Red Bull vor Bahrain: Es fehlt eine Sekunde

Zu wenig Renault-Power, Auto schwierig abzustimmen, Potenzial liegt noch brach: Daniel Ricciardo sieht die Lage bei Red Bull pessimistischer als Christian Horner

(Motorsport-Total.com) - Bei neuen Regeln, so lautete eine Faustregel in der Formel 1, sind von Adrian Newey designte Autos besonders konkurrenzfähig. Dementsprechend groß waren die Erwartungen des Red-Bull-Teams vor der Saison 2017. Doch nach zwei Rennen ist die Realität eine andere: "Ich schätze, dass uns eine Sekunde fehlt", analysiert Daniel Ricciardo nach seinem vierten Platz beim Grand Prix von China.

Titel-Bild zur News: Daniel Ricciardo

Red Bull muss zu Ferrari und Mercedes noch eine Sekunde aufholen Zoom

Im Qualifying, in dem Mercedes den Motor immer ein bisschen mehr aufdrehen kann als Renault, hatte der Australier 1,4 Sekunden Rückstand. Im Renntrimm ist Red Bull näher dran. Erstens, weil der RB13 tendenziell dazu in der Lage ist, auf längere Distanzen weichere Reifen zu fahren. Zweitens, weil er die Reifen langsamer auf Temperatur bringt. Das ist auf die schnelle Einzelrunde ein größeres Problem als auf die Renndistanz.

Tatsache ist, dass sich Red Bull bisher schwer getan hat, das richtige Set-up zu finden. Was besonders am verkürzten China-Wochenende auch an der fehlenden Trainingszeit gelegen haben mag. Aber der Trend dazu ist schon seit den Wintertests festzustellen. Die ersten Updates, die in Schanghai ans Auto geschraubt wurden, haben das Set-up-Fenster etwas erweitert. Für Bahrain sollen die nächsten neuen Teile kommen.

Ein paar neue Teile für Bahrain

"Hoffentlich bekommen wir in der kurzen Zeit ein paar neue Teile ans Auto, sodass wir das Defizit schon in der einen Woche reduzieren können", sagt Teamchef Christian Horner. Die Fahrer sind da pessimistischer: "Das wird nicht über Nacht gehen. Die nächsten paar Rennen werden ähnlich laufen. Bis Bahrain kann sich fast nichts ändern, und bis Russland ist auch nicht viel Zeit. Wir brauchen einige wirklich gute Updates, denn die anderen sind momentan superschnell", analysiert Ricciardo.

Max Verstappen, in Schanghai nach sensationeller Aufholjagd Dritter, sieht das ähnlich: "Der Abstand ist noch sehr groß. Das wird dauern. Wir müssen schon realistisch sein: Von einem Rennen zum nächsten geht das nicht." Und auch Horner weiß: "In dieser Phase der Saison ist für uns Schadensbegrenzung das Wichtigste. Max ist in der Fahrer-WM immerhin Dritter, und auf Ferrari haben wir in Schanghai nur einen Punkt eingebüßt."

Max Verstappen

Eins steht fest: An den Fahrern liegt's bei Red Bull derzeit nicht ... Zoom

In der Konstrukteurs-WM hat Red Bull nach zwei Rennen 29 Punkte Rückstand auf Mercedes, in der Fahrer-WM fehlen Verstappen 18 und Ricciardo schon 31. "Wir schauen von Rennen zu Rennen und nicht auf den WM-Stand", sagt Horner. "Es geht primär darum, wie wir den Rückstand reduzieren können und wie schnell das geht. Lewis und Sebastian sitzen momentan in den schnellsten Autos. Das ist eindeutig. Bei dieser Party wollen wir möglichst rasch mitfeiern."

Auto weniger berechenbar als 2016

Was dazu fehlt? "Wir brauchen mehr Topspeed und mehr Grip", stellt Verstappen fest. "Wenn das Auto schwierig abzustimmen ist und du nicht so leicht eine ganz normale Rundenzeit fahren kannst, stimmt etwas nicht. Im Vorjahr wussten wir genau: Okay, wenn wir das tun, wird das mit dem Auto passieren. Das ist dieses Jahr nicht der Fall." Und es fehlen PS: "Die Leistung ist eine große Sache. Dass uns da was fehlt, ist eindeutig."

Renault musste die 2017er-MGU-K kurz vor Melbourne wieder auf Stand 2016 zurückrüsten, weil die neue Version noch nicht zuverlässig genug ist. Das birgt Probleme. Erstens ist die Performance damit geringer. Zweitens ist die alte Version um fünf Kilogramm schwerer. Ein erstes Update soll spätestens beim fünften Saisonrennen in Barcelona kommen. Und ab Montreal (11. Juni) soll das Defizit im Hybridbereich endgültig behoben sein.


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Horner: Renault muss liefern

"Ich schätze, es wird bis Saisonmitte dauern. Dann wird die zweite Saisonhälfte hoffentlich viel konkurrenzfähiger als die erste", setzt Horner große Erwartungen in den Motorenhersteller. "Sie hatten einige Zuverlässigkeitsprobleme. Da besteht immer die Gefahr, den Fokus auf die Performance zu verlieren. Ich hoffe, dass die Performance wieder oberste Priorität bekommt, sobald sie die Zuverlässigkeit im Griff haben."

Sobald das der Fall ist, könnte eine positive Kettenreaktion ausgelöst werden, denn: "Alles beeinflusst alles. Wenn du mehr Anpressdruck hast, werden die Reifen anders belastet. Wenn du mehr Leistung hast, kannst du mehr Anpressdruck fahren. Wir sehen ja all die Flügelprofile, die Ferrari und Mercedes draufschrauben können, und sie haben trotzdem den gleichen Topspeed wie wir. Das geht alles Hand in Hand."

Ferrari SF70-H

Innovationen wie den geteilten Seitenkasten sucht man vergeblich Zoom

Horner weiß aber auch: "Wir müssen das komplette Paket verbessern." Denn den Schwarzen Peter ausschließlich dem Motorenpartner zuzuschieben, wäre laut Ricciardo nicht fair: "Wir wissen, dass im Motor ein paar Zehntel liegen - aber sicher keine eineinhalb Sekunden." Platz drei hinter Mercedes und Ferrari sei "das, wo wir stehen. Uns fehlt Anpressdruck, uns fehlt Grip." Und nicht nur Motorleistung.

Ricciardo: Es liegt nicht nur am Motor

Und Ricciardo räumt auch mit der Mär auf, dass Red Bull den RB13 nur besser verstehen muss und dann geht das Auto plötzlich ab wie eine Rakete: "Es liegt nicht nur am Set-up. Wir haben offensichtlich nicht das, was die anderen beiden haben. Ich sage das ohne fachliche Kenntnis davon, wie ein Seitenkasten aussehen müsste - das ist auch nicht meine Aufgabe. Aber was die gemacht haben, ist momentan offensichtlich besser."

Worauf er anspielt: Während der Mercedes F1 W08 EQ Power+ und der Ferrari SF70H mit zahlreichen verspielten Details wie etwa einem auffälligen T-Wing oder innovativen Seitenkästen daherkommen, wirkt Neweys RB13 zumindest rein optisch wenig originell. "Für uns geht es darum, genau zu verstehen, was sie besser gemacht haben", meint Ricciardo. "Okay, es fehlt Anpressdruck, aber wo genau: Heck, Unterboden, Seitenkästen?"

Adrian Newey

Stardesigner Adrian Newey hat in Melbourne 100 neue Skizzen angefertigt Zoom

Das "größte Thema" sei das Heck. Aber: "Die Front könnte auch besser sein. Wir brauchen einfach mehr Grip, um schneller durch die Kurven fahren zu können." Denn auf den Geraden ist Red Bull trotz PS-Defizit erstaunlicherweise halbwegs konkurrenzfähig. Im Qualifying in Schanghai fehlten Ricciardo 5,6 km/h auf Hamilton und 2,9 auf Vettel. Das ist immer noch erheblich - aber weniger als in der Vergangenheit.

Höhere Temperaturen besser für Red Bull?

Für das nächste Rennen stimmt das zuversichtlich: "Unser Auto scheint auf den Geraden ziemlich schnell zu sein", weiß Horner. "Die hohen Temperaturen in Bahrain könnten uns entgegenkommen, auf einem Streckenlayout, auf dem wir auch in der Vergangenheit respektabel unterwegs waren." Und: "Angesichts der Arbeit, die gerade sowohl im Motoren- als auch im Chassisbereich geleistet wird, bin ich zuversichtlich, dass wir im Saisonverlauf gute Fortschritte machen werden."

"Die Philosophie, die wir verfolgen, ist ein bisschen anders als bei unseren Konkurrenten", räumt der 43-Jährige ein. "Wir glauben immer noch an das Potenzial dieses Konzepts. Ich glaube nicht, dass wir schon die Performance abgerufen haben, zu der das Auto in der Lage ist. Hut ab vor Mercedes und Ferrari. Die haben sehr starke Autos gebaut. Aber ich bin optimistisch, dass wir ein wenig später in der Saison in diesen Kampf eingreifen können."


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Neue Regeln: Luft nach oben

"Unter den neuen Regeln ist die Entwicklung noch so wenig ausgereizt, dass es in allen Bereichen des Autos viel Luft nach oben gibt. 2017 wird vom ersten bis zum letzten Rennen eine Entwicklungsschlacht", sagt er. "Der Fokus liegt auf Front, Mitte und Heck, und es wird von Rennen zu Rennen Fortschritte geben. Aber man kann sehen, dass Ferrari und Mercedes ihre Reifen sehr effektiv nutzen."

Ricciardo versucht jedenfalls, sich von der Krisenstimmung nicht anstecken zu lassen und gelassen zu bleiben: "Wir waren schon 2016 und 2015 am Saisonbeginn in einer ähnlichen Position." Doch in Schanghai sei das Auto "nicht so schlecht" gewesen: "Da war schon mehr Anpressdruck. Aber es ist offensichtlich nicht so viel wie bei den anderen. Mit der Balance war ich zufrieden. Ich glaube nicht, dass wir viel mehr herausholen hätten können."

"Wir waren schon 2016 und 2015 am Saisonbeginn in einer ähnlichen Position." Daniel Ricciardo

"Nach Bahrain sollten wir schlauer sein, wie wir es anpacken müssen", hofft er - und kündigt ein Meeting nach dem Bahrain-Test, der unmittelbar nach dem Rennen stattfindet, an. Beim Test habe man "eine ganze Menge" durchzugehen, betont Horner: "Da hast du immer eine längere Liste an Teilen als Stunden am Tag. Das Testprogramm für beide Tage ist ziemlich umfangreich." Und für die WM-Chancen 2017 vielleicht kriegsentscheidend.