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  • 16.12.2016 14:20

  • von Sharaf, Rencken & Roberts (Haymarket)

Force India: Wie sich ein Hinterbänkler schnell gespart hat

Lehrjahre bei McLaren, Outsourcing und Respekt vor dem Privatleben der Mitarbeiter: Sparmeister Force India ist das kosteneffizientes Team der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Als Vijay Mallya in der Saison 2008 in sein Formel-1-Projekt namens Force India startete, holten Adrian Sutil und Giancarlo Fisichella keinen einzigen WM-Zähler. Fortan konnte es nur bergauf gehen - und es ging auch nur bergauf. Acht Jahre lang hielt oder verbesserte die Truppe ihren Platz in der Konstrukteurs-WM, um 2016 sensationell auf dem vierten Rang zu landen. Wie war es mit einem kleinen Budget möglich, sich an die Fersen von Mercedes, Ferrari und Red Bull zu heften?

Titel-Bild zur News: Nico Hülkenberg

Force India ist zu einem ständigen Kandidaten für Punkte geworden Zoom

Ein Erfolgsgeheimnis ist, dass nur ein Drittel des Autos in der Fabrik im englischen Silverstone gebaut wird. Der Rest des Projektes ist Outsourcing. Der Windkanal steht bei Toyota in Köln, der Antrieb kommt von Mercedes aus Brixworth und auch die Elektronik, das Monocoque, die Seitenkästen, die Motorabdeckung, der Unterboden sowie die Hydraulik entstehen nicht in den eigenen Hallen. Das macht Force India zum kosteneffizientesten Team der Formel-1-Szene.

Es dauerte einige Jahre, bis das Ziel verwirklicht war. Es waren turbulente Zeiten, als Eddie Jordan Ende 2004 ausstieg und der russische Oligarch Alex Shnaider mit Midland übernahm. Kurz darauf wurde schon wieder verkauft. Diesmal an Michiel Mol, der die Truppe auf den Namen Spyker taufte, und 2007 schließlich an Mallya abtrat. Der exzentrische und feierwütige Spirituosenbaron und Geschäftspartner Subrata Roy übernahmen je 42,5 Prozent, die Mol-Familie hielt 15 Prozent.

Kooperation: Von McLaren "das Radfahren" gelernt

Mallya holte seinen heutigen Co-Teamchef Robert Fernley für das Tagesgeschäft. "Wir hatten einen Fünfjahres-Plan und damals das Gefühl, dass es hilfreich wäre, sich mit einem Weltmeisterteam zusammenzuschließen", erinnert sich der Brite. Er ließ die Getriebeabteilung schließen und kaufte fortan bei McLaren ein. "Es war eine empörende Entscheidung für die Belegschaft. Die Leute mokierten sich darüber. Aber Vijay und ich haben die rationalen Beweggründe dahinter erklärt."

Denn die beiden waren sich sicher, dass ein Getriebe von McLaren besser, verlässlicher sowie am Ende kostengünstiger wäre als ein Eigenbau. Dazu gab es im Rahmen einer Technik-Partnerschaft Stunden im Simulator in Woking und Hilfe bei der Arbeit mit den CFD-Supercomputern. Folglich wechselte Force India seinen Motorenpartner und holte sich Mercedes- statt Ferrari-Power. Perfekt die Hybridära. Doch die McLaren-Kooperation war keine, die dafür gemacht war, ewig zu halten.


Fotostrecke: Force-India-Präsentationen seit 2008

Ständiger Kostendruck bei der technischen Entwicklung

Fernley spricht davon, "das Radfahren gelernt" zu haben. Betriebsdirektor Otmar Szafnauer, der 2009 zu Force India stieß, sagt: "Als ich anfing, haben wir damals noch den Supercomputer bei Tata benutzt. Wir haben Daten gesammelt, über Nacht nach Indien geschickt und wollten am nächsten Morgen Ergebnisse vorliegen haben. Aber wir mussten oft zwei Tage warten. Oder die Leitung brach zusammen. Oder der Server." Szafnauer wollte folglich lieber in eigenes CFD investieren.

Er hole deshalb den ehemaligen Jordan-, BAR- und Red-Bull-Mann Andrew Green als Technikchef. Er sollte mit rund 100 Millionen Euro Budget und 385 Mitarbeitern das kosteneffizienteste Team der Formel 1 formen. "In meiner ersten Woche dachte ich: 'Ist das nur der Etat für die Entwicklung oder ist das wirklich alles, was wir an Geld haben?'", schmunzelt Green. Es sei ein Schock gewesen. Er konzentrierte sich auf das Wesentliche. Die Regel: 80 Prozent Verbesserung aus 20 Prozent der Kosten herausholen. "Wir investieren in nichts, das nur minimale Fortschritte verspricht", sagt er.

Otmar Szafnauer

Erfolgsteam: Bei Force India stimmt auch menschlch die Chemie Zoom

Eine halbe Million Euro für eine neue Aufhängung, die den Wagen nur um 0,1 Sekunden schneller macht? Undenkbar. Eine neue Aerodynamik, die für das Gleiche Geld eine Sekunde bringt? Klar. Green meint, er müsse die ambitionierten Mitarbeiter auf Kurs halten: "Wir können uns gewisser Bereiche nicht annehmen, weil sie nicht effizient sind. Jeder hat sich dem verpflichtet und jeder versteht diese Philosophie. Wenn wir zu viel Geld ausgeben, können wir zusperren", meint Green.

Künftig doch wieder mehr eigene Teile am Auto

Dinge ausprobieren und verwerfen würde der Technikchef liebend gerne, doch das ist im Budget nicht drin. Force India konzentrierte sich stattdessen auf das CFD und die Reifen, als Pirelli 2011 in die Formel 1 kam. Bis heute ist der Umgang mit den Pneus ein Faustpfand. Hinzu kam später der Wechsel zum 60-Prozent-Windkanalmodell bei Toyota statt einer 50-Prozent-Version in der völlig veralteten, eigenen Jordan-Anlage in Brackley. Auch die FIA-Beschränkungen halfen dabei.

Am VJM09 für die Saison 2016 waren nur noch der Front- und Heckflügel, das Lenkrad und die Aufhängung Eigenentwicklungen. Der Rest stammte von spezialisierten Zulieferern. Doch das soll sich ändern, Force India will wieder mehr selbst produzieren und fertigt schon das Monocoque für die kommende Saison selbst. Allerdings brauchen mehr Maschinen und größere Autoklaven mehr Platz. Umso schlanker will das Team dafür bei seiner Personalstruktur bleiben.

Keine roten Zahlen: Attraktivität für Investoren bleibt Ziel

"Es gibt keine Egoisten und gar keine politischen Spielchen", sagt der leitende Renningenieur Tom McCullough, "man kann sich hinter niemandem verstecken, sondern muss Entscheidungen treffen." Neues Personal kommt auch von großen Teams. "Wir versuchen, hier einen tollen Arbeitsplatz zu schaffen und respektieren, dass Menschen ein Leben außerhalb der Formel 1 haben", erklärt Green. "Wir peitschen niemanden aus. Es gibt bei uns clevere Jungs, die jederzeit sagen könnten: 'Genug, ich gehe zu Red Bull!' Aber sie tun es nicht, weil sie wissen, dass sie bei einem größeren Team nur ein kleines Licht wären." Denn dort gibt es nur Spezialisten. Niemand arbeitet am ganzen Auto.

Politisch nimmt Force India als bester Privatier jetzt auch in der Strategiegruppe Einfluss. Es fließt mehr Cash aus den Preisgeldtöpfen: 59 des 107 Millionen Euro großen Budgets stammen aus TV-Geldern. Der Rest geht auf Sponsoren und auf Investments der Teilhaber zurück. Die rund 166 Millionen Euro, die Mercedes, Ferrari und Red Bull zusätzlich in ihre Projekte stecken, versumpfen in der Entwicklung. Deshalb könnte ihr Vorteil angesichts der neuen Regeln 2017 größer sein.

Vijay Mallya

Bleibt im Hintergrund der starke Mann bei Force India: Vijay Mallya Zoom

Ein Zeichen dafür war Nico Hülkenbergs Renault-Wechsel. Solange Force India nicht den heiligen Gral entdeckt, wird es kein Vorankommen an die absolute Spitze geben. Zu klein sind die eigenen Produktionsmöglichkeiten. Um den engen Zeitplan einzuhalten, müssen Teile, die nicht fertig entwickelt sind, in den Autoklaven. Erst während der Saison kann nachgerüstet werden, doch die großen Teams werden zu jedem Rennen Neuerungen mitbringen. Zu viel für Force India, das mit wenigen umfangreichen Paketen plant, sich in der Zwischenzeit aber Rückstand einhandeln wird.

Platz vier scheint das Maximum und ein extrem hohes Ziel, sofern sich die Einnahmenverteilung in der Formel 1 nicht ändert oder es Ausgabenbeschränkungen gibt. Mehr Geld in die Hand nehmen will Fernley nicht: "Wer 300 Millionen pro Jahr reinsteckt, der hat kein Geschäftsmodell. Das ist typisch für einen Hersteller, der ausgibt was er kann, um zu gewinnen. Force India muss auch für Investoren attraktiv bleiben." Sie wollen Gewinne, keine Verluste. "Für mich ist die Formel 1 eine Denksportaufgabe. Es geht nicht darum, wie viel Geld man rausblasen kann", findet Fernley.