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1981: Ein Spanien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Gilles Villeneuves größter und letzter Sieg: Wie der Lenkradakrobat in Jarama zauberte und Maria de Villotas Vater beinahe dem ABBA-Schlagzeuger den Startplatz raubte

(Motorsport-Total.com) - Auf einer völlig überraschenden Welle des Erfolgs reiste Gilles Villeneuve nach Spanien. Der legendäre Kanadier hatte Ferrari nach zwei Jahren Pause ausgerechnet beim Klassiker in den Häuserschluchten von Monte Carlo endlich wieder einen Sieg geschenkt. Der damals 31-Jährige hatte im Fürstentum Glück gehabt: Zahlreiche Rivalen schieden im Auto-Roulette aus, was Villeneuve in die Hände spielte.

In Spanien war der Publikumsliebling mit einer schwierigen Ausgangssituation konfrontiert: Sein 126C war zwar leistungsstark, aber nicht gerade wendig. Nicht unbedingt das richtige Auto für eine enge, winkelige Rennstrecke wie Jarama mit ihren 13 Kurven. Gerade wegen der geringen Fahrbahnbreite, die kaum Überholmanöver erlaubte, sollte der Grand Prix im Jahr 1981 übrigens der letzte auf dem von Suzuka- und Zandvoort-Designer Hans Hugenholz kreierten Kurs sein.

Der Niederländer verfügt zwar vor allem durch die Mutstrecke in Japan über einen klingenden Namen, und die Kurven in Jarama wurden nach Motorsporthelden wie Juan Manuel Fangio, Tazio Nuvolari, Alberto Ascari oder Guiseppe Nino Farina benannt, doch die Strecke war schon damals als Mickey-Maus-Kurs verschrien.

Rosberg wird mit Maschinenpistolen empfangen

Nicht unbedingt an einen Disney-Film erinnerten die Ereignisse im Vorfeld des Rennens. Sie hatten schon eher Krimi-Format. Einer der Protagonisten: Der bis dahin noch sieglose Keke Rosberg, der in seiner vierten Formel-1-Saison für das schwache Fittipaldi-Team und mit seinem zweimotorigen Privatflugzeug aus Ibiza zum Rennen anreiste. Als er auf dem Militärflughafen aussteigen wollte, traute er seinen Augen nicht.

"Plötzlich kamen sie mit Maschinenpistolen angerannt und hielten mich vier Stunden lang fest, bis ich den ungemütlichen Platz wieder verlassen durfte", schilderte der aufgebrachte Finne gegenüber 'Motorsport aktuell'.

Und auch auf dem Kurs gab es dicke Luft. Im Zentrum waren der damals 34-jährige Emilio de Villota, Vater von Ex-Marussia-Testfahrerin Maria de Villota, die 2013 an den Folgen ihres tragischen Testunfalls verstarb, und ABBA-Schlagzeuger Slim Borgudd, der in dieser Saison mit den Logos der Kultband für ATS antrat und noch im selben Jahr in Silverstone seinen einzigen WM-Punkt erreichen sollte.

Spanische Veranstalter tricksen ABBA-Schlagzeuger aus

Auslöser für den Streit war der Flughafenstreik in London. Aus diesem Grund kamen einige Teams verspätet in Madrid an und verpassten so die Abnahme der Boliden am Donnerstag. Sie verpflichteten sich daher per Unterschrift, die Unterlagen am Freitagmorgen nachzureichen.

Da es aber beim chaotischen ATS-Team damals keinen wirklichen Teammanager gab, verpasste man die Frist. Das kam für die Veranstalter wie gerufen, denn die wollten ohnehin lieber de Villota mit seinem privaten Williams am Start sehen, obwohl dieser als 31. Auto gar nicht zugelassen war. Ein Lokalmatador würde das Zuschauerinteresse zusätzlich anheizen. Kein Wunder also, dass die Veranstalter mit ATS kein Erbarmen zeigten: Borgudd musste zuschauen, als de Villota das erste Freie Training bestritt.

Slim Borgudd

De Villotas Vater verhinderte beinahe den Start von ABBA-Drummer Borgudd (Foto) Zoom

Doch dann griff die FISA ein und forderte die Veranstalter via Fernschreibnachricht auf, den Spanier aus dem Verkehr zu ziehen und ATS nachträglich zum Start zuzulassen. Die Spanier blieben zunächst stur. Als dann aber die Sporthoheit damit drohte, dem Rennen mit sofortiger Wirkung den WM-Status zu entziehen, lenkte man ein. Der letzte Versuch de Villotas in seiner Karriere, beim Heimrennen zu starten, war damit gescheitert.

Villeneuve nach Training bitter enttäuscht

Für ATS und Borgudd sollte sich der Kampf um das Antreten ebenfalls nicht auszahlen: Der zu langsame Schwede scheiterte an der Qualifikation für das Rennen. Zudem wurde seine schnellste Rundenzeit am Samstag gestrichen, weil der ATS bei der Kontrolle die geforderten sechs Zentimeter Bodenfreiheit unterschritten hatte.

Auch nicht optimal lief das Training für Villeneuve: Der damals 31-Jährige stapfte nach dem ersten Trainingstag mit finsterer Miene ins Ferrari-Motorhome und ließ seinem Unmut freien Lauf. "Ich bin echt verärgert, denn das Auto liegt furchtbar und ist eine Katastrophe", schimpfe er.

Gilles Villeneuve

Der wuchtige Ferrari passt nicht zum winkeligen Jarama-Kurs Zoom

"Keine der vier schnelleren Kurven geht voll. In den ersten zwei oder drei Runden mit frischen Reifen ist das Auto in den engen Kurven nicht schlecht, aber danach ist es unmöglich, damit zu fahren. Sogar viel schlechter als der T5 im Vorjahr." Ein Auto, mit dem die Scuderia am Ende nicht über Rang zehn in der Konstrukteurs-WM hinausgekommen war.

Villeneuve schließt Sieg völlig aus

Sein Ziel für das verbleibende Wochenende? "Das Auto irgendwie fahrbar zu machen", seufzte Villeneuve. "Auf den Sieg haben wir ohnehin keine Chance. Nicht, wenn wir so schlecht sind. Man muss sich doch nur die Rundenzeiten ansehen. Uns fehlen zwei Sekunden. Wenn man dann noch mitberechnet, dass unser Motor um eine halbe Sekunde besser als der Cosworth ist, dann sind es sogar zweieinhalb Sekunden. Das ist lächerlich!"

Im Qualifying gelang Villeneuve dann aber ein Wunder. Er kam zwar nur auf Platz sieben und rangierte damit über eine Sekunde hinter Pole-Setter Jacques Laffite, war aber um acht Zehntelsekunden schneller als sein Teamkollege, der spätere Erzfeind Didier Pironi.

Gilles Villeneuve, Didier Pironi

Gilles Villeneuve (re.) und sein Ferrari-Teamkollege Didier Pironi Zoom

Dass Laffite die Pole eroberte, war keine große Überraschung, hatte er doch schon in den drei Jahren davor stets den besten Startplatz inne. Der Franzose galt als absoluter Jarama-Spezialist, hatte den Sieg aber stets wegen Eigenfehlern verpasst. Hinter ihm lauerten die beiden Williams von Alan Jones und WM-Leader Carlos Reutemann sowie der McLaren von John Watson.

Jarama-Fluch: Pole-Setter Laffite fällt beim Start weit zurück

Als die Ampel vor 50.000 Zuschauern bei 38 Grad auf grün schaltete, schlug der Jarama-Fluch bei Pole-Setter Laffite ein weiteres Mal zu: Der Talbot-Ligier kam kaum in die Gänge und bog nur als Elfter in die erste Kurve ein. Was war passiert? "Es dauerte unheimlich lange, bis der Start endlich freigegeben wurde", beschwerte er sich. "Und da verbrannte meine Kupplung."

Die Spitze war also klar in Williams-Hand: Jones führte vor Reutemann, doch dahinter lag bereits Villeneuve. Mit einem seiner berühmten waghalsigen Manöver hatte er beim Start mit zwei Rädern auf der Wiese überholt und so eine tolle Ausgangssituation geschaffen. Seine Strategie: in den ersten Runden alles aus den Michelin-Reifen herauszuholen und dann im herumeiernden Ferrari, den er mit einem Cadillac verglich, die Streckencharakteristik nutzen und seine Position abzusichern.

Der Plan ging auf: Nach einer Runde nutzte er bei Start-Ziel den starken Ferrari-Motor, um auch an Reutemann vorbeizugehen und sich so zwischen die Williams zu schieben. Leader Jones schien bereits zum sicheren Sieg zu fahren und war zehn Sekunden in Front, doch das Schicksal hatte in Jarama anderes mit ihm vor: In der 14. Runde machte er einen folgenschweren Fahrfehler, rutschte von der Piste und fiel auf Platz 16 zurück.

Alan Jones verspielt möglichen Sieg

"Meine Schuld", meinte der amtierende Weltmeister zerknirscht. "Mein Hirn hat ausgesetzt." Und so führte Villeneuve plötzlich den Grand Prix an. Während er den Ferrari mit bereits verschlissenen Pneus und Reutemann im Nacken über den heißen Asphalt trug, sorgte im Mittelfeld Laffite für Furore.

Der Jarama-Spezialist schaltete Gegner um Gegner aus, profitierte von der Kollision zwischen Mario Andretti und dem späteren Weltmeister Nelson Piquet im Brabham und fand sich plötzlich auf Platz vier hinter McLaren-Mann Watson wieder. Ausgerechnet Laffites Teamkollege Jean-Pierre Jabouille, der wegen seiner Beinverletzungen das letzte Formel-1-Rennen seiner Karriere bestreiten sollte, stand dem Iren bei einem Überrundungsmanöver im Weg, wodurch der Franzose durchschlüpfte.

Gilles Villeneuve

Quer durch die Kurven: Villeneuve zieht im Ferrari alle Register Zoom

In Runde 62 schlug Laffite dann in der ersten Kurve zu: Auf der Außenbahn überraschte er Reutemann und zog trotz der Gummimurmeln am Argentinier vorbei. Eine Runde später gelang dies auch Watson, der den Überrundeten Eliseo Salazar in sein Manöver miteinbezog. Nun hatten die beiden nur noch Villeneuve vor sich. Der sollte sich allerdings als anderes Kaliber erweisen.

Villeneuves Bravourstück: Kein Fehler trotz fünf Autos im Nacken

Trotz des heillos unterlegenen Materials machte sich der Kanadier vor einer Schlange von fünf Autos so breit es ging: In den Kurven kontrollierte er geschickt das Tempo, während er auf den Geraden die Leistung seines Triebwerks ausnutzte. Jeder Fehler wäre gnadenlos bestraft worden, doch Villeneuve unterlief kein Patzer, und er brachte seine Rivalen so zur Verzweiflung, ständig an der absoluten Rutschgrenze.

"Villeneuve ist eben ein Akrobat, wenn es darum geht, ein Auto zu retten", staunte auch Laffite. "Ich hatte einfach keine Chance." Der Kanadier war dermaßen am Limit, dass er die Übersicht über das Rennen verloren hatte: "Ich habe gar nicht gewusst, dass es schon die letzte Runde ist", sagte er völlig abgekämpft nach der Zielflagge. "Ich dachte, ich muss noch eine fahren."

Gilles Villeneuve, Jacques Laffite

Gejagter mit unterlegenem Material: Villeneuve bleibt trotzdem vorne Zoom

Ein Glück, dass es nicht so kam, denn in der Auslaufrunde ging Villeneuve das Benzin aus und er konnte nur noch Schritttempo fahren. Davor hatte er aber für ein absolutes Fotofinish gesorgt: Laffite lag bei der Zieldurchfahrt nur 0,2 Sekunden zurück, selbst beim Fünftplatzierten Elio de Angelis waren es nicht mehr als 1,24 Sekunden - nach Monza 1971 der knappste Zieleinlauf der Formel-1-Geschichte.

"Es war das härteste Rennen meines Lebens", stöhnte Villeneuve völlig abgekämpft nach seinem letzten Sieg in der Formel 1. Monaco und Spanien waren die ersten zwei Turbo-Siege in der Ferrari-Geschichte (den ersten Turbo-Sieg der Formel 1 erzielte Renault-Pilot Jean-Pierre Jabouille 1979 in Dijon). Mit dem kämpferischen Triumph hatte sich Villeneuve, der über 60 Runden lang mehrere Rivalen im Nacken hatte, endgültig ins Herz seines legendären Chefs gefahren. "Er erinnert mich an Tazio Nuvolari", adelte ihn der große Enzo Ferrari nach dem Rennen. Nuvolari war einer der großen Ferrari-Helden der 1930er-Jahre und der absolute Lieblingspilot des "Commendatore".