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McLaren-Lamborghini: Wie sich Senna 1993 verzaubern ließ

Dieser V12 ließ Herzen schmelzen: Beinahe hätte Ayrton Senna 1994 einen McLaren-Lamborghini pilotiert - Wie ein heißer Sommerflirt ein Leben hätte retten können

(Motorsport-Total.com) - McLaren sucht nach der Trennung von Honda einen neuen Motorenpartner: Nein, liebe Leser, Sie haben nichts verpasst. Wir reden von einer Schlagzeile, die es gut auf unserem Portal hätte geben können, hätte 'Motorsport-Total.com' bereits 1993 existiert. Doch während das Internet noch in der Erprobungsphase steckte, fand sich das McLaren-Team in einer Situation wieder, die sich womöglich bald wiederholen könnte. So begann eines der faszinierendsten, vergessen Kapitel der Formel-1-Geschichte.

Titel-Bild zur News: Ayrton Senna

Ayrton Senna war nach der Fahrt im McLaren-Lamborghini auf Wolke sieben Zoom

Die Ehe McLaren-Honda hatte in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren mit den unangefochtenen Spitzenfahrern Alain Prost und Ayrton Senna alles dominiert. Doch ab 1992 begann das Williams-Zeitalter in der Formel 1. Honda zog sich Ende jenes Jahres zurück und McLaren blieb nichts anderes übrig, als ein Cosworth-Kundenteam zu werden. Ayrton Senna machte das PS-Defizit gegenüber dem Renault-V10 und dem Ford-Werksmotor im Benetton über fahrerischen Einsatz wett und holte mehrere Siege. Über die Saison von Michael Andretti schweigen alle Beteiligten aus gutem Grund.

McLaren befand sich auf Partnersuche. Doch nicht immer findet sich ein neuer Ehepartner sofort. Der Big Player der Formel 1 stürzte sich in einen heißen Sommerflirt. Und was für einen: Das Lamborghini-Abenteuer war intensiv, leidenschaftlich und wild. Und letztlich doch von kurzer Dauer. Doch die Affäre mit dem biederen Namen Lamborghini 3512 hinterließ einen bleibenden Eindruck. Vor allem bei Ayrton Senna.

Handschlag auf der IAA

Im Namen sind alle relevanten Vorzüge bereits enthalten: Der Lamborghini-Motor wies 3,5 Liter Hubraum auf und hatte zwölf Zylinder, natürlich in V-Form angeordnet. Dennis hatte zuvor auf der IAA in Frankfurt einen Deal mit Bob Lutz, dem Chef von Chrysler, denen Lamborghini damals gehörte, erzielt. Bis heute gibt es zwei verschiedene Versionen der Geschichte: Für die einen war es bereits eine mündliche Garantie für 1994, für die anderen lediglich die Zusage, den V12-Motor zu testen. Jedenfalls kam es im Spätsommer 1993 zu einer Testfahrt mit Ayrton Senna und dem damaligen Testfahrer Mika Häkkinen.

Es war nicht leicht, den riesigen Zwölfzylinder in das Chassis des McLaren MP4-8 zu packen. Allen Beteiligten war klar, dass der MP4-8B keine optimale Lösung darstellen würde. Doch darum ging es nicht. Es ging darum, zu sehen, ob McLaren-Lamborghini eine konkurrenzfähige Paarung darstellen würde.

Senna völlig ergriffen

Und es sah gut aus: Der Motor schrie nicht nur so sehr, dass manche Freudenträne floss, sondern überzeugte auch mit hervorragenden Attributen. So soll er etwa 70 PS mehr geleistet haben als der Cosworth-V8-Kundenmotor. Dazu war er wesentlich sanfter zu den Reifen als das drehmomentstärkere bisherige Aggregat.

Senna war völlig ergriffen. Der Sound, die riesigen Leistungsreserven und das gesamte Fahrverhalten kamen dem Fahrstil des Brasilianers entgegen. Zwar mochte er den Honda-V10, der 1989 und 1990 zum Einsatz kam, mehr als den V12 der Jahre 1991 und 1992. Doch das Lamborghini-Aggregat mit zwölf Zylindern ließ sein Herz dermaßen schmelzen, dass er Ron Dennis mit Nachdruck an die Erfolge der V12-Ära erinnerte, um Werbung für seine neue Liebe zu machen.


Fotostrecke: Ayrton Senna: Die Karriere einer Legende

Er war so sehr in das heiße Gerät aus Italien verliebt, dass er nach einer Testfahrt in Silverstone das Autotelefon (der allerneuste technische Schrei der damaligen Zeit) des Dienstwagens von McLaren-Besitzer Mansour Ojjeh anrief, neben dem sich Ron Dennis befand. Völlig bewegt sagte er Dennis zu, 1994 weiter für McLaren fahren zu wollen, wenn dieser Motor zum Einsatz kommen sollte.

Italienische Diva mit Zicken

Senna kann über seine Fahrt leider nicht mehr berichten, doch er war ergriffen. Er schien es zu spüren, dass hier eine potenzielle Siegerkombination vorlag. Lediglich die Drehmomentkurve müsste noch etwas angepasst werden, weil die Leistung im mittleren Drehzahlbereich noch zu schwach war. Noch kam die Leistungsexplosion oben herum etwas zu explosionsartig - ein Vergnügen für ein Genie am Lenkrad wie Senna, aber weniger gut für die Rundenzeit. Außerdem war der Spritverbrauch noch zu hoch und die Kühlung noch nicht optimal. Doch es gab noch genug Zeit, bis die Saison 1994 beginnen würde.

Als nächstes stieg Mika Häkkinen ins Auto. Anders als Senna kann er noch von den Eindrücken berichten. Der Finne geriet gegenüber dem 'F1 Racing Magazin' ebenfalls ins Schwärmen: "Oh ja, ich werde das Gefühl niemals vergessen. Es war fantastisch. Da kam einfach immer mehr Leistung. Wir sind regelrecht geflogen. Das war ein ganz besonderer Moment in meiner Karriere. Und dann dieser unglaubliche Sound..."

Ayrton Senna, Auslaufrunde

Mit dem Ford-Kundenmotor konnte Senna nur durch fahrerischen Einsatz bestehen Zoom

Bis er auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wurde: "Auf der Hangar Straight Richtung Stowe explodierte der Motor - buchstäblich! Das war der vielleicht heftigste Motorschaden, den ich in meiner ganzen Karriere hatte. Das war ein totaler Schock. Motorteile und Kolben sind links, rechts und überall an mir vorbeigeflogen." Der Knall war so groß, dass ein Loch bis in den Unterboden gerissen wurde. Der rassige italienische Sommerflirt konnte bei Streitigkeiten enorm zuschlagen.

Sommerflirt ohne Happy End

Das war der Moment, als sich die Dinge wendeten. Lamborghini hatte in der Formel 1 nicht den besten Ruf, obwohl die Motoren zu den stärkeren im Feld gehörten. Doch feierten sie im Heck von wenig konkurrenzfähigen Teams wie Larousse, Ligier oder Lotus keine großen Erfolge. Hinzu kam ein chaotischer Werkseinsatz als Team Modena im Jahre 1991. Und dann betrat Peugeot die Bühne. Finanziell bestens ausgestattet, mit einer Sportwagen-Weltmeisterschaft und zwei Le-Mans-Siegen nebst erprobtem V10-Aggregat im Schlepptau. Bereit, die übermächtigen Renault-Motoren herauszufordern.

Die Entscheidung fiel Ron Dennis leicht. Lamborghini wurde abgesägt, mit Peugeot sollte McLaren binnen vier Jahren wieder an die erfolgreiche Honda-Ära anknüpfen. Die Affäre mit Lamborghini endete auf Basis einer rationalen kaufmännischen Entscheidung. Senna war am Boden zerstört. Er unterschrieb mit gebrochenem Herzen bei Williams, die tragischen Folgen sind bekannt. Ohne diesen Wechsel könnte Senna noch unter den Lebenden weilen und von packenden Kämpfen mit Michael Schumacher erzählen.

"Es war fantastisch. Da kam einfach immer mehr Leistung. Wir sind regelrecht geflogen. Das war ein ganz besonderer Moment in meiner Karriere." Mika Häkkinen

Und auch für McLaren sollte sich der Wechsel nicht auszahlen: Die Peugeot-Ära ist eines der erfolglosesten Kapitel der McLaren-Geschichte. Die Ehe mit den Franzosen lief so schlecht, dass sie nach einem Jahr wieder geschieden wurde. Es war eine der schlechtesten Entscheidungen in der Karriere des Ron Dennis. Ob Lamborghini die bessere Wahl gewesen wäre, wird für immer unbeantwortet bleiben. Die Zukunft für McLaren hieß jedenfalls Mercedes.

Für Lamborghini endete das Kapitel Formel 1 nach dem unglücklichen Sommerflirt vollständig. Chrysler entzog dem Projekt die Mittel. Der Name Lamborghini verschwand bis heute aus der Formel 1. Doch Stefano Domenicali würde die italienische Marke, mittlerweile unter Audi-Fittichen, gerne zurück in die Königsklasse bringen. Und er saß bei den nächsten Motorengesprächen für die Zeit ab 2021 mit am Tisch.