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Wie nach Monaco: Mercedes wirft Notfallprogramm an

Mercedes beruft wie nach Monaco seine Krisen-Taskforce ein: Wieso Sepang laut Toto Wolff genau in das Problemmuster passt und der F1 W08 "keine lahme Ente" ist

(Motorsport-Total.com) - In der WM läuft alles für Lewis Hamilton, aber bei Mercedes läuten nach der Krise in Monaco im Frühjahr erneut die Alarmglocken. "Ich bin wirklich niedergeschlagen", seufzt Motorsportchef Toto Wolff nach dem um eine Stunde verlängerten Ingenieurs-Debriefing mit ernster Miene - und will vom WM-Stand nichts wissen. Die internen Berechnungen haben ergeben, dass Mercedes beim Grand Prix von Malaysia eine halbe Minute langsamer war Ferrari.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton, Toto Wolff

Krisenstimmung trotz Platz zwei: Toto Wolff fordert eine Lösung der Probleme Zoom

"Und wenn Max bis zum Ende gepusht hätte, dann wären wir vielleicht auch eine halbe Minute hinter ihm gelandet", ergänzt Wolff. "Wie kann es sein, dass ein Auto, das auf manchen Strecken so schnell ist, so viel verliert, weil es die Reifen überhitzt?" Diese Frage wird nun in der Fabrik in Brackley die Köpfe rauchen lassen. "Jetzt müssen wir genau so eine Aktion starten wie nach Monaco, um zu verstehen, warum der Reifen manchmal im Fenster ist und manchmal nicht. Und warum uns die Temperaturen solche Schwierigkeiten bereiten."

Zur Erinnerung: Nach dem enttäuschenden Wochenende ohne Podestplatz suchten die Mercedes-Ingenieure zehn Tage lang nach dem Fehler - ohne dass in der Fabrik das Licht ausging. Dazu wird die Truppe rund um Technikchef James Allison nun erneut vergattert.

Produktive Überstunden nach Rennen: Hamilton lobt Debriefing

Und: Man hat bereits eine heiße Spur. "Das war eines der besten Debriefings, die ich je hatte", offenbart der Zweitplatzierte Hamilton nach der Marathon-Sitzung. "Wenn es richtig scheiße läuft, dann wird mehr gefragt und man geht mehr ins Detail als nach einem Sieg. Meine und die Aussagen Valtteris waren heute ein Volltreffer. Wir haben mit dem Finger auf gewisse Probleme gezeigt. Dinge, von denen man nicht einmal wusste, dass sie dieses Wochenende passiert sind."

Das Team sei nun voll motiviert, die Herausforderung in Angriff zu nehmen. "Und zwar nicht nur, um die Probleme beim aktuellen Auto zu korrigieren, sondern auch für nächstes Jahr", wirft Hamilton ein. Doch wo genau liegen die Probleme wirklich? Und warum traf es Mercedes ausgerechnet auf einer Strecke, die dem F1 W08 eigentlich liegen hätte sollen?

Heiße Spur: Was Sepang mit Monaco zu tun hat

Wolff nennt zwei Faktoren, die in das Mercedes-Problemmuster passen: 1.) die hohen Temperaturen. 2.) die Streckencharakteristik. Eine Aussage, die auf den ersten Blick überrascht. Die Silberpfeile hatten diese Saison Probleme in Singapur, Monaco und Ungarn - die drei langsamsten Kurse im Feld. Wie passt da Sepang mit seinen schnellen langgezogenen Kurven dazu?

Max Verstappen, Lewis Hamilton

Gegen Red Bull konnte sich Mercedes in Sepang nicht lange wehren Zoom

Der Schlüssel ist der Abtrieb. Auch in Malaysia sind die Flügel auf maximalen Abtrieb eingestellt, weil man sonst die Spur in den langgezogenen Kurven nicht halten könnte. "Sepang passt in Sachen Abtrieb als Nummer 4 genau in dieses Muster", erklärt Wolff. Und er warnt: "Es könnten diese Saison noch weitere Strecken anstehen, bei denen wir dieses Problem verstehen müssen."

Darum lief es im Qualifying besser

Doch wie war es unter diesen Umständen möglich, dass Hamilton im Qualifying die Pole-Position herausfuhr? "Ich denke, dass Lewis im Qualifying das Maximum herausgeholt hat, weil er von den niedrigeren Temperaturen profitiert hat", argumentiert Wolff. "Dazu kommt, dass er auf eine Runde wirklich eine Macht ist und sich das grundlegende Problem bei unserem Auto unter diesen Bedingungen nicht so stark zeigt wie im Rennen."

Außerdem fand der Rennstart um zwei Stunden früher als der Beginn des Qualifyings statt, also um 15 Uhr Ortszeit. "Dadurch war es im Rennen sehr heiß." Es gibt aber auch Unklarheiten: Während Mercedes beim Monza-Qualifying und in der Anfangsphase in Singapur bei Regen wirklich stark war, kam man im ersten Training in Sepang auf feuchter Strecke nicht auf Touren. "Wenn wir wüssten, warum das so ist, dann wäre alles einfacher", zeigt sich auch Wolff ratlos. "Jetzt geht es darum, ruhig zu bleiben, die Köpfe zusammenzustecken und die Daten zu analysieren."

Max Verstappen, Lewis Hamilton

Der direkte Vergleich: Der Red Bull ist hinten stärker angestellt als der Mercedes Zoom

Dass sich Ferrari und Red Bull, die auf eine höhere Anstellung ihrer Boliden setzen, deswegen leichter tun, das Auto in das richtige Reifen-Temperaturfenster zu bringen, glaubt Wolff nicht. "Diese Philosophie, das Auto stark anzustellen, gibt es schon lange. Wir haben nie darauf gesetzt und im Vorjahr trotzdem 19 und dieses Jahr neun Rennen gewonnen", argumentiert er.

Lahme Ente? Wolff glaubt nicht an grundlegenden Fehler

Dass der Fehler im genetischen Code des F1 W08 steckt und daher gar nicht gelöst werden kann, schließt Wolff aus. "Wir dürfen nicht vergessen, dass wir über das Auto sprechen, das die Konstrukteurs- und die Fahrer-WM anführt", verteidigt der Mercedes-Motorsportchef die Arbeit seiner Mannschaft. "Es handelt sich also nicht um eine lahme Ente. Ganz im Gegenteil: Unser Bolide war schon bei vielen Rennen das schnellste Auto."

Er verweist auf Silverstone und Monza, als Mercedes Doppelerfolge einfuhr: "Da haben wir alle anderen weggeblasen." Daraus zieht er folgende Schlussfolgerung: "Es liegt also an gewissen Bedingungen, dass unsere Performance leidet, und nicht am Grundkonzept des Autos selbst. Dem müssen wir auf die Spur kommen."

"Der Mercedes ist keine lahme Ente, er war schon oft das schnellste Auto." Toto Wolff

Da Mercedes schon in Singapur an den Trainingstagen schwächelte, weiß Hamilton, dass er mit den Plätzen eins und zwei enormes Glück hatte. "In Singapur hätte ich das Rennen auch gewinnen können, wenn sich die beiden Ferrari nicht gegenseitig aus dem Rennen geschossen hätten, denn unser Auto ist sehr weich abgestimmt, weshalb wir bei Nässe schnell waren", glaubt der WM-Leader. "Hier hatten wir aber mehr Glück durch die Ferrari-Probleme. Dass wir das Set-up für das Qualifying gerade so hinbekommen haben, liegt teilweise an der guten Arbeit der Ingenieure, war aber auch Glück. Das hätte auch daneben gehen können."

Hoffnung, dass es ein Suzuka besser läuft

In Anbetracht der starken Ferrari-Form muss Mercedes also trotz Hamiltons Vorsprung von 34 WM-Punkten auf Vettel ordentlich nachlegen. "Wäre es normal gelaufen, dann hätten wir viele Punkte auf sie verloren", weiß Wolff. "Es stehen noch fünf Rennen bevor, und wir haben gesehen, wie rasch es sich drehen kann. Und das macht den Motorsport so spannend. Es kann jeden treffen - auch uns. Wir müssen jetzt verstehen, wie wir das Maximum aus diesem Auto herausholen können, um diesen Vorsprung bis zum Ende zu verteidigen."

In Japan rechnet der Österreicher vorerst nicht mit weiteren Dramen. "Dort sollte das Auto komplett anders laufen", meint er. "Hoffentlich haben wir keine negativen Ausreißer wie an diesem Wochenende." Ganz sicher ist er allerdings nicht, wie er gegenüber 'Sky' klarstellt: "Man kann nichts mehr sagen zu den Simulationen, weil es kommt dann doch immer wieder anders."


Fotostrecke: GP Malaysia, Highlights 2017

Hamilton, der trotz der schwierigen Lage nicht die Nerven verliert und sich voll auf sich konzentriert, bringt sich jedenfalls konstruktiv in die Rettungsmaßnahmen ein: "Ich habe dem Team bereits gesagt, wie ich in das kommende Rennen starten möchte und was ich brauche, denn für mich geht es um den Titel. Sie werden jetzt analysieren, ob mein Weg wirklich der beste ist."