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Formel 1 in Baku: Mobiler Asphalt in engsten Kurven

Wenn die Formel 1 im Juli 2016 erstmals in Baku gastiert, ist das nicht einzige Premiere - Hermann Tilke erklärt, wie speziell der Stadtkurs ist

(Motorsport-Total.com) - Im Juli 2016 findet der erste Formel-1-Grand-Prix in Baku statt - einer Stadt, die nicht gerade für ihre Motorsport-Begeisterung bekannt ist, aber sich mit der Ausrichtung von Großveranstaltungen auskennt. 2012 gastierte dort der Eurovision Song Contest (ESC), 2015 richtete die aserbaidschanische Hauptstadt die ersten Europaspiele aus. Nun soll auch die Formel 1 am Kaspischen Meer heimisch werden. Und wie immer bei der Konzeption neuer Grand-Prix-Kurse spielt Hermann Tilke eine tragende Rolle.

Titel-Bild zur News: Der geplante Formel-1-Stadtkurs in Baku

Am 19. Juli 2016 schlängeln sich die Formel-1-Boliden durch die Altstadt von Baku Zoom

Der Bauingenieur hat sich erst vor wenigen Tagen vom Stand der Dinge vor Ort überzeugt: "Es sieht wirklich gut aus. Die Asphaltarbeiten gehen gut voran", sagt Tilke im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. Der erste Layer sei bereits drauf, im nächsten Schritt werde die Deckschicht verarbeitet. Auch die Fundamentierung für das Boxengebäude sei schon da. "Es geht alles seinen Gang und wir sind im Zeitplan", versichert Tilke, der in zwei Wochen wieder nach Baku reisen will, um sich vom Fortschritt der Baumaßnahmen zu überzeugen.

Er vertraut dabei aber auch auf seine Partner vor Ort und lobt die Zusammenarbeit mit den örtlichen Bauunternehmen und Ingenieuren: "Das klappt alles reibungslos. Sie sind alle erfahren in solchen Dingen, weil sie unter anderem die European Games veranstaltet haben. Da ist das ja alles nicht ganz neu." Auch wenn der Zeitplan - wie bei Neueröffnungen von Rennstrecken üblich - knapp gesteckt sei, habe er keine Sorge, dass nicht alles rechtzeitig fertig werden könnte.

Formel-1-Neuheit: Mobiler Asphalt auf Kopfsteinpflaster

Derzeit läuft die Asphaltierung Hochtouren. Anders als ursprünglich geplant wird nun doch die ganze Strecke asphaltiert. Auf zwei Schlüsselstellen kommt es dabei besonders an. Denn dort muss Kopfsteinpflaster von insgesamt 700 Metern Länge überbaut werden. Um dies zu bewerkstelligen, wird eine Innovation zum Einsatz gebracht: mobiler Asphalt.

Tilke erklärt die Details: "Auf das Pflaster kommt erst einmal Kies, dann kommt Asphalt drauf, zwei Schichten. Und die sind noch bewehrt durch ein Gitter." Diese Kunststoffgittermatten werden in den Asphalt gelegt, damit die Strecke nicht abrutscht, da sie dort sehr steil ist. "So etwas Besonderes hat es noch nie gegeben!", betont Tilke. Doch es ist nicht einzige Neuheit auf dem gut sechs Kilometer langen Stadtkurs in Baku.

Ein Blick auf das Streckenlayout zeigt zunächst vier rechtwinklige Kurven, "wie das in so einem Stadtkurs oft der Fall ist", weiß der Ingenieur. Daran anschließend führt ein S auf eine Stelle, wo sich die Autos - getrennt durch eine Mauer und einen Zaun - auf dem gegen den Uhrzeigersinn befahrenen Kurs begegnen. Durch sehr enge Straßen mit Bergauf- und Bergab-Passagen passieren die Boliden die Altstadt und nehmen Fahrt auf Richtung Meer, um dann über zwei Kilometer hinweg bis zum Start-Ziel-Bereich zu beschleunigen.

Die engste Kurve der Formel 1 liegt an der Stadtmauer von Baku

Neben diesem langen Vollgasstück und den merklichen Höhenunterschieden dürfte vor allem die Schleife um die alte Stadtmauer für Aufsehen sorgen. Dort ist die Strecke gerade einmal 7,5 Meter breit - und das, obwohl die FIA normalerweise eine Mindestbreite von neun Metern voraussetzt. Tilke gibt zu: "Es ist schon ein bisschen verrückt. Das gibt es nirgendwo in der Formel 1, dass es so schmal ist, gleichzeitig hoch geht und dann noch dieses Kurvengeschlängel da drin hat - das wird auf jeden Fall spannend."

Die Engstelle könnte zu einer von Tilkes Lieblingsstellen werden, auch wenn er sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht festlegen will. "Wenn die ersten Rennen gelaufen sind, kann ich dazu vielleicht mehr sagen", so der Bauingenieur, "aber ich glaube schon, diese Stelle mit der Stadtmauer liegt weit vorn. Ich mag die Optik einfach und bin gespannt, wie die Fahrer das dort meistern". Sie haben die Strecke bisher selbst im Simulator noch nicht getestet, da die Daten dafür erst kürzlich geliefert wurden.

Des Öfteren üben die Fahrer Kritik an Tilkes Streckenlayouts. Zu langweilig und überholfeindlich lauten die Vorwürfe. Über fehlende Abwechslung werden sie in Baku allerdings nicht klagen können. Allein die erste Kurve sei vielversprechend, ist sich Tilke sicher. "Je nachdem, welche Flügelstellung die Fahrer haben - mit oder ohne DRS -, kommen sie dort mit 340 km/h oder mehr an und müssen dann in die erste Kurve reinbremsen, das wird sicher sehr aufregend."

Sehenswürdigkeiten fest ins Streckenlayout integriert

Neben den fahrerischen Highlights bietet der Stadtkurs freien Blick auf die Sehenswürdigkeiten von Baku. Das hatte der hiesige Sportminister zur Bedingung gemacht. "Technisch macht es das natürlich viel schwieriger, Lösungen zu finden - aber es macht es auch interessanter", weiß Tilke. Und so zieht sich der Parcours mit acht Rechts- und zwölf Linkskurven rund um das Regierungsgebäude durch die historische Altstadt und entlang der Strandpromenade.


Fotostrecke: Die Stadtkurse der Formel 1

Insgesamt hatte Tilke zusammen mit dem Streckenpromoter zu Anfang drei Streckenvarianten vorgelegt. Letztlich habe sich das Sportministerium für die technisch schwierigste entschieden. "Weil die schwierigste einfach die schönste ist und auch am meisten von Baku zeigt", erklärt Tilke. Bis der Kurs seine finale Form angenommen hat, wird es noch dauern - wobei final hier relativ zu verstehen ist. Denn nicht nur Teile des Asphalts sind mobil.

Baku macht mobil - großer Abbau nach dem Rennen

Auch die Tribünen und selbst die Boxen sind nur temporärer Natur. "Das ist das einzige Boxengebäude, das nicht permanent, sondern mobil ist. In Baku wird alles mobil gebaut, es gibt nichts, was stehen bleibt", betont Tilke. Ein hoher logistischer Aufwand, den Baku in Kauf nimmt, um sich als Austragungsort sportlicher Großereignisse weiter zu profilieren. Nach den gescheiterten Bewerbungen um die Olympischen Spiele 2016 und 2020 konnte man sich die Formel 1 für die nächsten zehn Jahre sichern.

Nicht jeder ist darüber erfreut. Schließlich findet mit Aserbaidschan - neben Bahrain, China und Russland - ein weiteres autoritär regiertes Land seinen Weg in den Formel-1-Kalender und verschafft sich dank seiner Gas-Milliarden weltweites Rampenlicht. Ob die politische Lage durch die Sport-Offensive des Landes verschleiert wird oder zum Anlass für Reformen gereicht, muss die Zeit zeigen. Der ESC und die Europaspiele haben dahingehend nur wenig Positives bewirkt.


Walzen ohne Ende: Asphaltarbeiten in Baku