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  • 30.04.2012 11:11

  • von Stefan Ziegler

Die Fankurve diskutiert: "Der Zufall dominiert"

Im Forum von 'Motorsport-Total.com' diskutieren die Leser über die aktuelle Reifensituation in der Formel 1: Reichlich Kritik, aber auch positive Eindrücke

(Motorsport-Total.com) - Als Pirelli im vergangenen Jahr als neuer Exklusivlieferant der Formel 1 in die Formel 1 einstieg, kam ein frischer Wind in die Königsklasse. Denn das italienische Unternehmen tat wie geheißen und gab den Fahrern und deren Teams neuartige Reifen an die Hand. Reifen, die für eine bessere Show und mehr Unterhaltung sorgen sollten. Aber hat diese spezielle Maßnahme ihr Ziel tatsächlich erreicht?

Titel-Bild zur News: Das Pirelli-Sortiment 2011

Fans diskutieren: Dürfen sich die Reifen derart auf die Ergebnisse auswirken?

Nach den bisher vier Grands Prix der Saison 2012 ist diese Thematik aktueller denn je. Im Anschluss an das Rennen in Bahrain machte Michael Schumacher (Mercedes) nämlich seinem Ärger Luft und kritisierte die aktuelle Reifensituation in der Formel 1 massiv. "Man darf sich die Frage stellen, ob die Reifen eine so wichtige Rolle spielen sollten", sagte der Rekordchampion. Ihm gefalle es derzeit nicht.

"Du musst unter deinem und dem Limit des Autos fahren, um die Reifen am Leben zu erhalten. Zum Teil fahren wir mit 60 oder 70 Prozent durch die Kurven. Sobald du ein bisschen schneller fährst, fliegen die Reifen von der Felge", meint Schumacher. Klar, dass sich Pirelli gegen diese Äußerungen zur Wehr setzte. Der Motorsport-Direktor der Firma, Paul Hembery, konterte natürlich umgehend.

"Im Motorsport ist immer nur einer zufrieden, und das ist der Sieger", erklärt der Brite bei 'James Allen on F1'. "Die Fahrer stehen natürlich unter Druck. Sie wollen erfolgreich sein. Sind sie es nicht, dann kommen solche Aussagen dabei heraus. Da sitzen alle im selben Boot. Unterm Strich werden aber trotzdem immer die besten Fahrer und Ingenieure gewinnen", sagt Hembery und stichelt ein bisschen.

"Du musst halt mit deinem Paket auskommen. Wenn dein Paket von den Reifen limitiert wird, dann nutzt du es zu einhundert Prozent aus. Fährst du nur mit 70 bis 80 Prozent, wie es angedeutet wurde, dann bringt dir das keine Ergebnisse ein", hält der Pirelli-Motorsport-Direktor fest. Aber ist es wirklich so einfach, wie es Hembery darstellt? Im Forum von 'Motorsport-Total.com' gibt es andere Meinungen.

"Schumi hat absolut recht", findet beispielsweise "h0rst66", der seine Sicht der Dinge - wie viele andere Leser - in der Rubrik Fankurve schilderte. Auch "shuyuan" pflichtet Schumacher bei und meint: "Der hat das Richtige gesagt, was andere nur denken." Überhaupt wird die Reifensituation in der Formel 1 im Augenblick durchaus kritisch beäugt. Oder wie es "f312pb" ausdrückt: "Das mit den Reifen ist Käse."

"Mir geht dieses Rumgeeiere fürchterlich auf den Zeiger. Und den Teams und Fahrern garantiert auch, aber die sagen es nicht offen." Schumacher war dieser Tage der erste Formel-1-Pilot, der in der Reifenfrage kein Blatt vor den Mund nahm. Und damit sprach der Deutsche den Fans offenbar aus der Seele. Dass die Reifen rasch abbauen und so sehr verschleißen kommt nämlich nur bedingt gut an.

"Ich erkenne keine Systematik. Der Zufall dominiert", schreibt "Chis_LSZO" über die Grands Prix der Saison 2012. Dass man sich der Verbesserung der Show widme, sei "schön und gut", meint er und fügt mit einem ironischen Unterton hinzu: "So kann man das Ergebnis aber genauso gut am Freitag auswürfeln. Würde Kosten sparen und die Formel 1 wäre sogar noch 'grüner'." Doch zurück zur Kritik.

"Man muss sich eigentlich schon fast fragen: Handelt es sich bei der Formel 1 noch um Sport?", meint "Pit-Brett" und der "W 196" wird es allmählich etwas zu bunt. "Das, was jetzt inszeniert wird, ist meines Erachtens an Lächerlichkeit kaum noch zu überbieten." Derzeit seien die Reifen das beherrschende Thema jeder Formel-1-Übertragung. "Ich will und kann es einfach nicht mehr hören", erklärt "W 196".

"Benutzername" stößt ins gleiche Horn und bringt es für sich auf den Punkt: "Reifen verstehen, Reifen schonen, Reifen ans Arbeiten bringen, Reifen im Fenster halten, Reifen nutzen. Ich kann's bald nicht mehr hören. Kein Wort mehr von Rennen fahren." Aufgrund des "Reifenschwachsinns", wie es User "Berge_von_Grips" bezeichnet, sei die Formel 1 heute eine andere als vor zehn oder 20 Jahren.

"Und die Veränderung ist für mich, der ich diesen Sport seit langem verfolge, äußerst traurig", betont er. "GoaSunrise" kritisiert zudem, dass der Fernseher für den Genuss eines Grand Prix' nicht mehr ausreiche: "Mittlerweile ist man während des Rennens zwingend auf den Zeitenmonitor angewiesen, um nachvollziehen zu können, was da auf der Strecke passiert." Und da passiert 2012 so einiges.

Die Frage ist nur: Wie empfinden das die Fans? "Jedes Rennen ein anderer Sieger. Das mag ja unterhaltsam sein, aber das Glücksrad war auch ne Weile unterhaltsam", sagt "Paulchen". Laut der Meinung von User "TaifunMch" steigern die Reifen "nur die Show". Sport müsse aber keine Show sein, deshalb "wird die Formel 1 derzeit uninteressant für mich", meint er. Und die Kritik reißt nicht ab.

"weilemiteile" hat eine glasklare Formulierung parat: "Als Fahrer würde ich mir ver...scht vorkommen." Oder wie es "michaellang" in etwas anderer Form darstellt: "Es kann nicht sein, dass man das ganze Rennen nur mit 60 oder 70 Prozent fahren muss, damit man überhaupt ankommt. Das ist übertrieben und der Formel 1 nicht würdig. Vor allem sollte es keine Lotterie sein." Wie aber sollte es denn sein?

"IronJenson" schildert sein Wunschszenario: "Ich will Rennen erleben, wo man weiß: Der und der Fahrer ist auf dem Podest, weil er aggressiv, mutig, taktisch und dazu noch schnell gefahren ist. Und nicht, weil gerade zufällig die Kombination aus Fahrer, Reifen (-Fenster), Auto, Temperatur, Strecke zusammenpasst." User "Maglion" nimmt die Diskussion zur Reifenfrage indes mit reichlich Humor.

"Wenn ich Gleichmäßigkeitsfahrten sehen möchte, gehe ich zu einer Oldtimer-Rallye, aber bei der Formel 1 möchte ich so etwas nicht sehen", schreibt er. All dies ist jedoch nur die eine Seite, denn einige Leser können sich mit der aktuellen Situation sehr wohl anfreunden. Auch Rennlegende Stirling Moss zeigt sich gegenüber 'motorline.cc' recht angetan davon und findet alles "sehr interessant".

"Die Art und Weise, wie ein Pilot fährt, wirkt sich auf den Reifen aus. Für mich ist der Umgang mit den Reifen ein wichtiges Element, das über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Ein guter Fahrer kann den Reifen schonen und dabei trotzdem schnell fahren", erklärt der frühere Formel-1-Pilot. Ist die Kritik an den Pneus also nur ein Sturm im Wasserglas, wie es "hmr-motorsports" mit seinem Posting andeutet?

"Ich finde, es wird zu viel Wirbel um die Reifen gemacht", ist dort zu lesen. "Sie bieten uns doch endlich bis zum Schluss interessante Rennen. Es ist sicher nicht die optimale Lösung, aber es ist ja für alle Fahrer gleich", meint "hmr-motorsports" und merkt an: "Es ist doch auch ein Teil des Racings, wenn man intelligentere Fahrer belohnt. Heute gewinnt halt nicht immer das 'Vollgastier'."

"Jupiterson" scheint diese Sichtweise zu teilen: "Es ist unglaublich, wie sehr das Thema aufgejubelt wird", hält er fest und stellt klar: "So will ich die Formel 1. Viele haben eine Chance, zu gewinnen. Das einzige, was mich stört, ist das Aufsparen der Pneus im Qualifying." Ein Punkt, den auch "CoolPommi" anspricht. Das Zeittraining sei das einzige, was ihn an der derzeitigen Situation in der Formel 1 störe.

Der Grund: Das Reifensparen nimmt überhand, weil die Fahrer ihre frischen Pneus lieber für den Grand Prix aufheben. "Es kann nicht sein, dass es ein Nachteil ist, wenn man in Q3 einzieht", sagt "CoolPommi" dazu. Laut "jackomo" ist die Situation aber ohnehin "nicht annähernd so dramatisch, wie sie von manchen stilisiert wird". In "vier, fünf Rennen" werde sich das Starerfeld allmählich ordnen.

"SupaTrupa" hat aber schon jetzt viel Freude an der Formel 1: "Finde es, ehrlich gesagt, gar nicht schlecht, dass unter gewissen Umständen eben nicht mehr nur zwei oder drei Fahrer ein Rennen gewinnen können, sondern dafür die Fahrer von vier bis fünf Teams in Frage kommen." Der User "W 196 R" bricht sogar eine Lanze für die Lieferanten: "Ich finde, Pirelli hat einen Superjob gemacht."

"Eine so unterhaltsame Formel-1-Saison gab es wirklich selten." Da kann "TLMI" nur zustimmen: "Für mich ist das die beste 'Regeländerung', seitdem ich Formel 1 kucke. Die Rennen sind toll und spannend. Alles ist eng zusammen, nur mit wechselnden Siegern", erläutert "TLMI" und fügt hinzu: "Ich kucke nun schon seit 1992 Formel 1 und sage Euch: Bitte genießt es so, wie es ist."

"1502" mahnt allerdings zu einer vorausschauenden Denkweise: "So spannend die Saison bisher auch ist. Das ist ein Problem, das in Zukunft unbedingt behoben werden sollte. Wir brauchen Reifen mit einem breiten Arbeitsfenster, die von den Ingenieuren verstanden werden. Reifen, die relativ schnell abbauen, sodass mehrere Boxenstopps nötig sind, sind der richtige Weg", meint "1502".

"Dazu geringe Unterschiede zwischen den Reifenmischungen, sodass sich unterschiedliche taktische Varianten ergeben." Was störe, sei das aktuell unberechenbare Kräfteverhältnis, das den Eindruck eines Glücksspiels aufkommen lasse. "Kramer" wünscht sich sogar eine Rückkehr zu den Rennen, "wie es sie schon von 1993 bis 2000 gab". Dem Nachtanken sei Dank - "das war einfach klasse".

"Wenn damals jemand mit den Reifen haushalten wollte, konnte er das tun und hoffen, so eventuell einen Stopp weniger zu machen - ähnlich wie heute. Der große Unterschied lag darin, dass aber auch das Gegenteil möglich war, also letzte Rille zu fahren und zu hoffen, mit schnellen Zeiten, einen Stopp mehr wieder wettzumachen. Daran ist heute gar nicht zu denken", hält der User "Kramer" fest.

"Mir geht es darum, ehrlichen Motosport auf höchstem Niveau zu bekommen. Und das ist mit der momentanen Formel 1 einfach nicht der Fall." Sind Tankstopps also der Weisheit letzter Schluss? Auch "1502" könnte sich damit anfreunden, weil sich so "spannende, abwechslungsreiche Rennen mit taktischer Prägung" ergeben würden, "ohne dass die Fahrer auf die Reifen Rücksicht nehmen müssen".

"Aber solange das nicht gewollt ist, kann man dem Reifenhersteller nicht zum Vorwurf machen, dass die Fahrer nicht mehr jede Rennrunde am absoluten Limit fahren können", sagt "1502". Und "Babaco" findet ein schönes Schlusswort für diese Diskussion: "Es gibt im Leben wohl Dinge wie diese, bei denen man nie eine einhundertprozentige Zufriedenheit erreicht." Oder was meint Pirelli dazu?

"Wir tun ja nur, worum wir gebeten wurden", betont der Motorsport-Direktor des Unternehmens, Hembery, noch einmal nachdrücklich. "Wir sollten diese Herausforderungen einbauen. Die Leute haben vielleicht nur ein Kurzzeit-Gedächtnis. Es ging bergab mit dem Sport, denn es gab keine Überholmanöver. Dabei ist es genau das, was die Mehrheit der Fans sehen will", sagt der Brite.

"Nehmen wir Bahrain als Beispiel: Beim letzten Mal gab es 15 Überholmanöver, dieses Mal waren es 73. Das zeigt, wie viel sich verändert hat." Außerdem sei 2012 noch vieles möglich. "Schauen wir einmal, was beim Mugello-Test passiert", meint Hembery und fügt ergänzend hinzu: "Ich glaube, die Diskussion wird sich weiter abschwächen, denn letztendlich löst sich das Problem von alleine."


Fotos: Großer Preis von Bahrain


"Die Teams werden nämlich sehr hart an ihrem Reifenverständnis arbeiten. Und nach zwei bis drei Rennen redet dann niemand mehr davon", sagt Hembery. Wie auch immer: Die Fankurve wird das Thema sicherlich genau verfolgen und im Forum von 'Motorsport-Total.com' über die weiteren Entwicklungen diskutieren. Wäre das auch etwas für Sie? Dann schauen Sie doch mal rein!