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  • 11.06.2012 01:56

  • von Dieter Rencken

Hamilton: "Es fühlt sich einfach nur gut an"

McLaren-Fahrer Lewis Hamilton spricht über seinen spektakulären Sieg in Kanada und über die entscheidenden Augenblicke des Rennens

(Motorsport-Total.com) - Eigentlich hatte Lewis Hamilton ursprünglich nicht gedacht, beim Großen Preis von Kanada eine Siegchance zu haben. Doch am Sonntag kam alles ganz anders: Der McLaren-Pilot zählte zu den Schnellsten im Formel-1-Starterfeld und setzte sich dank einer perfekten Strategie gegen seine Rivalen durch. Deshalb wurde Hamilton nach 70 Runden als siebter Sieger im siebten Rennen abgewinkt. In der Pressekonferenz von Montreal spricht der Brite über seine Gefühlslage.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton freute sich diebisch über seinen bereits dritten Kanada-Triumph

Frage: "Lewis, nur ein Wort: wow. Was für ein Rennen. Es muss sich unglaublich anfühlen ..."
Lewis Hamilton: "So ist es, so ist es. Ich möchte diesen beiden Jungs (Romain Grosjean und Sergio Perez; Anm. d. Red.) gratulieren, denn sie haben klasse Arbeit geleistet. Das Gleiche gilt für mein Team, denn diese Burschen scheinen niemals aufzugeben."

"Dieses Rennen würde ich gern all jenen Fans widmen, die ständig Briefe und Nachrichten schicken und über die gesamte Saison hinweg immer so positiv und unterstützend auf mich einwirken. Es ist ein großartiges Gefühl - und das an dem Ort, an dem ich meinen ersten Grand Prix gewonnen habe. Mir war klar, dass es ziemlich hart werden würde. Es war auch ein hartes Rennen. Ich habe aber jede einzelne Minute davon genossen. Ich bin sehr dankbar."

Frage: "Du sagst, du hast jede Minute genossen, doch bei deinen beiden Boxenstopps kam es jedes Mal zu Verzögerungen. Und dann sagte dir dein Team auch noch, dass deine Konkurrenten auf einer Einstopp-Strategie waren. Hattest du auch einmal Zweifel daran, dass es nicht klappen könnte?"
Hamilton: "Niemals. Ich hatte keine Zweifel daran, dass es eine Siegchance gab. Ich hatte schon vermutet, dass diese Jungs auf einer Einstopp-Strategie unterwegs waren, denn sie fielen ziemlich weit zurück."

"Von mir selbst glaubte ich aber nicht, ebenfalls zu einer Einstopp-Taktik in der Lage zu sein. Deshalb machte ich weiter Druck, vergrößerte den Abstand. Ja, ich hatte ein paar Probleme beim Losfahren. Das könnte mein Fehler gewesen sein. Ich weiß es nicht. Ansonsten waren die Boxenstopps großartig. Endlich hatten wir einmal ein paar gute Reifenwechsel. Natürlich können wir uns aber weiterhin in jedem Bereich verbessern."

"Ja, ich hatte ein paar Probleme beim Losfahren." Lewis Hamilton

Frage: "Du hast es schon angesprochen: Vor fünf Jahren hast du hier erstmals in der Formel 1 gewonnen. Wir sehen, wie viel dir dieser erneute Sieg bedeutet. Kannst du deine Emotionen in Worte fassen?"
Hamilton: "Es setzt sich allmählich. Es liegt nun schon fünf Jahre zurück, dass ich hier das erste Mal gewonnen habe."

"Es fühlt sich einfach nur gut an. Ich bin sehr stolz auf das Team und darauf, dass sie immer weiter Druck machen. Es fühlt sich klasse an, endlich ganz oben zu stehen. Für so etwas gibt es keine Garantien. Für mich fühlt es sich aber so an, als wäre dies mein bestes Rennen in einer langen, langen Zeit. Vielen Dank an alle."

Frage: "Du scheinst sehr viel Zufriedenheit aus diesem Sieg zu ziehen ..."
Hamilton: "Klar, klar. Es war eines der angenehmsten Rennen aller Zeiten für mich. Ich habe es sehr genossen. Ich dachte nur daran, vorn anzukommen. So, wie es schon damals bei meinem ersten Sieg war, also 2007."

"Ich dachte, das wäre etwas richtig Besonderes für mich - und das ist es auch. Ich konnte es kaum glauben, als ich über die Linie fuhr. Das Gefühl in mir, es war, als ob etwas explodierte. Es war einfach unglaublich. Das liebe ich so sehr am Rennsport. Hoffentlich habe ich dieses Gefühl noch viele, viele Jahre lang. Hoffentlich bin ich noch eine lange, lange Zeit hier dabei."

Zwei Stopps sind besser als ein Stopp

Frage: "Zurück zum Renngeschehen: Deine Taktik ging perfekt auf. Nach jedem Überholmanöver musst du innerlich jubiliert haben ..."
Hamilton: "Ich denke, das Team hat bei den Boxenstopps und der Strategie wirklich klasse Arbeit geleistet. Es überraschte mich sehr, dass ich meine Reifen schonen und jederzeit Druck machen konnte, wenn ich es tun musste. Auch der erste Stint überraschte mich. Ich konnte nämlich mit Sebastian Schritt halten."

"Ich hätte nie gedacht, dass die Reifen bei ihnen derart abbauen würden. Es war klasse zu sehen, wie wir sie erst einholten, wie sie an die Box gingen und wie wir Druck machen konnten. Das kommt sehr, sehr selten vor. Mir war aber klar: Fernando würde bis ganz zum Schluss bei der Musik sein. Als er hinter mir lag, dachte ich, er wäre derjenige, den es an diesem Sonntag zu schlagen gilt."

"Auf den Longruns hat er ja schließlich immer ein gutes Tempo. Wir schafften es trotzdem. Ich konnte keine Einstopp-Strategie fahren. Ich denke nicht, dass wir das geschafft hätten. Ich wäre zurückgefallen, genau wie es ihnen passierte. Vielleicht wäre ich sogar noch weiter zurückgefallen. Ich denke, die Zweistopp-Strategie war genau richtig."

"Ich denke, die Zweistopp-Strategie war genau richtig." Lewis Hamilton

Frage: "War das eine Folge davon, dass euch klar war, dass ihr bei den wärmeren Temperaturen in Schwierigkeiten geraten würdet?"
Hamilton: "Nein. Nun, natürlich war uns das klar. Wir gingen natürlich in das Rennen und wussten, dass wir zwei Reifenwechsel durchführen würden."

"Als die Jungs hinter mir lagen, hatte ich aber irgendwie das Gefühl, Fernando würde nur einmal stoppen. Mir war klar: Ich musste einen Vorsprung herausfahren, aber gleichzeitig auf meine Reifen achten. Es gelang mir, einen Abstand aufzubauen und diesen zu halten. Und das, obwohl Fernando schneller wurde. Das war einer meiner besten Stints seit langer Zeit."

"Zum Schluss musste ich einen großen Rückstand wettmachen, fuhr aber 1,5 bis 1,7 Sekunden schneller als Fernando - pro Runde. Das war fantastisch. Das Tollste an dieser Strecke ist, dass man überholen kann. Wenn es nicht auf der Gegengerade klappt, dann hast du noch andere Stellen. Deshalb sehen wir hier immer gute Rennen."

Hamilton hat die frischeren Reifen

Frage: "Apropos: Kannst uns sagen, wie sehr die Reifen von Fernando Alonso hinüber waren, als du ihn überholt hast?"
Hamilton: "Diese Jungs, Fernando und Sebastian, machten den Anschein, als hätten sie Übersteuern. Sie hatten definitiv zu kämpfen. Ich hatte dank meiner frischen Reifen indes eine sehr gute Traktion. Der Unterschied zwischen uns betrug rund zwei Sekunden. Fernando war am Ende sicherlich am Limit unterwegs. Seine Reifen waren schier hinüber."

Frage: "Was geschah beim Boxenstopp? Einmal schienst du nur langsam loszukommen ..."
Hamilton: "Nun, die Kupplung rutschte und das Notprogramm des Motors übernahm die Kontrolle. Beim zweiten Boxenstopp hakte es hinten. Dennoch war es insgesamt eine große Verbesserung zu den vergangenen Rennen. Dann passierte das mit der Kupplung erneut. Das war aber vielleicht mein Fehler. Wir verloren wohl ein bisschen Zeit dabei."

Frage: "Wann genau hast du eigentlich an den Sieg geglaubt? Als du Sebastian Vettel überholt hattest? Als du Fernando Alonso überholt hattest? An der Ziellinie? Hattest du Angst vor diesen beiden Piloten?"
Hamilton: "Als ich über die Linie kam. Ich hatte zuvor ja erkannt, dass ich auf sie (Alonso und Vettel; Anm. d. Red.) aufholte und dass es eine Möglichkeit gab."

"Ich wusste um die noch ausstehenden Runden. Mir war klar, ich hatte eine Chance, sie noch zu überholen. Ich agierte daher nicht verzweifelt oder hektisch, um sie zu überholen. Ich hatte noch Reserven in mir und in den Reifen. Ich fuhr nicht ganz am Limit. Es gab keinen Grund, zu viel Druck zu machen, weil diese Jungs zurückgefallen waren."

"Mir war klar, ich hatte eine Chance, sie noch zu überholen." Lewis Hamilton

"Als ich hörte, sie (Grosjean und Perez; Anm. d. Red.) würden aufholen, war mir klar, dass ich noch genug in mir haben würde, um ihre Zeiten mitzugehen. Es waren nur noch ein paar Runden zu fahren. Wären die Umstände anders gewesen und sie viel schneller, dann hätten wir zum Schluss vielleicht ein anderes Rennen gesehen."

Aus Pessimismus wird ein Riesenjubel

Frage: "Was hat sich zwischen Samstag und Sonntag verändert? Du schienst nach dem Qualifying ein paar Sorgen zu haben. Warst du nicht sicher, wie sich das Rennen entwickeln würde? Dabei ist Kanada doch eine Strecke, die McLaren liegt ..."
Hamilton: "Ja. Ich denke, ich war einfach sehr vorsichtig. Red Bull und Ferrari schienen ..."

"Du musst wissen: Wir hatten hier keinerlei Modifizierungen am Start. Das war auch schon beim vergangenen Rennen so der Fall. Red Bull und Ferrari hatten ihre Fahrzeuge indes konstant verbessert. Im Qualifying waren sie genauso schnell wie wir. Im Rennen gehen sie aber normalerweise etwas besser mit den Reifen um."

"Vielleicht war das auch tatsächlich so - ein bisschen. Sie waren ja schließlich dazu in der Lage, eine Einstopp-Strategie hinzulegen. Wenn ich das ebenfalls gemacht hätte, wären wir sicher noch weiter zurückgefallen. Das ist also ein Bereich, von dem wir wissen, dass wir uns da steigern müssen. Wir müssen uns dramatisch verbessern, denn die Saison wird vermutlich so weitergehen."

"Wir müssen uns dramatisch verbessern." Lewis Hamilton

"Es könnte auch in Zukunft ein bis zwei Boxenstopps geben. Wenn wir uns da steigern können, sollten wir uns in einer guten Position befinden. Trotzdem: Auf der Strecke gelang es mir, mit Sebastian mitzuhalten und den Abstand auf Fernando konstant zu halten. Dann dachte ich: 'Okay, wir haben ein tolles Duell - und wir haben eine Chance auf den Sieg.'"

Frage: "Überraschte es dich, dass Fernando Alonso und Sebastian Vettel nicht sofort auf deinen Boxenstopp reagierten? Und jetzt führst du in dieser verrückten Formel-1-Saison die Fahrerwertung an. Ist das ein Bonus?"
Hamilton: "Das ist es ganz sicher. Wie ich schon vor dem Rennen sagte: Wenn ich auf der Position ankomme, von der ich losfahre, wäre ich sehr, sehr zufrieden. Alles darüber hinaus würde ein Bonus sein. Deshalb ist all dies ein großer Bonus für uns. Als ich meinen Stopp absolviert hatte und Fernando vor mir wieder auf die Strecke zurückkehrte, überholte ich ihn."


Fotos: Lewis Hamilton, Großer Preis von Kanada


"Das musste ich tun - und anschließend eine Lücke aufbauen. Ich spürte, sie fielen etwas zurück. Damit vermutete ich, dass sie definitiv auf einer Einstopp-Strategie sein mussten. Das sagte ich meinem Team und sie antworteten, sie würden ähnlich denken. Ich musste einfach nur sicherstellen, einen Vorsprung zu haben. Diesen musste ich dann auch halten."

"Ich dachte, dass Fernando irgendwann damit anfangen würde, richtig schnelle Rundenzeiten hinzuknallen. Das tat er aber nicht, weil er auf einem so langen Stint unterwegs war. Ich denke, ich holte alles aus dem Auto heraus. Eine Einstopp-Strategie wäre sich für mich nicht ausgegangen, glaube ich. Das Team leistete bei der Taktik wirklich klasse Arbeit."

Montreal bedeutet Hamilton eine Menge

Frage: "Du führst nun die WM an, aber nur knapp vor deinen Verfolgern. Mark Webber liegt auf Rang vier gerade einmal sieben Punkte zurück. Denkst du daher an weitere Siege oder eher an Podestplätze oder an das konstante Punkten? Wirst du deine Herangehensweise verändern, weil du jetzt an der Tabellenspitze stehst?"
Hamilton: "Ich werde meine Herangehensweise ganz sicher nicht verändern."

"Ich denke, bislang läuft es ziemlich gut. Ich musste in Kanada wahrscheinlich ein bisschen mehr ans Limit gehen, um diese beiden Jungs an der Spitze (Alonso und Vettel; Anm. d. Red.) noch abzufangen. Vielleicht war da mehr Risiko im Spiel als in der Vergangenheit."

"In diesem Jahr geht es nur um Konstanz. Ich denke zumindest, dass es nur um Konstanz geht. Es ist unglaublich, wie eng es zugeht. Wir haben einen Sieg und 25 Punkte geholt, doch mein Vorsprung beträgt gerade einmal zwei Zähler. Es ist wirklich unheimlich eng. Ich denke, so wird es auch bis zum Jahresende bleiben. Das zeigt nochmals, wie wichtig die Konstanz ist."

"In diesem Jahr geht es nur um Konstanz." Lewis Hamilton

Frage: "Du bist erst der dritte Fahrer nach Michael Schumacher und Nelson Piquet, der dieses Rennen zum dritten Mal gewinnt. Liegt dir diese Strecke einfach besonders gut?"
Hamilton: "Es ist eigentlich wie eine Kartstrecke, oder nicht? Der Kurs macht sehr viel Spaß. Du bretterst über die Randsteine. Du hast sehr wenig Grip, eigentlich nur mechanischen Grip. Das ist wie im Kart."

"Dann wären da noch das Wetter, die Stadt und die Fans - alles ist unglaublich, absolut unglaublich. Im Kalender gibt es nur wenige Orte wie diesen. Ich sage immer: Monaco ist etwas Besonderes, was ganz einfach daran liegt, wie viele Besucher dort sind. Dieses Rennen hier ist vielleicht noch etwas spezieller für mich."

"Natürlich ist auch mein Heimrennen in Silverstone etwas Besonderes für mich. Hier in Kanada habe ich aber viele britische und grenadische Fahnen gesehen. Das war fantastisch. Viele Besucher trugen Mützen und Shirts. Die Unterstützung war an diesem Wochenende einfach phänomenal. Deshalb will ich diesen Sieg gern den vielen Fans widmen."

Frage: "Wird es in dieser Saison einmal einen Punkt geben, an dem so etwas wie Normalität einkehrt? Was wäre 2012 für euch und die Formel 1 normal?"
Hamilton: "Ich denke, dieses Durcheinander ist normal. Zumindest ist es normal für diese Saison. Das ist aber nur mein Gefühl. Ich kann da aber auch nur so raten wie ihr es tut."

"Meiner Meinung nach wird es in diesem Jahr aber so weitergehen. Wir versuchen nach wie vor, die Reifen völlig zu verstehen. Manchmal überhitzt man sie, manchmal bringt man sie nicht gut genug auf Temperatur. Wir verstehen nicht, weshalb ein Lotus oder ein Mercedes manchmal schneller ist als wir und weshalb wir manchmal schneller sind als sie."

"Das ist aber gerade das Tolle an der Formel 1. Für die Fans ist das klasse. Ich könnte mir denken, es waren wieder einige Überholmanöver zu sehen. Es wurde wieder kräftig durchgemischt. Sieben Sieger in sieben Rennen. Ich kann mich nicht an etwas Derartiges erinnern. Ich hoffe aber nicht, dass es noch mehr werden. Hoffentlich gibt es keinen achten Sieger. Hoffentlich können wir es bei sieben Siegern belassen."