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"Frischer Wind": Neue Fan-Maßnahmen zeigen erste Wirkung

Minardi-Doppelsitzer, Bier-Bar und Seilrutsche übers Paddock: Die Formel 1 präsentiert sich in Spanien lockerer und näher am Fan - Weitere Ideen gibt es genug

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 präsentierte sich beim Europa-Auftakt im spanischen Barcelona von einer ganz neuen Seite: Die Nähe zum Fan wurde gesucht - und gefunden. Die Zuschauerzahlen kletterten wieder nach oben, die Show rund um den Grand Prix wurde mit Aktivitäten deutlich erweitert und der Zugang zu den Helden des Sports wurde gelockert. Da staunte auch ein kleiner Franzose nicht schlecht, als er plötzlich sein Idol, Kimi Räikkönen, persönlich treffen durfte. Der Imagewandel ist also in vollem Gange.

Das bemerkten auch die Fahrer. "Man merkt, dass da jetzt Bewegung und Schwung reinkommt. Ich glaube, es ist gut, dass sie etwas verändern und Feedback dafür bekommen", kommentiert Nico Hülkenberg die "neue" Formel 1. Der Deutsche traf sich beim Spanien-Rennen mit Fans, die über die neu ins Leben gerufene "F1-Experiences"-Plattform Tickets gekauft hatten. Auf der Plattform werden exklusive Pakete angeboten. In Monaco steht eine Fragerunde mit Weltmeister Damon Hill an, in Kanada können Fans mit Jacques Villeneuve plaudern.

Es wurde jedoch nicht nur online eine neue Plattform geschaffen, die neuen Inhaber Liberty Media haben auch vor Ort ihre Spuren hinterlassen. In einer groß angelegten "FanZone" konnten sich Fans nicht nur beim Boxenstopp-Training verausgaben, auch Formel-1-Simulatoren, eine Game-Station und eine 200 Meter lange Seilrutsche, von der man die Strecke und das Fahrerlager aus der Vogelperspektive beobachten konnte, wurden angeboten. Das gefällt auch Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz, wie er gegenüber den 'Salzburger Nachrichten' erklärt: "Man erkennt, dass die neuen Eigentümer sehr bemüht sind, Neuerungen zu bringen und dabei vor allem für das Publikum etwas tun zu wollen. Man muss ihnen auch Zeit geben, aber sie machen das Richtige."

Fußball-Star im Minardi-Doppelsitzer, Interviews auf Start-Ziel

"Die Dinge haben sich definitiv verändert. Das Feedback, das ich gehört habe, war durchwegs positiv. Die Leute haben sich amüsiert, das ist toll", berichtet Force-India-Geschäftsführer Otmar Szafnauer. Nicht nur in der Fan-Zone wurde dem Gast die Formel 1 näher gebracht, ein paar Glückliche hatten sogar die Möglichkeit, Paddock-Club-Pässe oder Fotomöglichkeiten mit Formel-1-Teams in der Startaufstellung zu gewinnen. Außerdem durften manche selbst in einem Formel-1-Boliden Platz nehmen und ein paar Runden um den Circuit de Barcelona-Catalunya drehen - allerdings nicht alleine.

Die Ex-Formel-1-Piloten Patrick Friesacher und Zsolt Baumgartner pilotierten zwei Minardi-Doppelsitzer mit V10-Cosworth-Motor im Heck, die dem ehemaligen Minardi-Teambesitzer Paul Stoddart gehören. Einer der ersten Insassen war übrigens Fußball-Star Carles Puyol, der sich das Rennen nicht entgehen ließ.

Die Fahrer kamen den Fans bereits am Donnerstag beim traditionellen Spaziergang durch die Boxengasse näher, eine Neuerung waren jedoch die Interviews auf der Start-Ziel-Geraden nach dem Qualifying am Samstag. Darauf angesprochen meint Spanien-Sieger Lewis Hamilton in der Pressekonferenz etwas verwundert: "Was haben wir denn großartig anders gemacht? Das am Ende des Qualifyings, aber sonst?" Der Social-Media-Weltmeister lobt jedenfalls die Interaktion mit den Fans, die sich laut dem Briten deutlich verbessert habe.


Fotos: Großer Preis von Spanien


178.000 Fans an drei Tagen - Steigerung um acht Prozent

Wie auch Felipe Massa fordert er einen offeneren Zugang für seine Anhänger - auch zum Fahrerlager. Etwas enttäuscht zeigt sich der Mercedes-Star über die Zuschaueranzahl auf den Tribünen. "Ich denke, es waren weniger Fans hier. Vielleicht war es voll, als Fernando an der Spitze gekämpft hat. Immerhin waren noch viele Plätze frei. Ich denke, es war um die 65 bis 70 Prozent belegt. Wir müssen also noch mehr Leute dazu motivieren, an die Strecke zu kommen." Er kann sich nicht erklären, warum nicht noch mehr Fans seinen Sieg live vor Ort mitansehen wollten.

Die offiziellen Zuschauerzahlen relativieren Hamiltons Einschätzung ein wenig. Denn im Vergleich zum Vorjahresrennen mit dem überraschenden Sieg für Max Verstappen verzeichnete Liberty 2017 um acht Prozent mehr Zuschauer in Montmelo. 177.984 Fans zählte der Veranstalter, allein am Rennsonntag strömten 94.623 Personen auf die Tribünen rund um den Kurs. "Die Mentalität funktioniert", bestätigt Williams-Pilot Massa. "Man verändert natürlich nicht alles von einem auf den anderen Tag, es gibt jedoch so viele Dinge, die man verbessern kann. Man könnte versuchen, es interessanter für die Leute zu gestalten. Oder mehr Fans ins Paddock zu bekommen und mehr Show rundherum zu veranstalten", regt der Brasilianer an.

"Der Eingang zum Paddock ist neu, dann gibt es diese Bier-Bar und F1 Experiences. Die Bar ist aber eher für die Gäste da", zählt Renault-Pilot Hülkenberg schmunzelnd auf. Die Bar von Formel-1-Sponsor Heinecken hat auch der drittplatzierte Daniel Ricciardo entdeckt. "Im Paddock haben sie eine Bier-Bar eröffnet. Das ist cool, weil jeder Gäste bei den Rennen hat, egal ob enge Freunde oder bekannte Persönlichkeiten, die hängen dann meistens nur beim Team herum. Wenn es aber einen generellen Bereich für soziale Interaktion gibt, finde ich das gut."


Fotostrecke: GP Spanien, Highlights 2017

Hamilton verwundert: Bar mit alkoholfreiem Bier?

Während sich der Australier dann die Frage stellt, ob die Bezeichnung "Bar" überhaupt korrekt sei, wenn nur alkoholfreies Bier ausgeschenkt wird, funkt Hamilton in der Pressekonferenz dazwischen: "Es ist alkoholfrei?" Woraufhin sich Sebastian Vettel einschaltet und Hamilton neckt: "Liest du die Schilder an der Strecke eigentlich nie? Kein Alkohol hinter dem Steuer!" Um die Diskussion der beiden WM-Rivalen nicht ausufern zu lassen, beendet Ricciardo sein Statement: "Sie gehen damit jedenfalls in die richtige Richtung. Ich spüre positive Aspekte."

Weitere positive Aspekte glauben einige Teamverantwortliche im US-amerikanischen Sport zu finden. Force Indias stellvertretender Teamchef Robert Fernley war in den 1980er-Jahren in der IndyCar beschäftigt und kennt die Szene, in die McLaren-Star Fernando Alonso nun vorübergehend beim Indy 500 eintaucht, recht gut. "IndyCar ist eine fantastische Show, speziell das Indy 500, daran gibt es keinen Zweifel. Können wir mehr Zugang schaffen? Ich denke schon. Wir können von IndyCar lernen, trotzdem sind wir die Formel 1, diese Identität müssen wir behalten. Liberty versteht das", erklärt der Brite in der Pressekonferenz am Freitag. Die neuen Inhaber stehen nun vor der Aufgabe, den Sport offener zu gestalten, dabei aber auf eine gewisse Exklusivität nicht zu vergessen. "Das ist ein Balanceakt."

Toto Wolff, Cyril Abiteboul

Begrüßen "frischen Wind": Fernley, Wolff und Abiteboul blicken auf das Indy 500 Zoom

Sein Kollege, Force-India-Geschäftsführer, Otmar Szafnauer stimmt ihm zu: "Es gibt Dinge, die amerikanische Sportarten wirklich gut umsetzen. Wenn wir ein paar dieser Dinge mit Bedacht auswählen und in der Formel 1 umsetzen, würde es funktionieren. Aber natürlich kann man nicht alles übernehmen." Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff stimmt mit seinen Partnern überein, wobei der Österreicher auch anmerkt, dass das Oval "von vornherein einen anderen Zugang" ermöglicht. Außerdem betont er, dass das Indy 500 ein einmaliges Ereignis im Jahr ist. "Wenn man sich die IndyCar-Serie gesamt ansieht, sind sie weit von uns entfernt", beruhigt er.

Liberty muss "Balanceakt" schaffen & Identität des Sports bewahren

Renault-Geschäftsführer Cyril Abiteboul ist ebenso darauf bedacht, dass die Formel 1 über den Tellerrand blickt: "Es gibt definitiv viel von anderen Sportarten zu lernen. Wir sind zwar alle nicht so alt, trotzdem verbringen wir sehr viel Zeit in der Formel 1. Es ist gut, wenn wir nun Leute haben, die uns zeigen, wie es anderswo gemacht wird." Er spricht außerdem den harten Wettkampf unter den einzelnen Sportarten um die Aufmerksamkeit des Publikums an. Die Formel 1 müsse an der Spitze des Angebots bleiben, fordert der Franzose. "Sie vergleichen uns, womöglich auch unbewusst, bei ihrer Entscheidung, welches Programm sie wählen oder welche Tickets sie kaufen."

Den frischen Wind begrüßt er, jedoch dürfe die Formel 1 ihre Wurzeln nicht vergessen. Denn viele Fans, die Sonntag für Sonntag den Fernseher einschalten oder sich Tickets für Rennen leisten, sind der Königsklasse schon sehr lange treu. "Viele Fans, die ich kenne, sind Fans, weil ihre Väter sie in den Siebzigern oder Achtzigern zu Rennen mitgenommen haben. Damit sind sie aufgewachsen. Das muss auch heute wieder passieren. Väter müssen ihre Söhne zu den Rennen mitnehmen", weiß Szafnauer. Er rät: "Wenn man nun sagen würde, Kinder unter zwölf Jahren haben freien Zugang, wenn der Vater ein Ticket kauft, dann könnte es funktionieren."

Nur so würde man eine neue Generation an Formel-1-Fans schaffen. Stellvertretend für diese neue Generation steht der junge Thomas Danel. Der Ferrari-Fan wurde am Sonntag zur kleinen Berühmtheit, nachdem er beim Ausfall von Kimi Räikkönen bitterlich weinte und später auf sein großes Idol Kimi Räikkönen im Fahrerlager traf. Ein weiteres Zeichen für ein Umdenken in der Formel 1. Auf Instagram und Facebook war die Nachricht über den kleinen Ferrari-Jungen die erfolgreichste des Tages, bestätigt das Formel-1-Management in einer Aussendung.


Großer Preis von Spanien

Felipe Massa, der selbst als kleiner Junge in Sao Paulo seinem Idol Ayrton Senna beim Fahren zusah, hat noch eine ganz andere Idee, wie man die Formel-1-Show noch verbessern könnte. "Ich kann mich zum Beispiel noch daran erinnern, wie der Mann mit der Zielflagge auf der Strecke rauf und runter gehüpft ist. Das wäre doch cool. Warum macht man das nicht? Okay, im Regen könnte es gefährlich werden." Er geht sogar noch weiter: "Man könnte eine Reality-Show veranstalten, in der man diesen Kerl sucht. Er wäre dann berühmt und würde den Sieg entscheiden", lässt er seiner Kreativität freien Lauf. "Man könnte sich so viele Dinge einfallen lassen. Die Formel 1 muss sich wirklich Gedanken über die Show machen. Ich bin definitiv bereit mitzuhelfen, dabei verliert man ja nicht viel Zeit."