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"Mysterium" STR12: Hat Toro Rosso Chassis-Trumpf verspielt?

Toro Rossos STR12 kann 2017 nicht durch sein Chassis auftrumpfen: Wo die Stärken und Schwächen liegen - Abstand auf Top 3 auf zwei Sekunden angewachsen

(Motorsport-Total.com) - Toro Rosso steckt in der Saison 2017 im harten Kampf der Mittelfeldteams. Derzeit belegt die Truppe aus Faenza den fünften Rang in der Herstellerwertung, 21 Punkte haben Carlos Sainz (17) und Daniil Kwjat (4) bereits gesammelt. Der fünfte Rang ist auch das erklärte Saisonziel der Mannschaft. Doch das dürfte ein schwieriges Unterfangen werden, denn selbst Technikchef James Key muss gestehen, dass das Chassis des STR12 kein so großer Wurf ist wie im Vorjahr.

Titel-Bild zur News: Carlos Sainz

STR12 schwächer: Hat Toro Rosso die Trumpfkarte (gutes Chassis) verspielt? Zoom

"Ich glaube nicht, dass unser Chassis so stark ist wie in den vergangenen zwei Jahren", erklärt der umworbene Techniker gegenüber 'Autosport' selbstkritisch. "Uns fehlt definitiv Abtrieb im Moment." Die Karosserie des aktuellen Boliden sei weit weniger ausgereift als in den Vorjahren. 2016 war es der große Pluspunkt des Fahrzeugs, das mit einem alten Ferrari-Motor ausgestattet war. Nun muss man sich auf die Updates von Renault verlassen.

"Beim Chassis sind wir noch nicht so ausgereift, wie wir das vor den neuen Regeln waren. Wir hatten weniger als ein Jahr Zeit. Daher denke ich, dass wir da noch weiter hinten sind und es gibt noch einige fundamentale Dinge, die wir herausfinden müssen", erklärt Key. Die Piloten bestätigen diesen Eindruck mit ihren Eindrücken aus den ersten fünf Saisonrennen. Sainz fühlt sich noch etwas ratlos: "Wir wissen wirklich nicht, was wir von diesem Jahr erwarten sollen. Wir hatten bisher ein paar Überraschungen."

Sainz widerspricht Kwjat: "Auto nicht schwierig abzustimmen"

Als Beispiel führt er das Barcelona-Wochenende an: "Wir hätten uns definitiv stärker erwartet, als wir dann tatsächlich waren. Bahrain war hingegen immer ein schwieriges Rennen für uns, im Qualifying hat es dann aber ganz gut ausgesehen - und dann hatten wir den Ausfall. Es gibt also keine klare Richtung mit dem diesjährigen Auto und beim Set-up", stellt der Spanier fest.

Sainz rangiert mit 14 Punkten derzeit auf dem zehnten Platz in der Fahrerwertung. Er holte in Spanien und China mit jeweils einem siebten Rang sein bisher bestes Saisonergebnis. "Die ersten drei Rennwochenenden waren ganz okay. Wir haben mit einer Grundabstimmung begonnen und haben darauf aufgebaut. In Russland hatten wir einen schwierigen Freitag, am Samstag konnten wir ein bisschen aufholen. In Barcelona brauchten wir etwas Zeit, um das Update zu verstehen. Die vergangenen beiden Wochenenden waren also etwas kritisch, aber generell würde ich nicht sagen, dass es schwierig ist, das Auto richtig abzustimmen."

Gröbere Probleme hatte zuletzt sein Teamkollege Daniil Kwjat. Der Russe schaffte es in Spanien nicht über das Q1 hinaus und beendete das Qualifying auf dem enttäuschenden letzten Platz. "Unser Auto reagiert sehr sensibel auf die kleinsten Änderungen", widerspricht er Sainz in seiner Erklärung für die Qualifying-Niederlage. "Wir waren komplett aus dem Arbeitsfenster draußen. Als Konsequenz haben wir einen sehr hohen Preis dafür bezahlt. Es ist schwierig, das Auto im Arbeitsfenster zu halten. Wir wissen noch nicht zu hundert Prozent, warum das so ist", erklärt der Russe und bezeichnet die Situation als "Mysterium".


Fotostrecke: FIA-Fast-Facts Monte Carlo

Abstand auf Topteams auf rund zwei Sekunden angewachsen

Kwjat glaubt, dass sehr viel mit der Aerodynamik, die durch die Regeländerungen wieder aufgewertet wurde, zu tun hat. "Jeden kleinen Fehler, den du machst, spürst du sofort. Du verlierst sofort Abtrieb." Damit bestätigt er Keys Aussagen, wonach dem STR12 noch Abtrieb fehlen würde. Sainz sieht alle Mittelfeldteams derzeit auf einem ähnlichen Abtriebsniveau. "Die Top 3 haben einen großen Schritt gemacht. Dahinter sind alle Mittelfeldteams auf einem sehr ähnlichen Level beim Abtrieb. Wie James schon sagte, vielleicht haben wir einfach den Vorteil nicht mehr in schnellen und mittelschnellen Kurven mit dem Chassis."

Der Abstand zu den Topteams ist angewachsen. Das lässt sich aus den Abständen in den Qualifyings ablesen. Haben dem Toro-Rosso-Piloten in Spanien 2016 noch rund drei Zehntelsekunden auf den langsameren Ferrari von Sebastian Vettel gefehlt, so ist der Abstand 2017 auf den diesmal langsameren Ferrari von Kimi Räikkönen auf 1,9 Sekunden angewachsen. "Rund zwei Sekunden" beziffert auch Sainz den Abstand auf die Spitze. "Im Vorjahr haben uns im Qualifying hier in Monaco vielleicht zwei Zehntel auf Ferrari und Red Bull und eine halbe Sekunde auf Mercedes gefehlt. In diesem Jahr ist das total unmöglich für uns."

"Halbe Sekunde Rückstand auf Mercedes in Monaco ist absolut unmöglich für uns." Carlos Sainz

Die Topteams haben einfach einen weiteren Schritt gemacht, den die anderen Teams nicht machen konnten, erklärt der Spanier. Verblüffend, wenn man bedenkt, dass Toro Rosso im Vorjahr mit einem 2015er-Ferrari-Motor unterwegs war. 2017 setzt man auf aktuelle Power aus Frankreich. "Das Basispaket sieht ganz gut aus", beurteilt Kwjat die Leistung von Renault zaghaft. "Sie haben die Zuverlässigkeit im Griff. Ich glaube, sie werden sich daher jetzt mehr auf die Leistung fokussieren. Das brauchen wir noch."

Denn Sainz merkt an: "Mit ein bisschen mehr Power auf der Geraden könnten wir dennoch vor Force India oder Williams sein." Zumindest die Zuverlässigkeit hat man in Viry-Chatillon unter Kontrolle, nachdem es bei den Testfahrten vor der Saison gleich mehrere Probleme gab. "Seit den Testfahrten haben sie sich stark verbessert. Die (fehlende; Anm. d. Red.) Zuverlässigkeit war schon eine Überraschung für uns alle. Bei jedem Rennen wird es besser", kommentiert Sainz die Fortschritte. Er könne allerdings nicht sagen, wie sehr sich die Leistung gegenüber dem Saisonauftakt gesteigert habe.


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Ein Nachteil ist sicherlich der Qualifying-Modus. Da können sowohl Mercedes als auch Ferrari mehr Power ausspielen. Zwar hat auch Toro Rosso mehr Power im Qualifying zur Verfügung, dennoch ist der Schritt kleiner, mutmaßt Sainz. "Deshalb sehen unsere Quali-Ergebnisse vielleicht etwas seltsam aus. Nach dem dritten Training erwartet jeder von uns, dass wir ein bisschen weiter vorne sind. Manchmal werden auch die Fahrer kritisiert, dass sie keine gute Runde gefahren seien. Aber eigentlich bin ich mit meiner Leistung in den ersten fünf Qualifyings ganz zufrieden", schmunzelt er.

"Mit ein bisschen mehr Power auf der Geraden könnten wir vor Force India oder Williams sein." Carlos Sainz

Laut Key habe sich der Power-Rückstand durch den Wechsel von Ferrari auf Renault zumindest halbiert - von 15 km/h auf rund sieben oder acht km/h, konkretisiert Sainz. Dennoch liegt die Stärke des Toro Rosso in dieser Saison im Renntrimm. "Im Rennen sind wir wirklich stark. Wenn man sich die Longrun-Zeiten im zweiten Training ansieht, dann sind wir plötzlich wieder dort, wo wir hingehören. Wenn wir dann in den Quali-Modus gehen, können wir nicht so einen großen Schritt gehen wie die anderen."

Motordefizit in Monaco unwichtig: Vorteil für Toro Rosso?

"Im Rennen war das Auto fahrbarer", stimmt ihm auch Kwjat zu. Der Russe erläutert sein Quali-Problem von Barcelona weiter: "Ich bin nicht die besten Runden meines Lebens gefahren. Das Auto war aber auch nicht innerhalb des Arbeitsfensters. Wenn das Auto eben nur herumrutscht, kannst du nicht schnell fahren. Das ist ganz einfach." Zwar ist das Zeittraining besonders in Monaco essentiell, dennoch rechnet sich das Team gute Chancen für das Rennen im Fürstentum aus.

"In Monaco könnte uns die Power helfen. Es ist eine Strecke, wo wir traditionell recht konkurrenzfähig waren mit unserem mechanischen Grip und unserer Balance. Die Fahrer sind auch nicht schlecht hier, also sollten wir das hinkriegen", meint Key. Er prophezeit einen erneut engen Kampf im Mittelfeld. Sainz, der im Vorjahr Achter wurde, pflichtet ihm bei: "In Monaco kommt es nicht so sehr auf die Motorenpower an, daher sollten wir bei der Rundenzeit etwas näher dran sein verglichen mit den anderen Motoren." Toro Rosso weiß jedenfalls: "Wenn du einen Durchhänger hast, kannst du bereits einige Plätze in der Weltmeisterschaft verlieren."