmeister 2011 nur Sechster.

Bruno Senna, Jenson Button

Abbauende Reifen: Jenson Button verlor zu viel Zeit hinter Bruno Senna Zoom

Michael wehrt sich gegen den Vorwurf, dass die falsche Strategie Buttons Rennen zerstört hatte: "Sein Reifenabbau war zu groß. Wenn man seine Rundenzeiten anschaut, dann erkannten wir zu einem frühen Zeitpunkt, dass wir bei ihm keine Zweistopp-Strategie durchführen konnten. Er konnte das Tempo nicht halten. Eine Dreistopp-Strategie ist von der Papierform her gut, aber man kann nicht überholen, und er verlor zu viel Zeit hinter Senna. Als er diese Zeit verloren hatte, war es für ihn schwierig, es zurück in die Top 3 oder 4 zu schaffen."