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  • 25.11.2012 22:52

Das große Weltmeister-Interview mit Sebastian Vettel

Sebastian Vettel pfeift im ausführlichen Interview nach dem Drama von Sao Paulo auf das "Fluchverbot" und schildert in emotionalen Worten seinen Weg zum Titel

(Motorsport-Total.com) - "Du bist Weltmeister, der dreifache Weltmeister! Sebastian Vettel, you are the Man! Du bist dreifacher Weltmeister", brüllte Red-Bull-Teamchef Christian Horner nach der Zieldurchfahrt in den Funk. Was man im TV-Signal nicht hören konnte, weil die Kommunikation nur noch in eine Richtung funktionierte: Vettel, soeben als Sechster über die Ziellinie gefahren und damit zum dritten Mal hintereinander Weltmeister der Formel 1, weinte unter seinem Helm.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Selten hat ein Interview so viel Spaß gemacht wie nach dem WM-Triumph Zoom

Juan Manuel Fangio, Jack Brabham, Jackie Stewart, Niki Lauda, Nelson Piquet, Alain Prost, Ayrton Senna, Michael Schumacher: Zu diesem elitären Club gehört jetzt auch der kleine Lausbub aus Heppenheim. Vettel ist der Erste, der gleich seinen ersten Titel zweimal verteidigen konnte, und ist bei seiner dritten Weltmeisterschaft immer noch jünger als Schumacher bei seiner ersten. Aber der Weg dahin war heute beim Grand Prix von Brasilien steinig. Im Interview lässt er das dramatische Rennen noch einmal Revue passieren.

Frage: "Sebastian, Weltmeister, nach so einem Rennen - da fragt man sich, wie viel Adrenalin denn noch in dir übrig sein kann!"
Sebastian Vettel: "Im Moment glaube ich könnte man mich anstechen oder anzapfen, ich würd's nicht merken. Unglaublich! Schwieriger hätte man es uns nicht machen können. Der Start war soweit ganz gut, aber dann hat mich Mark unheimlich an die linke Seite gedrängt. Ich musste früh bremsen, habe dadurch Positionen verloren und war natürlich dann nicht in der besten Position für Kurve vier."

Geistesgegenwärtig nach dem Crash

"Ich wurde dann von hinten getroffen und sah das Feld auf mich zufahren. Ich bin praktisch als Geisterfahrer in Kurve vier gestanden, was nicht ideal war. Zum Glück hat mich niemand mehr getroffen. Ich habe sofort die Kupplung gezogen und versucht, die Bremsen zu lösen, um den Hügel runterzurollen. Wenn du dort stehen bleibst und dich jemand aus der Kurve raus trifft, ist es viel schwieriger, noch zu reagieren. Wenn du aber runterrollst, können dir die anderen leichter ausweichen. Das war wichtig."

"Egal. Danach sofort weitergefahren, habe sofort gemerkt, dass noch einigermaßen alles passt, der Frontflügel noch dran ist. Wir waren erstaunlich schnell wieder vorne, die Bedingungen haben uns ein bisschen geholfen. Als es dann trockener wurde, haben wir uns ein bisschen schwerer getan, weil wir unheimlich viel Schaden am Auto hatten. Auf der Geraden ging nix, deswegen konnte ich auch nicht überholen. Ich war das langsamste Auto auf den Geraden, es war unglaublich."

Bruno Senna, Sebastian Vettel

Herzstillstand in der ersten Runde: Bruno Senna trifft Sebastian Vettel Zoom

"Ferrari hat dann zunächst mal das Beste getan, Felipe ein bisschen als Bremsklotz einzusetzen. Generell wurden uns alle Steine in den Weg gelegt, aber am Ende hat's gereicht. Mit dem Regen zum Schluss konnten wir noch einmal richtig Boden gutmachen. Beim Pitstop war das Timing denkbar beschissen, aber trotzdem: Es hat einfach sein sollen. Wir haben von Anfang an dran geglaubt, auch wenn man in Kurve vier falschrum steht. Aber es geht weiter und wir haben nicht losgelassen und daran geglaubt. Ich weiß immer noch nicht, was ich euch sagen soll."

Leise Kritik an Teamkollege Webber

Frage: "Mark Webber war sicher nicht so eine große Hilfe wie Felipe Massa für Fernando Alonso. Dann kommt der Neffe von Ayrton Senna und fährt dir hier in Brasilien hinten ins Auto. Welche Gedanken gehen einem in so einem Moment durch den Kopf?"
Vettel: "Das Grab von Ayrton Senna ist hier in Sao Paulo, in Morumbi am Friedhof. Ich glaube, ich muss mal hingehen und ihm erzählen, was sein Neffe da gemacht hat! Das hat nicht unbedingt geholfen."

"Im Endeffekt stehen wir hier und können sagen, es ist egal, aber zu dem Zeitpunkt war es natürlich extrem schade. Ich habe viel Boden verloren, keine Frage, und durch den Schaden am Auto war die Pace weg. Aber es hat einfach sein sollen, der Regen zum Schluss hat uns geholfen. Ich glaube, das ganze Wochenende haben sich alle eingeredet, dass wir keine Chance haben, wenn der Regen kommt, aber genau das Gegenteil war der Fall."


Fotos: Sebastian Vettel, Großer Preis von Brasilien, Sonntag


Federweißer für Vater Button?

Frage: "Geholfen hat auch Jenson Button, denn wenn der am Ende noch rausgeflogen wäre, wäre mit einem Schlag alles vorbei gewesen. Da kann man sich doch auch mal revanchieren und Vater Button mal eine Kiste Rotwein aus dem Hessischen schicken, oder?"
Vettel: "Federweißer! Ne, ich glaube, wir müssen uns in der Hinsicht bei keinem bedanken. Wir hatten es schwer genug. Jeder ist heute sein Rennen gefahren, und Gratulation natürlich an Jenson. Ich weiß nicht, was mit Lewis war. Er stand da in Kurve vier..."

Frage: "Unfall mit Nico Hülkenberg."
Vettel: "Ah, okay. Hätte, wenn und aber ist wurscht, letztendlich ist wichtig, dass wir es geschafft haben. Da fällt einem natürlich ein Riesenbrocken vom Herzen."

Sebastian Vettel

Sebastian Vettel feiert mit seinem gesamten Rennteam auf dem Podium Zoom

Frage: "Du bist auf Intermediates ins Ziel gefahren, aber wir alle haben uns gefragt, warum du kurz vorher auf die weichen Slicks gegangen bist. Dadurch wurde es ja nochmal richtig spannend."
Vettel: "Ja, hat mit Sicherheit nicht geholfen. Wir hatten relativ wenig Reifen übrig. Die Reifen sahen ziemlich schlecht aus, die Pace war auch nicht so gut, als es dann trocken war. Wir haben natürlich gewusst, dass Regen kommt. Ich wollte noch eine Runde draußen bleiben. Wir hatten auch den Funk verloren während des Rennens - das hilft dann natürlich auch nicht, gerade wenn es zu schiffen anfängt."

Der Hesse und das "Fluchverbot"...

Frage: "Zu regnen. Du kennst ja den neuen Sprachkodex..."
Vettel: "Zu regnen, genau - ist klar. Da musst du dich dann auch dran halten... Und dann die nächste Runde direkt wieder rein, oder zwei Runden später. Aber da hat mich keiner gehört, denn ich habe gerufen: 'Inter, Inter!' Es war aber keiner da und die mussten erstmal die Reifen auspacken. Es war ein verrücktes Rennen - verrückter kann man es glaube ich gar nicht gestalten."

Frage: "Jetzt hast du drei WM-Titel. Wie wirst du es heute Abend krachen lassen?"
Vettel: "Ich habe erstmal eine Schlange an Kamerateams hier, die ich erledigen muss, aber ich glaube, uns wird schon was einfallen. Ich möchte noch ganz liebe Grüße in die Heimat schicken und mich für das Daumendrücken bedanken."

Adrian Newey, Christian Horner, Sebastian Vettel

We are the Champions: Adrian Newey, Sebastian Vettel und Christian Horner Zoom

"Es tut mir leid, wenn der eine oder andere vielleicht von der Couch gefallen ist, aber im Auto war es genauso spannend. Ich bin unheimlich stolz auf das ganze Team. Dieses Jahr war für uns ein sehr, sehr hartes Jahr. Ich glaube, man hat's gesehen in den letzten Rennen: Die anderen haben wirklich alles daran gesetzt, aber ich glaube, in gewisser Weise bin ich so erzogen worden. Lügen haben kurze Beine und Ehrlichkeit währt am längsten."

Atemlos bei der Zieldurchfahrt

Frage: "Dreimaliger Formel-1-Weltmeister - wie groß ist dieses Glücksgefühl?"
Vettel: "Das ist im Moment sehr schwer zu fassen. Es ist natürlich etwas ganz Besonderes. Ich habe den Funkspruch ins Auto bekommen, aber ich glaube, meine Antwort hat man nicht gehört, weil wir Probleme mit dem Funk hatten. Da bleibt einem natürlich erstmal der Atem weg. Ich wusste bis zum Schluss nicht, ob es wirklich reicht."

"Ich habe natürlich dann die Safety-Car-Phase mitbekommen. Ich glaube, Nico (Vettel verwechselt Hülkenberg mit di Resta; Anm. d. Red.) war das ganze Rennen in einer relativ guten Position, und ich wusste, dass alle anderen, die dahinter sind, profitieren. Was das dann ausmacht, war mir nicht bekannt. Wir haben vor dem Rennen noch gesagt, dass es nicht wirklich relevant ist, aber da hinterm Safety-Car zu zittern und ins Ziel zu humpeln, war dann schon eine Qual. Aber mit dem Ergebnis natürlich unglaublich."

"Hinterm Safety-Car zu zittern und ins Ziel zu humpeln, war dann schon eine Qual." Sebastian Vettel

Frage: "Wie oft ist dir das Herz in die Hose gerutscht, weil du gedacht hast: 'Das kann doch nicht sein, schon wieder geht etwas schief!'"
Vettel: "Das habe ich eigentlich nie gedacht. Natürlich war der Schlag auf die Hinterachse keine Hilfe, denn ich glaube, ziemlich viel am Auto war beschädigt. Dass man dann praktisch verkehrtrum steht..."

Teilweise Sichtkontakt zu Alonso

"Ich habe im Auto selbst zu keiner Zeit daran gezweifelt, sondern habe versucht, weiter mein Rennen zu fahren. Mir war nicht bekannt, wer wo ist. Natürlich, als ich hinter Fernando war und Autos noch vor ihm gesehen habe, war mir klar, dass es so reicht, aber zur gleichen Zeit verdrängt man den Gedanken, weil es in dem Moment nicht so relevant ist."

Frage: "Es gibt für dich ein Geschenk, ein Trikot von deinem Lieblingsklub Eintracht Frankfurt, schon mit drei Sternen drauf. Willst du ein paar Worte an deine Fans in Heppenheim richten?"
Vettel: "Vielen Dank zunächst mal für das Trikot, aber auch ganz liebe Grüße an die Heimat! Ich weiß gerade gar nicht, was ich sagen soll. Es war ein absolut verrücktes Rennen - mehr Steine hätte man uns nicht in den Weg legen können."

"Es war ein absolut verrücktes Rennen, mehr Steine hätte man uns nicht in den Weg legen können." Sebastian Vettel

"Wir haben immer dran geglaubt und einfach weitergemacht, nicht nach links oder rechts geschaut, sondern immer weiter Gas gegeben, attackiert, das ganze Rennen lang, und einfach versucht. Zum Ende, als der Regen kam, hat uns das ein bisschen geholfen, denn das Auto war doch sehr beschädigt. Ich möchte jetzt auch nicht zu viel drumrum schwätze oder drumrum babble."

Emotionaler Gruß nach Heppenheim

"Vielen Dank, Grüße in die Heimat und vielen, vielen Dank fürs Daumendrücken, wirklich. Ich denke, es hat einen Unterschied gemacht. Ich hab's eben schon gesagt, aber ich bin in gewisser Weise so erzogen worden. Dafür vielen Dank. Ehrlichkeit währt am längsten."

"Ich glaube, wir haben uns das ganze Jahr die Treue gehalten, sind unseren Weg gegangen und haben uns nicht einschüchtern und von dem beirren lassen, was die anderen gemacht haben, sondern haben einfach weiter Gas gegeben und Spaß gehabt. Danke auch an alle Jungs im Team, in Milton Keynes. Wir haben uns in der zweiten Saisonhälfte gesteigert und sind daher in der Weltmeisterschaft wieder rangekommen."

Stefano Domenicali und Sebastian Vettel

Fairer Verlierer: Stefano Domenicali gratuliert Sebastian Vettel zum Titel Zoom

"Mein Dank gilt auch Renault und den Jungs, die hier an der Strecke sind. Es gibt niemanden in unserem Team, der sich wichtiger vorkommt als irgendein anderer. Wir sind eine große Crew und wir kämpfen Seite an Seite, nicht hintereinander. Wenn so viele Leute nebeneinander kämpfen, dann ist das eine ganz schöne Macht. Ich bin sehr stolz darauf."

Sternstunde in Sennas "Wohnzimmer"

Frage: "Es gibt nur wenige Fahrer in der Formel-1-Geschichte, die dreimal Weltmeister geworden sind. Was bedeutet dir das, jetzt auch zu diesem exklusiven Club zu gehören?"
Vettel: "Für uns alle im Team und auch für mich ist das unwirklich. Diesen dritten Titel hier zu gewinnen, in der Heimat eines meiner größten Idole, Ayrton, der auch drei Titel gewonnen hat, ist unglaublich."

"Ich rede nicht gerne über mich selbst, aber es ist sehr schwierig, mir vorzustellen, dass ich jetzt zu ihnen dazugehöre. Es gibt da auch noch andere Namen. Mein Funk hat nicht funktioniert. Ich habe geweint, aber das habt ihr nicht gehört. Christian hat sich dann am Funk gemeldet und mir alle Dreifach-Weltmeister aufgesagt. Er hat Prost vergessen, das habe ich ihm gesagt."

Sebastian Vettel

Unfassbarer Rummel begleitet Sebastian Vettel auf Schritt und Tritt Zoom

"Einer der schönsten Aspekte unseres Sports ist, dass man sich mit den Jungs vergleichen kann, die vor zehn, 20, 40 oder 50 Jahren gefahren sind. Ich weiß nicht. Vielleicht fällt mir morgen mehr dazu ein, aber im Moment, tut mir leid, finde ich nicht die richtigen Worte."